Die FES wird 100! Mehr erfahren

Ansprechpartner

PD Dr. Stefan Müller

0228 883-8068

Stefan.Mueller(at)fes.de 

Abteilung

Archiv der sozialen Demokratie

 

Novemberrevolution

Dieser Beitrag von Dr. Bernd Braun erschien 2012 und war Teil des Projekts "Erinnerungsorte der Sozialdemokratie".

Am 4. November 1918 löste die Meuterei der Matrosen der deutschen Kriegsflotte in Kiel und Wilhelmshaven die Novemberrevolution in Deutschland aus. Wie Dominosteine fielen in den kommenden Tagen die zivilen und militärischen Strukturen in den Städten zusammen und wurden durch Arbeiter- und Soldatenräte ersetzt. Fünf Tage später, am 9. November 1918, erreichte diese revolutionäre Welle Berlin, wo die beiden Parteivorsitzenden der SPD, Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann, Umwälzungen von wahrhaft historischer Dimension in die Wege leiteten.

Vom Reichstagsgebäude aus verkündete Philipp Scheidemann die Deutsche Republik und besiegelte damit das Ende des Kaiserreichs und weiterer 23 Monarchien in den deutschen Einzelstaaten. Friedrich Ebert übernahm die Amtsgeschäfte vom letzten kaiserlichen Reichskanzler Max von Baden und trat am nächsten Tag in den aus jeweils drei Vertretern von SPD (Ebert, Scheidemann und Otto Landsberg) und USPD (Hugo Haase, Wilhelm Dittmann und Emil Barth) gebildeten Rat der Volksbeauftragten ein, der bereits mit seinem ersten Aufruf vom 12. November zentrale politische und soziale Reformen umsetzte. In dieser Magna Charta der Novemberrevolution wurde unter anderem beschlossen: eine Demokratisierung des Wahlrechts (Frauenwahlrecht, Verhältniswahlrecht, Absenkung des Wahlalters von 25 auf 20 Jahre), eine Demokratisierung der Arbeitsbeziehungen (Abschaffung der Gesindeordnungen, Gleichberechtigung der Landarbeiter), die Stärkung der Freiheitsrechte (Abschaffung der Zensur, volle Meinungs- und Versammlungsfreiheit) und als wichtigste soziale Errungenschaft die Einführung des achtstündigen Maximalarbeitstags.

Die sozialdemokratische Revolutionsregierung musste so schwierige Probleme bewältigen wie keine andere Regierung in der deutschen Geschichte. So mussten als erster Schritt zur Demobilmachung die vier Millionen deutsche Soldaten, die noch auf besetztem Territorium von Frankreich und Belgien standen, innerhalb weniger Tage friedlich nach Deutschland zurückgeführt werden, die Kriegswirtschaft musste auf Friedenswirtschaft umgestellt und die Ernährungslage der hungernden Bevölkerung verbessert werden. Außerdem wurden mit den auf den 19. Januar 1919 angesetzten Wahlen zur Verfassunggebenden Nationalversammlung die Weichen für ein demokratisches Deutschland gestellt. Dies alles geschah in nur 72 Tagen. Die in Weimar zusammengetretene Nationalversammlung erarbeitete dann bis August 1919 die bis heute freiheitlichste Verfassung in der deutschen Geschichte, deren Verabschiedung die revolutionäre Übergangsphase endgültig beendete.

Wenn die Novemberrevolution heute nicht nur aus dem historiografischen Gedenkkanon, sondern auch aus dem kollektiven Gedächtnis der SPD wie der deutschen Nation insgesamt fast völlig verschwunden ist, dann gibt es vor allem drei Ursachen dafür. Hitler wollte durch seinen Marsch auf die Feldherrnhalle am 9. November 1923 und die Schändung der jüdischen Gotteshäuser am 9. November 1938 den Tag der „Novemberverbrecher“, wie er es nannte, überlagern und auslöschen. Dies ist ihm weitgehend gelungen. Zweitens haben die DDR und ihre Geschichtsschreibung die aus ihrer Sicht verratene Revolution für das Scheitern der Weimarer Republik verantwortlich gemacht. Dieser Position haben sich nicht wenige westdeutsche Publizisten angeschlossen, als Prominentester Sebastian Haffner. Außerdem hat die Öffnung der Berliner Mauer, die zufällig auf den 9. November 1989 fiel und von der Politik als Ergebnis der „einzigen erfolgreichen Revolution in der deutschen Geschichte“ definiert wurde, die Ereignisse im November 1918 gleich doppelt in die Defensive gedrängt. Insofern stellt die Novemberrevolution das vielleicht eklatanteste Beispiel dafür dar, wie wenig die Sozialdemokratie als geschichtsträchtigste Partei in Deutschland in der Lage ist, mit ihrem historischen Kapital zu wuchern.


Neueste Blogbeiträge

Hans Böckler (1875-1951) - mit Leib und Seele Gewerkschafter

Porträt Hans Böckler

Vor 150 Jahren, am 26. Februar 1875, wurde der erste DGB-Vorsitzende Hans Böckler geboren. Sein Leben und Wirken in Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Bundesrepublik bildet eine Brücke gewerkschaftlicher Politik in Deutschland.


weitere Informationen

„Auf die Wirkung kommt es an“ – Der Gewerkschafter Heinz Kluncker (1925–2005)

Porträt Kluncker

Der langjährige Vorsitzende der Gewerkschaft ÖTV wäre am 20. Februar 2025 100 Jahre alt geworden. Hartmut Simon erinnert in einem Gastbeitrag an sein Wirken.


weitere Informationen

Das DGB-Archiv im Archiv der sozialen Demokratie

Blick in die Magazinräume mit Drehregalen von DGB-Archiv und -Bibliothek im AdsD

Vor 30 Jahren wurde das AdsD durch die Übergabe der Archiv- und Bibliotheksbestände des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu einem der größten und bedeutendsten gewerkschaftlichen Archive.


weitere Informationen
nach oben