Internationaler Tag gegen Rassismus: Rassistische Diskriminierung von Migrant_innen und Geflüchteten
Am 21. März 1960 eröffnete die Polizei in Sharpeville, Südafrika, das Feuer auf Demonstrierende gegen das Apartheidsregime und tötete 69 Menschen. 45 Jahre später gilt dieser Tag nicht nur als Wendepunkt im Kampf der schwarzen Bevölkerung Südafrikas gegen Unterdrückung, sondern dient auch zur Mahnung, dass Rassismus weltweit immer noch existiert.
Rassistische Diskriminierung ist nach wie vor ein zentrales soziales und politisches Problem, weltweit wie auch in Deutschland, wie etwa Aussagen von Betroffenen und die wachsende Anzahl von Anfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes belegen. Der Schnittpunkt zwischen rassistischer Diskriminierung und der besonderen Vulnerabilität von Geflüchteten und Migrant_innen liegt im Fokus einer Gemeinsamen Allgemeinen Stellungnahme, die derzeit von zwei UN-Ausschüssen erarbeitet wird – dem Ausschuss zur Beseitigung von Rassendiskriminierung (CERD) und dem Ausschuss zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeiter_innen und ihrer Familienangehörigen (CMW).
Anlässlich des Internationalen Tages gegen Rassismus am 21. März sprachen wir mit Dr. Ibrahima Guissé, Mitglied des CERD, über die Besonderheiten und das systemische Wesen von rassistischer Diskriminierung wie auch über die gegenwärtige Relevanz und potenzielle Herausforderungen der Allgemeinen Stellungnahme.
Rassistische Diskriminierung ist sowohl Ursache als auch Folge gewaltsamer Vertreibung, was Geflüchtete und Migrant_innen in dieser Hinsicht besonders angreifbar macht. Was kennzeichnet diese Form der Diskriminierung?
Dr. Ibrahima Guissé: Rassistische Diskriminierung und damit verbundene Formen der Ausgrenzung können sowohl ein Grund gewaltsamer Vertreibung sein als auch den Schutz unterlaufen, unter dem Geflüchtete und Asylsuchende eigentlich stehen sollten. Rassistische Ideologien wurden im 19. Jahrhundert systematisiert, mit dem Anspruch, Unterschiede zwischen einzelnen Menschengruppen erklären zu wollen. Nach wie vor basiert die rassistische Doktrin darauf, dass körperliche oder kulturelle Unterschiede zwischen einzelnen Menschengruppen absolut, quasi heilig seien. In unseren heutigen Gesellschaften zeigt sich, wie komplex und multidimensional Rassismus ist, einschließlich Haltungen, Meinungen, Glaubenssätzen und Vorurteilen, die sich in unterschiedlicher Weise durch Stigmatisierung und Gewaltformen wie Beleidigungen, Hassrede oder Hassverbrechen äußern. Daneben kennzeichnet Rassismus, dass Menschen ihre Identität und Menschlichkeit abgesprochen wird, indem sie als anders wahrgenommene Menschengruppen verneint oder als minderwertig abgetan werden.
Wie breit die Definition von Rassismus ist, zeigt sich auch in Artikel 1(1) des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, worin der Ausdruck »jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung [bezeichnet], die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.« Ob direkt oder indirekt ausgeübt, bei Diskriminierung geht es um Rechte. Die Ethnie als Variable in dieser Betrachtung verdeutlicht, wie untrennbar und wechselseitig abhängig Rechte voneinander sind.
Setzen wir uns nun im Jahr 2025 mit dem Fortdauern von Rassismus auseinander – 2025 besteht das Übereinkommen zur Beseitigung von Rassendiskriminierung seit 60 Jahren –, müssen wir neben den historischen und strukturellen Ungerechtigkeiten, auf denen das heutige multilaterale System gründet, auch die komplexen Herausforderungen ansprechen, die Ausgrenzung und sozialen und ethnischen Ungerechtigkeiten innewohnen.
Inwieweit ist rassistische Diskriminierung von Geflüchteten und Migrant_innen denn ein systemisches Problem? Welche Verantwortung tragen Zielländer und Zivilgesellschaften dafür, dieses Phänomen zu bekämpfen?
Ob systemisch oder nicht, Diskriminierung ist Teil sozialer Beziehungen, die Ungerechtigkeiten und Unterdrückung reproduzieren. Eine systemische Diskriminierung von Geflüchteten, ethnischen Minderheiten, Migrant_innen und Asylsuchenden wird angetrieben durch schädliche Narrative, die die Politik durchziehen, wie auch durch Verfahrensweisen, die letztendlich diskriminierende Praktiken verstetigen, ob bewusst oder unbewusst. Die Symptome dieser Diskriminierung zeigen sich in der Lebensrealität ethnischer Minderheiten, einschließlich Migrant_innen und Asylsuchenden. Sie sind in den Statistiken zu prekären, sozial schwachen und insgesamt schwierigen Lebensverhältnissen aus mehreren Gründen überrepräsentiert. Soll die Lücke zwischen dem normativen Diskurs zur rechtlichen Gleichstellung und dessen konkreter Anwendung hin zu tatsächlicher Gleichstellung geschlossen werden – und in diesem Zuge den Auswirkungen systemischer Diskriminierung etwas entgegengesetzt werden –, braucht es dazu von staatlicher Seite politische und gesetzgebende Maßnahmen.
Vertragsstaaten oder Zielländer müssen im Rahmen unterschiedlicher internationaler Abkommen ihren Verpflichtungen nachkommen. In diesem Zusammenhang erklärt der Ausschuss gegen Rassendiskriminierung regelmäßig seine Bedenken und beliefert Vertragsstaaten mit Empfehlungen. Beispielsweise wird dazu aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, damit Geflüchtete und Asylsuchende diskriminierungsfrei von ihren Rechten Gebrauch machen können – insbesondere denen auf Wohnraum, Gesundheitsdienstleistungen und Bildung –, oder Rechtsvorschriften zu erlassen, die Racial Profiling durch Vollzugsbehörden unterbinden.
Leider erleben wir nun seit einigen Jahrzehnten einen schrittweisen Abbau des Rechts auf Asyl sowie kollektive Ausweisungen, Zurückweisungen, eine exzessive Anwendung von Gewalt als auch grausame und entwürdigende Behandlung von Migrant_innen, Geflüchteten und Asylsuchenden durch Polizeibeamte. Zivilgesellschaftliche Organisationen und nationale Menschenrechtsinstitutionen leisten beachtliche Arbeit, indem sie Daten zu den Verletzungen der Menschenrechte dieser Gruppen sammeln, die mehrfacher, intersektionaler Diskriminierung ausgesetzt sind.
Gerade in den USA und der EU erleben wir seit einiger Zeit, wie sich die Migrationsdebatte aufheizt. Wie schätzen Sie die Risiken für den Kampf gegen Rassismus ein?
In erster Linie müssen wir anerkennen und akzeptieren, dass unsere modernen Gesellschaften grundlegend pluralistisch sind. Jeder Versuch, die kulturelle Heterogenität unserer Nationen, Städte, Viertel zu verleugnen, bringt somit Ausgrenzungsmechanismen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen mit sich. Das Hervortreten klar strukturierter extremistischer und nationalistischer Bewegungen mit einem sowohl fremdenfeindlichen als auch rassistischen Diskurs gegenüber sozialen oder ethnischen Gruppen, die als Bedrohung wahrgenommen werden, stellt für das demokratische Ideal eine existenzielle Herausforderung dar. In einer Demokratie darf es kein Problem und erst recht kein Risiko sein, Fragen ethnischer Gerechtigkeit zu artikulieren.
Der Kampf gegen Rassismus ist somit untrennbar vom Kampf für Menschenrechte. Doch gleichzeitig lassen sich Menschenrechte nicht aus ihrem nationalen Kontext lösen, ob in den USA oder in Europa. Es sei denn, diese beiden geografischen und historischen Entitäten, die die moderne Demokratie geprägt haben, würden mit ihrem historischen Erbe brechen. Einfacher gesagt, muss der Kampf gegen rassistische Diskriminierung ein Kampf aller sein, weil es sich um einen Kampf für Gleichheit, Gerechtigkeit und menschliche Würde handelt. Gerade durchläuft die Welt so etwas wie einen kollektiven Angstzustand, wobei es nicht sein kann, dass diejenigen, für die existenzielle Angst ohnehin zum Alltag gehört – nämlich die am stärksten gefährdeten Gruppen, die sich ohnehin multipler und intersektionaler Diskriminierung ausgesetzt sehen –, noch dafür sühnen müssen.
Sie arbeiten derzeit an einer Gemeinsamen Allgemeinen Stellungnahme der CERD- und CMW-Ausschüsse der UN, durch die Rechte von Migrant_innen und Geflüchteten gestärkt und Fremdenfeindlichkeit bekämpft werden soll. Welche Inhalte, Perspektiven und Empfehlungen werden besonders hervorgehoben?
Derzeit wird das Gesamtziel der Stellungnahme von CERD und CMW konzipiert, um die Vertragsstaaten des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und/oder der Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer_innenund ihrer Familienangehörigen mit maßgeblichen Leitlinien zu versehen und so Fremdenfeindlichkeit und deren Auswirkung zu verhüten und aufzulösen. Sobald die beiden Ausschüsse der Gemeinsamen Stellungnahme zugestimmt haben, werden damit konkrete Empfehlungen und thematische Richtlinien zur Beseitigung von Fremdenfeindlichkeit vorgelegt. Zusätzlich werden Bedenken hinsichtlich rechtebasierter Narrative zu Migration, Hassrede sowie zur Rolle der Medien und des Bildungssektors im Aufbau kohäsiver und inklusiver Gesellschaften formuliert.
Zur Person
Dr. Ibrahima Guissé ist Experte im UN-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung (CERD) sowie Berichterstatter einer Allgemeinen Stellungnahme zum Thema Fremdenfeindlichkeit, gemeinschaftlich erarbeitet durch den CERD und den CMW (Ausschuss zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer_innen und ihrer Familienangehörigen).
Er hat einen Doktortitel in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften von der Universität Genf und einen Abschluss in Soziologie und Politikwissenschaften von der Universität Gaston Berger in Saint-Louis, Senegal. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für soziologische Forschung (IRS) der Universität Genf hat er mehrere Publikationen zu den Themen Migration, systemischer Rassismus und den politischen Schwachstellen verfasst.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.