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Bild: von FES
Bild: von FES / M.Heere
Konzepte für Strukturwandel „politisch durchsetzen“
Südwestfalen ist in mehreren Vergleichen deutscher Regionen mit starken Werten die Nummer eins. Sinnigerweise im Lüdenscheider Hotel „Sportalm Gipfelglück“ erörterten Vertreter aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen auf der vom Bundestagsabgeordneten Dirk Wiese moderierten Südwestfalenkonferenz Möglichkeiten, wie die Region mit ihren fünf Kreisen ihre Spitzenpositionen auch in Zeiten vielschichtiger Herausforderungen im Zuge eines tiefgreifenden Strukturwandels für die Zukunft erhalten und ihren Menschen gleichzeitig Perspektiven für weiterhin gute Lebensbedingungen bieten kann.
Zwar ist das Gebiet vor den Toren des Ruhrgebietes alles andere als ein wirtschafts- sozialpolitischer Brennpunkt. Im Gegenteil – in Südwestfalen ist ein starker Industriestandort mit Vollbeschäftigung durch den hohen Bedarf an Arbeitskräften bei den zahlreichen kleinen und mittelständischen Unternehmen. Dennoch hat der Prozess struktureller Veränderungen nach Ansicht sämtlicher Workshop- und Diskussionsteilnehmer aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Bürgerschaft längst auch Südwestfalen erreicht.
Entsprechend ihrer großen Bedeutung für die Menschen vor Ort wurden die sogenannten vier Zukunftsforen der Konferenz unter der Leitung regionaler Bundes- und Landtagsabgeordneten thematisch zugeschnitten: „Zukunft der Arbeit in der Industrieregion Südwestfalen“ (Gordan Dudas MdL), „Infrastruktur in Südwestfalen“ (Marlies Stotz MdL), Klimaschutz in Südwestfalen (Inge Blask MdL) und „Gesundheitsversorgung in Südwestfalen“ (Nezahat Baradari MdB).
Die vier Themenfelder und damit einhergehende oder mögliche Probleme klangen bereits in den Grußworten an. „Es lässt sich in Südwestfalen idyllisch leben, arbeiten und wohnen. Doch auch diese Region wird große Herausforderungen stemmen müssen“, sagte Sohel Ahmed aus dem Landesbüro NRW der veranstaltenden Friedrich-Ebert-Stiftung zur Begrüßung und verwies auf Digitalisierung, demografische Entwicklung und Klimawandel.
Auf lebendige Weise stimmte anschließend Landtagsabgeordneter Marc Herter die Teilnehmer_innen auf die bevorstehenden Dialoge über die „Ideen für Südwestfalens Zukunft“ ein. Weil die wirtschaftliche Struktur mit einem über 50-prozentigen Anteil an produzierendem Gewerbe Südwestfalen mitten in der „Waldregion Nummer eins in Deutschland zur Werkbank Nordrhein-Westfalens“ mache, mahnte Herter in seinem Impulsvortrag „eine dynamische Bestandsentwicklung“ an: „Man kann nicht darauf warten, dass sich auf grünen Wiesen neue Unternehmen ansiedeln, sondern muss darauf setzen, dass traditionsreiche und starke Unternehmen sich aktuellen Trends anpassen und dabei besonders auch in Bezug auf ihre Belegschaften unterstützt werden.“ Strukturwandel setzte nämlich schon ein, sagte Herter weiter, „wenn sich gesellschaftliche und ökonomische Megatrends an der Realität brechen“. Negative Wirtschaftskennzahlen für eine Region wie hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Steuereinnahmen, Kaufkraftabfluss und hohe Sozialausgaben seien weniger ein Hinweis auf die Notwendigkeit eines Strukturwandels, sondern vielmehr ein Zeichen für einen schon misslungen Versuch eines Umbaus wirtschaftlicher Rahmenbedingungen.
Herter forderte von der Politik für die erfolgreiche Umsetzung des laufenden Strukturwandels auch in Südwestfalen ungeachtet aller Unterstützung für Unternehmen besondere Aufmerksamkeit für Arbeitnehmer. Anders als früher beträfen die laufenden Veränderungen in der Wirtschaft heutzutage aufgrund ihres hohen Tempos nicht mehr nur erst die nächste Generation von Arbeitern und Angestellten, sondern immer noch auch die Bestandsbelegschaften: „Sie, und dabei besonders auch Frauen, müssen durch veränderte und verbesserte Qualifikationen mitkommen können.“
Darüber hinaus arbeitete Herter mit Blick auf die weiteren Themen der Konferenz, von denen besonders die Klimafolgenanpassung „als ökonomisches und soziales Projekt zu begreifen“ und damit zugleich ein „riesiger Strukturwandelprozess“ sei, einen umfassenden Bedarf an „anderen Konzepten“ heraus: „Diese Konzepte müssen aber politisch durchgesetzt werden. Bei Konzepten, die nur vom Markt durchgesetzt wurden, sind die Ergebnisse in der Daseinsvorsorge, öffentlichen Räumen oder Kultur bekannt – der Trend geht nicht nach oben.“ In Bezug auf gleiche Lebensbedingungen in Städten und ländlichen Räumen wie eben auch Südwestfalen sei die Frage, „inwieweit die öffentliche Hand in Moderation, Impuls, Förderung und in ganz konkreten Infrastrukturmaßnahmen Verantwortung dafür übernehmen will.“
Von Herters Vortrag zusätzlich inspiriert förderten die Zukunftsforen vielschichtige Problemanalysen und Lösungsansätze zutage. Die „Zukunft von Arbeit“ hinge stark auch davon ab, „die Digitalisierung als Chance und nicht als Gefahr“ zu sehen, wie Dudas ein wichtiges Ergebnis seines Kreises zusammenfasste. Als Maßnahme gegen die signifikante Abwanderung jüngerer Menschen und den Fachkräftemangel gleichermaßen regte seine Gruppe an, künftig nicht mehr einzig das Abitur als höchste Qualifikationsebene einzustufen und dadurch zusätzliche Potenziale zu fördern und in der Region zu halten. Zukunftssichernde Wirtschaftsförderung müsse zudem nachhaltige Gestaltung von Gewerbegebieten mit schneller Anbindung an überregional vernetzte Verkehrswege und von Wohnräumen in einem lebenswerten in den Fokus rücken.
Der Infrastruktur und damit verbundene Mobilität maßen Stotz und ihre Gruppe buchstäblich einen existenziellen Stellenwert für Südwestfalens Zukunft bei. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) müsse attraktiver, das Internet schneller und kulturelle Angebote vielfältiger werden, forderte Stotz und nannte diese Elemente „wichtige Bausteine der Daseinsvorsorge für die Zukunftsfähigkeit“. Hinsichtlich der Mobilität regte Stotz eine Paradigmenwechsel an: „Muss der ÖPNV sich immer rechnen, oder ist es ein Angebot, das sich danach richtet, was die Menschen und die Unternehmen in der Region brauchen?“
Einen ähnlichen Lösungsansatz präsentierte Baradari für ihr Zukunftsforum Gesundheit. „Gute Patientenversorgung muss Vorrang gegenüber finanziellen Interessen haben“, thematisierte die Ärztin ein Hauptproblem. Ihre Idee: Medizinische Versorgungszentren von Ärzte-Genossenschaften. Bürgerbusse könnten darüber hinaus den Ärztemangel im ländlichen Bereich ebenso abfedern wie der Ausbau der telemedizinischen Versorgung. Für ganzheitliche Lösungen seien jedoch „interessenübergreifende Kooperationen zwischen den Kommunen und alle anderen beteiligten Institutionen“ notwendig.
Eine umfassende Klima-Strategie inklusive Gründung einer regionalen Energieagentur regte Blask an: „Den Umstieg muss man planen.“ Die verstärkte Nutzung neuer Energien wie besonders auch der Windkraft sei alternativlos, „denn ohne ein Angebot an erneuerbarer Energie werden wir Industrie verlieren, weil die Industrie dann der Energie nach Norden folgen wird“. Als weitere Maßnahme empfahl ihr Arbeitskreis zudem dringend eine Aufforstung.
Eine Schnell-Check der vorgestellten Ergebnisse durch Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen bestärkte die Diskussionsteilnehmer_innen in ihren Absichten. Zwar übte der Unternehmensvertreter so manche Kritik an Leitlinien der Bundespolitik wie im Energiebereich („Die Grundlast der Stromversorgung wird nicht gesichert sein“) oder in der beruflichen Bildung („Der Mehrwert der betrieblichen Erstausbildung gegenüber dem Studium sollte mehr in den Vordergrund gerückt werden“), aber regional stünden die Vorzeichen nicht schlecht: „Wir sind uns unserer Stärken gar nicht bewusst. Ausgehend von dem, was wir haben, brauchen wir keinen Strukturwandel, sondern eine Strukturentwicklung.“ Falsche Bescheidenheit sei dabei aber nicht hilfreich: „Wir müssen klar und deutlich über unsere Vorteile sprechen und das auch nach Düsseldorf und Berlin kommunizieren.“
Text: Dietmar Kramer Redaktion: Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro NRW
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