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Am 2. März vor 50 Jahren stellte der „Club of Rome“ die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ vor. Unser aktueller FEShistory-Blogbeitrag fragt nach der Rezeption innerhalb der Sozialdemokratie und Gewerkschaften.
Ein Automanager und ein Chemiker sind überzeugt: Die Verliebtheit der Industrienationen in exorbitante Wachstumsraten und technologischen Fortschritt führt unweigerlich zum zivilisatorischen Kollaps. Ein grundlegender Wandel in der Weltwirtschaft ist vonnöten. Was heute eher unwahrscheinlich klingt, bildete vor 50 Jahren den Startschuss für eine Studie, die international enormes Aufsehen erregte und das Bewusstsein für die Endlichkeit natürlicher Ressourcen nachhaltig schärfte. Auch in der deutschen Sozialdemokratie.
Aurelio Peccei, Mitglied der Firmenleitung von Fiat und Olivetti, und der schottische Wissenschaftler Alexander King, Direktor für Wissenschaft, Technologie und Erziehung bei der Pariser Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), hatten sich 1968 in Rom am Rande einer Konferenz getroffen. In der Skepsis gegenüber der Idee des unbegrenzten industriellen Fortschritts geeint, ließen sie – auf Rechnung von Fiat – 30 anerkannte Wissenschaftler_innen einfliegen: Die Geburtsstunde des Club of Rome. Sein erster Bericht über die „Grenzen des Wachstums“ („The Limits to Growth“), der am 2. März 1972 auf einer internationalen Konferenz in Washington vorgestellt und in Buchform veröffentlicht wurde, sollte das gesellschaftliche Klima der 1970er-Jahre prägen und zum einflussreichsten Umweltbuch der Geschichte avancieren.
Der schmale blaue Band mit dem Globus in Eierschalen auf dem Cover (deutsche Ausgabe) wirkt auf den ersten Blick ganz unscheinbar, doch die 180 Seiten haben es in sich. Schon in der Einleitung lassen die Autor_innen die Katze aus dem Sack: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht". Zu Beginn der 1970er-Jahre, als der Fortschrittsglaube und die Idee der technologischen Machbarkeit noch weitgehend unerschüttert sind, muss diese Prognose einschlagen wie eine Bombe. Laut und heftig sind die Stimmen der Abwehr in der industriellen Welt, in der man das Wachstumsparadigma konservieren zu können glaubt. Von „Zukunftspessimisten“ und „Defätisten“ ist die Rede, der Londoner Economist bezeichnet das Buch als die „Hochwassermarke altmodischen Unsinns“ und die New York Times nennt es „hohl“ und „irreführend“.
Die Studie ist dabei selbst ein Kind der Planungseuphorie und des Machbarkeitsglaubens der 1960er-Jahre, einer Hochphase transnationaler Steuerungsutopien und kybernetischer Modelle, mit denen man mittels elektronischer Datenverarbeitung dynamische Entwicklungen simulierte und Zukunftsentwürfe generierte. Im Mittelpunkt des „Weltmodells“ des 17-köpfigen Forscher_innenteams unter der Leitung von Dennis L. Meadows am Massachusetts Institute for Technology (MIT) steht die Entwicklung von fünf Werten im Zeitraum von 1900 bis 2100 – Erdbevölkerung, Industrieproduktion, Nahrungsversorgung, Rohstoffvorräte und Umweltverschmutzung. Die bottom line der vielen Einzelstudien und Computerhochrechnungen ist eindeutig: Wenn der ungebremsten Industrialisierung kein Einhalt geboten würde, das Bevölkerungswachstum weiter zunähme und die Umweltverschmutzung weiter voranschreite, könne die Menschheit der Katastrophe nicht entgehen. Ein Prozess des radikalen Umdenkens sei notwendig.
Trotz des teilweise heftigen Widerspruchs aus Wirtschaft und Politik ist die Resonanz groß. Das Buch wird in mehr als 30 Sprachen übersetzt und verkauft sich weltweit mehr als zehn Millionen Mal. In Deutschland ist es innerhalb weniger Tage vergriffen, 15 weitere Auflagen werden gedruckt. 1973 erhält es den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Seine Prognosen, die sich in wesentlichen Punkten bewahrheitet haben, wenngleich die Kritik an einzelnen Analyseergebnissen aus heutiger Sicht berechtigt war (etwa mit Blick auf die Einschätzung der Rohstoffvorkommen), befördert einen fundamentalen Wahrnehmungswandel. Sie helfen, die Ökologie als Argument vom Rand der politischen Debatte in ihr Zentrum zu rücken. „The Limits to Growth“ gibt den zivilgesellschaftlichen Protesten einer jungen Umweltbewegung Auftrieb und bereitet den Boden für den globalen Umweltschutz.
Im Zuge der durch den Bericht des Club of Rome entfachten Diskussion über die „Grenzen des Wachstums“ erlangt die Auseinandersetzung mit der ökologischen Frage auch innerhalb der deutschen Sozialdemokratie eine neue Dynamik. Der Umweltschutz hatte bereits eine eigene Geschichte in der Bundesrepublik und in der Sozialdemokratie. Nachdem Umweltpolitik in Zeiten des wirtschaftlichen Wiederaufbaus in den ersten 20 Jahren nach Gründung der Bundesrepublik nur eine marginale Rolle gespielt hatte, war es die von Willy Brandt geführte sozial-liberale Koalition von 1969, die auf die großen Umweltskandale der 1960er-Jahre mit einer Vielzahl von Umweltschutzgesetzen reagierte. Nach der Etablierung erster Ansätze einer umfassenden Umweltpolitik in Deutschland beflügelt und unterstützt der Bericht des Club of Rome die Kräfte einer ökologischen Modernisierung in der SPD, die sich für eine Verbindung zwischen einem nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen und einer arbeitnehmerfreundlichen Wirtschaftspolitik stark machen. Einen Monat nach der Veröffentlichung von „The Limits to Growth“, im April 1972, hält Erhard Eppler ein Grundsatzreferat auf dem Kongress der IG Metall „Aufgabe Zukunft: Qualität des Lebens“: „Dasselbe Wirtschaftswachstum, das unser Leben in den letzten 100 Jahren in vielem angenehmer gemacht hat, [kann] es schließlich auch unerträglich machen“, mahnt Eppler. In seinem 1973 veröffentlichten Buch „Die Qualität des Lebens“ spitzt er weiter zu: „[E]s werden Progressive sein, die sich der Realität stellen, [w]eil sie begriffen haben, daß die Fortschreibung des Gewohnten nicht nur keine ideale, sondern gar keine Zukunft mehr ergibt.“
Es ist nicht die SPD als ganze Partei, aber es sind viele Sozialdemokrat_innen und Gewerkschafter_innen, die die Botschaft des Club of Rome in einem heute oftmals vergessenen Ausmaß ernst nehmen. Sie tragen die Impulse in die Politik, setzen Akzente in der Debatte um einen neuen Wachstums- und Fortschrittsbegriff. Sie arbeiten an einem programmatischen Einklang von Ökologie und sozialer Gerechtigkeit, für ein soziales Bündnis zwischen Sozialdemokratie und Umweltbewegung. Und sie konzipieren eine sozialökologische Wirtschaftsdemokratie mit ökologischer Marksteuerung, Investitionslenkung und Mitbestimmung.
Viele dieser Impulse werden angesichts der beiden Ölpreiskrisen und der steigenden Arbeitslosigkeit in den 1970er-Jahren in den Hintergrund gedrängt. Die Forderung nach tiefgreifenden umweltpolitischen Maßnahmen bleibt nur in Teilen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften lebendig. Die historische Herausforderung der deutschen Einheit und die neu erstarkte Marktgläubigkeit der 1990er- und frühen 2000er-Jahre bewirken dann das ihrige. Heute aber bleibt sicher keine Zeit mehr, hinter die Botschaft von den „Grenzen des Wachstums“ von vor 50 Jahren zurückzufallen.
Peter Beule
In unserer Veranstaltungsreihe geschichte.macht.zukunft diskutierten wir darüber, wie natürliche Lebensgrundlagen erhalten, der Klimawandel bekämpft und die Transformation sozial gerecht gestaltet werden können. Was macht die Soziale Demokratie und die globale Ökologiebewegung heute zu Bündnispartnern? Zu Gast waren die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter, die Europaabgeordnete Delara Burkhardt, FridaysForFuture-Aktivistin Lou Töllner, Steffen Göths (Bundesvorstand Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken) und Historiker Felix Lieb.
Die Aufzeichnung der Veranstaltung vom 8. September 2020 finden Sie hier.
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