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Liebe EU, wohin des Weges?

Jean-Claude Junckers Weißbuch zeigt fünf mögliche Szenarien für die Zukunft der EU auf. Auch ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ ist wieder denkbar. Klar ist: Selten erschien die Zukunft der Union derart ungewiss.

Bild: Urban People von Unsplash lizenziert unter CC0 1.0

Merkel will in Polen die EU retten. So oder so ähnlich kommentiert nicht nur die polnische Presse den deutschen Staatsbesuch in Warschau Anfang Februar. Denn Deutschlands nordöstlicher Nachbar hadert seit dem Wahlsieg der rechts-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Herbst 2015 wieder verstärkt mit der Union.

Ein Bürgerkriegsland in Nordafrika dient der Befriedung von Europas Wählen

Das Land zählt auch zu den Hauptgegnern der gescheiterten EU-Quoten zur Aufnahme von Geflüchteten. Trotzdem erlebte die EU selbst bei dem kontroversen Thema Flüchtlingspolitik einen Moment der Einigkeit: Bei der Konferenz von EU-Regierungsvertretern im maltesischen Valetta Anfang Februar beschlossen diese einstimmig, die Mittelmeerroute zu schließen, indem Libyen massiv beim Grenzschutz und der Einrichtung von Aufnahmelagern von der EU unterstützt wird. Der maltesische Ministerpräsident Joseph Muscat kommentierte freudig, dass dies das erste Mal seit einigen Monaten sei, dass sich die EU und ihre Mitgliedstaaten bei diesem kontroversen Thema einig wären.

Auch mit der weiteren Strategie beim Brexit beschäftigte man sich auf der Konferenz. Selbiger nahm ja erst kürzlich eine weitere Hürde: die Abgeordneten des Unterhauses in Großbritannien stimmten dem Brexit zu und bekräftigten damit das Ergebnis des Referendums. Ein gegenteiliges Ergebnis wäre so unerwartet wie unerwünscht gewesen.

Die Briten haben sich entschieden – was macht der Kontinent?

Doch was will die Bevölkerung der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten? Welche Strukturen, welche Verantwortung der Staatenunion wünschen sie sich für die Zukunft der EU?  Mit diesen grundlegenden Fragen beschäftigte sich auch der Bürgerdialog des FES Landesbüro Sachsen, als Teil der bundesweiten Gesprächsreihe „Welches Europa wollen wir?“. Zu diesem Thema diskutierten in Leipzig Constanze Krehl und Dr. Peter Ptassek unter Moderation durch Wolfgang Brinkschulte des MDR miteinander. Krehl ist seit über zwei Jahrzehnten Abgeordnete im Europäischen Parlament und stand bis vor Kurzem der Delegation Russland des Europäischen Parlaments vor. Dr. Peter Ptassek ist stellvertretender Leiter der Europaabteilung des Auswärtigen Amtes und Beauftragter für Grundsatzfragen der EU.

Alles nur eine Frage der Kommunikation?

Beide waren sich im Grunde einig, dass die EU ein Kommunikationsproblem habe. Krehl betont, dass die friedensstiftende Funktion der EU von der Wahrnehmung institutioneller Komplexitäten überlagert würde. Durch die notwendige Einstimmigkeit einiger Beschlüsse könne die EU unentschlossen oder gar handlungsunfähig wirken. Auf der anderen Seite ist es natürlich begrüßenswert, wenn bei Entscheidungen von großer Tragweite auch alle Mitgliedstaaten ein Mitspracherecht haben. Trotz dessen, so Krehl, sollte die Zivilgesellschaft die EU aktiver mitgestalten können – teils müssen dafür wohl neue Instrumente erdacht werden, teils müssen die schon vorhandenen aber auch einfach besser vermittelt werden. Ähnlich betonte Ptassek, dass ein stärkeres Bewusstsein gefördert werden sollte, dass die EU für „uns“ arbeite, also eben für die Bürgerinnen und Bürger, und keinen Selbstzweck erfülle. Man denke an einige der Regionen Großbritanniens, die bisher, dank des European Structural Fund, einen bedeutenden Teil ihrer Infrastruktur finanzieren konnten. War es den Bürger_innen bewusst, dass ihr örtliches Schwimmbad, die Ausstellung, der Fahrradweg, von EU-Geldern getragen werden?

Das kommende Jahr bringt viele Ungewissheiten mit sich: die Wahlen in Frankreich, den Niederlanden, nicht zuletzt in Deutschland, sowie ein krasser Wandel in den transatlantischen Beziehungen. Dies alles ist entscheidend für die Zukunft der EU – entscheidender als ihr Imageproblem. Aber die häufig verzerrte Darstellung hat die EU oft schlechter dastehen lassen als sie ist, was zur vielerorts zunehmenden Ablehnung einen Teil beigetragen hat. Diesem Feld muss man sich bald widmen – wenn es diese zweite Chance denn überhaupt gibt.

Ansprechpartner in der Stiftung:

Matthias Eisel


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