Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
Ansprechpartner
PD Dr. Stefan Müller
0228 883-8068
Stefan.Mueller(at)fes.de
Abteilung
Archiv der sozialen Demokratie
Rudolf Breitscheid war der profilierteste sozialdemokratische Außenpolitiker in der Weimarer Republik. Er engagierte sich lebenslang für den Zusammenhalt der Arbeiterbewegung. Als leidenschaftlicher Demokrat durchlebte er nach 1933 Emigration und Widerstand, Verfolgung und Terror. Am 2. November 2024 jährt sich sein Geburtstag zum 150. Mal.
Die Erinnerung an Rudolf Breitscheid, der 1874 in Köln geboren wurde und 70 Jahre später in Buchenwald ums Leben kam, steht heute nicht mehr im Schatten ideologischer Auseinandersetzungen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten.
Breitscheid war eine prägende Figur der Weimarer Republik von Anbeginn bis zu ihrem Untergang. Seinen politischen Weg suchte er zunächst aber im deutschen Kaiserreich im wild wuchernden Biotop des Liberalismus. Von Haus aus eher bürgerlich geprägt – der Vater war Buchhändler –, zeigte der Sohn zeitgemäße Sympathien für den Drang der europäischen Kolonialmächte nach einem Platz an der Sonne in Übersee. Als Student der Nationalökonomie wandelte er auf den Pfaden des britisch inspirierten Freihandels. Vor allem begeisterte er sich an den Predigten des unorthodoxen protestantischen Theologen Carl Jatho. Von ihm lernte er die rhetorischen Effekte und Kunstgriffe der klassischen Redekunst, die ihm in seiner späteren Zeit als Abgeordneter im Reichstag den Ruf eines ebenso gefürchteten wie bewunderten Debattenredners eintrugen.
Mit der politischen Grundstimmung seiner frühen Jahre als Journalist und Agitator passte Breitscheid um die Jahrhundertwende ziemlich genau in das von Friedrich Naumann entwickelte liberale Parteibild: nationalsozial, imperialistisch, demokratisch, letzteres in Maßen. Hier, auf dem linken Flügel des Freisinns, traf Breitscheid die für seine weitere politische Profilierung entscheidende Persönlichkeit Theodor Barths. Barth warb für die Erweiterung des Liberalismus nach links, für mehr Demokratie. Dem stand das nach wie vor in Preußen geltende Drei-Klassen-Wahlrecht im Wege. Für Barth und seine Gefolgschaft, der Breitscheid sich um 1900 anschloss, spielte sich der entscheidende Konflikt nicht nur mit den Konservativen ab, sondern auch mit dem von Bismarck weitgehend gezähmten Nationalliberalismus. Gemeinsam mit Barth und von Gerlach hatte er im Jahr 1908 die Demokratische Vereinigung – der Name war Programm – gegründet. Mehr und mehr rückte aber das Bündnis mit der stärker gewordenen Sozialdemokratie nach vorn, das Breitscheid mit Nachdruck vorantrieb.
Auf seiner Wanderung aus dem parteipolitischen Zentrum an die linke Peripherie offenbart er jenen Charakterzug, den sein bisheriger Mentor Friedrich Naumann enttäuscht auf den Nenner brachte:
„Dass das Leben selbst viel verwickelter ist als alle verstandesmäßigen Begriffe vom Leben, kümmert ihn wenig. Er hat die Idee und ist in aufopferungsvoller Hingabe der reine Diener der Idee.“
An anderer Stelle hatte Breitscheid, gefragter Kolumnist liberaler Blätter, Kritik als „die vornehmste Aufgabe der Linken“ausgerufen. Fortan folgte er seiner Maxime, dass „außerhalb des Sozialismus demokratische Ideen dauernd und konsequent nicht mehr vertreten werden können“.
Folgerichtig verließ der mittlerweile zum Parteiführer avancierte und bei den Wahlen des Jahres 1912 endgültig gescheiterte Breitscheid das Experiment des demokratischen Liberalismus im Kaiserreich, zwei Jahre vor dem Ausbruch des Weltkriegs. Die Zurückgebliebenen warfen dem inzwischen SPD-Mitglied gewordenen Breitscheid Fahnenflucht vor. So ganz ist er den bitteren Beigeschmack des Renegaten auch später, als er längst renommierter Wortführer der Weimarer SPD war, nicht mehr losgeworden.
Mit Krieg und Novemberrevolution warteten neue Aufgaben auf den Politiker und Publizisten, der sich als Spezialist für internationale Politik einen Namen gemacht hatte. Die von ihm seit 1915 herausgegebene „Sozialistische Auslandspolitik“ entwickelte sich zum Sprachrohr der innerparteilichen Gegner der Kriegskredite, namhafte Politiker der USPD zählten zu den regelmäßigen Autoren des Pressedienstes.
Als Breitscheid als Armierungssoldat an die Front abkommandiert wurde, übernahm seine Frau Tony Breitscheid (geb. Drevermann, Unternehmertochter aus dem Hessischen), die sich bald einen eigenen Namen als Frauenrechtlerin gemacht hatte, die Redaktion. In den Tagen der Revolution geriet Breitscheid – nach Berlin zurückgekehrt – mehr durch Zufall als auf eigenen Wunsch, auf den Sessel eines preußischen Volksbeauftragten für Inneres. Der Intellektuelle und Aktivist musste jetzt selbst Politik gestalten, soweit ihm die unübersichtlichen Verhältnisse in der angehenden Räterepublik Gelegenheit dazu ließen. So musste der ehemalige entschiedene Gegner der Reaktion dafür sorgen, dass die separatistischen Tendenzen im preußischen Rheinland und anderswo nicht überhandnahmen.
Während Spartakisten und Freikorps auf den Bürgerkrieg zusteuerten, versuchte Breitscheid einerseits den revolutionären Impuls zu nutzen und die vielberufenen Massen im Spiel zu halten, andererseits die verlorengegangene Einheit der Arbeiterklasse in der zweigeteilten SPD wieder zusammenzufügen. Der dabei zutage tretende Widerspruch zwischen den Arbeiterräten und einer einzuberufenden Nationalversammlung bereitete den Revolutionären eine der vielen Aufgaben, die gelöst werden mussten. Nach den Januaraufständen gab Breitscheid die Parole aus:
„Die Einheit ist das Ziel, aber nur der Wille der Massen kann uns ihm in dieser Stunde näherbringen. Die Massen haben das Wort.“
Breitscheid als Rufer der Einheit – das war eine neue und für ihn ungewohnte Rolle, in der er sich wiederfand. Mehr und mehr verblasste dabei auch das Projekt einer irgendwie gearteten Diktatur des Proletariats. Stattdessen stand unübersehbar die Frage des Friedensschlusses mit den Siegermächten im Raum.
„Wenn der Friede da ist“, schrieb Breitscheid zuversichtlich am Vorabend der Unterzeichnung des Versailler Vertrags im Juni 1919, „werden wir dem Staatsschiff schon den richtigen Kurs geben können. Zunächst aber und vor allem: Wir wollen den Frieden!“
In der Tat wurde die Herstellung des inneren und äußeren Friedens die zentrale Politik in der Weimarer Republik. Breitscheid verfolgte als Reichstagsabgeordneter der SPD (vor 1921 der USPD) dieses Ziel, dank seiner Rednergabe vom Podium des Reichstags aus wie auch hinter den Kulissen der Auswärtigen Politik des Reichs. Dies geschah aufgrund eines wechselseitigen, auf gemeinsamen Interessen beruhenden, inoffiziellen Abkommens mit dem Außenminister Gustav Stresemann von der Deutschen Volkspartei. Beide profitierten über weite Strecken voneinander. Breitscheid unterstützte die Politik der Erfüllung des Versailler Vertrags gegenüber Frankreich. Stresemann nutzte die Stimmen der SPD-Fraktion und die Verbindungen Breitscheids zur Linken in Frankreich und England. Auf diese Weise kamen auch die Verträge von Locarno unter Dach und Fach. Breitscheid war als Vertreter des Parlaments zum Völkerbund in Genf delegiert, was ihm Loyalitätspflichten jenseits seiner Parteizugehörigkeit auferlegte, zugleich der SPD wichtige Einsichten vermittelte.
Die krisenhafte Entwicklung der letzten Phase der Republik stellte Breitscheid und mit ihm die SPD vor die Herausforderung, angesichts einer zusehends autoritär sich wandelnden Verfassungswirklichkeit die Republik vor der drohenden Gefahr der faschistischen Machtergreifung zu retten. Breitscheid wollte den Bürgerkrieg vermeiden. Unbeirrbar hielt er an den Prinzipien des Rechtsstaats und der parlamentarischen Demokratie fest. Am Tag nach der Berufung Hitlers ins Reichskanzleramt glaubte er, vor dem Einsatz militanten Widerstands auf den expliziten Verfassungsbruch warten zu sollen. Sein verzweifelter Appell an die republikanische Garde der Eisernen Front „Bereit sein ist alles“ simulierte Handlungsoptionen, die es nicht mehr gab. Als der neu gewählte Reichstag mit dem Beschluss des Ermächtigungsgesetzes das Ende der freiheitlichen Republik besiegelte, floh Breitscheid ins Exil, zunächst in die Schweiz, anschließend bis 1940 nach Frankreich.
In Paris versuchte Breitscheid gemeinsam mit anderen deutschen Politkern der Linken, Intellektuellen und Schriftstellern wie Heinrich Mann eine deutsche Volksfront nach französischem Vorbild gegen das Hitler-Regime aufzubauen. Besorgt beobachtete er die Entwicklung auch im übrigen Europa in Richtung autoritärer Regime und zunehmender Kriegsgefahr.
Umso mehr schmerzte ihn die Zersplitterung der sozialdemokratischen Widerstandsgruppen im Exil und die Unfähigkeit des Prager Exilvorstands, die Entwicklung unter Kontrolle zu bringen. Breitscheid selbst sah sich dem Misstrauen der alten SPD-Führung ausgesetzt, die seine Kontakte zu den kommunistischen Exilanten in Paris zu unterbinden suchte und ihn, so gut sie es vermochte, isolierte. Breitscheids Kurs glich einem Balanceakt, der die Chancen einer gemeinsamen Volksfront auch unter Vorbehalt zu nutzen und gleichzeitig den Verdacht des Prager Vorstands zu entkräften. Gegenüber einer von der kommunistischen Internationale gesteuerten Taktik blieb er auf der Hut. Dem Freund im Schweizer Exil, Wilhelm Hoegner, versicherte er, „daß keinerlei Rücksichten mich abhalten würden, den Bruch mit den Kommunisten zu vollziehen, wenn sich irgendwie ergäbe, daß wir mißbraucht oder irgendwie an der Nase herumgeführt werden sollen.“
Seit dem Sommer 1938 vermochte er nicht mehr an die „Möglichkeit einer Deutschen Volksfront zu glauben, da die Haltung der Kommunisten den Voraussetzungen gemeinsamer Arbeit zuwiderläuft. Ich beklage diese Entwicklung aufs lebhafteste, da ich mich ehrlich und ernsthaft für die Schaffung einer geschlossenen marxistischen Front eingesetzt habe, aber ich will unter keinen Umständen im Moskauer Schlepptau segeln.“
Täuschungen und Enttäuschung kennzeichnen auch den letzten Lebensabschnitt Breitscheids im französischen Exil und nach seiner Auslieferung an die Gestapo im Februar 1941. Hitler werde es nicht wagen, ihn zu verhaften, sprach er sich Mut zu, als er vor dem Einmarsch der Wehrmacht in den Süden Frankreichs flüchtete. Was er nicht wusste: die Gestapo hatte bereits die Auslieferung Breitscheids und seines Weggenossen Rudolf Hilferding verlangt. Wege, die rechtzeitig in die USA hätten führen können, waren inzwischen versperrt. In Arles endete die Flucht. Nach seiner Verhaftung in Vichy begannen für Breitscheid im Berliner Prinz-Albrecht-Gefängnis der Gestapo mehrmonatige qualvolle Verhöre. Es folgte eine Zeit im KZ Sachsenhausen/Oranienburg. Die Endstation für das Ehepaar Breitscheid war das KZ Buchenwald, wo sie eine Sonderbaracke am Rande zugewiesen bekamen. Am 24. August fiel Breitscheid einem alliierten Luftangriff zum Opfer. Seine Ehefrau Tony Breitscheid verließ nach dem Krieg Deutschland und zog zu ihrem Sohn Gerhard nach Kopenhagen.
Dass die DDR Breitscheid auf zahllosen Straßenschildern als Vorkämpfer eines gemeinsamen antifaschistischen Bündnisses ehrte, kann günstigstenfalls als Missverständnis interpretiert werden. Erst im Umfeld seines 80. Todestages holte die Sozialdemokratische Partei im WestendieWürdigung für den Kämpfer für Demokratie und Rechtsstaat nach.
Peter Pistorius
Peter Pistorius wurde 1968 an der Universität zu Köln mit einer Studie über Rudolf Breitscheid promoviert. Die lange unveröffentlichte Biografie erschien 2024 in überarbeiteter Fassung im Schüren Verlag.
Manuel Campos berichtet von seinem Weg aus Portugal nach Deutschland, den Erfahrungen von Migrant:innen in der Bundesrepublik seit den 1970er-Jahren und seinem Engagement in der IG Metall.
Das AdsD hat kürzlich den Teilnachlass Elfriede Eilers erschlossen. Aus diesem Anlass widmen wir uns in unserem aktuellen Blogbeitrag der sozialdemokratischen Politikerin und dem bei uns verwahrten Bestand.
Die Erfahrungen im Umgang mit den Republikanern zeigen, warum es in liberalen Demokratien so schwierig ist, rechtsextreme Parteien zu beobachten und zu verbieten. Der Historiker Moritz Fischer argumentiert in einem Gastbeitrag, warum die Bewertung durch den Verfassungsschutz oft ein Teil des Problems ist.