Im Mai 2019 hat Frankreich seine insgesamt 79 Europaabgeordneten nach dem Verhältniswahlrecht gewählt, wobei nur ein einziger Wahlkreis existierte.
Expertinnen und Experten haben hervorgehoben, dass das westliche politische System durch den Einfluss der Globalisierung zunehmend durch eine neue Konfliktlinie geprägt wird, die zwischen Grün-Liberal-Alternativen Werten (den “Globalisten”) auf der einen und Traditionell-Autoritär-Nationalistischen Werten (den “Nationalisten”) auf der anderen Seite unterscheidet. Besonders sichtbar wurde diese neue Konfliktlinie im zweiten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen 2017 zwischen Marine Le Pen und Emmanuel Macron.
Die französische politische Landschaft zur Europawahl 2019 hat die Konfliktlinie zwischen den ”Globalisten” und “Nationalisten” erneut verdeutlicht. Im oberen Bereich der Grafik zur politischen Landschaft befinden sich entsprechend die pro-europäischen Parteien, die sich für eine Vertiefung der europäischen Integration aussprechen.
Im Quadranten rechts oben findet sich die Parteiliste Renaissance, die von Macron’s La République en Marche und den Parteien seiner Koalition (der gemäßigten Modem und der mitte-rechts Partei Agir) unterstützt wird. Während des Wahlkampfes hat sich Renaissance eindeutig zur Europäischen Union bekannt, die als starker Akteur in einer globalisierten Welt auftreten soll und seine Bürgerinnen und Bürger vor internationalen wirtschaftlichen und geopolitischen Konflikten schützen soll.
Im Quadranten oben links befinden sich die Parteilisten Génération.s,Europe Ecologie-Les Verts und Envie d’Europe, wobei letztgenannte von der Sozialistischen Partei Frankreichs unterstützt wird. Diese Parteien kritisieren teilweise das Demokratiedefizit innerhalb der EU-Institutionen und den Mangel an sozialen und ökologischen Inhalten, betrachten die EU aber trotzdem als die angemessenste Form des Regierens, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts (v. a. Globalisierung und der Kampf gegen den Klimawandel) zu begegnen.
Auf der anderen Seite der politischen Landschaft, am unteren Ende, befindet sich die französische Anti-EU-Partei: Marine Le Pens Rassemblement National (ehemals Front National). Als klare Gegnerin einer vertieften Europäischen Integration unterstützt RN eine Re-Nationalisierung und propagiert die Idee, dass die nationale und nicht die europäische Ebene die effizienteste Form des Regierens sei, um die Herausforderungen der Gesellschaft in Europa zu bewältigen.
Zwischen diesen beiden Lagern befinden sich die EU-kritischen Parteien. Auf der linken Seite des politischen Spektrums ist La France Insoumise, die den aktuellen institutionellen Rahmen der EU als ungeeignet ansieht, um die notwendigen sozialen und umweltpolitischen Reformen in Hinblick auf Herausforderungen wie wirtschaftliche Integration und den Klimawandel umzusetzen. Ohne einen Austritt aus der EU zu fordern, möchte LFI ein Kräftegleichgewicht installieren und damit drohen, die Europäischen Verträge nicht einzuhalten, um die nationale und europäische Politik zu verändern.
Auf der rechten Seite befinden sich Les Républicains. Während des Wahlkampfs forderte die Partei, dass die Handlungsmöglichkeiten der EU neu definiert werden müssten. So müssten Bereiche abgesteckt werden, in denen die EU einen nützlichen Eigenwert hat und solche, in denen die Mitgliedstaaten mehr Freiheiten und Flexibilität für eigene Entscheidungen erhalten.
Die Politisierung des Wahlkampfs für die Europawahlen 2019
Die Wahlbeteiligung stieg in Frankreich um 8 Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl 2014, von 42 % auf 50 %. Die Beteiligung stieg aufgrund der frühen Politisierung des Wahlkampfs. Strittige Themen waren die persönliche Machtausübung Emmanuel Macrons, die Gelbwesten-Proteste, die Frankreich seit Monaten erschütterten und die öffentliche Debatte um Umweltschutz.
Während der Gedenkfeierlichkeiten zum Ende des Ersten Weltkriegs im November 2018 begann Emmanuel Macron bereits damit, die anstehenden Europawahlen als Schlachtfeld zwischen “Kräften des Fortschritts” und “Kräften des Nationalismus” zu deklarieren. In den folgenden Monaten veröffentlichte Macron am 3. März 2019 einen öffentlichen Brief in vielen europäischen Zeitungen mit dem Titel “Für einen Neubeginn in Europa”, in dem er sein Projekt und Ideen für das zukünftige Europa beschrieb. Sein persönliches Engagement kombiniert mit den großen persönlichen Machtmöglichkeiten, welche die französische Verfassung dem Präsidenten garantiert, ermöglichten es den Oppositionsparteien, insbesondere der rechten Rassemblement National und linken La France insoumise, die Europawahlen zum anti-Macron Referendum auszurufen.
Die öffentliche Kritik an Macron steht auch im Zentrum der Gelbwesten Proteste, die sich am 18. November 2018 in Frankreich formierten und Bürgerinnen und Bürger jeden Samstag mobilisieren, die unzufrieden mit der Politik des Präsidenten sind. Der Auslöser der Bewegung waren die erhöhten Kraftstoffsteuern, aber die Forderungen der Gelbwesten wandten sich zunehmend auch in Richtung soziale Gerechtigkeit und direkte Demokratie. Die politischen Ziele der Demonstrationen wurden die Person des Präsidenten und die Reichensteuer, die von der Regierung zu Beginn von Macrons Präsidentschaft aufgehoben wurde. Eine der prominentesten Forderungen der Gelbwesten Bewegung ist der Rücktritt des Präsidenten.
Der Wahlkampf für die Europawahlen 2019 wurde auch, neben dem Konflikt zwischen “Globalisten” und “Nationalisten”, von der großen Bedeutung von umweltpolitischen Themen charakterisiert. Nachdem der sehr beliebte Umweltminister Nicolas Hulot am 29. August 2018 seinen Rücktritt erklärte, kam es zu monatlichen Demonstrationen zwischen September 2018 und März 2019. Die Demonstrierenden forderten mehr Anstrengungen, um den Klimawandel zu bekämpfen und wurden später von Oberstufenschülerinnen- und Schülern unterstützt. Parallel zu den Protesten starteten vier Nichtregierungsorganisationen am 17. Dezember 2018 eine Onlinepetition, in der sie damit drohen, den französischen Staat wegen seiner Nachlässigkeit in Bezug auf die globale Erderwärmung zu verklagen. In nur einem Monat unterzeichneten zwei Millionen Menschen diese Petition, womit diese die größte und am schnellsten wachsende Petition in Frankreich wurde. Aufgrund ihrer Unzufriedenheit mit der Reaktion der Regierung hinsichtlich der Petition leiteten die vier NGOs am 14. März 2019 einen rechtlichen Prozess gegen den Staat ein.
Die Ergebnisse der Europawahlen 2019 in Frankreich
Die dominierenden Themen, die in den Wochen und Monaten vor den Wahlen diskutiert wurden, werfen bereits ein Licht auf das tatsächliche Endergebnis.
Letztendlich gab es ein Kopf an Kopf Rennen zwischen Rassemblement National (23,3 %) und Renaissance (22,4 %). Erstgenannte wurde die stärkste Partei und repräsentiert vor allem die “Nationalisten”, während Renaissance als stärkste pro-EU Parteiliste die “Globalisten” vertritt. Diese Polarisierung zwischen der Partei Emmanuel Macrons und der Partei Marine Le Pens dominierte die letzten Wahlkampfwochen.
Die Partei Europe Ecologie-Les Verts wurde hinter den beiden Parteien drittstärkste Kraft mit 13,5 % und fuhr damit das beste Ergebnis einer grünen Partei seit den Europawahlen 2009 ein. Das Ergebnis der Grünen und die Tatsache, dass alle Parteien, bis auf die konservativen Les Républicains, umweltpolitische Themen in ihr Wahlprogramm mit aufnahmen, zeigt die gewachsene Bedeutung umweltpolitischer Themen in der französischen Politik.
Unter den Parteien, die unter 10 % der Stimmen erhielten, befanden sich Les Républicains (8,5 %), La France insoumise (6,3 %), die sozialistischen Envie d’Europe (6,2 %), die rechten Nationalisten Debout La France (3,5 %) sowie Génération.s (3,3 %).
Die bemerkenswerteste Entwicklung der Europawahlen 2019 ist das niedrigste Ergebnis von Les Républicains bei Europawahlen. Die Partei verlor 12 Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl von 2014. Die Partei wollte sich als Opposition zur Renaissance und Rassemblement National präsentieren, schaffte es jedoch nicht, auf diese Weise auf sich aufmerksam zu machen. Dies hatte zur Folge, dass viele Rentnerinnen und Rentner, die traditionell die Partei gewählt haben, und pro-europäischer eingestellt sind als der Durchschnitt, in drastischer Weise für Renaissance stimmten. In ähnlicher Weise unterstützten junge mitte-links Wählerinnen und Wähler, die 2017 noch für Macron als Präsidenten gestimmt haben, nun am 26. Mai 2019 Europe Ecologie-Les Verts.