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PD Dr. Stefan Müller
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Abteilung
Archiv der sozialen Demokratie
Die Diskussionen über den russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 sind mit Geschichte aufgeladen. Wladimir Putin rechtfertigt den Krieg mit Geschichte, aber auch in Deutschland spielt Geschichte eine große Rolle, wenn es um die Ursachen des Krieges geht: Wurde die autoritäre Entwicklung in Russland zulange nicht wahrgenommen? Waren Dialog und wirtschaftliche Kooperation die falschen Mittel gegenüber Russland? Insbesondere an die Sozialdemokratie richtet sich die Kritik, Dialog und wirtschaftliche Kooperation mit Russland seien die Fortsetzung der historischen Entspannungspolitik Egon Bahrs und Willy Brandts: Menschenrechtsfragen hätten zugunsten des Friedens hintenangestanden; Dialog und wirtschaftliche Kooperation hätten den Diktator stabilisiert. Nicht nur die Kritiker_innen der (sozialdemokratischen) Russlandpolitik seit den 1990er-Jahren stellen dabei eine Kontinuität zur historischen Entspannungspolitik her. Auch viele derjenigen, die aktuell Verhandlungen fordern und die Fokussierung auf Waffenlieferungen kritisieren, beziehen sich positiv auf Willy Brandt und Egon Bahr.
Auf der Website „Geschichte der Entspannungspolitik“ gehen wir aus diesem Grund auf die Neue Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr, wie sie auch genannt wurde, ein und arbeiten die Unterschiede zur Gegenwart heraus. Wir begleiten die aktuelle Diskussion durch Interviews mit und Beiträge von Expert_innen und Politiker_innen.
Willy Brandts Berater Egon Bahr formuliert in einer Rede in der Evangelischen Akademie Tutzing die Grundzüge der Neuen Ostpolitik. Seiner Ansicht nach sei es nicht möglich, die kommunistisch regierten Staaten durch Druck von außen zu verändern oder gar durch einen Umsturz zu überwinden. Stattdessen solle eine Phase der Entspannung zwischen Ost und West eingeleitet werden. Die Zusicherung, sich nicht mehr in die inneren Angelegenheiten der kommunistischen Staaten einzumischen, solle es den Regimen ermöglichen, ihren Bürger:innen ein klein wenig Mehr an politischen Freiheiten zu gewähren. Die Annäherung zwischen den Blöcken führe, so die Vorstellung Egon Bahrs und Willy Brandts, zu einem Wandel in Osteuropa. Das vorrangige Ziel der Politik von „Wandel durch Annäherung“ sind Erleichterungen für die Menschen in der DDR und auf lange Sicht die deutsche Einheit. .
Zwei Jahre nach ihrer Errichtung wird die Berliner Mauer zum ersten Mal für West-Berliner:innen geöffnet. Das Passierscheinabkommen zwischen West-Berlin und der DDR ermöglicht während seiner Laufzeit vom 19.12.1963 bis zum 5.1.1964 etwa eine Million eintägige Besuche von insgesamt 700.000 West-Berliner:innen. Für einen Schein muss ein Antrag gestellt werden, welcher von DDR-Behörden geprüft und in speziellen Poststellen in West-Berlin ausgehändigt wird. Die Bundesregierung möchte durch das Abkommen ein Zusammengehörigkeitsgefühl aufrechterhalten und den Fokus auf Wiedervereinigung lenken. Die DDR versucht, das Abkommen als völkerrechtlichen Vertrag zu instrumentalisieren und sich so zu legitimieren. Es folgen bis 1966 drei weitere Abkommen. Da diese allerdings keine Anerkennung für die DDR zur Folge haben, blockiert die SED-Regierung von da an zukünftige Abkommen.
Auf dem SPD-Parteitag 1968 in Nürnberg betont der Parteivorsitzende Willy Brandt, dass Deutschland die Versöhnung mit Polen wolle und brauche. Daraus ergäbe sich „die Anerkennung […] der Oder-Neiße-Linie bis zur friedensvertraglichen Regelung.“ Brandt beauftragt zudem den außerpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Erhard Eppler, eine Resolution zur Außenpolitik zu entwerfen. Hierin formuliert Eppler, dass die Oder-Neiße-Grenze als Westgrenze Polens respektiert und anerkannt werden soll. Obwohl diese Passage durch die Antragskommission noch etwas abgeschwächt wird, stärken die Resolution und der Parteitag insgesamt Brandts Linie in der Grenzfrage. So entsteht eine Basis für die Ostpolitik des späteren Kanzlers. Diese folgt dem Leitsatz: „Nie mehr eine Politik über Polen hinweg.“
1969 wird Willy Brandt zum Bundeskanzler gewählt; zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik stellt die SPD die Regierung. In seiner Regierungserklärung fordert er die Bürger:innen zu demokratischem Engagement auf („Mehr Demokratie wagen“). Und er sagt: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden – im Inneren und nach außen.“ Im Verhältnis zur DDR gilt es, „ein weiteres Auseinanderleben der deutschen Nation verhindern“ und „über ein geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander zu kommen“. Zur Absicherung der Neuen Ostpolitik – und aus Überzeugung – bekennt sich Brandt zur NATO und zur europäischen Integration. Die Ostpolitik wird durch die Westpolitik begleitet.
In seiner ersten Regierungserklärung spricht Kanzler Willy Brandt von „zwei Staaten in Deutschland“. Damit erkennt er die DDR de facto an und gibt die sogenannte Hallstein-Doktrin auf. Diese ist nach ihrem Initiator Walter Hallstein (1951 bis 1958 Staatssekretär im Auswärtigen Amt) benannt und besagt: Nimmt ein Drittstaat diplomatische Beziehungen zur DDR auf, hält diese aufrecht oder erkennt die DDR auf Basis des Völkerrechts als legitimen Staat an, hat dies den Abbruch der diplomatischen Beziehung vonseiten der Bundesrepublik zur Folge. Es handele sich um einen "unfreundlichen Akt". So verhindert die Bundesrepublik gemäß ihres Alleinvertretungsanspruchs für Deutschland die völkerrechtliche Anerkennung der DDR auf internationaler Ebene und festigt deren Isolation. Mit dieser Formulierung bereitet Brandt 1969 den Weg für seine neue Deutschland- und Ostpolitik vor. Bereits in der Großen Koalitions hatte sich die SPD durchgesetzt, als im Juni nicht die Beziehungen zu Kambodscha abgebrochen, sondern lediglich eingefroren wurden.
Zwei Monate nach der Regierungsbildung unterzeichnet die Bundesrepublik den „Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen“ („Atomwaffensperrvertrag“). Willy Brandt hatte ihn in seiner Zeit als Außenminister mit ausverhandelt. Dem Vertrag liegen drei Säulen zugrunde: keine Weitergabe bzw. keine Anschaffung von Atomwaffen, die Verpflichtung zur restlosen nuklearen Abrüstung und die gemeinsame, ausschließlich zivile, Nutzung von Kernenergie. Es folgt Kritik vonseiten der CDU auf diesen „Verzicht“. Adenauer setzte während seiner Amtszeit einen derartigen Vertrag noch mit einer Verpflichtung zu einer „De-Industrialisierung“ gleich. In Wien wird die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) als Kontrollinstanz eingesetzt. Der Vertrag tritt am 5. März 1970 in Kraft. Die Unterzeichnung des Vertrags ist für die Sowjetunion eine wichtige Voraussetzung zur Aufnahme von Gesprächen und den Moskauer Vertrag.
Willy Brandt und Willy Stoph (Vorsitzender des Ministerrats der DDR) treffen sich zum ersten deutsch-deutschen Gipfeltreffen in Erfurt. Die Sowjetunion steht dem Kurswechsel der Bundesregierung, der den direkten Austausch beider Staaten zur Folge hat, zunächst skeptisch gegenüber. Aufgrund gegensätzlicher Positionen kommt es auch zu keinen Ergebnissen. Die Stimmung in der DDR-Bevölkerung ist hingegen euphorisch. Bei seiner Ankunft wird Brandt bejubelt und die Menge ruft vor dem Tagungshotel „Willy Brandt ans Fenster“ - worauf dieser sich auch einlässt. Diese Reaktionen zeigen, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen auch über die Mauer hinweg noch existiert.
Auf das Treffen von Brandt und Stoph in Erfurt folgt zwei Monate später der Gegenbesuch in Kassel, . Rund um das Treffen kommt es zu tumultartigen Szenen. So zerstören Rechtsextremisten die DDR-Fahne vor dem Tagungshotel, aber auch radikale Linke demonstrieren gegen die Entspannungspolitik. Obwohl sich die DDR bewusst ist, dass ihre zentrale Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung nicht erfüllt werden kann, versucht Stoph Brandt umzustimmen. Weiterhin setzt er sich, wohl aus wirtschaftlichen Interessen, für eine Zusammenarbeit beider Staaten in Verkehr, Post und Wirtschaft ein. Die Bundesregierung erwidert diese Forderung mit 20 Thesen, welche ihre eigenen Vorstellungen der zukünftigen Beziehungen zu der DDR thematisieren.
Der von Staatssekrtär im Kanzerlamt Egon Bahr und dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko ausgearbeitete Moskauer Vertrag ist der erste der „Ostverträge“. Beide Seiten versichern, zwischenstaatliche Konflikte friedlich zu lösen und auf Gewalt zu verzichten.. Die BRD erkennt die Grenzen nach 1945 an, also die Oder-Neiße-Grenze als Westgrenze Polens, die Staatsgrenzen der DDR und verzichtet auf Gebietsansprüche. Damit erkennt die Bundesregierung die DDR zwar nicht völkerrechtlich an, aber als Staat.
Der Warschauer Vertrag ist das zweite Abkommen im Zuge der Ostverträge. Er wird von Willy Brandt, dem polnischen Ministerpräsidenten Cyrankiewicz und den beiden Außenministern unterzeichnet. Wie beim Moskauer Vertrag geht es um die friedliche Lösung zwischenstaatlicher Konflikte, die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und der innerdeutschen Grenze sowie um den westdeutschen Verzicht auf Gebietsansprüche. Die polnische Regierung sichert die Aussiedlung von in Polen lebenden Deutschen zu, was aber nicht vertraglich fixiert wird.
Anlässlich der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags besucht Willy Brandt das Denkmal der Helden des Warschauer Ghettos. Bei der anschließenden Kranzniederlegung kniet er unerwartet nieder. Vor dem Hintergrund der NS-Verbrechen in Polen, die rund fünf Millionen Opfer forderte – darunter alleine drei Millionen Jüdinnen und Juden – wird die Geste als eine übergreifende Bitte um Vergebung aufgefasst. Die Reaktionen in der Bundesrepublik sind gespalten, die Opposition fürchtet den „Ausverkauf“ der ehemaligen deutschen Ostgebiete durch die Anerkennung der Ostgrenze. Ähnlich zwiespältig fällt das Echo der polnischen Regierung aus, Fotos vom knieenden Brandt werden lange nur in retuschierte Form verbreitet. Im Jahr 2000 wird ein Willy-Brandt-Denkmal nahe dem Ghetto-Mahnmal im Beisein von Bundeskanzler Schröder eingeweiht.
Das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin (auch Berlin-Abk.) ist Wegbereiter für das spätere Transitabkommen und Bestandteil globaler Entspannungspolitik. Bei der Unterzeichnung sind die Botschafter der Westmächte (USA, GB, FRA) und der UdSSR anwesend. Der Status quo hat weiterhin Bestand: So haben die Alliierten die Gesamtverantwortung für Berlin und West-Berlin gehört nicht zur BRD. Doch es werden Regelungen zur praktischen Erleichterung getroffen und die Bindungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik ausgebaut. Die Bundesregierung darf West-Berlin nun außenpolitisch repräsentieren. Zudem wird vereinbart, dass die Sowjetunion den Transitverkehr für Zivilpersonen und Güter zwischen Bundesrepublik und West-Berlin in Zukunft erleichtern wird. Ergänzend werden Besuche von West-Berline nach Ost-Berlin und in die DDR vereinfacht.
Während einer hitzigen Haushaltsdebatte zwischen Regierung und Opposition unterbricht Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel (CDU) überraschend die Sitzung, um den Anwesenden mitzuteilen, dass der Friedensnobelpreis an Willy Brandt vergeben wurde. Hiermit wird er vor allem für seine neue Ostpolitik und den daraus resultierenden Dialog mit den östlichen Nachbarländern gewürdigt. Er habe in diesem Rahmen „hervorragenden Einsatz geleistet, um Voraussetzungen für den Frieden in Europa zu schaffen“ (Komitee). Fraktionsübergreifender Applaus brandet auf. Auch international stößt die Vergabe auf ein ausgesprochen positives Echo. Brandt bekommt den Friedensnobelpreis am 10. Dezember in Oslo verliehen und spendet das Preisgeld von etwa 300.000 DM zugunsten des Erhalts der ältesten Synagoge Venedigs.
Nach langen Verhandlungen unterschreiben die Staatssekretäre Egon Bahr (BRD) und Michael Kohl (DDR) das Transitabkommen. Es regelte den Personenverkehr und den Transport von Gütern über die Transitautobahnen von der Bundesrepublik nach West-Berlin – und damit durch das DDR-Staatsgebiet. Streitpunkte wie das Nutzungsrecht der Transitstrecken für ehemalige DDR-Flüchtlinge und ob die Bundesregierung überhaupt für West-Berlin verhandeln dürfe, ziehen die Verhandlungen in die Länge und sorgen für eine aufgeladene Stimmung. Die Öffnung des Eisernen Vorhangs ist nicht umsonst. Allein in den Jahren 1972-1975 überweist die Bundesrepublik ca. 250 Mio. DM an die DDR. Insgesamt bringt die BRD für die Instandhaltung der Transitstrecken 2 Mrd. DM auf. Am 3. Juni 1972 tritt das Transitabkommen im Rahmen der Ratifizierung des Vier-Mächte-Abkommens in Kraft.
Die sozial-liberale Regierung hat durch den Wechsel von Abgeordneten zur CDU/CSU inzwischen ihre Mehrheit im Bundestag verloren. Denn Willy Brandts Versöhnungspolitik inklusive der Anerkennung der neuen Ostgrenzen ist auch innerhalb der Regierung umstritten. Die CDU möchte die Gelegenheit zu einem Regierungswechsel nutzen und beantragte ein konstruktives Misstrauensvotum mit Rainer Barzel als Kandidaten. Aufgrund seiner hohen Beliebtheit erhöht sich daraufhin der Zuspruch für den Kanzler und innerparteiliche Machtkämpfe nehmen ab. Brandt erfährt viel Solidarität durch Demonstrationen und sogar spontanen Streiks. Das Votum scheitert knapp, was für Spekulationen um gekaufte Stimmen sorgt. Später stellt sich heraus, dass die Stasi mindestens einen Unionsabgebordneten bestochen hat.
Ende Mai 1972 unterzeichnen Präsident Nixon und der Generalsekretär der KPdSU Breschnew in Moskau den ABM-Vertrag (Anti-Ballistic-Missile Treaty), der die Raketenabwehrsysteme beider Länder endgültig begrenzt. Hierdurch sind beide Staaten nicht mehr ausreichend vor atomaren Gegenangriffen geschützt, was einen Atomangriff verhindern soll. Zudem wird eine auf 5 Jahre beschränkte Übergangsvereinbarung zur Begrenzung von Offensivwaffen unterschrieben, wodurch Höchstgrenzen für Interkontinental- und seegestützte Raketen sowie ein Verbot für den Bau zusätzlicher landgestützter Raketen erfolgt. Dieses Papier bildet gemeinsam mit dem ABM-Vertrag den SALT-I-Vertrag (Strategic Arms Limitation Talks). Langfristig soll so quantitative Aufrüstung vermieden und das nukleare Potential reduziert werden. Der Vertrag ist ein Ergebnis einer 1963 von John F. Kennedy begonnenen Kehrtwende („Strategie des Friedens“).
Da weder die sozial-liberale Regierung noch die CDU-Opposition eine Mehrheit im Bundestag haben, einigen sich beide auf vorzeitige Neuwahlen. Etwa ein halbes Jahr nach dem knapp gescheiterten Misstrauensvotum tritt CDU-Parteichef Rainer Barzel erneut gegen Willy Brandt an. Im Wahlkampf steht die stark polarisierende Neue Ostpolitik der SPD im Vordergrund. Ausgeprägtes politisches Engagement wie durch Günther Grass‘ „Sozialdemokratische Wählerinitiative“ und eine Wahlbeteiligung von über 90 % sind die Folge. Am Ende eines konfrontativen Wahlkampfs erhält die SPD mit knapp 46 % die meisten Zweitstimmen und 242 von 518 Sitzen im Bundestag. Damit ist sie stärkste Kraft und erzielt gleichzeitig das beste Ergebnis der Parteigeschichte. Da auch die FDP an Stimmen gewinnt, kann sie daraufhin eine mehrheitsfähige Regierung mit der SPD bilden.
In Ost-Berlin wird der Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten unterzeichnet. Der Weg dahin ist beschwerlich. Die DDR möchte durch den Vertrag die völkerrechtliche Anerkennung erreichen. Die sozial-liberale Regierung hingegen betont, dass es sich bei den Vertragspartnern zwar um zwei verschiedene Staaten, aber nur eine Nation handelt. Beide Seiten verpflichten sich zur Aufnahme und Pflege „normaler“ Beziehungen ohne Gewaltanwendung, der Anerkennung der innerdeutschen Grenze und der Unabhängigkeit und Selbständigkeit in inneren und äußeren Angelegenheiten. Einen großen Nutzen aus dem Abkommen zieht die Bevölkerung, da der Vertrag verbesserte Reisebedingungen sowie Familienzusammenführungen ermöglicht.
Mit dem Prager Vertrag wird unter Brandt der letzte Ostvertrag verabschiedet. Er beinhaltet einen Gewaltverzicht gemäß der UN-Charta, die Anerkennung der gemeinsamen Grenze und den Verzicht auf Gebietsansprüche. Grundlage für Letzteres ist die Annullierung des "Münchener Abkommens" von 1938, mit dem die CSSR zur Abgabe des Sudetenlands an den NS-Staat gezwungen worden war. Ein weiterer Punkt des Vertrags betrifft die Rückkehr von Deutschen bzw. Tschechen und Slowaken, die unterstützt werden soll. Der Vertrag schafft eine Basis für Annäherung nach den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs. Man möchte eine "nachbarschaftliche Zusammenarbeit" entwickeln und diplomatische Beziehungen aufrechterhalten. Trotz Widerspruch von der Union und Teilen der Sudetendeutschen tritt der Vertrag am 19. Juli 1974 in Kraft.
Der Warschauer Pakt schlägt bereits 1966 eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) vor. Da aus Sicht des Westens erfolgreiche Verhandlungen über Deutschland und Berlin eine Vorbedingung sind, kommt es erst nach dem Grundlagenvertrag zu Verhandlungen. Die Konferenz beginnt am 3. Juli 1973 in Helsinki. Es nehmen die 7 Staaten des Warschauer Pakts, die 15 NATO-Staaten und 13 neutrale Länder teil; bis auf Andorra und Albanenien waren alle europäischen Staaten vertreten. Zum ersten Mal partizipieren BRD und DDR an zwischenstaatlichen Verhandlungen – für die DDR ein wichtiger Schritt zu internationaler Anerkennung. Im August 1975 wird die KSZE-Schlussakte in Helsinki unterzeichnet. In ihr werden u. a. die Unverletzlichkeit der Grenzen, die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten sowie die Wahrung von Grund- und Menschenrechten festgeschrieben.
Abseits der KSZE führen Kanzler Helmut Schmidt und der polnische Staatschef Gierek Gespräche über bilaterale Anliegen. Am 9. Oktober 1975 unterzeichnen beide ein Abkommen über die Anerkennung von Rentenansprüchen im jeweils anderen Staat bei Übersiedlung. Da die finanzielle Belastung für Polen dadurch zunimmt, zahlt die BRD 1,3 Mrd. DM und sichert Polen einen Finanzkredit in Höhe von 1 Mrd. DM zu. Gleichzeitig wird die Ausreise von bis zu 125.000 Pol:innen und Polinnen deutscher Abstammung geregelt. Nach langanhaltendem Widerstand von CDU/CSU können am 12. März 1976 die Vereinbarungen durch den Bundestag ratifiziert werden, woraufhin auf polnischer Seite die Ausreiseregelung in Kraft tritt.
Der SALT-II-Vertrag knüpft an fortgesetzte Gespräche zur Begrenzung strategischer Waffen (SALT) an. Er wird 7 Jahre nach dem SALT-I-Vertrag von Präsident Carter und Leonid Breschnew unterzeichnet und bis Ende 1985 befristet. SALT-II limitiert die Anzahl von Sprengkopftechnologie auf 2.400 Stück, die Anzahl der Sprengköpfe pro Rakete auf maximal 10. Gleichzeitig wird der Neubau bestimmter Abschussanlagen sowie die Entwicklung von mobilen Abschussrampen für Kontinentalraketen verboten. Unabhängig davon können beide Staaten ihre zentralen Nukleartechnologien weiterentwickeln. Obwohl der US-Senat nach dem durch die Sowjetunion erfolgten Einmarsch in Afghanistan und der Truppenstationierung auf Kuba die Ratifizierung verweigert, kommen schließlich beide Länder dem Vertrag nach.
Im April 1978 erfolgt in Afghanistan ein Putsch durch die Kommunistische Partei; eine Gewaltherrschaft mit der systematischen Ermordungen Oppositioneller und gegnerischer Komunist:innen beginnt, gegen die sich schnell Widerstand formiert. Im September 1979 putscht sich der Geheimdienstchef Amin an die Macht. Da Breschnew befürchtet, dass Amin die USA als Verbündete gewinnen könnte, befiehlt er zum 25. Dezember 1979 eine Invasion. Zwei Tage darauf wird Präsident Amin ermordet und eine Marionette installiert. Die Rebell:innen richten sich jetzt gegen die Sowjetunion, die in zehn Jahren Krieg keine Kontrolle über Afghanistan gewinnen kann. Über eine Million Menschen sterben, fünf Millionen flüchten.
Die DDR gibt bekannt, ab dem 13.10.1980 den Mindestumtausch von 13 auf 25 DM zu erhöhen. Dieser Mindestbetrag, der von westlichen Besuchern zu einem festgelegten Wechselkurs gegen DDR-Mark eingetauscht werden muss, ist für die DDR schon lange eine wichtige Quelle für Devisen. Ebenfalls fallen erstmals Ermäßigungen für Rentner weg und Kinder zwischen 6 und 15 Jahren müssen 7,50 DM umtauschen. Die Bundesregierung spricht von einem „Rückschlag“ angesichts der eigenen „Bemühungen um eine Normalisierung der Beziehungen“ und sieht einen Verstoß gegen die KSZE-Schlussakte, da der familiäre Kontakt zwischen den beiden Ländern zusätzlich erschwert werde. Kanzler Helmut Schmidt betont, die Lage weiterhin durch verbesserte Beziehungen zur DDR erleichtern zu wollen, statt die Abgrenzung zu erwidern.
In einer mehrstündigen Rede während einer ‚Parteiaktivtagung‘ der SED in Gera stellt Erich Honecker vier Forderungen an die Bundesregierung, welche allesamt auf die völkerrechtliche Legitimation der DDR abzielen. Darunter fallen die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft, die Einrichtung von Botschaften und die „Regelung des Grenzverlaufs auf der Elbe entsprechend dem internationalen Recht“. Außerdem soll die Auflösung der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter erfolgen, welche Rechtsverstöße des DDR-Regimes dokumentiert und Strafverfahren im Falle einer Wiedervereinigung vorbereitet. Es ist nicht überraschend, dass Kanzler Helmut Schmidt nicht auf diese Forderungen eingeht. Die westlichen Medien kritisieren die Forderungen Honeckers als Rückschritt. Über dessen Motiv lässt sich nur spekulieren.
Während Helmut Schmidts zweiter Amtszeit kommt es in ganz Polen zu Streiks, organisiert von der Solidarnosc, der ersten unabhängigen Gewerkschaft im Ostblock. Ausgangspunkt ist die Danziger Werft, wo Lech Walesa zum Gewerkschaftsführer aufsteigt. Im Zentrum der Proteste stehen soziale und politische Forderungen, gestützt auf die KSZE-Schlussakte. Angesichts dieser Entwicklung sieht die Bundesregierung ihre Ostpolitik in Gefahr, da sie eine militärische Intervention der Sowjetunion befürchtet. Damit wäre auch der Annäherungskurs mit der DDR vorerst beendet. Daher lässt die Bundesregierung die Ereignisse zunächst unkommentiert. Man ist der Ansicht, dass politischer Wandel und somit auch die Wiedervereinigung nur unter Zustimmung der Sowjetunion erfolgen kann.
Im Zuge der drohenden Aufrüstung durch den NATO-Doppelbeschluss unter Kanzler Schmidt wächst die Friedensbewegung und es kommt zu Protesten. Über 250.000 Menschen finden sich am 10. Oktober 1981 im Bonner Hofgarten zu der größten Demonstration seit Bestehen der Bundesrepublik zusammen. Die SPD ist zunehmend gespalten. 1982 bringt Schmidt die SPD noch mit Mühe für ein Pro zum Doppelbeschluss hinter sich, 1983 votiert die SPD gegen die NATO-Nachrüstung und ihren ehemaligen Kanzler. Auf den Kundgebungen am 22.10.1983 mit bundesweit insgesamt mehr als einer Million Demonstrierenden beteiligt sich der SPD-Parteivorsitzende Brandt als Redner und spricht in Bonn vor 500.000 Menschen.
Verhängung des Kriegsrechts in Polen
Mit der Verhängung des Kriegsrechts wird die polnische Gewerkschaft Solidarnosc zerschlagen. Die Bundesregierung hatte diese Entwicklung befürchtet und war Skeptisch gegenüber der Protestbewegung in Polen. Während seines parallel stattfindenden Besuchs in der DDR hält sich Helmut Schmidt zugunsten der deutsch-deutschen Beziehungen und der Entspannungspolitik mit öffentlicher Kritik zurück. Die Bundesregierung fordert die Aufhebung des Kriegsrechts, die Freilassung der inhaftierten Protestler und die Wiederaufnahme der Verhandlungen, verhängt aber entgegen amerikanischer Empfehlung keine Sanktionen.
Angesichts des sich abzeichnenden Regierungswechsels lässt Brandt im Herbst 1982 seinen außenpolitischen Berater Günter Gaus einen Brief an Erich Honecker verfassen, in welchem er für Parteigespräche über den Regierungskontakt hinaus plädiert. Es wird betont, so Gaus, keine Nebenaußenpolitik zum Ziel zu haben. Jedoch soll sich genau dieser Begriff eineinhalb Jahre später für den Annäherungskurs zwischen SPD und SED etablieren. Vor allem im Zuge der Raketenstationierung auf bundesdeutschem Gebiet sind die Ostkontakte der sozialdemokratischen Opposition von der Regierung ungern gesehen. Hintergrund der Kontaktaufnahme ist die Befürchtung, Helmut Kohl würde mit der sozial-liberalen Entspannungspolitik brechen. Zudem verfügte die SPD über keine eigenen Kontakte zu den kommunistischen Parteien Osteuropas, da mit dem Dialog seit 1969 alles über die Regierungsebene lief.
1985 besucht der SPD-Vorsitzende Willy Brandt fast alle Staaten des Warschauer Pakts. Hierdurch möchte er für eine zweite Phase der Entspannungspolitik werben. Der Besuch in Polen fand anlässlich des 15. Jahrestags der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags statt. Brandt und Wojciech Jaruzelski stellten in ihren Gesprächen die Wahrung und Stabilisierung des europäischen Friedens in den Vordergrund. Trotz der Bemühungen des oppositionellen Gewerkschaftsführers Lech Walesas kommt es nicht zu einem Treffen zwischen ihm, mittlerweile mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, und Brandt. Die SPD befindet sich in einem Zwiespalt, denn eine Annäherung an die etablierten Machtapparate des Ostblocks gemäß der Entspannungspolitik blockiert Kontakt und Solidaritätsbekundungen zu Reformbewegungen wie Solidarnosc.
Nach mehrjährigem Austausch stellen SPD und SED das Dokument „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ vor. Die Friedenssicherung wird dort als Voraussetzung aller Politik fomuliert und beide Seiten gehen davon aus, dass die unterschiedlichen sozio-ökonomischen und politischen Systeme des Westens und des Ostens noch über lange Zeit bestehen werden. Das Ziel soll somit ein „friedlicher Wettbewerb der Gesellschaftssysteme“ sein. Das Papier sorgt in beiden deutschen Staaten für Aufruhr, seine Wirkung bleibt aber gering. Die Motive für die Zusammenarbeit sind verschieden. Während die SPD ihre Entspannungspolitik aus der Opposition heraus fortzusetzen versucht, geht es der SED um die Legitimation des eigenen Machtapparats.
Einen Tag nach dem Mauerfall spricht Willy Brandt auf einer Kundgebung vor dem Schöneberger Rathaus. Er unterstreicht, dass die Uneinigkeit der Alliierten nicht nur die Spaltung Deutschlands, sondern auch Europas bewirkt habe. Letztere sei in Berlin auf mehrfache Weise reproduziert worden. Angesichts der unumgänglichen Veränderungen im Land betont er die Wichtigkeit, eines mit dem Frieden und mit Europa kompatiblen Deutschlands. Vor der Rede formuliert Brandt in einem Interview: „Jetzt sind wir in einer Situation, in der wieder zusammenwächst, was zusammengehört.“ Der abgeänderte Wortlaut „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“ wird fälschlicherweise als Zitat der Rede verbreitet und ikonisch für den Mauerfall.
15.07.1963
Tutzinger Rede
17.12.1963
Passierscheinabkommen
17.-21.03.1968
Parteitag in Nürnberg
21.10.1969
Brandt wird Bundeskanzler
28.10.1969
Das Ende der Hallstein-Doktrin
28.11.1969
Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags
19.03.1970
Erfurter Gipfeltreffen
21.05.1970
Kasseler Gipfeltreffen
12.08.1970
Moskauer Vertrag
07.12.1970
Warschauer Vertrag
Kniefall von Warschau
03.09.1971
Vier-Mächte-Abkommen
20.10.1971
Friedensnobelpreis für Brandt
17.12.1971
Transitabkommen
27.04.1972
Misstrauensvotum gegen Brandt
26.05.1972
SALT-I-Vertrag
19.11.1972
Bundestagswahl 1972
21.12.1972
Grundlagenvertrag
11.12.1973
Prager Vertrag
01.08.1975
KSZE-Schlussakte
09.10.1975/12.03.1976
Deutsch-polnische Vereinbarungen
18.06.1979
SALT-II-Vertrag
25.12.1979
Afghanistan-Einmarsch
09.10.1980
Erhöhung des Mindestumtauschs in der DDR
13.10.1980
Geraer Rede
31.08.1980
Gründung der Solidarnosc
10.10.1981
Friedensdemonstration
13.12.1981
Ab Herbst 1982
Sozialdemokratische Nebenaußenpolitik
6.-9.12.1985
Willy Brandts Reise nach Polen
27.08.1987
SPD-SED-Papier
10.11.1989
„Es wächst zusammen, was zusammengehört“
Illustration: Gizem Erdem; Rechte: AdsD.
von Stefan Müller
Die folgende (sehr kurze) Geschichte der sozialdemokratischen Entspannungspolitik will die Unterschiede zur Russlandpolitik nach 1991 aufzeigen. Sie wird von zwei Thesen geleitet.
Egon Bahr und Willy Brandt knüpften an die von US-Präsident John F. Kennedy entwickelte „Strategie des Friedens“ an. Im Sommer 1963 formulierte Kennedy das Ziel von Abrüstungsverhandlungen mit der UdSSR und sprach von einer friedlichen Koexistenz der Systeme. In seiner Rede an der American University am 10. Juni 1963 äußerte er, dass die USA und die UdSSR (sowie ihre Verbündeten) sich nicht lieben müssten, sondern es sei „lediglich erforderlich, durch gegenseitige Toleranz zusammenzuleben und Streitpunkte auf gerechte und friedliche Weise beizulegen“. Beide Parteien hätten „ein tiefes, auf Gegenseitigkeit beruhendes Interesse daran, dass ein gerechter und ehrlicher Frieden herrscht und dem Wettrüsten Einhalt geboten wird“.
Die Ausgangslage war, dass beide Seiten über ein Maß an Gefechtsköpfen verfügten, die bei einem Krieg die vollständige eigene Vernichtung oder zumindest immense Verluste bedeutet hätte. „Wer als Erster schießt, stirbt als Zweiter“ war die allgemeine Erkenntnis. Die atomare Hochrüstung war ursprünglich gedacht, die wirtschaftlichen Belastungen durch riesige konventionelle Armeen zu reduzieren. Aber auch die atomare Rüstung war nun zur Belastung geworden. Insbesondere die UdSSR warb seit den 1950er-Jahren für eine Art gesamteuropäischer Sicherheitsarchitektur. Die Neuorientierung der USA 1963 folgte auf zwei Krisen, welche die Kriegsgefahr immens gesteigert hatten: Der Mauerbau in Berlin 1961 und insbesondere die Kubakrise 1962.
Die „Strategie des Friedens“ führte schließlich Ende 1969 zu den „Strategic Arms Limitation Talks“ (SALT I), die im Mai 1972 mit dem ABM-Vertrag (Anti-Ballistic Missile Treaty) abgeschlossen wurden. Beide Seiten verzichteten im SALT-1-Abkommen auf den Bau neuer Interkontinentalraketen und neuer U-Boot-gestützter Atomwaffen.
Eines muss betont werden: Die Strategie des Friedens bezog sich auf das Verhältnis der beiden Supermächte und ihrer unmittelbaren Verbündeten und vermied die direkte konventionelle oder atomare Konfrontation. Sie verhinderte aber nicht die mit großer Intensität geführten Stellvertreterkriege an der „Peripherie“ wie beispielsweise in Vietnam (durch die USA) oder Afghanistan (durch die UdSSR).
Rund vier Wochen nach der Rede Kennedys stellte Egon Bahr am 15. Juli 1963 das Konzept „Wandel durch Annäherung“ auf einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie Tutzing vor. Er nahm ausdrücklich Bezug auf Kennedy, stellte aber die Teilung Deutschlands ins Zentrum seiner Überlegungen. Bahr kritisierte, dass bislang freie Wahlen im Osten als Voraussetzung für Gespräche gefordert wurden, also eine Demokratisierung dort stattgefunden haben müsse. Dies charakterisierte Bahr als eine Politik des „Alles oder Nichts“. Diese aus heutiger Sicht eigenartige politische Position war in den 1950er-Jahren weit verbreitet. Dahinter stand die Überlegung, dass ein wiedervereintes Deutschland politisch-militärisch neutral sein könne wie beispielsweise Österreich. Die Sowjetunion hatte in den 1950er-Jahren mehrfach Initiativen in diese Richtung auf den Weg gebracht – was das SED-Regime (aus Angst) und die Adenauer-Regierung (da sie Einbindung in die EG und NATO favorisierten) gleichermaßen ablehnten.
Die Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 in der DDR und des Aufstands in Ungarn 1956 durch sowjetische Truppen hatten Bahr und Brandt nun gezeigt, dass ein Sturz des SED-Regimes aus dem inneren nicht möglich sei. Der Mauerbau von 1961 hatte die deutsche Teilung schließlich noch weiter zementiert und das Leben in der geteilten Stadt weiter erschwert. Wenn man den Status quo, also die deutsche Teilung, ändern wolle, so die Überlegung Egon Bahrs, müsse man ihn zunächst als Grundlage der eigenen Politik anerkennen.
Die Erfahrung zeigte, so Bahr, dass jeder Druck von innen und außen das stalinistische System der DDR stabilisiere. Stattdessen ging es ihm um „den schmalen Weg der Erleichterung für die Menschen in so homöopathischen Dosen, daß sich hierdurch nicht die Gefahr eines revolutionären Umschlags ergibt, die das sowjetische Eingreifen aus sowjetischen Interesse zwangsläufig auslösen würde“. Die kommunistische Herrschaft sollte nun nicht mehr mit einem Ruck beseitigt, sondern verändert werden. Ein Nahziel sah Bahr unter anderem in der „Auflockerung der Grenzen“.
„Wandel durch Annäherung“ bedeutete also, dass der „Westen“ glaubhaft auf die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der kommunistischen Staaten verzichtete (auf einen militärischen Konflikt sowieso). Die Annäherungspolitik richtete sich an die kommunistischen Eliten: Ihnen sollte hierdurch Raum für vorsichtige innergesellschaftliche Reformen eröffnet werden. Das Ziel dieser Politik der „Annäherung“ war also der „Wandel“ im kommunistischen Machtbereich – mit dem Ziel, den Menschen ihr Leben zu erleichtern. „Wandel durch Annäherung“ bedeutete aber auch das eindeutige Bekenntnis zur europäischen Integration und auch zur NATO-Mitgliedschaft. Weder der Osten noch der Westen sollten Zweifel haben, auf welcher Seite die Bundesrepublik stand. Vor diesem Hintergrund waren die Überlegungen Brandts und Bahrs 1963 nicht nur in der politischen Landschaft der Bundesrepublik ein Novum, sondern es musste auch innerparteilich noch Überzeugungsarbeit geleistet werden.
Der Kern der Entspannungspolitik der Regierung Brandt waren die sogenannten Ostverträge zwischen 1970 und 1973: Der Moskauer Vertrag (12. August 1970), der Warschauer Vertrag (7. Dezember 1970), das Viermächteabkommen über Berlin (3. September 1971), der Grundlagenvertrag (21. Dezember 1972) und weitere Verträge mit der DDR sowie schließlich der Prager Vertrag (11. Dezember 1973). In den Abkommen mit der Sowjetunion und Polen verpflichteten sich die Parteien zum einen auf den gegenseitigen Gewaltverzicht. Zum anderen erkannte die Bundesrepublik die Oder-Neiße-Grenze als Westgrenze Polens an, akzeptierte die Staatsgrenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR und verzichtete für alle Zukunft auf Gebietsansprüche im Osten. Im Prager Vertrag erklärte die Bundesrepublik das Münchener Abkommen von 1938 für nichtig, mit dem unter Gewaltandrohung die Tschechoslowakei das Sudentengebiet an NS-Deutschland abgetreten hatte.
Gegen diesen „Verzicht“ auf Schlesien, Pommern und Ostpreußen sowie die realpolitische Anerkennung der DDR in den Verträgen liefen die westdeutschen Konservativen Sturm. CDU und CSU sprachen noch immer von einem Deutschland in den Grenzen von 1937, also einschließlich der nach 1945 zu Polen gehörenden Gebiete und der DDR. Bei einer solchen Forderung konnte es sich 25 Jahre nach Kriegsende aber nur noch um eine ideologische Position handeln, die in die politische Handlungsunfähigkeit führte. Genau aus dieser Sackgasse wollten die SPD und die mit ihr verbündete FDP ausbrechen.
Parallel zu den Gesprächen mit Moskau und Warschau wurde über den Status West-Berlins verhandelt. Berlin unterstand nach dem Krieg zunächst der Kontrolle aller vier Siegermächte, wobei die Anerkennung der DDR und Ost-Berlins als deren Hauptstadt durch die UdSSR diese Festlegungen schon lange ad acta gelegt hatten. Gestritten wurde noch um den Status West-Berlins. Die Sowjetunion betrachte West-Berlin als „eigenständige politische Einheit“ ohne besondere Bindung an die Bundesrepublik und hatte seit der ersten Blockade 1948 mehrfach mit dem Abschnüren der Stadt gedroht. Mit der Kontrolle der Transitwege (Autobahnen von der Bundesrepublik über DDR-Gebiet nach West-Berlin) verfügte der Osten über ein starkes Druckmittel. Im Viermächteabkommen über Berlin vom September 1971 wurde dann festgehalten, dass West-Berlin zwar nicht zur Bundesrepublik gehöre und nicht von ihr regiert werde, aber besondere Beziehungen unterhalte. Der Status der Stadt und insbesondere die Zugangswege nach West-Berlin waren fortan gesichert.
Die CDU/CSU-Opposition versuchte durch den Sturz des Bundeskanzlers Willy Brandt die Ostverträge zu verhindern. Nach einer Reihe von Übertritten von FDP-Abgeordneten und des SPD-Vertriebenenfunktionärs Herbert Hupka zur CDU waren sich Konservative und Sozialdemokrat:innen gleichermaßen sicher, dass es per konstruktiven Misstrauensvotum zu einem Regierungswechsel kommen würde. Dieses scheiterte für die Öffentlichkeit überraschenderweise, wobei die Bestechung von Unions-Abgeordneten durch die DDR mittlerweile bekannt ist. Im Mai 1972 ratifizierte der Bundestag die Verträge und bei den Bundestagswahlen im November errang die SPD unter Willy Brandt einen in der Höhe nie wieder erreichten Wahlsieg. (Vortrag von Bernd Rother über das Misstrauensvotum, Berlin, 27.4.2022)
Die Ostverträge ermöglichten die Entwicklung vielfältiger zwischengesellschaftlicher Beziehungen. Für westdeutsche Bürger:innen und für West-Berliner:innen war es nun einfacher, Verwandte in der DDR zu besuchen; und auch DDR-Bürger:innen konnten, wenn auch in deutlich geringerem Maß, in den Westen reisen. Die Ostverträge wurden in den 1970er-Jahren mit Leben gefüllt.
Wirtschaftliche Verflechtungen nahmen eine zentrale Rolle im Konzept des Wandels durch Annäherung ein. Egon Bahr bezog sich auch hier explizit auf Kennedy und argumentierte, dass „soviel Handel mit den Ostblockländern entwickelt werden sollte, wie es möglich ist, ohne unsere Sicherheit zu gefährden“. Ökonomische Beziehungen sollten zu gesellschaftlichen Verflechtungen führen und ein höherer Lebensstandard in der DDR Druck vom Regime nehmen. Insofern ergänzten sich Gewaltverzicht, Nichteinmischung und Wirtschaftsbeziehungen.
Der ökonomische Teil des Konzepts „Wandel durch Annäherung“ verfolgte eine politische Logik und hatte in den 1960er-Jahren kaum etwas mit westdeutschen Wirtschaftsinteressen zu tun. Diese gab es zwar, insbesondere im Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, allerdings hatten sie keinen Einfluss auf politische Entscheidungen. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) öffnete sich erst Ende der 1960er-Jahre für das Russlandgeschäft, was aber nicht gleichbedeutend mit Sympathien für die sozial-liberale Regierung war. Einen Meilenstein stellte dann das Erdgasröhrengeschäft von 1970 dar. Die Bundesrepublik lieferte Großröhren an die UdSSR und die UdSSR dafür Erdgas an die Bundesrepublik.
Die Idee eines Wandels durch Handel in den Beziehungen zum Ostblock unterscheidet sich an mehreren Stellen von den Wirtschaftsbeziehungen mit Russland nach 1991. Die Sowjetunion hatte ein ausdrückliches Interesse an der Modernisierung ihrer Wirtschaft und war auf den Handel mit dem Westen angewiesen. Ein wichtiges Ziel dieser Modernisierung war, den Lebensstandard der breiten Bevölkerung zu heben, um so die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus unter Beweis zu stellen. Heute ist die russische Ökonomie dagegen eine Extraktionswirtschaft: Der Handel mit Erdöl und Erdgas dient der Bereicherung einer gesellschaftlichen Elite. Die Gewinne fließen überwiegend in private Taschen und der Handel mit Rohstoffen ist nicht verknüpft mit kulturellem, wissenschaftlichem oder technologischem Austausch. Beim deutsch-russischen Handel der 1970er-Jahre handelte es sich zudem um Kompensationsgeschäfte. D. h., der Handel war ausgeglichen und der Export stand ökonomisch und teils auch technologisch im engen Zusammenhang mit dem Import. In den 1980er-Jahren stieg der Gasimport aus der Sowjetunion zwar deutlich an, aber alles in allem spielte das UdSSR-Geschäft nur eine geringe Rolle für den westdeutschen Außenhandel.
Mit dem Regierungswechsel 1982 musste sich die SPD neu orientieren. Die Regierung Helmut Kohls setzte zwar die Politik der Entspannung und des Dialogs fort, trotz manch schärferer Töne, aber dies war nicht von Beginn an klar. Um die Neue Ostpolitik abzusichern, nahm die SPD nun eigenständige Beziehungen zu den kommunistischen Parteien Osteuropas auf. Von konservativer Seite wurde dieses Engagement als Nebenaußenpolitik bezeichnet, also als eine Politik, die parallel zur Regierung stattfände. Besonders intensiv gestalteten sich die Gespräche mit der SED, die 1987 in dem gemeinsamen Grundsatzpapier „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ mündeten. Beide Seiten bekannten sich in dem Papier zur friedlichen Koexistenz und zum friedlichen Wettbewerb der Systeme. Der Widerspruch zwischen den Gesellschaftssystemen wurde keinesfalls verneint, die Konfliktaustragung sollte aber im Kontext einer integrativen Sicherheitsarchitektur erfolgen.
Das Spezifische dieser sozialdemokratischen „Nebenaußenpolitik“ nach dem Regierungswechsel 1982 war die fortwährende Fokussierung auf die kommunistischen Eliten und Staatsspitzen; die hinter dem Konzept des „Wandels durch Annäherung“ stehenden Überlegungen wurden fortgeschrieben. Im Ergebnis scheute die SPD den Kontakt zu oppositionellen Bewegungen im kommunistischen Machtbereich wie der Charta 77 (CSSR), der Solidarnosc (Polen) oder der Friedens- und Umweltbewegung in der DDR. Dies wurde bereits zeitgenössisch kritisiert, gewinnt aber in der aktuellen Diskussion an Bedeutung. Der Sozialdemokratie wird ein Mangel an Empathie und der Vorrang von Friedens- und Stabilitätsfragen gegenüber Menschenrechtsfragen vorgeworfen. Dieser sehr weitgehende Vorwurf trifft jedoch nicht den historischen Kern, denn „Wandel durch Annäherung“ hatte ausdrücklich Menschenrechte im Blick. Das Konzept zielte auf Erleichterungen für die Menschen in der DDR. Allerdings kann heute gefragt werden, inwieweit das konzeptionelle Denken der Neuen Ostpolitik in den 1980er-Jahren erstarrt war und der Rollenwechsel von der Regierungs- zur Oppositionspartei nicht ausreichend reflektiert wurde. Womöglich hätte beides funktioniert: Gespräche mit den Machthabern und der Opposition zu führen.
Um die Politik der Sozialdemokratie der 1980er-Jahre zu verstehen, sollte man aber auch wissen, dass zu der Zeit große Teile der westdeutschen Gesellschaft eine Revolution in der DDR und eine (Wieder-)Vereinigung auf absehbare Zeit für unrealistisch hielten. Dies bestärkte Initiativen, die auf Dialog mit den Eliten im Osten und die Politik kleiner Schritte setzten.
Welchen Anteil die Entspannungspolitik am Zusammenbruch der kommunistischen Staaten und an der deutschen Einheit hatte, wird seit 1989 diskutiert. Der zeitliche Zusammenhang zur erneuten Rüstungsspirale in den 1980er-Jahren führte schon zeitgenössisch zum Argument, dass die USA durch den Rüstungswettlauf (unter anderem mit dem Weltraum-Programm SDI/Strategic Defense Initiative) die Sowjetunion zu Tode gewirtschaftet habe. Die Entspannungspolitik dagegen habe den Machthabern im Osten Legitimität verschafft und deren Systeme am Leben erhalten. Übersehen wird dabei, dass sich die Deutschlandpolitik der Kohl-Regierung kaum von der sozialdemokratischen Neuen Ostpolitik unterschied. Erinnert sei hier lediglich an den vom CSU-Politiker Franz Josef Strauß 1983 eingefädelten Milliardenkredit an die DDR.
Ein weiteres Argument für die kritische Sicht auf die Entspannungspolitik ist, dass sich in den sowjetischen Quellen der 1980er-Jahre keine Hinweise auf die Entspannungspolitik oder die Ostverträge finden. Stattdessen sind die katastrophale ökonomische Lage oder auch das Weltraumrüstungsprojekt der USA Gegenstand der Beratungen. Ohne Zweifel dominierte im innersowjetischen Diskurs der 1980er-Jahre das tagesaktuelle Geschehen und es ist kein Wunder, dass sich dort kaum noch Referenzen auf den Vertrag mit Bonn vom August 1970 finden. Allerdings greift es zu kurz, die immensen wirtschaftlichen Probleme der Sowjetunion erst mit dem Rüstungswettlauf der 1980er-Jahre in Verbindung zu bringen. Bereits seit den 1950er-Jahren wurde in der UdSSR über die hohen Belastungen durch die Rüstung diskutiert. Gleiches gilt für den Wunsch nach Modernisierung der Wirtschaft, nach Technologietransfer und Handel mit dem Westen. Weitreichende Reformen des zentralisierten und bürokratisierten Lenkungssystems wurden zwar erst unter Michail Gorbatschow in den 1980er-Jahren umgesetzt und ohne Zweifel wäre ein solcher Versuch 20 oder 30 Jahre vorher nicht möglich gewesen. Krisendiskussionen wurden in der UdSSR aber seit den 1950er-Jahren geführt. Der sowjetische Geheimdienstchef unter Stalin, Lawrenti Berija, schlug bereits nach Stalins Tod vor, sich vom Leninismus zu trennen. Der Marxismus-Leninismus und die Sowjetideologie haben seit dem Zweiten Weltkrieg sukzessive an Bindekraft verloren und sind einem politischen Pragmatismus gewichen. Die Fokussierung auf die Aufrüstungsinitiative der USA in den 1980er-Jahren als Ursache für den Zusammenbruch der UdSSR greift deutlich zu kurz.
In der Sowjetunion fand ein mehrere Jahrzehnte dauernder Prozess der Loslösung von den weltanschaulichen Grundlagen des Marxismus-Leninismus statt; von einer durch die Sowjetunion inspirierten und ausgehenden Weltrevolution war ebenfalls seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr die Rede. Diesen langsamen Auflösungsprozess muss die ebenfalls auf lange Sicht angelegte Entspannungspolitik gegenübergestellt werden. Die Reformen Gorbatschows, die schließlich das Ende der Sowjetunion besiegelten, wurden nicht von außen (durch den Westen) erzwungen, allerdings unterstützte der Westen diesen Wandel durch Austausch und Entspannung. Mit einer gegenteiligen Politik hätte er, und dies war die Grundannahme der Neuen Ostpolitik, die sowjetischen Eliten zusammengeschweißt und eine Wagenburgmentalität befördert. Insofern kommt der Entspannungspolitik tatsächlich das große Verdienst zu, Reformdiskussionen in den osteuropäischen Staaten durch das eigene glaubhafte Eintreten für demokratische Werte unterstützt zu haben.
Die deutsche Russlandpolitik seit 1991 unterscheidet sich von der historischen Entspannungspolitik Egon Bahrs und Willy Brandts. Die geopolitischen Rahmenbedingungen haben sich geändert, aber auch die deutsche Ostpolitik. Ab den 1990er-Jahren wurde Russland nicht mehr als weltpolitischer Gegner wahrgenommen, sondern als normaler kapitalistischer Staat, der allerdings in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht noch Nachholbedarf hatte. Nach der „Stabilisierung“ des politischen Systems in Russland in den 2000er-Jahren unter Putin (die sich im Kern durch eine zunehmend autoritäre Politik auszeichnete) wurde im Auswärtigen Amt das Konzept der „Annäherung durch Verflechtung“ entwickelt (Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Die EU-Russlandpolitik, Nr. 58/06 v. 30.11.2006). Der Erfolg der Europäischen Union wird hier mit der Verflechtung und allmählichen Harmonisierung der Interessen ihrer Mitgliedsstaaten erklärt und dieses Modell sollte nun auch gegenüber Russland verankert werden. Der Gedanke war, dass die Attraktivität der EU ihren Nachbarn animiert, Normen und Lebensstandards an die der EU anzunähern. Verbunden war dies mit der Vorstellung, dass sich ein moderner Kapitalismus nur im Rahmen von Demokratie entwickeln könne.
Das Konzept „Annäherung durch Verflechtung“ weist zwar semantisch eine Nähe zur historischen Ostpolitik auf und der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier stellte es auch in diese Tradition. „Wandel durch Annäherung“ zielte aber trotz seiner Prämisse, sich nicht in die inneren Angelegenheiten der UdSSR und der sozialistischen Staaten einzumischen, unmittelbar auf deren gesellschaftlichen Wandel. Die deutsche Russlandpolitik der 2000er-Jahre sprach zwar ebenfalls davon, dass Russland den Wandel zu einem demokratischen Rechtsstaat vollziehen solle, legte dem aber lediglich eine generelle modernisierungstheoretische Annahme zugrunde. Dass die Modernisierung der Ökonomie nur durch Demokratie und eine lebendige Zivilgesellschaft erfolgen könne, wurde quasi als Automatismus vorausgesetzt. Unberücksichtigt blieb dabei insbesondere die Frage, ob die gesellschaftlichen Eliten Russlands tatsächlich ein umfassendes Interesse an der Modernisierung ihrer Ökonomie haben oder ob es ihnen nicht ausreicht, die immensen Einnahmen aus dem Öl- und Gastgeschäft in ihre privaten Taschen fließen zu lassen.
Die Gleichsetzung von kapitalistischer Modernisierung und Demokratie führte dann auch dazu, Sicherheitsaspekte außen vor zu lassen. Während in der historischen Ostpolitik der Handel mit den Staatswirtschaftsländern dort seine Grenze fand, wo Sicherheitsfragen berührt wurden, stellt sich dies heute anders dar. Sicherheitsfragen bezogen sich vornehmlich auf die nach einer kontinuierlichen Energieversorgung. Es wurde dabei jedoch nicht die Frage gestellt, ob Russland selbst einmal die Energiesicherheit gefährde könne.
Die historische Ostpolitik wird in der aktuellen Debatte zu Unrecht in eine historische Linie mit der deutschen Russlandpolitik der vergangenen 30 Jahre gestellt. Die historische Entspannungspolitik zielte auf die Verbesserungen in den deutsch-deutschen Beziehungen (mit dem langfristigen Ziel der deutschen Einheit) und war in diesem Sinne Menschenrechtspolitik. Willy Brandt, Egon Bahr und viele andere wussten um die Interdependenz von Dialog, den sie suchten, und der dahinterstehenden atomaren Drohung, derer sie sich durch die Politik der Westintegration versicherten. Diese Grundkonstellation von 1945 – zwei sich gegenüberstehende feindliche Blöcke mit vollständig unterschiedlich politisch-ökonomischen System – war nach 1989/1991 nicht mehr gegeben. Das Ziel der historischen Entspannungspolitik, einen Wandel beim Gegner herbeizuführen, wurde damit nach 1991 aufgeben.
Unabhängig von der Bewertung der jüngsten Ereignisse ist es notwendig, auf diese Unterschiede hinzuweisen. Andernfalls besteht die große Gefahr, die historische Ostpolitik und ihre Akteure als Zitate-Steinbruch in der aktuellen Debatte zu vernutzen. Die Verdeutlichung der Unterschiede soll zur begrifflichen und analytischen Schärfe in der aktuellen Debatte beitragen.