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Politische Akademie

Eine Frage der Klasse? Analyse des Parteienwettbewerbs nach Berufsklassen und politischen Präferenzen

Unsere Studie untersucht die Verbindung zwischen Berufsklassen und politischen Präferenzen und Wahlabsicht. Sie zeigt, dass der Parteienwettbewerb in Deutschland durch einen tripolaren Wettbewerb gekennzeichnet ist.


Die Studie ist Teil des ProjektsKartographie der Arbeiter:innenklasse, mit dem wir eine Vermessung der (erwerbs-)arbeitenden Gesellschaft vornehmen.


Die Studie Eine Frage der Klasse? von Aiko Wagner untersucht, welche Verbindung aktuell zwischen Berufsklassen und politischen Präferenzen im deutschen Parteienwettbewerb besteht. Überprüft wird dabei die bereits für andere europäische Länder untersuchte These, dass es einen tripolaren Wettbewerb zwischen Mitte-Links, Mitte-Rechts und rechts-populistischen Parteien gibt. Die Untersuchung basiert auf den FES-Umfragedaten des Projektes „Kartographie der Arbeiter:innenklasse“ bei der im Sommer 2023 über 5.000 Personen in Deutschland befragt wurden.

Die Einteilung in Berufsklassen basiert auf dem von Daniel Oesch (2006) entwickelten zweidimensionalen Klassenschema. Eine erste Dimension unterscheidet vertikal nach der Höhe des Qualifikationsranges. Basierend auf den Fähigkeiten, die sich daraus ergeben und auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind, lassen sich unterschiedlich vorteilhafte Beschäftigungsverhältnisse unterscheiden. Die zweite Dimension unterscheidet horizontal zwischen vier verschiedenen Arbeitslogiken. Die interpersonelle Arbeitslogik findet in Humandienstleistungsbeziehungen Anwendung, also im direkten persönlichen Austausch. Menschen, deren Beruf durch diese Logik bestimmt ist, sind in ihrer beruflichen Tätigkeit primär auf andere Menschen hin orientiert. Die technische Arbeitslogik greift in Berufen, die auf Produktionskriterien hin organisiert sind. Die organisatorische Arbeitslogik greift in Verwaltungsdienstleistungen, die bürokratisch geregelt sind. Letztlich gilt die selbstständige Arbeitslogik für Freiberufler:innen, Unternehmer:innen und Arbeitergeber:innen. Die Kombination der beiden Dimensionen führt zu einem 16-Berufsklassen-Schema, das wiederum (meist aufgrund geringerer Fallzahl und für eine bessere Übersichtlichkeit, zu einem Acht-Berufsklassen-Schema zusammengefasst wird.
 


Parteipräferenzen
 

In der Studie werden zuerst die Parteipräferenzen anhand der Sonntagsfrage verglichen, um zu analysieren, welche Berufsklassen überdurchschnittlich häufig für welche Parteien stimmen. Aufgrund der Fallzahlen der Studie, der Zustimmungswerte der Parteien und der Differenzierung in Berufsklassen wurde die Analyse auf die stimmenstärksten Parteien CDU/CSU, SPD, Grüne und AfD beschränkt.

Vorneweg: In keiner der acht Berufsklassen stimmt eine Mehrheit für nur eine Partei, in allen Berufsklassen finden sich Unterstützer:innen aller Parteien. Insbesondere unter den technischen (Semi-)Expert:innen sowie den Bürokräften finden alle vier Parteien (zwischen 13 und 26 Prozent) Zuspruch. Zugleich gibt es aber auch unübersehbare Unterschiede. Grüne und Union haben klare und weniger umkämpfte Hochburgen in bestimmten Berufsklassen.
 


Die senkrechten gestrichelten Linien stellen die durchschnittliche Wahlabsicht entsprechend der Sonntagsfrage dar. Die Prozentuierungsbasis ist dabei die Zahl aller Wähler:innen. Nichtwähler:innen und Befragte, die mit „weiß nicht“ geantwortet haben, sind nicht enthalten. Für die CDU/CSU würden etwas mehr als 25 Prozent der Befragten stimmen. Überdurchschnittlichen Zuspruch erhalten die Unionsparteien von Kleingewerbetreibenden und Soloselbstständigen (35 Prozent) sowie dem Management (32 Prozent).

  • Überdurchschnittlichen Zuspruch erhalten die Unionsparteien von Kleingewerbetreibenden und Soloselbstständigen (35 Prozent) sowie dem Management (32 Prozent), was sich in der Tendenz mit anderen wissenschaftlichen Studien deckt. Signifikant unterdurchschnittlich schneiden die CDU/CSU in keiner Berufsklasse ab.
  • Deutlich polarisierter ist das Bild für die Grünen. Während insgesamt etwa  16 Prozent eine Wahlabsicht für die Grünen angaben, waren es in den Berufsklassen der Arbeiter:innenklasse deutlich weniger: nur sieben Prozent der Dienstleistenden und unter den Produktionsarbeitenden lediglich sechs Prozent. Ihre elektorale Stärke ziehen die Grünen aus den Gruppen der technischen (22 Prozent) und soziokulturellen (29 Prozent) (Semi-)Expert:innen. Gerade letztere gelten auch  international als eine Wähler:innenhochburg der (neuen) Linken.
  • Das Elektorat der AfD – insgesamt etwa 20 Prozent der Stimmen – ist das klare Gegenteil der Grünen-Wähler:innenschaft. Die Rechtspopulisten sind bei Produktionsarbeitenden (36 Prozent) sowie Dienstleistenden (28 Prozent) deutlich beliebter, erhalten jedoch von technischen (15 Prozent) und soziokulturellen (elf Prozent) (Semi-)Expert:innen sowie von Management-Beschäftigten (13 Prozent) weniger Unterstützung.
  • Die berufsklassenspezifische Unterstützung der SPD – insgesamt bei etwa 19 Prozent der Stimmen – ist ganz anders strukturiert als die der Grünen. Selbstständige und Arbeitergeber:innen stimmen seltener für die Sozialdemokratie (freie Berufe und Unternehmer:innen mit zehn Prozent, Kleingewerbetreibende und Soloselbstständige mit  14 Prozent), Dienstleistende dagegen deutlich häufiger (24 Prozent).


Parteipräferenzen

Parteipräferenzen im Sinne von Sonntagsfragen bilden stets nur eine Momentaufnahme ab. Dem jeweils aktuellen (geplanten) Wahlverhalten liegen dabei Parteipotenziale bzw. Stimmpotenziale zugrunde. Für die meisten Bürger:innen kommen mehrere Parteien zur Wahl infrage, am Ende müssen sich die Wähler:innen aber für eine entscheiden. Im Folgenden werden die vier großen Parteien hinsichtlich ihrer Wähler:innenpotenziale und der Ausschöpfung in den Berufsklassen untersucht. Dabei ergeben sich auf Basis der vorliegenden Daten potenzielle Wähler:innenschaften für die Unionsparteien von 43 Prozent, für die SPD von 40 Prozent, für die Grünen von 30 Prozent und für die AfD von 23 Prozent.
 


Während CDU/CSU und SPD nur jeweils von etwas mehr als einem Fünftel als praktisch unwählbar angesehen werden – Werte von null –, liegt dieser Wert für die Grünen bei über 40 Prozent. Stärker noch polarisiert die AfD mit zwei Dritteln der Befragten, die es für mindestens sehr unwahrscheinlich halten, dass sie jemals für sie stimmen würden.

Potenzialausschöpfung

Ebenso wie das Potenzial variiert auch die Ausschöpfung, welche als Anteil am Potenzial definiert ist, der dann auch die Partei in der Sonntagsfrage nannte (gestrichelte Linien). Klarer Spitzenreiter ist hier die AfD. 83 Prozent derjenigen, die als potenzielle Wähler:innen definiert werden konnten, gaben auch an, der AfD ihre Stimme geben zu wollen. Dieser Ausschöpfungserfolg spricht zugleich einmal mehr für die relative Verschlossenheit der Unterstützungsbasis der AfD gegenüber den anderen etablierten Parteien.
 

  • Die AfD ist prinzipiell weniger attraktiv für technische und soziokulturelle (Semi-)Expert:innen sowie Kleingewerbetreibende und Soloselbstständige (17 und 12 Prozent) und für Personen im Management (16 Prozent). Dafür spricht sie Produktionsarbeitende (38 Prozent) sowie Dienstleistende (32 Prozent) überdurchschnittlich häufig an. Zudem gelingt es ihr bei den Produktionsarbeitenden nochmals überdurchschnittlich, dieses Potenzial auszuschöpfen (92 Prozent).
  • Das Wähler:innenpotenzial der CDU/CSU (blaue Balken) variiert nicht sonderlich stark zwischen den Berufsklassen. Es liegt bei den freien Berufen und Unternehmer:innen (55 Prozent), im Management (53 Prozent) sowie bei Kleingewerbetreibenden und Soloselbstständigen (51 Prozent) etwas über dem Mittel, bei Produktionsarbeitenden (36 Prozent) und Dienstleistenden sowie soziokulturellen Expert:innen  (jeweils 37 Prozent) etwas darunter, aber mit insgesamt vergleichsweise wenig Variation. Auch die Ausschöpfung des Potenzials (rote Balken) zeigt nur geringe und keinerlei statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Berufsklassen.
  • Anders ist die Situation bei den Grünen, die ausgeprägtere berufsklassenspezifische Stärken und Schwächen haben: Bei den technischen und soziokulturellen (Semi-) Expert:innen ist das Potenzial größer (36 und 46 Prozent), und die Ausschöpfung gelingt besser (jeweils 62 Prozent) als im Durchschnitt. Die Grünen sind damit für überdurchschnittlich viele Menschen dieser Berufsklassen eine attraktive Option und es gelingt ihnen, von mehr als der Hälfte dieser potenziellen Wähler:innen die Stimmen auch zu erhalten.
  • Die SPD hat unter soziokulturellen (Semi-)Expert:innen besonders hohe Potenzialwerte, 48 Prozent aus diesen Berufsklassen sehen die Sozialdemokratie als eine mögliche Option bei zukünftigen Wahlen. Allerdings gelingt es der SPD gerade hier mit nur 38 Prozent weniger gut, ihr Potenzial auszuschöpfen. Ebenfalls unterdurchschnittliche Potenzialrealisierung findet sich bei im Management Beschäftigten (38 Prozent), am besten gelingt die Ausschöpfung unter den Produktionsarbeitenden (62 Prozent) sowie Dienstleistenden (56 Prozent). Auch wenn die SPD nur noch für etwas mehr als ein Drittel der Arbeiter:innen eine attraktive Option ist (36 Prozent), erhält sie von vielen dieser dann auch die Stimme.

Berufsklassen und Parteipräferenzen im zweidimensionalen Raum
 

Wie sind die Berufsklassen und Parteipräferenzen im zweidimensionalen politischen Raum angeordnet? Zu einer sozioökonomischen Dimension, in der es um Fragen von Sozialstaatlichkeit, um Umverteilung und staatliche Eingriffe in die Wirtschaft geht, kommt eine soziokulturelle Dimension. Hier werden Fragen gesellschaftspolitischer Liberalität, kultureller Identität, des (Inter-)Nationalismus, aber auch der Ökologie thematisiert.

Auch in Deutschland kann der elektorale Wettbewerb als tripolar beschrieben werden – mit einem linksliberalen Pol, einem mitte-rechts und einem rechtspopulistischen Pol. Die Wähler:innenschaften der Parteien (große Kreise in der folgenden Abbildung) sind dabei jeweils etwas polarer eingestellt als die Berufsklassen. Die Wähler:innenhochburgen von Grünen und AfD lassen sich anhand dieser Darstellung gut plausibilisieren. Während Grüne überdurchschnittlich häufig von soziokulturellen (Semi-)Expert:innen gewählt werden, erhalten sie von Produktionsarbeitenden wie Dienstleistenden seltener Stimmen – erstgenannte haben zu ihnen die geringste, zweitgenannte die größte Distanz. Für die AfD sind die Ergebnisse genau spiegelbildlich dazu: überdurchschnittliche Unterstützung durch die positionell nahestehenden Produktionsarbeitenden, unterdurchschnittliche Unterstützung durch die weit entfernt positionierten soziokulturellen (Semi-)Expert:innen.
 


Doch sollte man die heuristische Kraft des Modells nicht überschätzen. So würde diese räumliche Perspektive nahelegen, dass technische (Semi-)Expert:innen wie Ingenieur:innen und Informatiker:innen gleichermaßen stark zur SPD wie zur CDU/CSU neigen, da sie fast genau zwischen beiden Parteipolen positioniert sind. Allerdings stimmen sie mit fast zehn Prozentpunkten höherer Wahrscheinlichkeit für die Unionsparteien als für die Sozialdemokratie (26 zu 17 Prozent). Und selbst die soziokulturellen (Semi-)Expert:innen wie Lehrer:innen, Erzieher:innen oder Pflegekräfte, die laut Abbildung positionell fast deckungsgleich mit der SPD sind, wählen diese nur knapp durchschnittlich häufig.

Inwieweit die Kausalkette tatsächlich immer vom Beruf zu den politischen Einstellungen verläuft, wurde in einem letzten Analyseschritt anhand logistischer Regressionsanalysen untersucht. Die ausführlichen Ergebnisse finden sich in der veröffentlichen Studie.
 

 

Über den Autor

Aiko Wagner ist DFG-Heisenberg Fellow am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Er forscht zu politischen Einstellungen, Parteiensystemen, Wahlverhalten und politischem Wettbewerb.


Ansprechpartner in der FES

Jan.Engels(at)fes.de


 

Wagner, Aiko

Eine Frage der Klasse?

Analyse des Parteienwettbewerbs nach Berufsklassen und politischen Präferenzen
Berlin, 2024

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