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Das Ergebnis der französischen Präsidentschaftswahlen 2017 war ein Debakel für die etablierten Parteien. Dabei hatten zwei Parteien die Politik in der Geschichte der fünften Republik maßgeblich geprägt: Die Republikaner (LR) (und ihre gaullistischen Vorgängerparteien) sowie die Parti Socialiste (PS). Allerdings stellten die beiden Kandidaten der PS und der LR - Benoît Hamon (6,3 Prozent) und François Fillon (20%) - einen neuen Negativrekord auf und kamen zusammen auf lediglich 26,3 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2007 erzielten die Kandidaten der PS und der LR zusammen 66 Prozent und 2012 immerhin noch 55,8 Prozent. Insbesondere Benoît Hamon verlor in der ersten Runde 20 Prozent gegenüber dem Ergebnis von François Hollande im Jahr 2012.
Ein Grund für das schlechte Wahlergebnis der beiden Traditionsparteien ist die Entstehung von neuen politischen Bewegungen mit „En Marche“ und „La France Insoumise“, angeführt von den jeweiligen Spitzenpolitikern Emmanuel Macron und Jean-Luc Mélenchon, die jeweils politisch in der Mitte bzw. links von der PS zu verorten sind.
Außerdem konnte Hamon, der den linken Flügel des PS repräsentiert, weder den Verlust sozial-liberaler Wähler an Macron verhindern, noch mit Mélenchon konkurrieren. Letzterer hatte seinen Wahlkampf deutlich früher begonnen und erfolgreich die traditionellen Linken-Themen Vermögensverteilung und ökologischen Wandel besetzen können.
Ungeachtet eines enttäuschenden Wahlkampfes konnte Marine Le Pen mit 21,3 Prozent in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen einziehen. Dieses Ergebnis bestätigt den positiven Trend der Partei, der seit Marine Le Pen den Posten der Parteivorsitzenden im Jahr 2011 übernommen hatte, anhält. Im Vergleich zu den Präsidentschaftswahlen 2012 vor fünf Jahren konnte sie 1,2 Millionen zusätzliche Wähler gewinnen. Nichtsdestotrotz gilt es als unwahrscheinlich, dass der FN am 7. Mai siegreich sein wird. Marine Le Pen verfolgt viel mehr das Ziel, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, um im Hinblick auf die Parlamentswahlen im Juni und die Präsidentschaftswahlen 2022 ihre Legitimität zu unterstreichen.
Die Gründungen von „En Marche“ und „La France Insoumise“ sowie das Wahlergebnis der ersten Runde gleichen einem Erdrutsch in der französischen Politik. Hiervon betroffen ist vor allem die Linke, da Macron 23,8 Prozent und Mélenchon 19 Prozent erzielen konnten. Nachdem, mit Ausnahme von Mélenchon, die wichtigsten Kandidaten der französischen Präsidentschaftswahlen 2017, Macron ihre Unterstützung zugesagt haben, gilt dieserals der wahrscheinlichste nächste Präsident Frankreichs. Mit großer Spannung werdenallerdings die Parlamentswahlen im Juni erwartet.
Das Zwei-Runden-Wahlsystem hat sich in der Vergangenheit für neue politische Akteure als Nachteil erwiesen: Francois Bayrou, ein Politiker der Mitte, erzielte 2007, ebenso wie die Rechtspopulistin Marine Le Pen im Jahr 2012, 18 Prozent, um anschließend bei den Parlamentswahlen im Juni darauf, lediglich drei bzw. zwei Parlamentssitze gewinnen zu können.
Durch die Krise in der PS und den unwahrscheinlichen Sieg einer Mitte-geführten Mehrheit bei den Parlamentswahlen im Juni werden die Karten für eine Neuaufstellung der französischen Linken neu gemischt. Es bleibt abzuwarten, ob sie sich nach links mit „La France insoumise“ oder in die Mitte mit „En Marche!“ entwickelt.
Der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017 war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Zum einen bemühte sich erstmals in der Fünften Französischen Republik der amtierende Präsident vom Parti Socialiste (PS), François Hollande, nicht um eine zweite Amtszeit.
Zum anderen hielten die beiden größten politischen Parteien – Les Républicains (LR) und die PS – Vorwahlen ab, die Republikaner im November 2016, die Parti Socialiste im Januar 2017. Mit den Republikanern setzte zum ersten Mal eine politische Partei der französischen Rechten eine Vorwahl an, die Sozialisten hatten bereits 2006 und 2011 welche organisiert. In beiden Fällen fielen diesmal vormals mächtige Persönlichkeiten durch (Alain Juppé und Nicolas Sarkozy bei den Republikanern und Manuel Valls bei den Sozialisten), und Außenseiterkandidaten sicherten sich den Sieg: François Fillon für LR und Benoît Hamon für die PS. Beide beschworen die Kernwerte ihrer jeweiligen politischen Familie und polarisierten durch die Ablehnung gemäßigter Positionen.
Parallel zu diesen Vorwahlen trat als ernsthafter Kandidat für das Präsidentenamt auch Emmanuel Macron in Erscheinung, der vor drei Jahren in der Öffentlichkeit noch völlig unbekannt war. Macron, 2014 bis 2016 Wirtschaftsminister, verließ das Kabinett, um seine politische Bewegung „En Marche!“ mit einer gemäßigten und liberalen politischen Ausrichtung ins Leben zu rufen. Mit seinen 39 Jahren könnte er der jüngste französische Präsident aller Zeiten werden. Paradoxerweise wirken angesichts dieser politischen Verschiebungen die beiden radikalen Kandidaten Marine Le Pen auf der ultrarechten und Jean-Luc Mélenchon auf der ultralinken Seite geradezu wie Fixpunkte in der politischen Landschaft Frankreichs, denn beide traten schon 2012 als Präsidentschaftskandidaten an.
Zu den politischen Positionen der Kandidaten lässt sich dreierlei beobachten. Erstens stehen mit Macron und Fillon in dieser Wahl nur zwei von elf Kandidaten auf der wirtschaftsliberalen Seite der politischen Landschaft. Dieses Übergewicht des Staatsinterventionismus im Bereich der Wirtschaft ist und bleibt eine Besonderheit der französischen Politik. Zweitens ist in beiden Dimensionen der politischen Landschaft (der sozioökonomischen und der kulturellen) eine starke Polarisierung der Hauptkandidaten zu beobachten. Fillon und Mélenchon bilden die beiden Extreme der sozioökonomischen Dimension, während Hamon und Le Pen am ehesten die Extreme der kulturellen Dimension markieren. Jeder dieser vier Kandidaten besetzt eine spezifische und ausgeprägte Position in der politischen Landschaft, sodass die Wählerschaft aus klaren politischen Alternativen auswählen kann. Die Polarisierung der politischen Positionen und insbesondere die Polarisierung der Kandidaten aus den beiden Mainstream-Parteien (Hamon und Fillon) lässt viel Raum für einen moderaten Kandidaten. Macron bemüht sich, dieses politische Lücke zu füllen. Auf den ersten Blick ist seine Position von den anderen Hauptkandidaten weit entfernt, doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass er in der kulturellen Dimension Hamon nahesteht und in der wirtschaftlichen Fillon. Dank dieser Positionierung erreicht er eine breite Wählerschaft in der gesamten politischen Landschaft und schneidet daher in den Umfragen gut ab.
Eigentlich hätten dermaßen polarisierte und verschiedenartige Alternativen im Wahlkampf eine leidenschaftliche Debatte und ein gesteigertes Interesse der französischen Wählerinnen und Wähler nach sich ziehen müssen. Doch ungeachtet dieser Polarisierung sagen sämtliche Umfragen die schlechteste Wahlbeteiligung aller Zeiten für eine Präsidentschaftswahl voraus, noch schlechter als in der ersten Runde 2002, als der Parteichef des Front National Jean-Marie Le Pen den sozialistischen Kandidaten Lionel Jospin besiegte und in den zweiten Wahlgang gelangte. Das politische Desinteresse, das sich in den Umfragen niederschlägt, ist vermutlich eine Folge der zahlreichen Skandale während des Wahlkampfs. Seit Ende Januar waren erst Fillon und dann Le Pen in Untreueskandale verwickelt, die direkt oder indirekt mit ihrer jeweiligen Partei verquickt waren. Wie eine Seifenoper beherrschte das so genannte „Fillon-Gate“ etwa zwei Monate lang die Schlagzeilen und sorgte für dramatische Aufrufe seiner Gegenkandidaten, er möge sich aus dem Rennen zurückziehen, während seine Anhänger Medien, Richter und sogar den Präsidenten der Republik der politischen Hexenjagd bezichtigten.
Da eine klare politische Debatte fehlt, könnten die Wahlkampfdynamik und das Image der Kandidaten den Entscheidungsprozess unentschlossener Wählerinnen und Wähler stark beeinflussen: Drei Wochen vor der ersten Runde waren rund 40 Prozent unentschieden. Umfragen zeigten für die fünf Hauptkandidaten eine recht unterschiedliche Dynamik. Le Pen erzielte monatelang und ohne größere Schwankungen regelmäßig 22 bis 25 Prozent. Fillon, der Anfang 2017 in den Umfragen führte, verlor seit Bekanntwerden des Skandals fast 10 Prozentpunkte und liegt nun bei etwa 18 bis 20 Prozent. Macron, der von Fillons Niedergang und der Unterstützung durch den gemäßigten Politiker François Bayrou profitierte, zog mit Le Pen gleich und liegt derzeit ebenfalls bei 22 bis 25 Prozent. Auf der Linken erreichte Hamon nach seinem Vorwahlsieg im Januar gut 15 Prozent, ist jedoch mittlerweile auf unter 10 Prozent abgerutscht, weil er sich nicht als Anführer der zersplitterten Linken etablieren konnte. Der schwache Wahlkampf Hamons nützt dem ultralinken Kandidaten Mélenchon, der in den letzten beiden Monaten von 10 Prozent auf 18 bis 20 Prozent zugelegt hat.
Dieses Gesamtbild des französischen Präsidentschaftswahlkampfes 2017 ist von starken Schwankungen und großer Unentschlossenheit geprägt, und die anhaltende Dynamik lässt darauf schließen, dass die Wahl bis zur letzten Minute offenbleiben könnte.
Unter François Hollandes Präsidentschaft teilte sich die Sozialistische Partei in zwei Gruppen: die sozialliberale Mehrheit, die hinter der Wirtschaftspolitik der Regierung stand, und eine Minderheit „linksgerichteter Rebellen“, die regelmäßig wirtschaftliche Strukturreformen ablehnt und der Regierung sogar mit einem Misstrauensantrag drohte. Diese beiden Gruppierungen vertreten vor allem in Hinblick auf die Deregulierung des Arbeitsmarktes und die Senkung der Staatsverschuldung unterschiedliche Positionen. Im letzten Punkt erstreckt sich die Uneinigkeit auch auf den Umgang mit der Staatsschuldenkrise in der Eurozone: Die „Rebellen“ sehen diesen kritisch und befürworten höhere öffentliche Investitionen und mehr sozialpolitische Maßnahmen auf europäischer Ebene. Diesem Lager gehört Benoît Hamon an. Er war 2012 bis 2014 Regierungsmitglied, trat aber gemeinsam mit weiteren Kollegen zurück, weil er mit der damaligen Wirtschaftspolitik nicht einverstanden war (im Zuge der Kabinettsumbildung, die durch den Rücktritt Hamons und anderer Minister nötig wurde, gelangte Emmanuel Macron in die Regierung).
Der Sieg Hamons in der Vorwahl der Sozialistischen Partei und ihrer Verbündeten im Januar 2017 markiert eine ideologische Neuausrichtung der Partei. Hamon warb im Vorfeld intensiv für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, den ökologischen Wandel, die Sicherung von Arbeitsplätzen, eine Robotersteuer, die Abschaffung des unter Manuel Valls eingeführten Arbeitsrechts und schließlich die Einführung humanitärer Visa für Flüchtlinge. Die wichtigsten Punkte seines Wahlprogramms waren nicht dazu angetan, den sozialliberalen Sozialisten die Hand zu reichen, sondern sollten die Partei stärker links und ökologisch positionieren. Im Zuge dieser ideologischen Verlagerung und nach einer Absprache für die Parlamentswahl gab der Kandidat der Grünen Yannick Jadot seine Kandidatur auf und unterstützte Hamons Wahlkampf. Diese neue Allianz brachte es jedoch mit sich, dass immer mehr sozialistische Parlamentarier Hamon ihre Unterstützung entzogen und sich Macron zuwandten. Einer der namhaftesten ist der frühere Ministerpräsident Manuel Valls, der in der zweiten Vorwahlrunde gegen Hamon angetreten war. In der Vorwahldebatte hatte Valls noch erklärt, er werde Hamon unterstützen, sollte dieser die Vorwahl gewinnen.
Nachdem er die Vorwahl der Sozialisten gewonnen hatte, führte Hamon vor Jean-Luc Mélenchon. Mittlerweile haben sich die Werte der beiden aber umgedreht: Mélenchon liegt bei 18 Prozent, während Hamon auf unter 10 Prozent gesunken ist. Dieser wahlkampfdynamische Umschwung hängt damit zusammen, dass sich einerseits die Wahlprogramme der beiden linken Kandidaten stark ähneln (ökologischer Wandel, die Sicherung von Arbeitsplätzen, progressive Werte und der Ruf nach einer Sechsten Republik), andererseits Hamon seine Wahlkampagne nicht personalisiert hat, die Dynamik der Präsidentschaftswahl in der Fünften Französischen Republik dies aber geradezu zwingend erfordert.
Abgesehen von der kurzen Zeitspanne zwischen 1986 und 1988 konnte die konservative Partei Frankreichs (RPR in den 1990er Jahren, UMP in den 2000ern und Les Républicains heute) aufgrund ihres staatszentralistischen gaullistischen Erbes nie eine gänzlich wirtschaftsliberale Politik betreiben. Auch Nicolas Sarkozy, der 2007 mit einem relativ wirtschaftsliberalen Programm Präsident wurde, zwang die Finanzkrise 2008 zu staatlichen Interventionen. Der Sieg Fillons in den Vorwahlen im November 2016 brachte für die französischen Konservativen daher eine ideologische Klärung. Fillons Programm ist eine Synthese aus harten wirtschaftlichen Strukturreformen, die er selbst als „radikal“ bezeichnet, und einem sozialen und kulturellen Konservatismus, der in Fragen von Recht und Ordnung entschiedene Positionen vertritt und traditionelle Werte verteidigt. Fillon macht seinen christlichen Glauben öffentlich zum Thema und tritt für den Kampf gegen den islamischen Terrorismus ein.
Unter den Strukturreformen, die besonders häufig genannt werden, wird ein Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst um 10 Prozent (etwa 500 000 Stellen), die Erhöhung des Renteneintrittsalters, die Deregulierung des Arbeitsmarktes und die Senkung der Unternehmenssteuern verstanden. Vor den Vorwahlen trat Fillon auch für Ausgabenkürzungen in der Sozialhilfe ein, doch als seine Gegner behaupteten, er wolle die französische Sozialhilfe privatisieren, strich er diese Maßnahmen aus seinem Programm für den Präsidentschaftswahlkampf. Zusätzlich zu diesen politischen Angriffen litt seine Wahlkampagne seit Ende Januar unter den Skandalen um ihn und seine Frau (beide stehen derzeit wegen Veruntreuung und Unterschlagung von Firmenvermögen unter Anklage). Diese Skandale kosteten seine Partei nicht nur Stimmen und seine Kandidatur Unterstützer (mehrere Wahlkampfmitarbeiter zogen sich zurück), sondern sie verhinderten auch, dass er seine Anliegen im Wahlkampf thematisieren konnte, insbesondere die Kürzung öffentlicher Ausgaben und die harten Strukturreformen. In der Kluft, die sich zwischen seinen Reden und den Skandalen um öffentliche Gelder öffnete, ging sein Bekenntnis zur „Austerität“ unter. In diesem Klima, in dem Fillon für seine politischen Vorhaben kaum noch werben konnte, beschränkte er sich auf konservative Grundüberzeugungen: die freie Marktwirtschaft, Steuersenkungen für Unternehmen, Recht und Ordnung sowie staatliche Autorität in nationalen und internationalen Fragen.
Fillon wendet sich darüber hinaus gegen eine weitere europäische Integration und tritt für eine Europäische Union ein, deren Schwerpunkt stärker auf den nationalen Regierungen und weniger auf supranationalen Institutionen liegt.
Marine Le Pens Hauptaufgabe im Präsidentschaftswahlkampf 2017 war es, das Bild des Front National und seiner Politik weich zu zeichnen, damit er als glaubhafte Regierungspartei wahrgenommen wird. Die zentralen politischen Vorhaben des Front National haben sich jedoch nicht geändert und bilden nach wie vor den Mittelpunkt ihres Programms.
Le Pens Wahlprogramm ist für die Wirtschaft stark protektionistisch ausgerichtet. Le Pen lehnt Freihandelsabkommen ab, setzt sich für einen Austritt aus der Eurozone und der Europäischen Union ein (gestützt durch eine Volksabstimmung), für eine Importsteuer und für ein Ende der EU- und Arbeitsmigration. Zweitens vertritt sie eine einwanderungsfeindliche Haltung: Zum einen plant sie, die legale Einwanderung pro Jahr auf 10 000 Personen zu begrenzen und Firmen, die Ausländer einstellen, zusätzlich zu besteuern, zum anderen vertritt sie einen Sozialstaatschauvinismus, denn legale Einwanderer sollen zwei Jahre lang Sozialbeiträge zahlen, ehe sie dieselben Sozialleistungen erhalten könnten wie französische Bürger. Und schließlich hat sich die „Verteidigung der Republik“ zu einem Grundpfeiler des „neuen FN“ entwickelt. Die republikanischen Werte Frankreichs, so Le Pen, müssten vor dem islamischen Fundamentalismus beschützt werden. Die Verteidigung der Republik findet sich auch in den wirtschaftlichen Positionen wieder. Le Pen spricht sich für die Beibehaltung öffentlicher Dienstleistungen aus, etwa Postämter in ländlichen Gebieten und Polizeieinheiten im städtischen Umfeld.
Mithilfe dieser Gesamtstrategie soll der FN auch als „patriotische gaullistische Partei“ präsentiert werden. Jüngste Aussagen Le Pens und hochrangiger Parteimitglieder, denen zufolge der französische Staat nicht für das Vichy-Regime im Zweiten Weltkrieg und die antisemitische Politik verantwortlich gewesen sei, belegen, dass sich der FN von seinen historischen Wurzeln zu entfernen versucht. Die Partei wurde 1972 von Bewunderern des autoritären Vichy-Regimes gegründet. Mit dieser „Umkehrung der Geschichte“ übernimmt der FN die gaullistische Darstellung, der zufolge sich das „echte Frankreich“ mit General de Gaulle in London aufhielt und an der Seite der Alliierten kämpfte. Diese neue Sprachregelung ist Teil einer Gegenbewegung gegen die historische Reuehaltung Frankreichs, die Nicolas Sarkozy in seinem Wahlkampf 2007 eingeleitet hatte und die der FN nun stark vertritt.
Emmanuel Macron und seine vor einem Jahr gegründete politische Bewegung „En Marche!“ sind die jüngsten politischen Akteure in der französischen Politik. Der frühere Wirtschaftsberater Präsident François Hollandes und ehemalige Wirtschaftsminister (2014 bis 2016) setzt sich klar von der Wirtschaftspolitik der Regierung ab, deren Mitglied er war. Er tut dies mit einer liberalen Agenda, sowohl in wirtschaftlichen wie auch in kulturellen Fragen.
In der Wirtschaft zielt er auf einen Abbau der Staatsverschuldung ab, insbesondere durch die Kürzung der Ausgaben für Sozialhilfe und Arbeitslosigkeit. Zusätzlich plant er Strukturreformen zur Modernisierung der französischen Verwaltung, eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes und eine Vereinheitlichung des Renten- und Pensionssystems. Parallel zu diesen Strukturreformen sieht sein Wahlprogramm einen Investitionsplan über 50 Milliarden Euro vor, 15 davon für die Ausbildung und Fortbildung Jugendlicher und Arbeitsloser, aber auch für den Ausbau erneuerbarer Energien und der Bio-Landwirtschaft. Anders als die progressiven Kandidaten (Hamon und Mélenchon) plant Macron keinen Ausstieg aus der Kernenergie, sondern lediglich eine Reduzierung der Atomkraft im französischen Strommix auf 50 Prozent (derzeit sind es über 70 Prozent). In kulturellen Fragen setzt Macron wie schon erwähnt auf einen progressiven ökologischen Wandel. Er unterstützt ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare, hat sich aber zum Thema Sterbehilfe noch nicht geäußert.
Macrons politische Bewegung hat im politischen Spektrum sowohl links als auch rechts der Mitte Anhänger gefunden. Insbesondere viele Abgeordnete und Bürgermeister der Sozialistischen Partei unterstützen Macrons Kandidatur. „En Marche!“ hat für die Parlamentswahl im Juni bereits Kandidaten gewonnen, die zur Hälfte als Politikneulinge aus der Zivilgesellschaft kommen. Im Falle eines Wahlsiegs in der Präsidentschaftswahl im Mai wird die Parlamentswahl für Macron besonders wichtig werden, weil er in der Französischen Nationalversammlung sehr wahrscheinlich keine Mehrheit haben wird und mit einer Parteienkoalition regieren muss, die sich womöglich als instabil herausstellen könnte.
Jean-Luc Mélenchon begann seinen Wahlkampf vor über einem Jahr mit der Gründung der neuen politischen Bewegung „La France Insoumise“, die mittlerweile mehr als 400 000 Mitglieder hat. Mélenchon will nicht nur in der Präsidentschaftswahl gut abschneiden, sondern auch die Parti Socialiste (Sozialistische Partei) als wichtigste Partei der französischen Linken ablösen. Politisch verfolgt er dieses Ziel vor allem mit einer Art Sammelprogramm für alle Linken.
Sein Wirtschaftsprogramm stützt sich auf Staatsinterventionismus, Vermögensumverteilung und die Sicherung von Arbeitsplätzen. 100 Milliarden Euro an öffentlichen Investitionen sollen die Wirtschaft ankurbeln. Außerdem plant Mélenchon eine Steuer von 100 Prozent auf alle Jahreseinkommen über 400 000 Euro sowie eine Universalsteuer, nach der alle französischen Bürger Einkommensteuer in Frankreich zahlen, auch wenn sie im Ausland leben (französische Bürger im Ausland zahlen danach die Differenz zur Einkommensteuer in dem Land, in dem sie leben). Einige der unter Präsident Hollande erlassenen Gesetze zur Deregulierung des Arbeitsmarktes würde er wieder aufheben. Mélenchon hat zudem den ökologischen Wandel in den Mittelpunkt seines Programms gestellt. Danach soll die Kernkraft durch erneuerbare Energien ersetzt, die Bio-Landwirtschaft (etwa durch verpflichtende Bio-Verpflegung in Schulmensen) ausgebaut und die „Blue Economy“ entwickelt werden. Wie schon in der Vergangenheit steht Mélenchon der Europäischen Union überaus kritisch gegenüber: Er sprach sich für eine Neuverhandlung der EU-Verträge aus, um die „Austeritätspolitik“ zu beenden und eine soziale, fiskalische und ökologische Harmonisierung nach oben zu erreichen. Sollten die Verhandlungen scheitern, würde er einen „Frexit“ aus den EU-Verträgen unterstützen. Er vertritt auch die Gründung einer Sechsten Republik, um durch die Einrichtung einer Verfassungsgebenden Versammlung die derzeitige „republikanische Monarchie“ zu beenden, „in der dem Präsidenten zu viel Macht eingeräumt wird“.
Schließlich setzt er sich für individuelle Freiheiten ein (etwa ein Recht auf Sterbehilfe und ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare), spricht sich aber auch für eine Stärkung des Staates aus (verpflichtender Zivildienst mit der Option, ihn als Militärdienst abzuleisten).
Auf dem Schaubild oben sind die Positionen der französischen Kandidaten auf einer zweidimensionalen Karte verzeichnet. Grundlage bilden die 30 wichtigsten Aussagen über besonders relevante Politikthemen in der derzeitigen politischen Debatte. Diese Inhalte gehen aus einer gründlichen Auswertung der Parteiprogramme und des politischen (Medien-) Diskurses durch ein Team aus Wissenschaftlern und Experten hervor. Jede dieser Aussagen bezieht sich auf einen politischen Inhalt, der sich als „links“ oder „rechts“ beziehungsweise als „libertär“ oder „autoritär“ einordnen lässt. Die Antworten auf diese Aussagen liegen auf einer fünfstufigen Skala: „Stimme überhaupt nicht zu“, „Stimme nicht zu“, „Neutral“, „Stimme zu“, „Stimme vollständig zu“. Die Position der Kandidaten zu diesen Aussagen ist jeweils entsprechend ihren offiziellen Verlautbarungen in Veröffentlichungen, Wahlkampfdokumenten und Medienauftritten kodiert.
Die Schaubidler entstanden auf Basis sämtlicher Positionen der Kandidaten in den beiden Dimensionen (der Links-Rechts- und der Libertär-Autoritär-Dimension). Die tatsächliche Position des Kandidaten liegt im Zentrum der jeweiligen Ellipse. Die Ellipsen repräsentieren die Standardabweichungen der Antworten der Kandidaten auf alle Aussagen, die für den Aufbau der Achsen verwendet wurden. Daher ist die Ellipse von Kandidaten mit sowohl linken wie auch rechten politischen Inhalten auf der Links-Rechts-Achse breiter. Parteien mit sowohl libertären als auch autoritären Politikinhalte verzeichnen eine längere Ellipse auf der Libertär-Autoritären Achse.
Texte:
Thomas Vitiello - Sciences Po Paris, ISCOM Paris and IES Abroad Nice
Schaubilder:
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Oscar Moreda Laguna - General operations manager - Kieskompas BV
Yordan Kutiyski - Analyst - Kieskompas BV
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Arne Schildberg - Friedrich-Ebert-Stiftung
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