SPD
Obwohl die SPD an vier der letzten fünf Regierungen beteiligt war, befindet sich sie momentan in einer ihrer schwersten Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Vor allem die beiden Großen Koalitionen (2005-2009 und 2013-2017) resultierten in großen Verlusten, die 2017 schließlich im schlechtesten Ergebnis seit 1949 mündeten. Zum einen spricht sich die Partei für klare wirtschaftlich linke Positionen und „Korrekturen“ der Agenda 2010 von Gerhard Schröder aus. Andererseits werden diese Positionen von der wachsenden Fragmentierung und Polarisierung des Parteiensystems untergraben, indem die Öffentlichkeit sie an ihre Verantwortung für das Land erinnert und sie zu einer Großen Koalition drängt, wenn andere Regierungsbildungen scheitern. Da die Partei in hohem Maße Wählerinnen und Wähler an ideologisch höchst unterschiedliche Parteien wie Die Linke, Grüne, FDP und AfD verloren hat, wird die Rückgewinnung dieser Wählerschaft bis zur nächsten Bundestagswahl kaum möglich sein.
Obwohl die Partei einige ihrer Kernforderungen wie die Einführung eines Mindestlohns umsetzen konnte, fällt es der Partei sichtlich schwer diese Erfolge in Stimmen umzumünzen. Das ist zum Teil der Tatsache geschuldet, dass die Partei lediglich der Juniorpartner der Großen Koalition ist. Wenige Wochen vor der Wahl gelang der Partei ein Coup, als sie die gleichgeschlechtliche Ehe gegen den Widerstand der Union einführte. Die Wählerinnen und Wähler haben dies jedoch nicht honoriert, obwohl die „Ehe für alle“ von einer großen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wurde. Umfragen legen nahe, dass die Partei und ihr Personal positiv bewertet wird, doch es scheint, als wollten SPD Sympathisantinnen und Sympathisanten eine neue Große Koalition um jeden Preis verhindern. Der kurzzeitige Höhenflug im Frühling 2017, als die Partei in Umfragen einen Zuspruch von über 30 % erreichte, zeigt jedoch, dass das Potential für einen Wahlerfolg weiterhin vorhanden ist.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat einen engagierten Wahlkampf geführt und ist nicht unbeliebt bei den Wählerinnen und Wählern. Allerdings hatte er gegen die beliebte Kanzlerin Angela Merkel keine Chance. Obwohl gerade die letzten vier Jahre ihrer Kanzlerschaft zu einer großen Polarisierung der Gesellschaft führten, wie sich an den Wahlerfolgen der AfD ablesen lässt, sind ihre Beliebtheitswerte deutlicher höher als die von Schulz. Aufgrund ihres Engagements für Flüchtlinge und der Implementierung von eher „linken“ Forderungen wie dem Mindestlohn wird sie auch von mitte-links Wählern positiv bewertet, die eigentlich die Stammwählerschaft der SPD darstellen. Diese Situation könnte sich jedoch ändern, da Merkel wahrscheinlich innerhalb der nächsten Legislaturperiode ihre Kanzlerschaft abgibt und ihre Nachfolge innerhalb der Partei noch völlig offen ist.
Innerhalb des linken Lagers weist die SPD mit den meisten Forderungen der Grünen eine große Übereinstimmung auf. Große Distanz zur Linken besteht vor allem bezüglich der postmaterialistischen Konfliktlinie. Die Unvereinbarkeit der Positionen von SPD und Linken wird beispielsweise in der klaren antimilitaristischen Haltung der Linken deutlich, die drastische Maßnahmen wie den Austritt aus der NATO und den Abbruch aller Bundeswehr-Auslandsmissionen umfasst. Solche Positionen werden von der SPD nicht vertreten. Aus diesem Grund erscheint auch eine vieldiskutierte „Rot-Rot-Grün“-Koalition auf Bundesebene unwahrscheinlich, die von 2005 bis 2009 über eine Mehrheit verfügt hätte. Die Grünen sind der „natürliche“ Koalitionspartner der SPD, doch aufgrund der wachsenden Fragmentierung des deutschen Parteiensystems erscheinen Zwei-Parteien-Regierungen abseits der Großen Koalition unwahrscheinlich. Für eine rot-rot-grüne Koalition müssten sich alle drei Parteien deutlich aufeinander zubewegen, wobei eine solche Koalition momentan ohnehin keine Mehrheit im Bundestag hätte.
Grüne
Der Wahlkampf der Grünen wurde durch zwei Vertreterinnen und Vertreter des pragmatischen „Realo“-Flügels, Katrin Göring-Eckardt and Cem Özdemir, angeführt. Die Entscheidung der Parteimitglieder für die beiden Kandidierenden wurde als Vorbote einer Jamaika-Koalition mit Union und FDP angesehen, war aber auch die Reaktion eines eher enttäuschenden „linken“ Wahlkampfs im Jahr 2013. Nach der Wahl hatte die FDP die Verhandlungen zu solch einer Koalition abgebrochen. Der Blick auf die politische Landschaft verdeutlicht, wie groß die ideologischen Differenzen zwischen Grünen einerseits und CDU/CSU und FDP andererseits sind, die sicherlich ein Grund für den Abbruch der Verhandlungen waren.
Die Grünen stehen vor dem vielleicht größten strategischen Dilemma aller Parteien. Obwohl die Partei mit ihrem Wahlergebnis zufrieden sein kann – ihre Umfrageergebnisse wenige Wochen vor der Wahl waren deutlich schlechter – treten sie mit diesem Ergebnis auf der Stelle. Der linke „Fundi“-Flügel möchte eine stärkere links-libertäre Ausrichtung und strebt eine rot-rot-grüne Koalition mit SPD und Linken an. Obwohl die als tendenziell links geltenden Mitglieder der Grünen solch eine Koalition vermutlich begrüßen würden, ist die SPD momentan zu schwach für dieses Unterfangen.
Der pragmatische „Realo“-Flügel spricht sich hingegen für eine Öffnung zur Mitte aus, um dort eine größere Wählerschaft anzusprechen. Solch eine Neuausrichtung würde die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Zusammenarbeit mit Union und FDP erhöhen und hätte mächtige Befürworter wie Winfried Kretschmann, Ministerpräsident in Baden-Württemberg (regiert mit der CDU) und Robert Habeck, stellvertretender Ministerpräsident in einer Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein, der gerade seine Kandidatur für den Parteivorsitz angemeldet hat. Dies hätte allerdings einen großen ideologischen „Sprung“ zur Folge, der neue Flügelkämpfe innerhalb der Partei provozieren könnte. Interessanterweise gehören die Grünen und die FDP zu den einzigen Parteien, die keine nennenswerten Wählerwanderungen zur AfD zu verzeichnen hatten.
Die Linke
Das Profil der Linken wird von starken links-libertären Positionen geprägt. Die Partei vertritt die klarsten linken und libertären Forderungen im deutschen Parteiensystem. Die Linke verfolgt einen strikt antimilitaristischen Kurs, fordert mehr Einsatz im Kampf gegen den Klimawandel und setzt sich für eine multikulturelle Gesellschaft ein.
So klar diese Positionen auch erscheinen mögen, sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Partei intern tief zerstritten ist. Zum einen ist die Partei in einen pragmatischen und einen radikaleren linken Flügel gespalten. Dieser Umstand ist auf die Parteigründung im Jahr 2007 zurückzuführen. Die Linke war das Ergebnis der Fusion der ostdeutschen PDS, durch ihre Regierungserfahrung eher pragmatisch geprägt, und der radikaleren WASG, einer linken Protestpartei, die zwei Jahre zuvor als Reaktion auf die Agenda 2010 gegründet wurde. Der pragmatische (eher ostdeutsche) Flügel plädiert für gemäßigtere Positionen, um so eine rot-rot-grüne Koalition zu ermöglichen. Solch eine Koalition existiert auf Landesebene bereits in Berlin und Thüringen. Die Debatte wird jedoch zusätzlich erschwert, da frühere SPD-Mitglieder der Linken wie Oskar Lafontaine eine ideologische Annäherung an die SPD ablehnen.
Die zweite innerparteiliche Konfliktlinie speist sich aus der Beobachtung, dass bei den letzten Wahlen eine erhebliche Wählerwanderung von der Linken zur AfD zu beobachten war. Auf den ersten Blick mag es ungewöhnlich erscheinen, dass Wählerinnen und Wähler einer links-libertären Partei wie der Linken zu einer eindeutig rechtsgerichteten konservativen Partei wie der AfD wechseln. Diese Gruppe, vor allem Sozialschwache, fürchtet jedoch, dass sich angesichts der hohen Anzahl an aufgenommenen Flüchtlingen neue Umverteilungen ergeben, die dann zu ihren Lasten erfolgen. Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht gehörte zu den Köpfen innerhalb der Linken, die eine gezielte Ansprache eben jener abgewanderten Wählerschaft fordert, woraus bereits heftige interne Auseinandersetzungen resultiert sind. Da die Positionen dieser Flügel fast unvereinbar sind und ein Kompromiss nicht in greifbarer Nähe ist, sind Parteiaustritt oder sogar Abspaltungen des unterlegenen Flügels nicht auszuschließen.