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Politische Akademie

Der europäische Aufbauplan – ein historisches EU-Projekt

von Margit Schratzenstaller



Die geplante Kombination aus dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), der den Zeitraum 2021 bis 2027 umfasst, und dem Wiederaufbaupaket Next Generation EU für die Jahre 2021 bis 2023 kann aus mehreren Gründen als historisches Projekt der Europäischen Union (EU) bezeichnet werden. So wird das 750 Milliarden Euro umfassende Wiederaufbaupaket mittels der gemeinsamen Aufnahme von Schulden durch die EU-Mitgliedsländer finanziert. Mit den aus diesem Paket getätigten Ausgaben und Reformen sollen nicht nur kurzfristige Wirtschaftsimpulse gesetzt, sondern gleichzeitig prioritär Klimaschutz und Digitalisierung gefördert werden. Dass von dem Gesamtvolumen 390 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare Finanzhilfen vor allem an die ärmeren süd- und osteuropäischen EU-Mitgliedsländer fließen sollen, ist als bemerkenswertes Zeichen der Solidarität innerhalb der EU zu werten.

Darüber hinaus stellt die Einigung auf einen Fahrplan zur Einführung innovativer Eigenmittel, die am 10. November 2020 zwischen Europäischem Rat und Parlament stattfand, einen großen Schritt vorwärts in der seit Jahrzehnten geführten Debatte über eine fundamentale Reform des Eigenmittelsystems der EU dar. Diese innovativen Eigenmittel sollen hauptsächlich zur Rückzahlung der EU-Schulden verwendet werden, um einen Anstieg der nationalen EU-Beiträge zu vermeiden oder wenigstens zu begrenzen. Auch der Gesamtumfang der Finanzmittel, die für den aus MFR und Wiederaufbaupaket Next Generation EU bestehenden Aufbauplan eingesetzt werden sollen, ist mit insgesamt 1.824 Milliarden Euro beachtlich. Nicht zuletzt ist die von EU-Kommission und EU-Parlament sowie der Mehrheit der Mitgliedstaaten forcierte Koppelung der Auszahlungen aus dem EU-Budget an die Einhaltung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips hervorzuheben, die auf dem Ratsgipfel am 10. Dezember 2020 letztendlich gegen den Widerstand von Polen und Ungarn durchgesetzt werden konnte. Sie ist auch aus budgetpolitischer Sicht unabdingbar, denn ein effizienter Mitteleinsatz erfordert die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards.

Der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) 2021 bis 2027 – Licht und Schatten

Angesichts dieser historischen und von einem breiten Konsens unter den Mitgliedsländern getragenen Vereinbarung eines umfangreiches EU-Hilfspakets ist in der öffentlichen Debatte etwas untergegangen, dass der potenzielle Beitrag des MFR zu einer zukunftsfähigen EU-Politik deutlich größer sein könnte, als die nun erzielte Einigung vorsieht.

Das betrifft zunächst den Umfang des MFR, um den seit der Vorlage des Vorschlages der Vorgänger-EU-Kommission vom Mai 2018 erbittert gestritten wurde. Dieser sah (in Preisen von 2018) ein Volumen von 1.134,6 Milliarden Euro an Verpflichtungsermächtigungen (1,114 Prozent des Bruttonationaleinkommens – BNE) vor. Gegenüber dem laufenden MFR 2014 bis 2020 hätte der Vorschlag bezogen auf das EU-BNE ohne Vereinigtes Königreich einen leichten Rückgang von 1,16 Prozent auf 1,114 Prozent bedeutet, bezogen auf das EU-BNE der EU-28 bedeutet das hingegen einen Anstieg von 1,03 Prozent auf 1,114 Prozent. Während die Mehrheit der Nettozahler den Gesamtrahmen bei etwa einem Prozent des BNE begrenzen oder ihn jedenfalls unterhalb der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Obergrenze halten wollten, tendierten die Nettoempfänger mehrheitlich zum Vorschlag der EU-Kommission. Das EU-Parlament forderte einen Rahmen von 1,3 Prozent des BNE.

Nach mehreren erfolglosen Verhandlungsrunden hatte Ratspräsident Charles Michel im Februar 2020, kurz vor Ausbruch der Corona-Krise in der EU, einen Gesamtumfang von 1,074 Prozent des BNE vorgeschlagen, der jedoch keine Mehrheit im Europäischen Rat fand. Als Reaktion auf die Corona-Krise legte schließlich Ende Mai 2020 die Europäische Kommission einen Aufbauplan vor, der neben dem Wiederaufbaupaket von 750 Milliarden Euro einen leicht aufgestockten MFR im Umfang von 1.100 Milliarden Euro (1,08 Prozent des BNE) beinhalten sollte. Nach intensiven Verhandlungen einigte sich der Europäische Rat am 21. Juli 2020 schließlich auf einen MFR von 1.074,3 Milliarden Euro und das Wiederaufbaupaket von 750 Milliarden Euro.

Der von Europäischem Rat und Parlament am 10. November 2020 erzielte und auf dem Ratsgipfel am 10. Dezember 2020 schließlich von allen Mitgliedsländern angenommene Kompromiss bestätigt die im Juli 2020 vereinbarten Volumina und Struktur von MFR und Wiederaufbaufonds. Zusätzlich wird der MFR ab 2022 auf Drängen des EU-Parlaments progressiv von 1.074,3 Milliarden Euro auf letztendlich 1.085,3 Milliarden Euro erhöht, indem aus Wettbewerbsstrafen zusätzliche Mittel (sogenannte Top-ups) unter anderem für das Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe, für Erasmus+ und für InvestEU bereitgestellt werden.

Der Gesamtrahmen von 1.074,3 Milliarden Euro liegt somit mit 1,05 Prozent des BNE im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sowohl unterhalb dem laufenden MFR als auch unter den Vorschlägen von EU-Kommission und EU-Parlament. Die langfristige Tendenz eines im Verhältnis zum BNE der EU abnehmenden MFR setzt sich also fort. Allerdings beläuft sich unter Berücksichtigung der geplanten nicht rückzahlbaren Zuschüsse aus dem Wiederaufbaupaket Next Generation EU die Gesamtsumme der im Rahmen des EU-Aufbauplans bis 2027 verfügbaren Mittel auf 1.464,3 Milliarden Euro, unter Berücksichtigung auch der Kredite, die von den Mitgliedsländern in Anspruch genommen werden können, auf 1.824,3 Milliarden Euro.

Das beeindruckende Volumen des EU-Aufbauplans darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die für den kommenden Siebenjahreszeitraum vorgesehenen Reformen in der Struktur des MFR sowie im Eigenmittelsystem zu dessen Finanzierung nur unzureichend auf die langfristigen Herausforderungen, denen sich die EU gegenübersieht, reagieren.

So haben Ausgaben für europäische öffentliche Güter, die einen echten europäischen Mehrwert stiften, nach wie vor einen zu geringen Stellenwert. Auch wenn der Anteil der Agrarpolitik an den Gesamtausgaben, der im MFR 2007 bis 2013 über 40 Prozent betragen hatte und im laufenden MRF 2014 bis 2020 rund 35 Prozent erreicht, weiter zurückgeht, bleibt sie doch mit etwa 31 Prozent weiterhin der bedeutendste Ausgabenposten. Gleichzeitig sind energische Schritte zur dringend erforderlichen ökologisch nachhaltigeren Ausgestaltung der Agrarpolitik kaum erkennbar, im Gegenteil: Gegenüber dem laufenden MFR, in dem die auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit abzielende zweite Säule ein Viertel der gesamten Agrarausgaben ausmacht, wird ihr Anteil sogar leicht auf 23 Prozent zurückgehen. Die konventionelle erste Säule der Agrarpolitik, die gegenüber der zweiten Säule einen wesentlich geringeren europäischen Mehrwert erbringt, gewinnt somit sogar etwas an Gewicht.

Unbefriedigend ist auch die Aufstockung der Forschungsmittel. Das Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe, das im laufenden MFR mit 65,5 Milliarden Euro dotiert ist, hätte nach den Plänen der EU-Kommission vom Mai 2018 auf 83,5 Milliarden Euro aufgestockt werden sollen – was seinen Anteil an den Gesamtausgaben von 6 auf 7,4 Prozent erhöht hätte. Geblieben sind im MFR 2021 bis 2027 nunmehr 75,9 Milliarden Euro oder 7,1 Prozent der MFR-Gesamtausgaben. Nur unter Berücksichtigung der 5 Milliarden Euro, die unter dem Wiederaufbaupaket Next Generation EU zusätzlich zur Verfügung gestellt werden sollen, sowie der weiteren 4 Milliarden Euro, die das EU-Parlament als Top-up im November 2020 heraushandelte, übersteigen die dann insgesamt für das Forschungsrahmenprogramm der EU vorgesehenen Mittel mit 84,9 Milliarden Euro leicht den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission.

Unzureichend ist auch die Mittelausstattung der Connecting Europe Facility, die eine einen europäischen Mehrwert schaffende grenzüberschreitende Infrastruktur in den Bereichen Verkehr, Digitalisierung und Energieversorgung fördert: Sie ist mit 18,4 Milliarden Euro dotiert, sodass ihr Anteil an den Gesamtausgaben von derzeit 1,6 Prozent nur geringfügig auf 1,7 Prozent steigen wird.

Schließlich ist zwar die Vorgabe, dass künftig 30 Prozent der MFR-Mittel für den Klimaschutz verwendet werden müssen, ambitionierter als die 20 Prozent im laufenden MFR und die von der EU-Kommission ursprünglich vorgeschlagenen 25 Prozent. Allerdings erscheint auch diese erhöhte Klimamainstreaming-Vorgabe nicht ehrgeizig genug, wenn der MFR als ein zentraler Hebel zur Umsetzung des anvisierten europäischen Green Deals fungieren soll.

Die somit insgesamt nur unzureichende Modernisierung der Strukturen des MFR 2021 bis 2027 wird durch die Fokussierung des Wiederaufbaupakets Next Generation EU auf Klimaschutz und Modernisierung zwar abgefedert. Gleichzeitig stellt der nächste MFR jedoch de facto die Grundlage für die Verhandlungen über die Höhe und Struktur des MFR post-2027 dar, was dann umso größere Reformschritte erfordert, wenn die diesbezüglichen Versäumnisse des MFR 2021 bis 2027 aufgeholt werden sollen.

Ähnliches gilt auch für die geplanten neuen Eigenmittel. Die Einigung zwischen Europäischem Rat und Parlament vom November 2020 beinhaltet eine Roadmap für die Einführung innovativer Eigenmittel, wonach als erster Schritt ein plastikbasiertes Eigenmittel ab 2021 die bestehenden Eigenmittel zur Finanzierung des MFR ergänzen soll. Die EU-Kommission soll zudem bis Juni 2021 konkrete Vorschläge für Eigenmittel, die auf einem CO2-Grenzausgleich und der Versteigerung von Zertifikaten im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems beruhen, sowie für eine Digitalsteuer vorlegen. Über diese soll der Europäische Rat bis Mitte 2022 im Hinblick auf ihre Einführung ab 2023 beraten. Und bis Juni 2024 soll die EU-Kommission einen Vorschlag für weitere neue Eigenmittel erarbeiten, die auf Finanztransaktionen oder einer neuen harmonisierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage basieren könnten.

Allerdings ist aus Sicht des MFR unbefriedigend, dass mit Ausnahme des neuen plastikbasierten Eigenmittels keine weiteren innovativen Eigenmittelquellen für seine Finanzierung erschlossen werden, da diese für den Schuldendienst im Zusammenhang mit den für das Wiederaufbaupaket Next Generation EU aufgenommenen EU-Krediten vorgesehen sind.

Schwerpunkte für künftige Reformen im Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR)

Kurz vor dem Auslaufen des geltenden MFR 2014 bis 2020 und dem Inkrafttreten des neuen MFR 2021 bis 2027 sind die Spielräume für tiefgreifende Veränderungen in der Ausgabenstruktur, so wie sie derzeit politisch vereinbart ist, kurzfristig de facto begrenzt. Die Vereinbarung zwischen Europäischem Rat und Parlament vom November 2020 hält allerdings die Vorlage einer Evaluierung des Funktionierens des MFR zum 1. Januar 2024 und gegebenenfalls von Reformvorschlägen durch die EU-Kommission fest.

Diese Reformvorschläge sollten erstens Vorschläge zur Erhöhung der Ausgabenpositionen mit europäischem Mehrwert enthalten, wobei folgende Ansatzpunkte prioritär erscheinen:

  • eine Reduktion der Gesamtausgaben für Agrarpolitik und eine Verschiebung von der konventionellen ersten zur nachhaltigkeitsorientierten zweiten Säule;
  • eine Erhöhung der Ausgaben für Forschung, grenzüberschreitende Infrastruktur und Entwicklungshilfe;
  • eine Erhöhung der Klimamainstreaming-Vorgabe über die derzeit geplanten 30 Prozent hinaus.

Zweitens sollte auch das Eigenmittelsystem zur Finanzierung des MFR deutlich stärker verändert werden, als das derzeit vorgesehen ist. Das neue plastikbasierte Eigenmittel wird nach Schätzungen der EU-Kommission jährlich 7 Milliarden Euro an Einnahmen erbringen – ein Bruchteil der jährlichen Gesamtausgaben von über 150 Milliarden Euro. Somit wird das EU-Budget nach wie vor primär durch Beiträge der EU-Mitgliedsländer finanziert, was unter anderem das Nettopositionsdenken der Mitgliedsländer fördert. Die Einnahmen aus den geplanten (oder weiteren denkbaren) innovativen Eigenmitteln (wie etwa aus der Besteuerung des Flugverkehrs) sollten daher nicht nur zur Schuldentilgung verwendet werden, sondern auch einen beträchtlichen Anteil der Beiträge der EU-Länder ersetzen. Das Einnahmenpotenzial der zur Verfügung stehenden Optionen für innovative Eigenmittel wäre ausreichend. So würde auch das EU-Eigenmittelsystem endlich wichtige Ziele und Strategien der EU unterstützen.
 


Über die Autorin

Dr. Margit Schratzenstaller ist Referentin für öffentliche Finanzen am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) in Wien und Mitglied im österreichischen Fiskalrat. Im Rahmen des H2020-EU-Projekts FairTax analysierte sie Optionen für nachhaltigkeitsorientierte Eigenmittelquellen für das EU-Budget.


Bei dem Beitrag handelt es sich um eine gekürzte Vorabveröffentlichung. Die im Beitrag zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.

 

 


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