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Schaut man sich Europas multiple Krisen und den Umgang der Union mit ihnen an, scheinen viele Menschen momentan am liebsten weglaufen zu wollen. Nun haben die Briten diesen Weg gewählt
Bild: Bild: change zukunft Urheber: Erich Ferdinand Lizenz: CC BY 2.0
Rechtspopulistische Parteien gewinnen in fast jedem Land an Zuspruch. Auch manch etablierte Partei reagiert, indem sie die Flucht nach hinten antritt: Zurück zum Nationalen, wo die Dinge noch überschaubar sind und man vermeintlich endlich wieder selbst entscheiden kann. Das letzte und krasseste Beispiel ist das Referendum vom 23. Juni, in wlechem sich eine Mehrheit von 51,9 Prozent der Britinnen und Briten für einen Austritt aus der EU entschieden haben. "Independence Day" - so haben Unterstützer_innen der Leave-Kampagne den Tag im Voraus genannt. Welch ein Pyrrhussieg! Wesentlicher Bestandteil der Globalisierung ist aber gerade die hohe weltweite Vernetzung und auch Abhängigkeit. Die bringt es nun einmal mit sich, dass in Warschau oder Rom ein Becher umfallen kann, wenn jemand in Madrid, oder eben auch in Washington oder Damaskus, pustet. Kein Land Europas kann sich dem entziehen. Je mehr versucht wird, desto schwieriger wird es, gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen zu beeinflussen. Dafür ist der Kontinent momentan zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Und dann noch das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei, wegen dem etliche Europäer_innen – die andere Seite des gespaltenen Kontinents – nicht mehr in den Spiegel schauen wollen. Die be- und gerühmte europäische humanistische Tradition, bitter erkämpft und nun so hochgehalten, schmeckt sehr schal dieser Tage. Welche Werte genau Europa ausmachen, ist schwierig herauszufinden – zynisch gesagt scheinen sie jedoch zu beinhalten, dass dabei viele Menschen sterben.
Aufgeben und sich abwenden, wie Großbritannien, wäre nun eine Möglichkeit – wie kann ein solch schwarzes Bild denn auch je wieder weiß (oder zumindest grau) werden? Die meisten Europäer_innen aber wissen, dass dies letztlich eben doch keine Möglichkeit ist. Europa kann nicht Menschen überlassen werden, die die Union und den Zusammenhalt des Kontinents – so unzureichend er auch manchmal erscheint – zerstören wollen. Den Menschen nicht helfen wollen, die vor Krieg und Gewalt fliehen. Einige von Ihnen wollen vielleicht etwas gegen die Ungleichheit innerhalb der Nationalstaaten tun, dies aber immer nur, indem sie gleichzeitig Dritte schlechter stellen. Nein, stattdessen müssen die zentralen Probleme Europas angegangen werden, radikale Veränderungen werden benötigt. Wie diese durchzusetzen sind, ist eine andere Frage. Hier bleibt wohl nur zu hoffen, dass Gegner und Skeptiker sich im Dialog von den besseren Argumenten überzeugen lassen.
Eine Publikation der FES Madrid greift sowohl Probleme als auch Lösungsvorschläge auf. In Zusammenarbeit dem spanischen Think Tank Fundación Alternativas ist die vierte Ausgabe des Report on the State of the European Union entstanden. Verschiedene Herausforderungen der EU werden hier detailliert und ausführlich angegangen. Unter anderem die Flüchtlingskrise, Terrorismus, Klimawandel, Brexit oder auch die Ungleichheit innerhalb der Union.
Doch benennen die Autoren nicht nur die Probleme und prangern Fehlentwicklungen an, sondern sie zeigen auch konkrete Möglichkeiten auf, wie diese zu bekämpfen sind. Dabei sind unter vielen anderen diese Politikempfehlungen herausgekommen:
1. Flüchtlinge
Das vom Europäischen Parlament geforderte zentralisierte europäische System für Asylsuchende mit länderspezifischen Quoten müsse umgesetzt werden. Zudem sei es Aufgabe der EU, sich in den Herkunfts- und Transitländern stärker zu engagieren.
2. Wirtschaftspolitik
Der Fokus der Wirtschaftspolitik sollte darauf liegen, Investment zu fördern und Ungleichheit zu bekämpfen; die Fiskalpolitik müsse sich vom starren Austeritätsstreben verabschieden. Auch sei es notwendig, dass die Geldpolitik bei der Kreditvergabe die Realwirtschaft ins Zentrum stellt, um so Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze zu schaffen.
3. Terrorismus
Das Europäische Zentrum für Terrorismusbekämpfung müsse zu einer europäischen Sicherheitsbehörde erweitert und umgebaut werden. Auch sollten die Geheimdienste der Mitgliedstaaten eng zusammenarbeiten und sämtliche Informationen miteinander teilen. Außerdem sei ein stärkeres Engagement der EU vor allem in Syrien nötig. Essentiell dafür sei eine permanente, robuste und gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU.
Das größte Hindernis in der Union ist momentan jedoch tatsächlich nicht die Ideenlosigkeit, sondern zum einen die starken inneren Widerstände gegen mehr Zusammenarbeit. Zum anderen aber scheint es vor allem an Mut zu fehlen. Das ist schade, denn Europa steht wohl an einem Scheideweg. Hoffentlich müssen die Europafreunde nicht in zehn Jahren eingestehen, dass sie nicht alles versucht haben.
Die gesamte Publikation in englischer Sprache finden sie hier The State of the European Union, FES and Fundacion Alternativas 2016
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