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Die russische Invasion in der Ukraine wird vom Westen, insbesondere von Europa, als Bedrohung seiner Auffassung einer Weltordnung wahrgenommen. In der Region Asien-Pazifik herrscht jedoch eine differenziertere Sichtweise vor. Den Ländern der Region eine binäre „Mit uns oder gegen uns”- Reaktion aufzuzwingen, bedeutet ihre eigenen geopolitischen Realitäten zu ignorieren und birgt das Risiko sie zu verprellen.
Der Krieg in der Ukraine führte dazu, dass sich die weltweite Aufmerksamkeit auf viele Aspekte der Weltordnung und des Multilateralismus richtete. Dass in Europa nach langer Zeit wieder ein Krieg stattfindet, bedeutete für Deutschland und das restliche Europa eine Zeitenwende oder einen historischen Wendepunktund stellte die vorherrschende Überzeugung in Frage, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit zu einer positiven politischen Dividende zwischen Staaten, selbst im Falle einander nicht so freundlich gesinnter Länder, führe.
Es folgen Überlegungen zu den Gesprächen zwischen der Delegation der Strategic Foresight Group der FES Asien und europäischen VordenkerInnen und EntscheidungsträgerInnen, die wir im Oktober in Brüssel und Berlin trafen, um aktuelle geopolitische Angelegenheiten und Möglichkeiten für die künftige Zusammenarbeit zwischen Europa und Asien zu diskutieren.
Während Europa und der Westen geschockt und entsetzt auf die Invasion in der Ukraine reagierten, rief diese im Rest der Welt und in der Region Asien-Pazifik keineswegs dasselbe Gefühl der Gefahr hervor. Weitaus größere Sorgen bereitet in Asien-Pazifik das von den USA ins Feld geführte Narrativ einer binären Sicht auf Russland, das die Welt in Demokratien und Autokratien einteilt. Eine solche Diskussion ist nicht dazu geeignet, die asiatischen Länder mit ins Boot zu holen. Diese politische Spaltung spiegelt die Verschiedenartigkeit der strategischen Landschaften in Europa und Asien wider. In beiden Regionen gibt es jeweils ein großes, dominantes Land, nämlich Russland und China, das die politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Dimensionen der internationalen Beziehungen beeinflusst. In mehreren Ländern in beiden Regionen wird ein wirtschaftliches Engagement durch das Sicherheitsrisiko gemeinsamer Grenzen erschwert.
Die halbherzige Reaktion der Asien-Pazifik-Region auf die Invasion in der Ukraine war ein Weckruf für den Westen einschließlich Europas und machte deutlich, dass nicht alle Länder die gleiche Sichtweise auf diesen Krieg in Europa und auch nicht die gleiche Vorstellung einer selektiven Verteidigung gemäß der UN-Charta teilen. Der Konflikt hat gezeigt, dass eine wertebasierte Diplomatie funktioniert, solange es keinen Konflikt gibt, dass aber während eines Konfliktes am besten eine interessenbasierte Diplomatie funktioniert. Dies macht auf einen verworrenen Multilateralismus aufmerksam, in dessen Rahmen die Durchsetzung von Grundsätzen nur teilweise und selektiv erfolgt.
Eine binäre Antwort auf den Krieg und auf andere globale Angelegenheiten ist dringend zu vermeiden, denn wenn man Länder dazu zwingt, sich für eine Seite zu entscheiden, führt dies nur zu einer größeren Spaltung. Eine wertebasierte Verurteilung der Völkerrechtsverletzung in Europa findet in Asien-Pazifik keinen Anklang angesichts der vielen Kriege in Asien und Afrika, die völlig unbeachtet geblieben sind. Eine solche Sichtweise entspricht nicht der von Asien beobachteten geopolitischen Realität und zeigt auch, wie die Nähe zur Krise dazu geführt hat, dass europäische Akteure die komplexen bilateralen Beziehungen anderer Länder mit Russland oder die geo-ökonomische Abhängigkeit und das geopolitische Gewicht von China im Asien-Pazifik-Raum außer Acht ließen.
Während der Gespräche wurden eine strategischere Kommunikation und ein inklusiver Dialog als maßgeblich für ein besseres Verständnis der geopolitischen Herausforderungen auf beiden Seiten erachtet. Außerdem ist die Region Asien-Pazifik zu groß, um als ein einheitlicher Raum betrachtet zu werden. Die von der Pandemie hervorgerufene wirtschaftliche Belastung, der Krieg in Europa und die wachsende geopolitische Spannung in Asien-Pazifik haben neue Chancen für ein Engagement in der Region geschaffen, vorausgesetzt Europa und der Rest der westlichen Welt verstehen die verwundbaren Stellen der unterschiedlichen asiatischen Länder. Die Erarbeitung neuer Punkte für einen Konsens oder zumindest für eine Annährung bei Themen, die globale Gemeinschaftsgüter wie Gesundheit, Klimawandel und die Ziele für Nachhaltige Entwicklung betreffen, würde Möglichkeiten für eine Erneuerung der Zusammenarbeit mit der Region Asien-Pazifik eröffnen.
Die Verwerfungen in Europa in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Sicherheit als Folge des Ukraine-Krieges und die politische Unsicherheit in Bezug auf Russland, sowie die wachsende Macht Chinas führen zu neuen geopolitischen und geo-ökonomischen Zwängen. Auch wenn die Grundzüge der europäischen Ordnung nach dem Ukraine-Krieg und die künftigen Beziehungen Europas zum Rest der Welt nicht vorhergesagt werden können, führen diese zwei Entwicklungen dazu, dass viele Länder im Asien-Pazifik-Raum ihre außenpolitischen Beziehungen neu überdenken.
Das Ausmaß der Bedrohung wird in Europa und Asien jeweils sehr unterschiedlich eingeschätzt, weshalb es auch Unterschiede in der Art der Zusammenarbeit und des Engagements gibt. Während man in Brüssel wenig Lust zeigt, sich in Konflikten in anderen Regionen zu engagieren, gibt es in Asien eine sehr differenzierte Sicht auf China, die man nicht auf eine binäre Perspektive reduzieren kann. Folglich unterscheiden sich die Sicherheitsvorkehrungen in beiden Regionen erheblich voneinander, was zu verschiedenen Ergebnissen und unterschiedlichen Formen globalen Engagements führt. Wenn sich die Machtgefüge in Asien-Pazifik verschieben, werden das Eingreifen und der Beitrag der EU von essenzieller Bedeutung sein, denn sie kann der Region nicht einfach eine westliche Vorstellung von weltweiter Solidarität aufzwingen. Die jüngsten Entwicklungen haben gezeigt, dass verschiedene asiatische Partner jeweils mit ihren eigenen Bemühungen auf die Situation reagieren werden, um ein Gleichgewicht zu finden, ihre Optionen abzusichern oder auf einen fahrenden Zug aufzuspringen, je nachdem, welche Interessen sie in ihren bilateralen Beziehungen in der Region und darüber hinaus verteidigen wollen. Eine Stärkung des Multilateralismus erfordert eine strategische Kommunikation auf beiden Seiten, die über verengte Wahrnehmungen hinausgeht und die verschiedenen Interessen einbezieht, um einen Neustart der Beziehungen zwischen europäischen und asiatischen Ländern einzuleiten.
Ummu Salma Bava ist Professorin und Inhaberin des Jean Monnet-Lehrstuhls am Center for European Studies der School of International Studies an der Jawaharlal Nehru-Universität in Indien. Sie ist außerdem Mitglied der Strategic Foresight Group der FES Asien, einem interdisziplinären Netzwerk von VordenkerInnen aus 20 Ländern in Asien und Europa.
Die in diesem Artikel wiedergegebenen Ansichten stimmen nicht unbedingt mit denen der FES überein.
Der Artikel erschien am 6.12. in englischer Sprache auf asia.fes.de
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