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Ist das Sozialismus?

Die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen wächst. Es ist an der Zeit, Mittel und Wege zu einer solidarischen Europäischen Union zu finden, denn der gemeinsame Binnenmarkt ist eben doch nicht alles.

Bild: "rubbish" von Tom Heyes lizenziert unter CC BY 2.0

„Ist das Sozialismus?“ fragte Anfang der 1950er Jahre die der britischen Labour Partei nahestehende Fabian Society mit Blick auf den Aufbau des Wohlfahrtsstaates nach dem Krieg. Heutzutage steht der Sozialismus nicht besonders hoch im Kurs. Mehr noch: selbst der Wohlfahrts- oder Sozialstaat kommt zunehmend unter Beschuss. Ein Grund dafür: die Globalisierung und die damit verbundene Konkurrenz der Staaten, etwa als Standort für umsatzstarke Unternehmen.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg in (West-) Europa der Sozialstaat auf breiter Front aufgebaut wurde – nicht zuletzt unter sozialdemokratischen und sozialistischen Regierungen und mit dem Druck und der Unterstützung der Gewerkschaften – sahen sich diese linken Regierungen oft mit der Frage konfrontiert, „wie weit der Sozialismus in einem Land realisiert werden könne“ (Stuart Middleton). Denn die neu gegründete Europäische Gemeinschaft war zwar der zentrale Grundpfeiler für den Frieden. Sie entwickelte sich aber immer mehr zum Vehikel für eine Ausweitung des Marktes. Der Sozialstaat hingegen blieb national.

Mittlerweile kann die Zeit bis 1980 als Hochzeit des egalitären Sozialstaats angesehen werden. Seitdem wachsen die Unterschiede zwischen Einkommen und Vermögen wieder. Fragen der Einkommens- und Vermögensverteilung widmet sich der mittlerweile berühmte Pariser Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty. Sein 2013 erschienenes Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ wurde zum Bestseller – ein klares Zeichen, wie hochaktuell Verteilungsfragen in unseren (ungerechten) Zeiten sind. Darin untersucht er die Entwicklung insbesondere von Einkommen und Vermögen seit der industriellen Revolution bis zur Gegenwart und konstatiert unter anderem, dass die Ungleichverteilung von beidem konstant gewachsen ist – nur in einer kurzen Phase nach dem Krieg näherten sie sich an, eigentlich eine Anomalie.

Ein Seminar der Friedrich-Ebert-Stiftung in Nordrhein-Westfalen setzte sich nun intensiv mit Piketty und seinem Grundlagenwerk auseinander. Geladen war auch Norbert Spinrath, der europapolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, denn vor allem sollten auch „Wege zu einer solidarischen EU“ erörtert werden, so der Titel. Die Seminarleitung hatte der Duisburger Ökonom Florian Dohmen inne. Von Freitag bis Sonntag setzten sich die Teilnehmer_innen mit Pikettys Analysen und Thesen auseinander. Diesen zufolge drohen tendenziell übermäßig steigende Kapitalgewinne extreme Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen hervorzubringen, die auch den sozialen Frieden und die Demokratie gefährden. Insbesondere kommen diese Ungleichheiten zustande, wenn Kapitalrenditen größer sind als das Wirtschaftswachstum.

Diskutiert wurden auch die Konsequenzen, die sich für die Finanz- und Wirtschaftspolitik in Deutschland, der EU und global ergeben. Handlungsbedarf bestehe zu allererst im Bereich der Steuerpolitik. So wurde zum Beispiel die Frage nach der Erbschaftssteuer und einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes gestellt. Vor dem Hintergrund der wachsenden Ungleichheiten ist es letztlich ein handfester Skandal, dass es in Deutschland immer noch keine Neuregelung der Vermögenssteuer gibt. Diese wird seit 1996 nicht mehr erhoben, eigentlich hatte sich die Große Koalition eine verfassungsgemäße Wiedereinführung vorgenommen. Hier zeigt sich auch die europäische Dimension, denn alle EU-Mitglieder haben eine Vermögenssteuer – einzige Ausnahmen: Österreich und eben Deutschland. Eine weitergehende europäische Steuerharmonisierung ist jedoch ein wichtiger Schritt, damit sich europäische Staaten nicht mehr gegeneinander ausspielen können und Absurditäten, wie die de facto Nicht-Besteuerung von Apple, Amazon oder Starbucks in Irland und anderen Ländern Europas jahrelang geduldet werden.

Noch ist die Mittelklasse nicht komplett erodiert und sind die Mittel des Staates vorhanden, um die Wirtschaftsordnung gerechter zu gestalten. Europa bietet einen Rahmen, der bislang vor allem für sukzessive Liberalisierungen genutzt wurde. Es ist Zeit, den Markt wieder verstärkt zu (be-) steuern – gerade auch auf europäischer Ebene.

Ansprechpartner in der Friedrich-Ebert-Stiftung:

Jochen Reeh-Schall


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