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Gute Integrationsprojekte kämpfen mit Geldmangel, der Bund will bei Sprachkursen kürzen – und Migrant_innen? Sie zahlen den Preis. Warum eine Reform der Schuldenbremse neue Wege eröffnen könnte.
Dieser Beitrag von Isabel Knippel ist im Rahmen der Internationalen Konferenz „Migration progressiv ausbuchstabieren“ der Friedrich-Ebert-Stiftung entstanden. Im September 2024 haben wir uns gemeinsam mit internationalen Vertreter_innen aus Politik, Zivilgesellschaft, Medien und Wissenschaft intensiv mit den drängenden Fragen und Herausforderungen menschlicher Mobilität beschäftigt und progressive Antworten darauf formuliert. Lesen Sie hier alle Beiträge dazu!
„Ich mache seit 25 Jahren Integration. Wir in Wuppertal haben uns früh auf den Weg gemacht“, sagt Arlin Cakal-Rasch stolz. Sie leitet das kommunale Integrationszentrum der Stadt und sitzt auf dem Podium bei einem Workshop zur Kommune auf Konferenz „Migration Progressiv Ausbuchstabieren“ der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Cakal-Rasch erzählt, wie Wuppertal es geschafft hat, Integration praktisch zu leben. Die Stadt mit der Schwebebahn gilt auch über Nordrhein-Westfalen hinaus als Beispiel dafür, wie Migration und Integration erfolgreich gestaltet werden können – trotz anderer großer Herausforderungen wie einer hohen Alters- und Kinderarmut.
Die Bereiche Asylangelegenheiten, Integration, Unterbringung, Jobcenter und die Ausländerbehörde arbeiten hier unter einem Dach. So kann Cakal-Rasch gemeinsam mit ihren Kolleg_innen Bedürftige willkommen heißen und sie beim Spracherwerb, der Unterbringung und der Jobsuche begleiten – und das unbürokratisch, schnell und flexibel.
Doch so erfolgreich die Integration in Wuppertal auch laufen mag: Der finanzielle Druck wächst. Integrationsmaßnahmen kosten Geld – und genau das wird in den Kommunen immer knapper. Seit der Einführung der Schuldenbremse hat sich der finanzielle Handlungsspielraum der Städte zunehmend verengt. Steigende Kosten und ausbleibende Investitionen verschärfen die Lage zusätzlich
Was Cakal-Rasch beschreibt, ist Teil der „Integrationsoffensive“ Nordrhein-Westfalens, die seit den frühen 2000er Jahren die Teilhabe für Migrant_innen erleichtern soll. Doch die Rahmenbedingungen haben sich seitdem geändert. Die Schuldenbremse, verabschiedet im Jahr 2009, zwingt Bund, Länder und Kommunen zu strikter Haushaltsdisziplin. Während sich der Bund jedes Jahr nur minimal neu verschulden darf (0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts), sind Defizite auf Länderebene gar nicht mehr erlaubt.
Ursprünglich sollte die Schuldenbremse künftige Generationen vor einer übermäßigen Schuldenlast schützen. Doch die Realität sieht anders aus: In den Kommunen fehlt immer mehr Geld. „Noch nicht absehbar ist, ob und wie es den einzelnen Ländern gelingen wird, die Schuldenbremse ungeachtet der Auswirkungen der Flüchtlingskrise zu realisieren“, schreibt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch bereits 2016.
Heute hat sich die Lage weiter zugespitzt: Die Folgen von Corona, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise und eine schwächelnde Wirtschaft haben die finanziellen Spielräume weiter eingeschränkt. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beziffert den Investitionsrückstand in Städten und Gemeinden für das Jahr 2024 auf 186,1 Milliarden Euro.
Der Investitionsstau zeigt sich in maroden Brücken, veralteten Schulen oder fehlendem Wohnraum. Doch auch die Integrationsarbeit bleibt davon nicht verschont. In Wuppertal drohen Kürzungen bei den Tafeln und Sozialdiensten. Cakal-Rasch warnt: „Da bricht eine komplette Regelstruktur zusammen, und Zack, macht das meine langjährige Arbeit, Integration, kaputt. Und das ist zu einer Zeit wie jetzt absolut nicht tragbar.“
Auch andere Städte kämpfen mit den Folgen der Schuldenbremse. So gibt Berlin laut Aziz Bozkurt, Staatssekretär für Soziales, jährlich 1,2 Milliarden Euro für die Unterbringung Geflüchteter aus. „Doch das wäre viel günstiger, wenn wir mehr Wohnraum hätten“, erklärt er. Der Mangel an Investitionen in den sozialen Wohnungsbau über Jahre hinweg verschärft die soziale Ungleichheit zusätzlich.
Im Workshop zu „Sicherheit und Integration in der Kommune“ berichtet Sozialarbeiterin Sunny Steen von ähnlichen Problemen. Sie betreut Jugendliche in der Berliner Highdeck-Siedlung– einem Viertel mit rund 10.000 Einwohner_innen, 70 Prozent Kinderarmut und einem Migrationsanteil von 71 Prozent. Doch bereits vor Projektstart in diesem Jahr wurde ihr eine halbe Stelle gestrichen. „So kann man kaum etwas bewirken“, kritisiert Steen.
Dabei verschwindet Migration nicht, wenn Kommunen an Integration sparen. Im Gegenteil: Die Klimakrise und anhaltende Kriege dürften dafür sorgen, dass eher mehr denn weniger Bedürftige Zuflucht suchen müssen. Und diesen eine Teilhabe am Leben in Deutschland zu ermöglichen, dazu verpflichtet schon allein das Grundgesetz.
Die Klauseln zu Menschenwürde (§1) und Sozialstaatsprinzip (§20) sind nicht verhandelbar - die Schuldenbremse (§109) hingegen ist es durchaus. Doch können die Grundrechte eingehalten werden, wenn man den Kürzungen folgt, die im Haushaltsentwurf 2025 vorgeschlagen wurden?
So ist etwa vorgesehen, Integrationskurse um 50 Prozent zu kürzen. „Hier brauchen wir eine deutlich größere Unterstützung seitens des Bundes, um dem wachsenden Bedarf an flächendeckenden und qualitativ hochwertigen Angeboten gerecht zu werden“, beschwerte sich dazu unter anderem Niedersachsens Integrationsminister Stephan Philippi. Auch der paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert die geplanten Kürzungen bei Migrationsberatung und psychosozialen Zentren scharf.
Eine Reform der Schuldenbremse könnte Verteilungskämpfe entschärfen und dringend notwendige Zukunftsinvestitionen in Integration ermöglichen. Cansel Kiziltepe, Sozialsenatorin in Berlin, forderte sogar ihre Abschaffung. Gleichzeitig macht sich ihr Ressort für eine Gemeinschaftspauschale stark: Bezirke und Kommunen sollen für jeden aufgenommenem Geflüchteten Finanzmittel erhalten, die flexibel eingesetzt werden können. Geflüchtete wie Senioren könnten von der neuen Regelung profitieren. „Wir müssen an alle denken in der Kommune, nur so kommen aus dieser Debatte raus“, appelliert Bozkurt.
Die Debatte um die Schuldenbremse zeigt: Ihre Einhaltung hat weitreichende Konsequenzen für das soziale Gefüge unserer Gesellschaft. Unter dem finanziellen Druck leidet besonders die Integrationsarbeit in den Kommunen. Doch hier entscheidet sich, wie zukunftsfähig und gerecht unsere Gesellschaft sein kann. Eine Reform der Schuldenbremse könnte den Kommunen dringend benötigten finanziellen Spielraum verschaffen, um Integration besser zu gestalten. Denn soziale Gerechtigkeit beginnt vor Ort – und dafür braucht es mehr als bloß Sparzwang.
Isabel Knippel ist freie Journalistin, unter anderem für den MDR. Sie recherchiert und schreibt aus Dresden zu politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Themen. Für die Friedrich-Ebert-Stiftung hat sie verschiedene Veranstaltungen als Live-Bloggerin begleitet. Sowohl durch ehrenamtliches Engagement als auch in ihrem Politik-, Publizistik- und Wirtschaftsstudium hat sie sich schon vielfach mit Asyl- und Integrationspolitik auseinandergesetzt.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
„Niemand weiß, wer alles in diesem Land ist.“ Zumindest bezogen auf das Potential für den Arbeitsmarkt, ist diese Behauptung Realität.
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Wie wir mit Humanität zu einem progressiven Narrativ kommen, wenn Begriffe wie „Sicherheit“ und „Angst“ im Diskurs über Migration allgegenwärtig sind.