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Wie positionieren sich politische Bewegungen? Wie reagieren sie auf gesellschaftliche Stimmungen und mit welchen Themen verorten sie sich wie in der gesellschaftspolitischen Debatte? In dieser Übersicht über politische Strategiedebatten politischer Parteien in ausgewählten europäischen und außereuropäischen Ländern bemühen sich die Verfasser darum, politische Analysen nicht in Textform, sondern grafisch aufbereitet und zugespitzt darzustellen. Wir hoffen, mit diesem Produkt einen Beitrag zu einer konstruktiven Diskussion zu leisten. Stand November 2017.
Das politische System Deutschlands, das international für seine hohe Stabilität bekannt ist, wurde von den Ergebnissen der Bundestagwahl 2017 erschüttert. Zum ersten Mal seit 27 Jahren gelingt einer neuen Partei der Einzug in den Bundestag – die Alternative für Deutschland (AfD) erhielt auf Anhieb die drittmeisten Stimmen der Wählerinnen und Wähler (12,6 % der Zweitstimmen). Die FDP hat den Wiedereinzug in den Bundestag geschafft, nachdem sie 2013 zum ersten Mal an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war. Damit erhöhte sich die Anzahl der im Bundestag vertretenen Fraktionen von vier auf sechs. Während Die Linke (9,2 %) und die Grünen (8,9 %) ihr Ergebnis von 2013 leicht verbessern konnten, hatten die beiden Parteien der regierenden Großen Koalition, SPD (20,5 %) and CDU/CSU (32,9 %), drastische Verluste zu verzeichnen. Das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 bedeutet für die SPD das schlechteste und die Unionsparteien das zweitschlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit. Mit dem Ergebnis geht sowohl eine Fragmentierung (Erhöhung der Fraktionen von vier auf sechs) und Polarisierung der politischen Landschaft einher, die maßgeblich durch die AfD vorangetrieben wurde. Nachdem der moderate Flügel um Parteigründer Lucke die Partei 2015 verließ, ist die Rhetorik der Partei nun deutlich von nationalistischen und populistischen Parolen gekennzeichnet. Da die Umfragen vor der Wahl bereits andeuteten, dass keine der von den Parteien bevorzugten Koalitionsmodelle (SPD/Grüne; Union/FDP) eine Mehrheit erlangen würde, zeigte der Wahlkampf wenig Anzeichen eines klassischen Lagerwahlkampfes. Die Tatsache, dass SPD und CDU/CSU gemeinsam koalierten, beeinflusste den Wahlkampf, in dem es den Parteien schwer fiel sich gleichzeitig von dem Koalitionspartner (und Gegner) abzugrenzen und Erfolge hervorzuheben. Die FDP führte nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 ihren Wahlkampf aus einer Art „außerparlamentarischen Opposition“ heraus. Die Partei hat dabei nicht vergessen, dass die damalige schwarz-gelbe Koalition mit der Union zu ihrer Abwahl führte. Der Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017 war stark durch das Thema Zuwanderung geprägt, das sich nach der Aufnahme von einer großen Anzahl an Flüchtlingen im Jahr 2015 zum wichtigsten Wahlkampfthema entwickelte. Das Thema wird eindeutig durch die AfD besetzt, welche die regierenden Parteien massiv unter Druck setzen konnte. Das hat heftige interne Machtkämpfe zwischen CDU und CSU hervorgerufen, die sich vor allem auf die Implementierung einer Obergrenze für die Anzahl der aufzunehmenden Flüchtlinge fokussierte.
Nachdem SPD-Chef Martin Schulz noch am Wahlabend, unter dem Applaus der SPD-Basis, angesichts der herben Verluste das Ende der Großen Koalition ankündigte, schien eine bereits im Wahlkampf diskutierte „Jamaika“ Koalition (bestehend aus CDU/CSU, FDP und Grünen) die einzig realistische Regierungsoption darzustellen. Nach einmonatigen Sondierungsgesprächen kündigte die FDP die Verhandlungen auf, da sie nach eigenen Angaben ihre eigenen Vorstellungen von einer Koalition nicht in den Kompromissen reflektiert sahen. In der Folge wuchs der öffentliche Druck auf die SPD, auch von Seiten des Bundespräsidenten, so dass sich Parteichef Schulz zumindest auf ein ergebnisoffenes Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern von CDU/CSU einließ. Die Ablehnung einer Großen Koalition ist innerhalb der SPD jedoch weitaus stärker als 2013, da die meisten Parteimitglieder nach dem schlechten Abschneiden eine Regenerationsphase in der Opposition bevorzugen. Gemäß aktueller Umfragen würden SPD-Anhängerinnen und Anhänger eine unionsgeführte Minderheitsregierung bevorzugen, die jedoch Kanzlerin Merkel ausschließt. Sollte die Regierungsbildung ergebnislos bleiben, wären Neuwahlen die letzte Möglichkeit.
Obwohl die SPD an vier der letzten fünf Regierungen beteiligt war, befindet sich sie momentan in einer ihrer schwersten Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Vor allem die beiden Großen Koalitionen (2005-2009 und 2013-2017) resultierten in großen Verlusten, die 2017 schließlich im schlechtesten Ergebnis seit 1949 mündeten. Zum einen spricht sich die Partei für klare wirtschaftlich linke Positionen und „Korrekturen“ der Agenda 2010 von Gerhard Schröder aus. Andererseits werden diese Positionen von der wachsenden Fragmentierung und Polarisierung des Parteiensystems untergraben, indem die Öffentlichkeit sie an ihre Verantwortung für das Land erinnert und sie zu einer Großen Koalition drängt, wenn andere Regierungsbildungen scheitern. Da die Partei in hohem Maße Wählerinnen und Wähler an ideologisch höchst unterschiedliche Parteien wie Die Linke, Grüne, FDP und AfD verloren hat, wird die Rückgewinnung dieser Wählerschaft bis zur nächsten Bundestagswahl kaum möglich sein.
Obwohl die Partei einige ihrer Kernforderungen wie die Einführung eines Mindestlohns umsetzen konnte, fällt es der Partei sichtlich schwer diese Erfolge in Stimmen umzumünzen. Das ist zum Teil der Tatsache geschuldet, dass die Partei lediglich der Juniorpartner der Großen Koalition ist. Wenige Wochen vor der Wahl gelang der Partei ein Coup, als sie die gleichgeschlechtliche Ehe gegen den Widerstand der Union einführte. Die Wählerinnen und Wähler haben dies jedoch nicht honoriert, obwohl die „Ehe für alle“ von einer großen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wurde. Umfragen legen nahe, dass die Partei und ihr Personal positiv bewertet wird, doch es scheint, als wollten SPD Sympathisantinnen und Sympathisanten eine neue Große Koalition um jeden Preis verhindern. Der kurzzeitige Höhenflug im Frühling 2017, als die Partei in Umfragen einen Zuspruch von über 30 % erreichte, zeigt jedoch, dass das Potential für einen Wahlerfolg weiterhin vorhanden ist.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat einen engagierten Wahlkampf geführt und ist nicht unbeliebt bei den Wählerinnen und Wählern. Allerdings hatte er gegen die beliebte Kanzlerin Angela Merkel keine Chance. Obwohl gerade die letzten vier Jahre ihrer Kanzlerschaft zu einer großen Polarisierung der Gesellschaft führten, wie sich an den Wahlerfolgen der AfD ablesen lässt, sind ihre Beliebtheitswerte deutlicher höher als die von Schulz. Aufgrund ihres Engagements für Flüchtlinge und der Implementierung von eher „linken“ Forderungen wie dem Mindestlohn wird sie auch von mitte-links Wählern positiv bewertet, die eigentlich die Stammwählerschaft der SPD darstellen. Diese Situation könnte sich jedoch ändern, da Merkel wahrscheinlich innerhalb der nächsten Legislaturperiode ihre Kanzlerschaft abgibt und ihre Nachfolge innerhalb der Partei noch völlig offen ist.
Innerhalb des linken Lagers weist die SPD mit den meisten Forderungen der Grünen eine große Übereinstimmung auf. Große Distanz zur Linken besteht vor allem bezüglich der postmaterialistischen Konfliktlinie. Die Unvereinbarkeit der Positionen von SPD und Linken wird beispielsweise in der klaren antimilitaristischen Haltung der Linken deutlich, die drastische Maßnahmen wie den Austritt aus der NATO und den Abbruch aller Bundeswehr-Auslandsmissionen umfasst. Solche Positionen werden von der SPD nicht vertreten. Aus diesem Grund erscheint auch eine vieldiskutierte „Rot-Rot-Grün“-Koalition auf Bundesebene unwahrscheinlich, die von 2005 bis 2009 über eine Mehrheit verfügt hätte. Die Grünen sind der „natürliche“ Koalitionspartner der SPD, doch aufgrund der wachsenden Fragmentierung des deutschen Parteiensystems erscheinen Zwei-Parteien-Regierungen abseits der Großen Koalition unwahrscheinlich. Für eine rot-rot-grüne Koalition müssten sich alle drei Parteien deutlich aufeinander zubewegen, wobei eine solche Koalition momentan ohnehin keine Mehrheit im Bundestag hätte.
Der Wahlkampf der Grünen wurde durch zwei Vertreterinnen und Vertreter des pragmatischen „Realo“-Flügels, Katrin Göring-Eckardt and Cem Özdemir, angeführt. Die Entscheidung der Parteimitglieder für die beiden Kandidierenden wurde als Vorbote einer Jamaika-Koalition mit Union und FDP angesehen, war aber auch die Reaktion eines eher enttäuschenden „linken“ Wahlkampfs im Jahr 2013. Nach der Wahl hatte die FDP die Verhandlungen zu solch einer Koalition abgebrochen. Der Blick auf die politische Landschaft verdeutlicht, wie groß die ideologischen Differenzen zwischen Grünen einerseits und CDU/CSU und FDP andererseits sind, die sicherlich ein Grund für den Abbruch der Verhandlungen waren.
Die Grünen stehen vor dem vielleicht größten strategischen Dilemma aller Parteien. Obwohl die Partei mit ihrem Wahlergebnis zufrieden sein kann – ihre Umfrageergebnisse wenige Wochen vor der Wahl waren deutlich schlechter – treten sie mit diesem Ergebnis auf der Stelle. Der linke „Fundi“-Flügel möchte eine stärkere links-libertäre Ausrichtung und strebt eine rot-rot-grüne Koalition mit SPD und Linken an. Obwohl die als tendenziell links geltenden Mitglieder der Grünen solch eine Koalition vermutlich begrüßen würden, ist die SPD momentan zu schwach für dieses Unterfangen.
Der pragmatische „Realo“-Flügel spricht sich hingegen für eine Öffnung zur Mitte aus, um dort eine größere Wählerschaft anzusprechen. Solch eine Neuausrichtung würde die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Zusammenarbeit mit Union und FDP erhöhen und hätte mächtige Befürworter wie Winfried Kretschmann, Ministerpräsident in Baden-Württemberg (regiert mit der CDU) und Robert Habeck, stellvertretender Ministerpräsident in einer Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein, der gerade seine Kandidatur für den Parteivorsitz angemeldet hat. Dies hätte allerdings einen großen ideologischen „Sprung“ zur Folge, der neue Flügelkämpfe innerhalb der Partei provozieren könnte. Interessanterweise gehören die Grünen und die FDP zu den einzigen Parteien, die keine nennenswerten Wählerwanderungen zur AfD zu verzeichnen hatten.
Das Profil der Linken wird von starken links-libertären Positionen geprägt. Die Partei vertritt die klarsten linken und libertären Forderungen im deutschen Parteiensystem. Die Linke verfolgt einen strikt antimilitaristischen Kurs, fordert mehr Einsatz im Kampf gegen den Klimawandel und setzt sich für eine multikulturelle Gesellschaft ein.
So klar diese Positionen auch erscheinen mögen, sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Partei intern tief zerstritten ist. Zum einen ist die Partei in einen pragmatischen und einen radikaleren linken Flügel gespalten. Dieser Umstand ist auf die Parteigründung im Jahr 2007 zurückzuführen. Die Linke war das Ergebnis der Fusion der ostdeutschen PDS, durch ihre Regierungserfahrung eher pragmatisch geprägt, und der radikaleren WASG, einer linken Protestpartei, die zwei Jahre zuvor als Reaktion auf die Agenda 2010 gegründet wurde. Der pragmatische (eher ostdeutsche) Flügel plädiert für gemäßigtere Positionen, um so eine rot-rot-grüne Koalition zu ermöglichen. Solch eine Koalition existiert auf Landesebene bereits in Berlin und Thüringen. Die Debatte wird jedoch zusätzlich erschwert, da frühere SPD-Mitglieder der Linken wie Oskar Lafontaine eine ideologische Annäherung an die SPD ablehnen.
Die zweite innerparteiliche Konfliktlinie speist sich aus der Beobachtung, dass bei den letzten Wahlen eine erhebliche Wählerwanderung von der Linken zur AfD zu beobachten war. Auf den ersten Blick mag es ungewöhnlich erscheinen, dass Wählerinnen und Wähler einer links-libertären Partei wie der Linken zu einer eindeutig rechtsgerichteten konservativen Partei wie der AfD wechseln. Diese Gruppe, vor allem Sozialschwache, fürchtet jedoch, dass sich angesichts der hohen Anzahl an aufgenommenen Flüchtlingen neue Umverteilungen ergeben, die dann zu ihren Lasten erfolgen. Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht gehörte zu den Köpfen innerhalb der Linken, die eine gezielte Ansprache eben jener abgewanderten Wählerschaft fordert, woraus bereits heftige interne Auseinandersetzungen resultiert sind. Da die Positionen dieser Flügel fast unvereinbar sind und ein Kompromiss nicht in greifbarer Nähe ist, sind Parteiaustritt oder sogar Abspaltungen des unterlegenen Flügels nicht auszuschließen.
Die CDU/CSU wird im Folgenden wie eine Partei behandelt, da sie mit einem gemeinsamen Wahlprogramm antraten, was vom „Bayernplan“ der CSU flankiert wurde. Obwohl die CDU/CSU sich ähnlich wirtschaftsfreundlich wie die FDP präsentiert, wird der Partei und insbesondere Kanzlerin und Parteichefin Merkel vorgeworfen, dass sie sich zu ausweichend und thematisch „flexibel“ präsentiert. Beim Thema Mindestlohnerhöhung positioniert sich die Partei beispielsweise neutral und verlangt die Einsetzung von unabhängigen Kommissionen.
Die Aufnahme einer großen Anzahl an Flüchtlingen hat zu internen Verwerfungen zwischen den beiden Schwesterparteien geführt. Im letzten Jahr wurden die Wählerinnen und Wähler Zeuge eines internen Machtkampfes um das konservative Profil der Partei. Die CSU hat hier vehement der Einführung einer Obergrenze für Flüchtlinge gefordert, um die Abwanderung von Wählerinnen und Wähler zur AfD zu stoppen. Nach der Wahl ist die Intensität der Debatte noch einmal angestiegen. Es ist zu erwarten, dass die CSU weiterhin auf eine konservative Neuausrichtung besteht, um sich für die 2018 anstehenden Landtagswahlen in Bayern in Position zu bringen. Momentan ist nicht abzusehen, wie sich der Richtungsschreit entwickeln könnte, da sich beide Parteien auf einen „Burgfrieden“ geeinigt zu haben scheinen, bis die Regierungsbildung abgeschlossen ist.
Die politische Landschaft verdeutlicht die großen ideologischen Differenzen zwischen SPD und CDU/CSU, die im Falle einer erneuten Großen Koalition überbrückt werden müssten. Die Union steht vor einem ähnlichen Dilemma wie die SPD. Beide Parteien haben eine klare Präferenz für einen Koalitionspartner, die aber vor dem Hintergrund eines polarisierten Sechs-Parteiensystems unwahrscheinlicher wird. Für die Union besteht in einer erneuten Großen Koalition die Gefahr, dass sie weiter an Profilschärfe verliert und bei der nächsten Wahl einen erneuten Stimmrückgang befürchten muss.
Für die Liberalen war die Bundestagswahl 2017 ein besonderes Ergebnis. Die FDP wurde 2013 aus dem Bundestag gewählt – eine ungewohnte Situation für die Partei mit den meisten Regierungsbeteiligungen aller Parteien in der deutschen Nachkriegsgeschichte. 2017 hat sie einen stark personalisierten Wahlkampf geführt, der auf Spitzenkandidat und Parteivorsitzen Christian Lindner zugeschnitten war, mit dem sie den Wiedereinzug in den Bundestag erreichte. Die FDP vertritt die wirtschaftsfreundlichsten Positionen aller Parteien mit einem Schwerpunkt auf die Themen Digitalisierung und Steuersenkungen.
In der Vergangenheit hatten die Liberalen bereits in einer sozialliberalen Koalition mit der SPD zusammengearbeitet (1969-1982). Aktuell ist eine „rot-gelb-grüne“ Koalition mit SPD und Grünen in Rheinland-Pfalz im Amt. Die aktuell äußerst wirtschaftsfreundlichen Positionen der FDP auf Bundesebene sind bereits nicht kompatibel mit der ideologischen Ausrichtung der SPD. Die aktuellen Entwicklungen deuten jedoch darauf hin, dass sich die FDP zudem in eine konservative Richtung entwickeln könnte. Während des Wahlkampfes hat sich die Partei bereits zuwanderungskritisch gegeben. Diese Positionen wurden auch während der Jamaika-Sondierungen mit CDU/CSU und Grünen betont. Die Liberalen haben aufgrund der fehlenden Übereinstimmungen mit den anderen Parteien die Gespräche abgebrochen, was eine riskante Entscheidung war. Durch die mangelnde Kompromissbereitschaft hat sie viele ihrer Kernwählerinnen und Kernwähler verärgert. Allerdings ist es ebenso möglich, dass sie zusätzliche Unterstützung aus einem anderen Lager gewinnen könnte. Umfrageergebnisse deuten darauf hin, dass AfD-Wählerinnen und Wähler mit der zuwanderungskritischen Haltung der FDP überzeugt werden können. Während die Wählerwanderung keine signifikanten Ströme von der FDP zur AfD aufweisen, könnte die FDP andersherum von einem Zustrom von AfD-Wählerinnen und Wählern bei kommenden Wahlen profitieren.
Seit der letzten Bundestagswahl 2013, bei der die AfD nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, hat die AfD eine Metamorphose von einer neo-liberalen Anti-Euro Partei hin zu einer national-populistischen Partei vollzogen. Obwohl die Partei weiterhin von wirtschaftsfreundlichen Positionen wie Steuersenkungen geprägt wird, hat sie noch keinen innerparteilichen Konsens bezüglich wichtiger Themen wie Renten oder der Bürgerversicherung erzielt. Die nächsten Parteitage werden hier zeigen, ob sich die Partei stärker nach links ausrichten wird und somit anderen populistischen Parteien der EU wie UKIP oder dem Front National folgt.
Für die AfD-Wählerschaft ist jedoch vor allem die kulturelle Konfliktlinie von größerer Bedeutung als soziale Themen. Die Partei dominiert öffentlich klar das Thema Zuwanderung und Integration. Vielmehr ist der Aufstieg der Partei eng mit der Bedeutungszunahme dieser Themen verbunden, der nach der Aufnahme einer hohen Anzahl von Flüchtlingen im Jahr 2015 zu verzeichnen ist. Die AfD ist äußerst erfolgreich darin, andere Parteien bezüglich des Themas Zuwanderung unter Druck zu setzen und hier konservativere Positionen einzunehmen, indem sie die Ängste der Bürgerinnen und Bürger instrumentalisiert.
Obwohl der gemäßigte Flügel um Parteigründer Lucke die Partei im Jahr 2015 verlassen hat, herrscht kein innerparteilicher Frieden. Momentan bestehen die größten Differenzen zwischen einem moderaten Flügel, der in naher Zukunft Regierungsverantwortung übernehmen möchte, und einem radikalen Anti-Establishment-Flügel, der jegliche Zusammenarbeit mit den anderen Parteien ablehnt und Fundamentalopposition betreiben möchte. Während des Wahlkampfes haben AfD-Vertreterinnen und Vertreter Tabus gebrochen und provoziert. So hat Spitzenkandidat Alexander Gauland vorgeschlagen, dass die türkischstämmige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, in „Anatolien entsorgt werden“ solle. Auch aufgrund solcher Äußerungen hat Parteichefin Frauke Petry die Partei einen Tag nach der Bundestagswahl verlassen, wobei der Austritt wohl auch als ein Racheakt für die Nichtaufstellung als Spitzenkandidatin zu sehen ist.
Die Grafik zeigt die Positionen der deutschen Parteien in einem zweidimensionalen politischen Raum, der auf 30 salienten Themen der aktuellen politischen Debatte basiert. Die wichtigsten Themen wurden durch ein Team wissenschaftlicher Expertinnen und Experten im Anschluss an eine Analyse des öffentlichen und parteilichen Diskurses ausgewählt. Jede themenbezogene Aussage wurde so formuliert, dass sie der ökonomischen Links-Rechts-Dimension oder der kulturellen Autoritär-Libertär-Dimension zugeordnet werden kann. Die horizontale Achse repräsentiert die ökonomische Dimension, welche bezüglich verschiedener Standpunkte in den Bereichen staatlicher Eingriff in die Wirtschaft, Umverteilung, Steuermodelle und Sozialstaat unterscheidet. Die vertikale Achse thematisiert die postmaterielle Konfliktlinie, deren Endpunkte zwischen libertären/progressiven Positionen und autoritär/konservativen Positionen differenziert. Typische Themen sind hier Multikulturalismus, Zuwanderung, nationale Identität, Gender und Umweltschutz. Die Parteien wurden bezüglich dieser Themen mithilfe einer fünfstufigen Skala („stimme überhaupt nicht zu“, „stimme zu“, „neutral“, „stimme zu“, „stimme vollkommen zu“) positioniert. Dazu wurden offizielle Quellen der Parteien herangezogen, die in Wahlprogrammen, auf ihren Websiten oder in anderer Form im Wahlkampf, wie über mediale Stellungnahmen, kommuniziert wurden. Alle Parteien wurden auch um eine Selbstpositionierung gebeten, die sie mit einer offiziellen Quelle, beispielsweise aus dem Wahlprogramm oder anderen autorisierten Quellen, dokumentieren sollten. Dieser Bitte sind alle Parteien außer der AfD nachgekommen. Im Anschluss wurden die Positionierung der Expertinnen und Experten mit der Selbstpositionierung der Parteien verglichen. Diskrepanzen wurden dann mit den Parteien besprochen und ausgeräumt. Wurde kein Konsens erzielt, weil beispielsweise die Textnachweise oder Argumentation der Parteien nicht überzeugend war, behielt sich das Team, bestehend aus Expertinnen und Experten, die letzte Entscheidung vor.
Der politische Raum der Karte wurde auf Basis der aggregierten Positionen der Parteien bezüglich der beiden Dimensionen (Links-Rechts/Libertär-Autoritär) berechnet. Die exakte Position einer Partei liegt in der Mitte der sie umgebenden Ellipse. Die Größe der Ellipse bezieht sich auf die Streuung (Standardabweichung) der Antworten der Parteien bezüglich der themenbezogenen Aussagen, die sich auf die jeweilige Achse bezieht. Eine Partei, die beispielsweise sowohl ökonomisch linke als auch rechte Positionen vertritt, ist von einer breiten Ellipse umgeben. Parteien, die sowohl libertäre als auch autoritäre Positionen vertreten, verfügen über eine längere Ellipse. Die Breite der Ellipsen bezieht sich also auf die Links-Rechts-Dimension, während die Länge der Ellipse durch die Libertär-Autoritäre-Dimension beeinflusst wird.
Text:
Jan Philipp Thomeczek - Promoviert an der Universität Duisburg-Essen
Schaubilder:
André Krouwel - Gründer von Kieskompas BV & Freie Universität Amsterdam
Yordan Kutiyski - Analyst - Kieskompas BV
Ognjan Denkovski – Analyst - Kieskompas BV
Oscar Moreda Laguna - General Operations Manager - Kieskompas BV
Projektkoordianation:
Oliver Philipp - Friedrich-Ebert-Stiftung
Arne Schildberg - Friedrich-Ebert-Stiftung
Strategy Debates Germany November 2017
Leitung
Dr. Michael Bröning
Kontakt
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