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Wie gestaltet sich der Alltag von Geflüchteten in Deutschland in Zeiten von Corona und was gibt ihnen Hoffnung?
Mortaza Rahimi von kulturTÜR hat für uns nachgefragt und daraus entstanden drei persönliche Porträts.
Jafar Kazemi, 30 Jahre, Berlin Steglitz-Zehlendorf
Im Internet kursieren viele Gerüchte zum Coronavirus und das nicht nur auf Deutsch, sondern in allen Sprachen der Welt. Die große Angst vor dem Virus hilft der schnellen Verbreitung dieser Falschmeldungen. Als Reaktion auf diese Gerüchte wird vorgeschlagen, dass man für die Nachrichten zuverlässige Quellen heranziehen soll. Aber wie informieren sich Geflüchtete, die noch nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, über die aktuellen Zahlen und Nachrichten zur Corona-Pandemie in Deutschland?
Jafar Kazemi, 30, geflüchtet aus Afghanistan, hat einen guten Weg gefunden, sich in deutscher Sprache über das Thema zu informieren. Er guckt die Nachrichten auf KiKA, dem Fernsehsender von ARD und ZDF für Kinder. Herr Kazemi sagt:
„Die Nachrichten auf dem Kinder-Kanal werden in einfacher Sprache ausgedrückt und sind für mich besser verständlich, denn meine Deutschkenntnisse sind noch auf elementarem Niveau.“
Er lebt mit seiner Familie seit drei Jahren in Deutschland und wohnt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern seit einem Jahr in einer Unterkunft für Geflüchtete in Steglitz-Zehlendorf. Bei ihm haben die Einschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus auch Probleme verursacht, aber er und seine Familie konnten durch gute Planung die Probleme reduzieren.
„Meine achtjährige Tochter hat sich seit Schließung der Schulen in Berlin einen eigenen Stundenplan gemacht wie in der Schule, um auch Zuhause gut lernen zu können, und die von den Lehrer_innen gestellten Aufgaben zu erledigen.“
Er und seine Frau besuchten einen Deutschsprachkurs. Jetzt sind aber alle Sprachkurse geschlossen und sie lernen zusammen mit Hilfe ihrer Tochter zuhause Deutsch. Das kleinste Mitglied der Familie, sein Sohn, hat auch seine eigene tägliche Beschäftigung: Er schaut den Kindersender im Fernseher und malt.
„Wir gehen jeden Tag mit der ganzen Familie zusammen spazieren, um uns frische Luft zu holen. Und die Bewegung tut auch gut!“, sagt er.
Nadia Nasim*, 37 Jahre, Berlin Marzahn
„Ich bin aus einem Land gekommen, in dem das Leben der Frauen ohnehin stark eingeschränkt ist. Also, ich bin damit geboren und aufgewachsen. Deswegen bin ich daran gewöhnt. Die Corona-Einschränkungen sind im Vergleich mit dem, was wir, insbesondere die afghanischen Frauen, erlebt haben und erleben, nichts!“
Das sagt Nadia Nasim, 37 Jahre alt, aus Badachschan, der nordöstlichen Provinz Afghanistans. sie lebt seit vier Jahren zusammen mit ihren drei Kindern in Deutschland. Nadia ist alleinerziehend. Ihr Mann wurde in Afghanistan von den Taliban entführt und getötet. Zurzeit wohnt sie mit ihren zwei Söhnen, 16 und 14 Jahre alt, und ihrer elfjährigen Tochter in einem Wohnheim für Geflüchtete in Berlin Marzahn.
Für sie ist es vor allem schwer, von den Freunden und Bekannten fernzubleiben. Denn seit dem Corona-Ausbruch und der Kontaktverbote, dürfen die Bewohner_innen aller Flüchtlingsunterkünfte keinen Besuch bekommen.
Obwohl Nadia Analphabetin ist, konnte sie gut die deutsche Sprache lernen und kann Nachrichten über Corona auf Deutsch verfolgen. Sie sagt:
„Ich vermisse meine Lehrerin aus dem Sprachkurs, weil wir uns in der Klasse und in den Pausen immer miteinander unterhalten haben. Sie hörte mir zu und korrigierte mich immer. Ich habe mich mit ihr immer gern unterhalten. Wir haben so viel geredet, dass ich sagen kann, dass sie sich all meiner Probleme, die ich in Afghanistan gehabt habe, bewusst ist. Jetzt kann ich sie aber nicht treffen. Und das macht mich traurig.“
Der Alltag der Familie Nasim ist auch in der Corona-Zeit gut strukturiert. Die Kinder lernen täglich und machen die Hausaufgaben. Jeden Nachmittag gehen sie zusammen spazieren und zweimal in der Woche gehen die Mutter und ihr älterer Sohn Nawid* einkaufen. Nawid kam auch während der Schulschließung mit seinen Aufgaben in der neunten Klasse gut klar und hilft seinen Geschwistern bei den Hausaufgaben.
„Ich habe Glück, weil meine Kinder groß genug sind, und sie auch die jetzigen Probleme wegen des Corona-Virus verstehen und ernstnehmen.“ sagt Nadia.
Das große Problem der Kinder beim Homeschooling ist, dass die Familie im Wohnheim keinen guten Internetanschluss hat, um am Online-Unterricht teilnehmen zu können. Auch das Handy funktioniert nicht in der Wohnung im Wohnheim. Oft müssen die Kinder mit dem Handy nach einem Ort mit gutem Netz suchen. Dafür müssen sie manchmal sogar aus dem Wohnheim raus.
„Ich mag es sehr, wenn ich im Fernseher immer höre: In dieser schwierigen Zeit müssen wir zusammenhalten! Denn wir können nur mit Geduld, Zusammenhalt und Solidarität die Krise überwinden. Zusammen schaffen wir das!“ Sie sagt das und fügt hinzu: „Ich sage 'WIR', weil ich und meine Kinder uns auch als Teil der deutschen Gesellschaft fühlen.“
Mohammad Rasouli, 33 Jahre, Berlin Storkower Straße
„Es ist nicht einfach, mit fünf Personen den ganzen Tag in einem engen Raum mit 27qm zu verbringen. Und das, während zwei meiner Kinder Schulkinder sind und einen ruhigen Ort zum Lernen brauchen, und meine Frau ein Herzproblem hat.“
Das sagt Mohammad Rasouli, 33, der zusammen mit seiner Frau und seinen drei Kindern aus Afghanistan geflüchtet ist. Die fünfköpfige Familie lebt seit einem Jahr in Deutschland und teilt sich ein Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in der Storkower Straße in Berlin.
Für ihn und seine Familie ist das Leben in der Corona-Zeit besonders schwer. Die Tochter der Familie geht auf ein Gymnasium. Da die Schulen in Berlin zurzeit geschlossen sind, musste seine Tochter mit den Hausaufgaben, die während Schulschließung gestellt wurden, allein klarkommen. Er sagt:
„Meine Tochter sucht ständig nach einem ruhigen Ort, um sich auf die Aufgaben zu konzentrieren. Aber das findet sie nicht in unserem einzigen kleinen Zimmer.“
Seine zwei Söhne, ein Grundschul- und eine Kita-Kind, haben ihre eigenen Probleme: Der große vor allem mit den Hausaufgaben, während der kleine Sohn sich zuhause ohne Kontakt mit anderen Kindern langweilt.
Die Familie hat drei Jahre in Schweden gelebt. Da der Asylantrag der Familie in Schweden abgelehnt wurde, und der Familie eine Abschiebung nach Afghanistan drohte, sind sie nach Deutschland gekommen. Hier hatte die Familie mit vielen Problemen zu kämpfen. Zum einen hat das BAMF verweigert, ihren Asylantrag entgegenzunehmen, weil nach der Dublin-III-Verordnung Deutschland nicht zuständig ist, sondern Schweden.
„Trotz der psychischen Probleme, die der lange Fluchtweg und die Probleme im Heimatland bei uns verursacht haben und trotz des Gefühls der Unsicherheit, haben wir dafür gekämpft, in Deutschland bleiben zu können. Das haben wir geschafft und jetzt läuft unser Asylverfahren in Deutschland.“, sagt Mohammad.
Die Familie kann kein Bankkonto eröffnen, weil die notwendigen Dokumente fehlen. Außerdem hatte die Familie bis vor zwei Tagen keine Krankenversicherung. Mohammad fasst seine Situation so zusammen:
“Wir hatten schon vor der Corona-Pandemie ein sehr eingeschränktes Leben. Jetzt ist unser eingeschränktes Leben aber noch mehr eingeschränkt.“
*An dieser Stelle wurden die Namen von der Redaktion geändert.
Mortaza Rahimi, geboren 1991 in Kabul, arbeitete bereits in Afghanistan als Journalist bei einer Zeitung und beim Fernsehen. Nach Todesdrohungen der Taliban flüchtete er mithilfe von „Reporter ohne Grenzen“. Seit 2012 lebt er in Deutschland und schreibt z.B. auch für die taz. Bei kulturTÜR, einem Magazin von und für Geflüchtete und ihre Nachbarn, leitet er die persisch-sprachige Redaktion.
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