Die FES wird 100! Mehr erfahren

Politische Akademie

Die Hauptverursacher der Klimakrise zur Rechenschaft ziehen

Viele kleine „Inselentwicklungsländer“ (SIDS) kämpfen ums Überleben. Deshalb fordern der Zwillingsinselstaat Antigua und Barbuda sowie das akut vom Meeresspiegelanstieg bedrohte Tuvalu auf der COP26 einen finanziellen Ausgleich für „Verluste und Schäden“.


Von Zico Cozier (Twitter: @zeitgeist_zico)

2017 legte der Hurrikan Irma die winzige Karibikinsel Barbuda „buchstäblich in Trümmer“. Alle 1.400 Einwohner_innen mussten evakuiert und auf die Schwesterinsel Antigua gebracht werden. Die Bedarfsermittlung für den Wiederaufbau, die federführend von der Weltbankgruppe  vorgenommen wurde, kam zu dem Ergebnis, dass Irma und der Hurrikan Maria (der wenig später Antigua heimsuchte) den Zwillingsinselstaat insgesamt 377,2 Millionen US-Dollar für die Behebung von Schäden, den Ausgleich von Verlusten und nötige Wiederherstellungsmaßnahmen kosten würde — das entspricht 25 Prozent des damaligen BIP von Antigua und Barbuda.

Es ist wahrscheinlich, dass die Zerstörungskraft von Irma, die als Sturm der Kategorie 5 auf Barbuda traf, durch die vom Klimawandel verursachte Meereserwärmung im Atlantischen Ozean verstärkt wurde.

Antigua und Barbuda sowie alle Kleinen Inselentwicklungsstaaten (Small Island Development States, SIDS) der Welt stoßen zusammen weniger als ein Prozent der Treibhausgasemissionen aus. Trotzdem gibt es keinen Wirkmechanismus, der die weltgrößten Emittenten im Zuge des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) verpflichtet, für Wiederherstellungsmaßnahmen aufzukommen.

Obendrein galt Antigua und Barbuda für die meisten Beihilfen, die das Land brauchte, um Barbuda nach dem Hurrikan Irma wieder aufzubauen und die Bevölkerung dort wieder anzusiedeln, nach den Regeln der Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als zu reich.

„Unmoralisch und ungerecht“ – so bezeichnete die Premierministerin von Barbados auf dem COP26-Gipfel der Staats- und Regierungschefs die Tatsache, dass den kleinen Inselstaaten die lebenswichtigen Mittel für die Behebung von Verlusten und Schäden verwehrt werden. Die Verluste, die die SIDS durch die Klimakrise erleiden, drückten sich im Verlust von „Menschenleben und Existenzen“ aus, so die Premierministerin.

Die aktuelle Emissionsentwicklung ist für die kleinen Inselstaaten eine existenzielle Bedrohung. Der Emissions Gap Report zeigt: Selbst wenn alle Länder die national festgelegten Beiträge (NDCs) erfüllen, die sie im Rahmen des Pariser Abkommens zugesagt haben, würde die Erde sich bis zum Jahr 2100 trotzdem um 2,7 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau erwärmen.

Aus einem separaten Sonderbericht der Zwischenstaatlichen Sachverständigengruppe für Klimaänderungen (IPCC) geht hervor, dass diese Differenz von einem halben Grad für die SIDS eine Frage von Leben und Tod ist.

Darum entschlossen Antigua und Barbuda sich zum Auftakt der COP26 gemeinsam mit dem pazifischen Inselstaat Tuvalu, der gerade dabei ist, infolge des steigenden Meeresspiegels und der Küstenerosion zu verschwinden, zu einem großen und kühnen Schritt: Die beiden Inselstaaten gaben die Gründung einer Kommission bekannt, deren Aufgabe es sein wird, die großen Emittenten für Verluste und Schäden, die durch Extremwetterereignisse entstehen, rechtlich zur Verantwortung zu ziehen.

Die Verursacher zur Rechenschaft ziehen

Vor dem Hintergrund, dass Barbuda sich auch fünf Jahre nach Irma noch immer nicht von den Auswirkungen des Hurrikans erholt hat – dies wurde von COP26-Präsident Alok Sharma im Eröffnungsplenum ausdrücklich erwähnt – brachte Gaston Browne, der Premierminister des Inselstaates, einen großen Plan mit zur COP26: den Plan, die Verursacher in die Pflicht zu nehmen.

Am Tag des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs rief er gemeinsam mit Kausean Natano, dem Regierungschef von Tuvalu, eine Kommission ins Leben, die eruieren soll, welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt, große Emittenten für die „Verluste und Schäden“, die die beiden Staaten und andere SIDS in ihren Heimatländern erleiden, in die Verantwortung zu nehmen.

„Die Verursacher müssen zahlen“, erklärte er und stellte zugleich klar, dass diese Aussage nicht als Akt der Aggression gemeint ist. Der Dialog über „Verluste und Schäden“ ist jedoch, wie Experten bestätigen, für kleine Inselstaaten ein sensibles Thema.

„Die Industrieländer verweigern sich seit Langem allen Bestrebungen, Verluste und Schäden anzuerkennen – wegen der Verpflichtungen und möglichen Entschädigungsforderungen, die sich daraus ergeben könnten“, meint Dr. Colin Young, Direktor des Caribbean Community Klima Change Centre (CCCCC).

Er lobte die Allianz der kleinen Inselstaaten (Alliance of Small Island States, AOSIS) und die Unterhändler aus dem karibischen Raum dafür, dass Artikel 8 überhaupt in das Pariser Abkommen aufgenommen wurde, um den Sorgen angesichts von „Verlusten und Schäden“ Rechnung zu tragen. Dass darin nichts über die Haftung der Industrieländer ausgesagt werde, sei das Ergebnis eines Kompromisses.

Die für kleine Inseln entscheidenden Themen auf der COP26 sind in Youngs Augen die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau, die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen, die finale Ausarbeitung des Pariser Regelwerks und die Einrichtung eines Fonds für Verluste und Schäden.

Im Rahmen einer hochkarätig besetzten Veranstaltung im Pavillon der AOSIS auf der COP26 erklärte der Finanzminister von Tuvalu, Seve Paeniu, ein solcher Fonds müsse den besonders stark betroffenen Ländern zur Verfügung stehen, die am unmittelbarsten mit der Klimakrise konfrontiert seien.

„Das ist entscheidend, denn auch bei den bisherigen Finanzierungsmechanismen wie dem Globalen Klimafonds müssen viele SIDS jahrelang warten, bis sie Mittel aus diesem weltweiten Fonds erhalten“, so Natano.

So hätte es zum Beispiel für Antigua und Barbuda einen entscheidenden Unterschied gemacht, wenn sie nach Hurrikan Irma einen Fonds für Verluste und Schäden gehabt hätten. Für die Implementierung hätte man, so Seve Paeniu, den Internationalen Warschau-Mechanismus für Verluste und Schäden (WIM) nutzen können.

Neue Beiträge

Ein Industrieland, das in der Frage der Verluste und Schäden eine Vorreiterrolle übernimmt, ist Schottland. Das Land gab auf der COP26 bekannt, dass es eine Millionen GBP für einen zukünftigen Fonds für Verluste und Schäden bereitstellen werde.

„Das ist eine Frage der Klimagerechtigkeit“, erklärte Young. „Wir [die SIDS] haben unter dem Problem zu leiden, aber verursacht haben wir es nicht. Wenn also ein Land wie Schottland globale Führungsstärke beweist und eine Pionierrolle übernimmt, indem es eine Million Pfund für den Ausgleich von Verlusten und Schäden zur Verfügung stellt, ist das ein wichtiges Signal.“

Auch wenn der Betrag klein erscheinen mag, so ist es doch das erste Mal, dass ein Industrieland den Begriff „Verluste und Schäden“ und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen akzeptiert, erklärte das Climate Action Network (CAN), der größte Verbund von NGOs im Bereich Klimaschutz. Schottland „gibt ein Beispiel, dem die reicheren Länder folgen müssen“, heißt es in einer Verlautbarung des CAN.

Dieser Meinung war auch Caroline Mair-Toby, Direktorin und Gründerin des Caribbean Institute of Small Islands, die von einer bedeutenden Geste sprach.

Durch die Tatsache, dass Schottland kein unabhängiger Staat sei, gewinne diese Geste eine noch größere Bedeutung, erklärte Mair-Toby. „Der Umstand, dass Schottland zu diesem Schritt nicht verpflichtet ist, lässt die ablehnende Haltung von Ländern, die wohlhabend und absolut in der Lage sind, sich zu beteiligen, besonders deutlich sichtbar werden.“

Der Anwalt und Professor Payam Akhaven, der die von Antigua und Barbuda sowie Tuvalu gegründete Kommission leiten wird, sagte im Gespräch mit Climate Tracker, Schottlands Geste sei „ein Zeichen dafür, dass sich zunehmend die Erkenntnis durchsetzt, dass der Klimawandel die Folge eines bewussten schädigenden Verhaltens ist.“ Dies beweise, dass der Klimawandel unter dem Schadensaspekt in den Blick genommen werden muss.

Antigua und Barbuda hat derzeit den Vorsitz der AOSIS inne. Die gemeinsam mit Tuvalu gegründete Kommission wurde unabhängig von der AOSIS ins Leben gerufen und wird sich in den kommenden Monaten um die Unterstützung durch weitere AOSIS-Mitglieder bemühen.

Aus dem Englischen von Christine Hardung

 

Zico Cozier aus Trinidad und Tobago ist derzeit stellvertretender Redakteur bei Cari Bois Environmental News Network, er hat eine lokale Fernsehsendung mit dem Titel "Trinidad is a Real Place" auf TTT Limited konzipiert und moderiert sie, und er ist Kommunikationsbeauftragter bei der The Cropper Foundation - einer gemeinnützigen Organisation, die sich für die Förderung der nachhaltigen Entwicklung in der Karibik einsetzt. Zico setzt sich leidenschaftlich für die Umwelt ein, lernt Sprachen und betreibt Karate.


Leitung

 

Kontakt

Margit Durch

Godesberger Allee 149
53175 Bonn

0228/883 - 7102

0228/883 - 9223

E-Mail-Kontakt
 

Bildungspolitische Angebote für Nord- und Ostdeutschland bietet die Abteilung Politischer Dialog mit Sitz in Berlin.

nach oben