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"Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt." Diese Messlatte legte Gustav Heinemann, Sozialdemokrat und dritter Bundespräsident, in der Ära des Deutschen Wirtschaftswunders an eine „gute Gesellschaft“ an. Sie gilt einmal mehr in Zeiten, in denen die Verwerfungen des Arbeitsmarktes und des Sozialstaates dazu beitragen, dass die „schwächsten Glieder“ zahlenmäßig mehr und schwächer werden.
Frauen mit geringem Einkommen sind in der Regel in Erwerbsverhältnissen, die von „guter Arbeit“ weit entfernt sind. Das bedeutet zum einen, dass jeder Cent zählt, besonders für die Mütter unter ihnen. Zum anderen ist die Vereinbarkeit dieser Jobs mit der Fürsorge für Kinder oder für ältere Angehörige noch schwieriger. Die notwendige Zeit(souveränität) fehlt, und das Einkommen reicht oft nicht aus für private Betreuungsangebote. Für alleinerziehende Frauen kommt erschwerend hinzu, dass finanzielle Engpässe oder Fürsorgebedarfe nicht partnerschaftlich aufgefangen werden.
Was kann die Politik tun, um Frauen mit geringem Einkommen zu entlasten? Die Autor_innen dieser Studie haben Frauen, die weniger als das mittlere bedarfsgewichtete Nettoeinkommen in Deutschland zur Verfügung haben, nach ihren Lebensrealitäten und wie diese verbessert werden könnten, befragt. Auf dieser Grundlage gibt die Studie klare Handlungsempfehlungen.
Mit dem Projekt Für ein besseres Morgen will die Friedrich-Ebert-Stiftung Vorschläge und Positionen für sechs wichtige Poltikfelder leisten. Neben Gleichstellung sind das Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Integration, Demokratie und Europa. Weitere Informationen zum Projekt erhalten Sie hier:
Für ein besseres Morgen
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Der Vergleich von Lebensentwurf und Lebenslage offenbart große Diskrepanzen in zwei Bereichen: in der wirtschaftlichen Situation und in der sozialen Lebenslage. Die größte Diskrepanz zwischen Lebensentwurf und momentaner Lebensrealität offenbart sich bei den befragten Frauen in wirtschaftlicher Hinsicht. Nahezu allen Frauen (90 Prozent) ist es wichtig, keine finanziellen Sorgen zu haben. Aber auch angemessene Entlohnung (80 Prozent) und eine sichere Arbeitsstelle (76 Prozent) werden als wichtige Aspekte im eigenen Lebensentwurf genannt.
Frauen mit geringem Einkommen kämpfen in besonderem Maße um Anerkennung, denn ihr unter erschwerten Bedingungen erbrachter alltäglichen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft wird nicht ausreichend gewürdigt. Sie fühlen sich also mehr als andere unter Beobachtung zu versagen bei gleichzeitig geringeren Chancen als andere, soziale Anerkennung zu bekommen. Die Sorge vor und die Erfahrung mit Stigmatisierung ist ein häufig wiederkehrendes Narrativ in Gesprächen mit Frauen, die Sozialleistungen erhalten und/oder alleinerziehend sind.
„A. muss gut in der Schule sein. Er muss. Er muss gleichauf sein, auch wenn er Schwächen hat wie in Mathe aktuell. Ich denke einfach, die Leute würden dann sagen, weil die es nicht schafft. Die hat vier Kinder, wollte sie unbedingt haben und jetzt kriegt sie es nicht auf die Kette. Jetzt noch alleinerziehend, noch viel schlimmer. Es muss laufen, egal in welche Richtung. Es muss laufen, ob das Haushalt ist, ob das die Kleidung ist, es muss laufen." Alleinerziehende Mutter, 30-50 Jahre, Essen
Nicht wenige haben das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Anerkennung schon hinten angestellt, denn nur 33 Prozent der Befragten geben dies als wichtig für sich an (siehe Abbildung 4), was wie eine Art „Zweckpessimismus“ oder „Selbstschutz“ scheint. Von den geringen Chancen auf Erreichbarkeit gesellschaftlicher Anerkennung zeugt, dass wiederum nur weniger als die Hälfte von diesem Drittel (42 Prozent) nach eigenem Empfinden gesellschaftliche Anerkennung erreicht haben.
Die jeweiligen Situationen, in denen sich Frauen mit geringen Einkommen befinden, wurden mithilfe der Zuordnung der Befragten zu drei Segmenten entlang ihrer Einstellungsmuster und demografischen Merkmale zusammenfassend charakterisiert.
Die FAMILIEN-ORIENTIERTEN (41 Prozent) sind vorwiegend Mütter in stabilen Partnerschaften, oftmals Ehen, für die eine glückliche Partnerschaft und zufriedene Kinder Priorität haben. Auch berufliche Ziele haben bzw. hatten die Familien-Orientierten, diese ließen sich jedoch nicht gleichermaßen erreichen.
Unter den EINZELKÄMPFERINNEN (30 Prozent) finden sich häufig ältere alleinstehende Frauen ohne Kinder, die in größeren Städten leben und insgesamt wenig sozial eingebettet sind. Sie priorisieren weder soziale Beziehungen noch beruflichen Erfolg.
Bei den EXISTENZIELL BEDROHTEN (29 Prozent) handelt es sich weitgehend um alleinerziehende Mütter. Sie empfinden die an sie gestellten Anforderungen bzw. deren Erfüllung als extreme Belastung, sind häufig überfordert und erschöpft; vier von fünf existenziell Bedrohten haben finanzielle Sorgen.
Es zeigt sich, dass die befragten Frauen in prekären Einkommenslagen an der Glaubwürdigkeit von Politiker_innen und Parteien zweifeln. Sie äußern in den qualitativen Interviews und Fokusgruppen, dass Politiker_innen und Parteien „kein Verständnis für Bürger wie mich“ haben, „zu sehr vom Bürger entfernt“ sind und zu viel Geld verdienen, um sich „mit den Problemen der Bürger auseinanderzusetzen“.
Politisches Interesse und der Wunsch, über die eigene Wahlbeteiligung politisch Einfluss zu nehmen, sind dennoch vorhanden – dies legen die Daten nahe. So sagt jede dritte der befragten Frauen, dass sie sich stark für Politik interessiert. Rund 40 Prozent geben ein mittleres politisches Interesse an. Die überwiegende Mehrheit (71 Prozent) hält es darüber hinaus für wahrscheinlich, sich an den nächsten größeren Wahlen zu beteiligen. Lediglich gut jede Zehnte meint, ihre Wahlbeteiligung sei unwahrscheinlich.
Die quantitativen Ergebnisse verdeutlichen, dass sich der Großteil der Befragten von keiner Partei des Deutschen Bundestages vertreten fühlt. So gibt explizit jede fünfte Frau an, für keine Partei Sympathie zu hegen; weitere 17 Prozent können darüber keine Aussage treffen. Auch qualitativ äußern die Frauen, dass sie über keine langjährige Parteiidentifikation verfügen:
„Keine Partei überzeugt mich. Ich wähle nicht aus Überzeugung immer eine bestimmte Partei. Ich wähle mein Leben lang das kleinere Übel.“ Junge Mutter, 30–50 Jahre, Essen
Die meisten befragten Frauen halten es insgesamt für sehr wichtig, dass sich die Politik für die Belange von Frauen und Familien einsetzt. Geschlechter- und familienpolitische Maßnahmen erachten die Frauen als überaus wichtig, sofern sie ihnen bekannt sind, was jedoch nur eingeschränkt der Fall ist.
Die Bekanntheit familien- bzw. frauenpolitischer Maßnahmen hängt insbesondere davon ab, wie dringlich Frauen auf diese angewiesen sind. Grundsätzlich bleibt aber zu erwähnen, dass, wenn ein Programm bekannt ist (und Befragte mit diesem ggf. auch vertraut sind), dieses häufig als wichtig bzw. relevant wahrgenommen wird. Höchste Priorität haben für die Mütter der vorliegenden Studie das Kindergeld und steuerliche Kinderfreibeträge (68 Prozent). Aber auch die Unterhaltsvorschusskasse für Alleinerziehende (65 Prozent) und steuerliche Entlastungen für Alleinerziehende (65 Prozent) bewerten die Mütter, denen diese Möglichkeiten bekannt sind, als wichtige Sozialmaßnahmen. Für Parteistrateg_innen ergibt sich aus diesem Befund die Herausforderung, zielgruppenspezifische Maßnahmen so in die Öffentlichkeit zu tragen, dass sie auch zu einer positiven Resonanz unter den Bürger_innen führen, die nicht direkt von dem Politikprogramm profitieren.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Befragung und die Segmentierung, dass die Diskrepanzen zwischen Lebensentwürfen und Lebensrealitäten genauso zahlreich und unterschiedlich sind, wie es die individuellen Situationen der einzelnen Frauen und deren Lebensumstände sind. Zentrale Schlussfolgerung für die Politik muss deshalb sein, Frauen in prekären Einkommenslagen nicht als homogene Gruppe zu betrachten, sondern anzuerkennen, dass es sich um eine heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Ansprüchen und Bedürfnissen handelt. Gute Politik muss an zwei Stellen ansetzen: zum einen mit Maßnahmen, die die Lebensrealitäten von Frauen mit geringem Einkommen konkret verbessern; zum anderen mit Maßnahmen, die die Glaubwürdigkeit von Politik aus Sicht dieser Frauen wiederherstellen.
Wenn die befragten Frauen darüber mitbestimmen könnten, welche frauenpolitischen Maßnahmen künftig eingeführt werden sollten, dann rangiert die Maßnahme „Gleicher Lohn für Frauen und Männer für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ mit 82 Prozent an erster Stelle. Zwei Drittel empfinden außerdem die „Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung“ als essenziell. Auch die „Aufwertung weiterer sozialer Berufe“ wünscht sich über die Hälfte der befragten Frauen. Bei den notwendigen familienpolitischen Maßnahmen priorisiert über die Hälfte der befragten Mütter eine „Kindergrundsicherung“. Die wirksamste Entlastung für Frauen mit geringem Einkommen ist also mehr Einkommen – im Heute, wie in der Zukunft und für sich selbst wie für ihre Kinder.
Dr. Ursula Bitzegeio
Geschlechtergerechtigkeit & Gender +49(0)228 883-7150ursula.bitzegeio(at)fes.de
Johannes Damian
Kommunikation und Grundsatzfragen
+49(0)30 26935 7047Johannes.Damian(at)fes.de
Mehr zum Thema Geschlechtergerechtigkeit und -politik finden Sie auf unserem Themenportal "Gender Matters"
Die Forschungsperspektive der vorliegenden Studie lehnt sich an den Lebenslagenansatz an. Die Lebenslage wird maßgeblich, aber nicht ausschließlich, durch die vorhandenen finanziellen Ressourcen bestimmt. Prekäre Einkommenslagen, um die es in der Studie geht, können relativ objektiv bestimmt werden – etwa mithilfe des Äquivalenzeinkommens. Die in dieser Studie untersuchten Frauen beziehen alle ein Einkommen, welches unter dem mittleren bedarfsgewichteten Nettoeinkommen liegt. Dies ist das durch die Befragten-Auswahl einheitlich gestaltete Merkmal der befragten Frauen. Jedoch ist Armut nicht gleich Armut. Zur vollständigen Beschreibung der Lebenslagen von Menschen gehört neben der Einkommenslage auch der Blick auf ihr Lebensumfeld (Bestreitung des Alltags, soziales Umfeld, etc.).
Alle untersuchten Frauen sind zwischen 30 und 70 Jahre alt. Das Mindestalter von 30 Jahren wurde festgelegt, da laut Forschungsstand davon auszugehen ist, dass in diesem Alter ein bestimmter Wendepunkt im Leben erreicht ist. Die Befragung setzte sich aus einem qualitativen und quantitativen Teil zusammen.
Die qualitative Erhebung bestand aus ethnografischen Einzelinterviews a 120 Minuten und Fokusgruppen, die jeweils in gleicher Anzahl in Sachsen und Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurden. Die quantitative Erhebung bestand aus einer Online-Befragung von insgesamt 2.000 Frauen im Alter von 30 bis 59 Jahren, davon 1.300 mit Kindern und 700 ohne Kinder. Die Erhebung fand im gesamten Bundesgebiet statt. Die regionale Verteilung der Befragten ist repräsentativ und entspricht laut Statistischem Bundesamt der tatsächlichen Wohnregion: 18 Prozent der Befragten leben in Ostdeutschland (inklusive Berlin), 82 Prozent in Westdeutschland.
Das Netto-Äquivalenzeinkommen ist ein auf der Basis des Haushaltsnettoeinkommens berechnetes bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen je Haushaltsmitglied. Menschen, die ein Netto-Äquivalenzeinkommen unterhalb von 60 Prozent des mittleren bedarfsgewichteten Nettoeinkommens haben, gelten nach EU-Standards als armutsgefährdet – und befinden sich somit in einer prekären Einkommenslage.