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Zugegeben: Es ist dieser Tage nicht so leicht, sich in Europa zu verlieben. Aber die europäische Idee ist größer als die EU. Eine Veranstaltung des FES-BayernForums ruft das in Erinnerung.
Bild: Bild: LOVE von Gerald Oskoboiny lizensiert unter CC BY-NC 2.0
„Niemand verliebt sich in einen gemeinsamen Markt“. Der Satz geht wohl auf den französischen Unternehmer und Politiker Jean Monnet zurück und beschreibt ganz gut, wie das Verhältnis vieler EU-Bürger_innen zu Europa heute ist: distanziert, technisch, unterkühlt.
Monnet, der häufig als „Vater Europas“ bezeichnet wird, hat mit seinen Ideen maßgeblich zur Gründung der Montanunion beigetragen. „Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ war der erste Schritt zur europäischen Einigung, die mit der Unterzeichnung des Vertrages durch die sechs Gründungsländer am 18. April 1951 ihren Anfang nahm.
Am Tag des 65. Jubiläums hat das BayernForum der FES in München – in Kooperation mit demeurope direct-Informationszentrum München & Oberbayern und der Südosteuropa-Gesellschaft – Ulrike Guérot eingeladen. Seit Jahren reist die Politikwissenschaftlerin durch Europa, spricht auf Podien, hält Reden und wirbt für ihre Idee, die sie jüngst auch in einem Buch dargelegt hat: „Warum Europa eine Republik werden muss“.
Das, was sie als Europäische Republik beschreibt, ist ein Europa der Bürger_innen, das aus einem dynamischen Netzwerk aus Regionen und Städten entsteht und überspannt wird von dem schützenden Dach der europäischen Republik. Guérot denkt ein Europa ohne Nationalstaaten und -interessen, in dem Bürger_innnen gleichgestellt sind - gleich im Zugang zu sozialen Rechten und zu einem gleichen Steuersystem, ausgestattet mit gleichem Wahlrecht. Guérot stellt im Grunde die Frage: Wie sieht ein Europa aus, in das wir uns verlieben können? Ihr Vorschlag bewegt sich maßgeblich außerhalb der Denkmuster der aktuellen EU und zeigt gerade deshalb, dass Europa größer ist als die EU, weil es einerseits natürlich für einen geographischen Raum steht, aber auch für einen Raum der Werte, für Demokratie und Gleichheit, für Freiheit und Frieden.
Gleichsam ist das Europa, das wir erleben, ein „Trümmerhaufen“, wie Guérot sagt. Populismus und Nationalismus zerstören die große ursprüngliche Erzählung vom Frieden und der Überwindung der Nationalstaaten. „Es geht darum, dieses Narrativ wiederzubeleben“, so Guérot. Die Verantwortung dafür sieht sie in der Zivilgesellschaft: die Jugend, die progressiven Stiftungen, Gewerkschaften sowie die Religionsgemeinschaften müssten für ein Europa der Bürger_innen, ein Europa von unten eintreten: „Wir müssen Europa umstülpen!“, fordert sie. „Es braucht ein Europa, das demokratisch, solidarisch und gemeinschaftlich ist.“
Wie groß die Anziehung Europas ist, sieht man gerade außerhalb der EU – in Albanien zum Beispiel. Bis zu 90 Prozent der Bevölkerung befürworten dort einen Beitritt. „Die meisten tun dies aus pragmatischen, materialistischen Gründen“, stellt Frank Hantke fest, der für die Friedrich-Ebert-Stiftung das Büro in Albanien leitet. Angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von offiziell 36 Prozent, die real wohl fast doppelt so hoch ist, korrupten politischen Eliten sowie eines rigiden neoliberalen Kurses in der Wirtschafts- und Sozialpolitik des Landes, überrascht diese ökonomische Position nicht. „Was die Überzeugung in die gemeinsamen europäischen Werte anbelangt: Da müssen wir noch nachlegen“, sagt Hantke. Dennoch: Gerade ein Europa, das sich selbst als Friedensprojekt versteht, müsse den Balkan einbeziehen, glaubt Hantke. „Aber es muss eine bessere EU sein, als wir sie heute haben“. Gerade mit Blick auf Albanien zweifelt er aber momentan an einer Europäischen Republik, die von den Bürger_innen von unten aufgebaut wird: „Das Verständnis vom Bürger und dem Bürgertum ist auf dem Balkan ein anderes“.
Nenad Zakošek, wissenschaftlicher Berater der FES in Zagreb, stellt hingegen optimistisch heraus: „Kroatien hat sich in der aktuellen Asylpolitik ganz gut geschlagen: Wir alle haben versucht den Staat so zu organisieren, dass man den über 700.000 passierenden Flüchtlingen half ohne negative Reaktionen hervorzurufen.“ Hier sieht er Anzeichen eines europäischen solidarischen Geistes, den viele andere Länder vermissen ließen.
Guérot will ihre Version bewusst als eine Utopie verstanden wissen: Bis zum Jahr 2045 möchte sie die Europäische Republik entstehen sehen. Guérot zeigt an diesem Abend, dass dies möglich ist. Überall in Europa gibt es Bürger_innen, die an die europäische Idee glauben, die den Kontinent für einen Raum der Werte, unabhängig von tagespolitischen Stimmungsschwankungen halten: Ein Europa eben, in das man sich verlieben kann.
Weitere Links:
Dane Taleski & Bert Hoppe: Jugendliche in Südosteuropa. Lost in Transition. FES 2016
Alba Çela, Geron Kamberi & Elena Pici : Albanian Youth 2015, FES 2015
Matthias Micus & Felix Butzlaff: Europa in den Parteien: Wege der Beteiligung. FES 2016
Paula Boks: Die Europapolitik der Parteien muss partizipativer werden, Politik für Europa - 2017plus, 21.04.2016
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