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Wie lernt man Deutsch? Die syrische Schriftstellerin Rasha Abbas hat so ziemlich alles versucht.

Bild: privat von Rasha Abbas

Das Leben in Berlin ist sicher eine spezielle Erfahrung zum Erlernen vie­ler Dinge. Es ist nett, sich in Beziehung zu den täglichen Themen in der Stadt zu setzen, wie zum Beispiel: sonderbare Kunst, Fahrraddieb­stahl und die Suche nach einem anständigen Mietobjekt. Unglücklicher­weise gehört die deutsche Sprache nicht zu den Dingen, die man hier lernt. Am Anfang ist die weltoffene Stimmung verlockend, dann erkennt man das eigentliche Problem. Man hat hier keine Chance, Deutsch zu üben. Tatsächlich konnte ich nur mit Arabisch auskommen, als ich nahe der Sonnenallee wohnte. Warum sich also beeilen, deutsch zu lernen? Während man in den täglichen Treffs oder zum Erfüllen der Grundbedürf­nisse ohne deutsch auskommen kann, ist es bei den wichtigeren Angele­genheiten unmöglich.

Sobald einem das klar wird, beginnt man, sich mehr um das Erlernen der Sprache zu bemühen. Normalerweise gibt es viele Szenarien, die die Anfänger in einer Sprache durchlaufen, und Verfahren, die sie einhalten. Ich bin stolz, die meisten davon ausprobiert zu haben:

 

Das traditionelle Verfahren.

Erfolgschancen: 70 Prozent. Zielgruppen: organisierte Menschen und astrologische Erdzeichen (Stiere, Jungfrauen, Steinböcke).

Dieser Weg basiert auf dem Befolgen des traditionellen, normalen Ver­fahrens zum Erlernen der Sprachstufen. Eine Sprachschule wählen, an­schließend die gesamte Zeit nur mit dem Sprachstudium verbringen, während man finanziell von Sozialhilfe abhängig ist. Nach dem Erreichen der Stufe B2 dann der Schock, dass dies nicht reicht, um fließend zu spre­chen. Anschließend ein Leben in Leugnung und in dem Bemühen, der schwierigen Situation, in der man sich befindet, die Schuld zu geben und Entschuldigungen für sich als traumatisierte Person zu finden. Die in der Schule eingeübten Unterhaltungen, wie zum Beispiel „Woher kommst Du? Wie lautet Deine Telefonnummer? Und was hast Du am Wochen­ende gemacht?“, sind im Finanzamt nicht wirklich nützlich, wenn man seine Dokumente ausfüllen muss.

 

Das Verfahren „Schule des Lebens“.

Erfolgschancen: 60 Prozent. Zielgruppen: Rebellen und Waldwölfe.

Sie hassen das System, sie rebellieren gegen jede Ordnung und sie be­ten die Freiheit an. Sie haben keinen Bezugsrahmen außer dem kreativen Chaos. Man erkennt diese Sorte vom ersten Moment an, in dem sie den Unterrichtsraum betreten. Da ist er, der einsame Wolf, der fest vor die Tür stößt, eintritt, während er mit seinen langen schwarzen Haaren weht und sich um nichts kümmert, eine Lederjacke trägt und in einer spieleri­schen Stimmung ist. Entschuldigung, das ist nur unser spanischer Kollege Juan Pablo. Er ist tatsächlich ziemlich gut unterwegs, aber seine Stim­mung ist ein wenig wild. Hinter ihm kommt der Freiheitsliebende schau­kelnd in den Unterrichtsraum. Freiheitsliebende und rebellische Seelen könnten versucht sein, sich an einer Schule anzumelden und einen Un­terricht zu besuchen oder sich dahin bugsieren zu lassen. Nur anschlie­ßend wird ihr freier Geist von den Ketten abgewürgt und sie schließen diese Tür wieder, sodass sie unbegrenzte Dimensionen anstreben kön­nen. Hier beginnt die Illusion mit dem Namen „Lernen in der Schule des Lebens“. Die Versuche, die Sprache aus den täglichen Unterhaltungen mit Menschen und auf den Straßen aufzugreifen. Aber dieses Verfah­ren scheint gegen Sie zu laufen. Die Mitarbeiter in den offiziellen Anlaufstellen haben kein Verlangen, ihre Zeit zu verschwenden, damit Sie üben können. Wahrscheinlich werden Sie rausgeschmissen und gebeten, das nächste Mal einen Übersetzer mitzubringen. In der Pizzeria lernen Sie ei­nige italienische Phrasen und können erfahren, wie die Pizzen auf Itali­enisch heißen. Im Döner-Laden enden Sie damit, einige türkische Wör­ter aufzuschnappen und einen guten Einblick in die politische Landkarte in der Türkei zu bekommen, je nach der politischen Einstellung des Re­staurantbesitzers. In anderen Läden, in denen deutschsprechende Men­schen verfügbar sind, kommen Sie nicht viel weiter als: „Ihr Einkauf kos­tet zwölf Euro. Guten Tag und auf Wiedersehen.“ Vielleicht haben Sie Glück, bei einer Party am Freitagabend einen Deutschen zu finden, mit dem Sie reden können. Aber viel Glück dabei! Einen originalen Deut­schen bei den Partys in Berlin zu finden, ist ähnlich der Suche nach einer verlegten Fernbedienung.

 

Internet-Lernmethode.

Erfolgschancen: 50 Prozent. Zielgruppen: Sofahocker, ewig Einsame und Perverse.

Es gibt natürlich eine Reihe nützlicher Webseiten zum Lernen der Sprache. Man findet sogar virtuelle Plattformen, die versuchen, einem das Gefühl zu vermitteln, an einem echten Unterricht teilzunehmen. Es gibt eine virtuelle Tafel. Es gibt andere Kursteilnehmer, Hausarbei­ten und Konversationsübungen. Alle diese Bemühungen sind vergeb­lich, wenn man sich selbst nicht in die Pflicht nimmt. Und wenn man – anstatt sich wirklich auf die Lektionen zu konzentrieren – sich nur dar­auf konzentriert, wie man auf der Webcam aussieht, um den perfekten Punkt auf dem Bildschirm zu finden, auf den man schauen sollte, um die Tatsache zu verbergen, dass man in Wirklichkeit Farmville spielt und die Ex in Facebook belauert, während das Gesicht so ernst aussieht, als brächte man den Verbkonjugationen im Dativfall wirkliche Aufmerksam­keit entgegen.

 

Tandemsitzungsmethode.

Erfolgschancen: 30 Prozent. Zielgruppe: soziale Schmetterlinge.

Ja, das sind die Tandemsitzungen! Man fängt mit viel Enthusiasmus an und vereinbart einen Starttermin nächste Woche mit einem Partner, der im Austausch dafür, dir deutsch beizubringen, arabisch lernen will. Und die Träume starten damit, sogar Kochrezepte, Musik und Gespräche aus­zutauschen, die bei der Integration hilfreich sein könnten. Unglücklicher­weise enden diese Versuche damit, nach dem ersten Mal nach und nach die Zeit zu kürzen, bis das Projekt Vergangenheit ist. Dieses ganze Ver­fahren leidet unter dem „Neue-Fitness“-Syndrom, wenn die angemelde­ten Personen nicht mehr als ein paar Mal ins Fitnessstudio kommen. Diese Möchtegern-Sportler haben üblicherweise zweimal im Jahr Hochsaison: nach Sylvester (der Zeit für die guten Vorsätze) und zwei Wochen vor dem Sommer, wenn man davon träumt, sich einen Strandkörper zuzu­legen, indem man ein paar Mal ins Fitnessstudio geht. In Tandemsitzun­gen lautet das Ergebnis wahrscheinlich: Dein Deutschpartner lernt genau drei Worte arabisch: Habibi, Yalla und Inshallah. Und du endest mit den­selben Sätzen, die du wiederholst, seit du in Deutschland angekommen bist: „Hallo, ich heiße Ahmed, ich wohne seit zwei Jahren in Deutschland. Ich komme aus Syrien.“

 

„Liebe ist die Sprache der Welt“-Methode.

Erfolgschancen: 40 Prozent. Zielgruppe: Romantiker.

Beziehungen zwischen verschiedenen Kulturen: was für eine spezielle Erfahrung. Hier tauschst du Wissen und Kultur aus und bringst deine Emotionen anders zum Ausdruck. Aber das vielleicht wichtigste Merk­mal dabei ist, dass die Sprachbarriere viele Katastrophen in solchen Be­ziehungen verbergen kann, bevor beide Seiten diese entdecken, wenn es zu spät ist. Herauszufinden, dass du faul und langweilig bist, ist für den anderen zum Beispiel schwierig, wenn es keine gemeinsame Sprache gibt. Und deine Aussprache bruchstückhafter Worte in der Fremd­sprache klingt für den geliebten Menschen vielleicht lustig. Viele Men­schen versuchen diese Chance zu nutzen, um die Sprache zu üben, aber dieses Abenteuer kann riskant sein, weil es meistens dazu führt, dass der deutsche Muttersprachler die offiziellen Angelegenheiten regelt und die Übersetzerrolle übernimmt, während der andere damit beschäftigt sein wird, auf seine Herkunftskultur zurückzugreifen und am Telefon richtig laut mit seinen Eltern in der Heimat zu reden.

 

„Dem Radio im Hintergrund zuhören“-Methode.

Erfolgschancen: zehn Prozent. Zielgruppen: Reikitherapeuten und Meis­ter in schwarzer Magie.

Viele Menschen reden darüber, wie sie ein deutsches Radio einschal­ten, während sie schlafen, oder es im Hintergrund laufen lassen, wäh­rend sie arbeiten. Sie sagen, dass die Sprache dadurch „nach und nach in dein Unterbewusstsein durchsickert“. Sie sprechen dieses Wort „Unter­bewusstsein“ mit großer Freude aus. Aber dieses „Durchsickern der Spra­che ins Unterbewusstsein“ erscheint nicht mehr so nützlich, wenn man versucht, eine anständige Unterhaltung mit jemandem zu führen, au­ßer wenn du auf der Couch in seiner psychiatrischen Klinik liegst und er bei dem Versuch, tief in deinem Gedächtnis zu graben, mit dir die freie Assoziationstechnik einsetzt, um dann gerade mal ein paar Ausschnitte der Wettervorhersage auf Deutsch ausbuddeln zu können. Dieses Ergeb­nis scheint nicht der Mühe wert zu sein. Wir können jedoch nicht leug­nen, dass dieses Verfahren einen wichtigen Nutzen hat, da dein Unter­bewusstsein sich in deinen Träumen zum Ausdruck bringt. Du wirst auf Deutsch träumen können, ohne der deutschen Sprache mächtig zu sein. Das ist wunderbar.

 

Meditationsverfahren.

Erfolgschancen: 20 Prozent. Zielgruppe: Farn- und Grasesser.

Beim Erreichen einer fortgeschrittenen Stufe spiritueller Entspannung kann man sich der Herausforderung schwieriger Übungen stellen. Wie zum Beispiel auf einer Bergspitze zu sitzen und das universelle Wissen an­zurufen, während man meditiert. Sicherlich kann man dabei eine große Menge völlig nutzloser Informationen anziehen, wie zum Beispiel Pira­tenliedlyrik, wie man Wikingerstiefel strickt, die DOS-Kodiersprache und die Entschlüsselung der Hieroglyphensymbole des Rosetta-Steins. Aber es gibt stets die Möglichkeit, dass in diesem Infogedränge auch die deut­sche Grammatik vorbeischaut und deine Seele sie aufsaugt, ohne eine schwere Zeit mit ihrem Studium verbringen zu müssen.

 

Die Fehlschläge beim Lernen in Kunst- oder Literaturprojekte umwandeln.

Erfolgschance: 40 Prozent. Zielgruppen: ehemalige Textilienhändler, Ar­beitslose.

Wenn man so frustriert ist, dass man sich sicher ist, niemals deutsch lernen zu können, ist das kein Problem. Man kann in seinen Fehlschlag investieren, um Kulturgut zu produzieren. Wir schlagen vor, humorvolle Geschichten über die Schwierigkeiten beim Erlernen der deutschen Spra­che zu schreiben. Unglücklicherweise habe ich das auch schon gemacht. Es gibt viele weitere Vorschläge, wie zum Beispiel die Suche nach einer modernen Esperanto-Sprache aus dem in Berlin vorhandenen Sprachen­mix und das Erschaffen dieser neuen Sprache mit ihren grammatischen Regeln und Vokabeln, anstatt zu versuchen, eine Sprache zu erlernen, die es bereits gibt. Wer kümmert sich um Fehler, die man in einer Sprache macht, die man selbst erfunden hat?“

 

Zur Person Rasha Abbas

Rasha Abbas ist eine syrische Journalistin und Autorin. Sie lebt derzeit in Berlin. 2008 veröffentlichte sie ihre erste Sammlung mit den Kurzgeschichten „Adam hasst das Fernsehen“ und wurde dafür beim Damascus Capital of Arab Culture Festival mit einem Preis für neue Autoren ausgezeichnet. 2013 schrieb sie das Drehbuch für den Kurzfilm „Zufriedenheit und Glück“, der von der Bedayat Stif­tung produziert wurde. Sie arbeitete als Autorin und Übersetzerin für die Antholo­gie „Syria Speaks: Art and Culture from the Frontline“ (2014, Saqi Books, London). Im selben Jahr beendete sie ein Jean-Jacques Rosseau Fellowship, unterstützt von Schloss Solitude in Stuttgart, wo sie an ihrem zweiten Kurzgeschichtenband „Des Pudels Kern (The Gistofit)“ arbeitete.

 

Erschienen ist der Artikel im Jahr 2016 in der Anthologie „ZWISCHEN KOMMEN UND BLEIBEN. Ein gesellschaftlicher Querschnitt zur Flüchtlingspolitik“, welche durch André Biakowski, Martin Halotta und Thilo Schöne (Friedrich-Ebert-Stiftung) herausgegeben wurde. Mehr zum Buch erfahren Sie hier.

Um die Print-Ausgabe des Buches zu bestellen, wenden Sie sich bitte an: forum.aj(at)fes.de

 

Kontakt: Felix Eikenberg, Projektverantwortlicher „Die Praxis der Einwanderungsgesellschaft“.

Zwischen Kommen und Bleiben

ein gesellschaftlicher Querschnitt zur Flüchtlingspolitik
Berlin, 2016

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