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Citizen Science und Loss & Damage: Ein Aufruf zu mehr Kooperation im Kontext von Migration und Klimawandel
Bei der 58. Sitzung der UNFCCC-Nebenorgane, kurz SB58, im Juni 2023 veranstaltete eine Delegation der Climate, Migration, and Displacement Platform (CMDP) und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) gemeinsam mit UNU-EHS einen Workshop mit Bonner Wissenschaftler_innen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS), des Miranda House und der Universität Bonn. Die Tagung beschäftigte sich mit den Wechselwirkungen von Umwelt und Migration. Die Delegierten von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für die Rechte von Menschen einsetzen, die vom Klimawandel sowie von Migration und Vertreibung betroffen sind, brachten dabei Erkenntnisse aus vier Regionalkonsultationen ein. In diesem Beitrag werden einige Ergebnisse des Workshops zum Thema Loss & Damage, sowie einige übergreifende Ideen für die Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und Forschung vorgestellt.
Was ist mit Loss & Damage gemeint?
Es gibt keine einheitliche Definition, sondern der Begriff wird auf unterschiedliche Weise verwendet. Loss & Damage bezieht sich auf den Dialog zu diesem Thema im Rahmen der UNFCCC-Verhandlungen. (Der Begriff wird auch im Deutschen für das Konzept der Verluste und Schäden durch den Klimawandel benutzt. Anm. d. Red.) Der Plural „losses and damages“ (Im Folgenden als Verluste und Schäden bezeichnet. Anm. d. Red.) bezieht sich auf die tatsächlichen Folgen, also „die negativen Auswirkungen von klimabedingten Stressoren, die durch Maßnahmen zur Minderung und Anpassung nicht vermieden wurden oder werden können“. Dabei wird auch zwischen wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Verlusten unterschieden. Die Industrieländer haben eine historische Verantwortung hier etwas zu tun. Angekündigt war, dass während der SB58 Schritte zur Operationalisierung des Santiago Netzwerk zu Verlusten und Schäden unternommen werden sollten. Leider ist dies nicht passiert, was der Dringlichkeit der Klima- und Mehrfachkrisen unserer Zeit nicht gerecht wird. Darüber hinaus ist auch die zentrale Frage der Finanzierung nach wie vor unbeantwortet, und ein Fonds ohne Mittel ist ein zahnloser Tiger. Richtig ist auch, dass Verluste und Schäden durch den Klimawandel in verschiedenen Breitengraden ein unterschiedliches Ausmaß annehmen werden. Angemessene Bewertungen müssen die Vielfalt der Weltanschauungen und Werte berücksichtigen, die das widerspiegeln, was wir quantifizieren können, und all das, was wir nicht quantifizieren können.
Warum sollte man zu klimabedingten Verlusten und Schäden forschen?
Klimagerechtigkeit umsetzen und Forderungen zu Menschenrechten und Finanzen geltend machen
Wir hören oft, dass wir mehr und bessere Daten brauchen. Aber warum brauchen wir diese Daten? Und müssen wir sie wirklich neu generieren? Unsere Diskussionen drehen sich um die Tatsache, dass Daten über Verluste und Schäden für einen bestimmten Ort nicht immer für die jeweilige Bevölkerung verfügbar sind, und noch seltener in den Sprachen, die vor Ort gesprochen werden. In einigen Fällen müssen wir also (sprachliche und thematische) Übersetzungsarbeit leisten und Zugänge schaffen. In anderen Fällen müssen zum ersten Mal grundlegende Bewertungen durchgeführt werden, manchmal unter Verwendung von Regressionen oder historischen Daten. Wir müssen eine gemeinsame Sprache finden, in der wir kommunizieren können, insbesondere für die Bewertung von Verlusten und Schäden. Warum? Weil es nicht nur um Geld geht, denn klimabedingte Verluste und Schäden können wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Natur sein. Warum wir eine aussagekräftige Forschung zu diesem Thema brauchen, ist auch eine Frage der Menschenrechte und Ansprüche. Da die Verhandlungen über Loss & Damage (langsam) in Schwung kommen, müssen die betroffenen Gemeinden sowie die lokalen und nationalen Regierungen gefährdeter Länder über solide Daten zu den jeweiligen klimabedingten Verlusten und Schäden verfügen, die sie erleiden.
Wie kann man klimabedingte Verluste und Schäden erforschen?
Lokale Kapazitäten stärken und Citizen Science ausbauen
Verluste und Schäden durch den Klimawandel werden je nach Kapazitäten und Verwundbarkeiten in den verschiedenen Regionen unterschiedlich ausfallen. Die Quantifizierung und Qualifizierung von Verlusten und Schäden durch den Klimawandel in den Daten kann zeigen, dass sich ein spezifisches Ökosystem menschlicher und nicht-menschlicher Interaktionen nicht von den Auswirkungen des Klimawandels erholen kann. Globale Analysen sind wichtig, aber sie reichen nicht aus, um auf die Bedürfnisse und Umstände eines bestimmten Ortes einzugehen. In einigen Fällen wird es durch das Fehlen umfassender Grundlagenstudien noch schwieriger, klimabedingte Verluste und Schäden in der Gegenwart zu bewerten und eine Prognose für die Zukunft zu stellen. Speziell für abgelegene Gebiete ist die Einbindung großer Forschungskonsortien aus dem Ausland unrealistisch, kostspielig und in einigen Fällen unerwünscht. Stattdessen sollten wir Kapazitäten vor Ort stärken und die Zusammenarbeit mit lokalen Denkfabriken und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen fördern. Wir sagen "stärken" und nicht "aufbauen", weil wir anerkennen, dass die Menschen bereits über Wissen und Kapazitäten verfügen, die ernst genommen werden müssen. Lokale Bevölkerungen und indigene Gruppen verfügen über besondere Geschichten und Wissenssysteme über die Orte, die sie ihr Zuhause nennen. Das ist nichts Neues. Es geht nicht nur um die epistemische Gewalt, die darin besteht, anderes Wissen nicht als Wissen anzuerkennen, sondern in einigen Fällen verstößt dies sogar gegen das Recht auf geistiges Eigentum. So haben die Pazifikstaaten in ihrer Strategie 2050 für den Blauen Pazifischen Kontinent nicht nur die Bedeutung von Glauben, kulturellen Werten und traditionellem Wissen festgeschrieben, sondern sie fordern auch eine gleichberechtigte Kombination von indigenem Wissen und wissenschaftlicher Forschung. Wie wäre es, wenn Forschungsprojekte zu klimabedingten Verlusten und Schäden gemeinsam mit den Gemeinschaften konzipiert und unter ständiger Einbeziehung und Beteiligung der Gemeinschaften als Wissensträgerinnen fortgeführt würden?
Wie lange muss geforscht werden?
Unterschiedliche zeitliche Dimensionen bedenken und die Arbeit dementsprechend ausrichten
Es sollte inzwischen klar sein, dass der Klimawandel kein Problem der Zukunft ist. Das Klima hat sich verändert, verändert sich und wird sich weiter verändern. Wie also können wir dies in der Forschung zu klimabedingten Verlusten und Schäden erfassen, so dass es für die Bevölkerung vor Ort von Nutzen ist? Wir müssen ein feines Gespür für Zeiträume und zeitliche Tiefe haben. Es kann eine Weile dauern, bis sich die Verluste und Schäden durch den Klimawandel bemerkbar machen. Sie können aber auch plötzlich auftreten. Der Anstieg des Meeresspiegels ist zum Beispiel ein sehr allmählicher Prozess. Wir können in der Natur nur sehr geringe Veränderungen feststellen, z. B. dass sich die Farbe der Blattspitzen verändert, und wir Jahre später einen erhöhten Salzgehalt im Grundwasser messen können usw. Dies steht im Zusammenhang mit der Stärkung der lokalen Kapazitäten und der Citizen Science. Wer ist besser geeignet, die allmählichen oder plötzlichen Veränderungen in den jeweiligen sozialen und ökologischen Systemen zu überwachen und zu bewerten, als die Menschen vor Ort? Im Gegensatz zu einer Gruppe von Wissenschaftler_innen oder humanitärer Helfer_innen, die für eine Bedarfsermittlung anreisen, leben die Menschen schon seit Generationen vor Ort und werden auch in der nächsten Sturmsaison, im nächsten Jahr und im nächsten Jahrzehnt noch da sein.
Wir sind nicht orientierungslos
Verluste und Schäden durch den Klimawandel sind für viele Menschen rund um den Globus Realität geworden. Sie mussten den Verlust von Menschenleben, ihrer Lebensgrundlage, die Beschädigung von Kulturstätten und ihrer Häuser hinnehmen, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei den Verhandlungen über Loss & Damage im Rahmen des UNFCCC muss das ganze Spektrum der Auswirkungen berücksichtigt werden, die zu klimabedingten Verlusten und Schäden geführt haben, führen und weiterhin führen werden und die über das hinausgehen, was durch Anpassung an den Klimawandel und Minderung vermieden werden kann. Das Thema ist komplex, aber das ist keine Entschuldigung für Untätigkeit. Und während wir Perspektiven, Ideen, Instrumente und Ressourcen austauschen, wissen wir, dass wir nicht orientierungslos sind.
Die Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Forschung muss auf der Grundlage von Respekt und Konsens erfolgen: Respekt vor anderen Wissensformen, vor Prioritäten und vor den Menschen und mit der Zustimmung derjenigen, die mit dem Forschungsprozess verbunden und von den möglichen Implikationen betroffen sind. Eine weitere Rolle, die die Forschung spielen kann, ist die Vermittlung zwischen verschiedenen Sprachen und von vorhandenen Daten, um sie für die tägliche Arbeit der Zivilgesellschaft nutzbar zu machen, sei es bei der Sensibilisierung der Jugend oder bei der Lobbyarbeit für eine integrativere Politik gegenüber den Regierungen. Die Anerkennung vorhandener Kapazitäten lokaler Akteur_innen und deren Ausbau ist nicht so sehr eine Aufgabe als vielmehr eine Haltung für eine sinnvolle Partnerschaft. In unserer Diskussion wurde deutlich, dass vor allem die Gemeinschaften sich langfristig engagieren, die eine tiefe Verbundenheit mit dem Land und den Gewässern haben, in denen sie leben. Dementsprechend muss die Art von Forschung und die Antworten, die wir entwickeln, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft berücksichtigen. Mit Blick auf die COP28 treffen die Auswirkungen des Klimawandels weiterhin Gemeinschaften, die aufgrund struktureller Ungleichheiten in Bezug auf Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Alter usw. unverhältnismäßig stark gefährdet sind. Loss & Damage ist komplex, aber auch ein ernstzunehmendes Problem - heute und in Zukunft.
Daniela Paredes Grijalva beschäftigt sich in ihrem Dissertationsprojekt an der Universität Wien mit Menschenrechten, pluralen Wissenssystemen und Umweltmobilität in Indonesien. Zuvor hat sie mit Migrant_innenrechts-, Gender- und Entwicklungsorganisationen zusammengearbeitet. Während der SB58 war sie Gastwissenschaftlerin am UNU-EHS.
Shakirul Islam ist Aktivist und Forscher sowie Gründungsvorsitzender vom Ovibashi Karmi Unnayan Program (OKUP), einer basisdemokratischen Organisation von Migrant_innen in Bangladesch. Er hat mehrere Forschungsarbeiten zu den Themen Migration und Rechte von Migrant_innen durchgeführt, um die Stimmen und Perspektiven von Migrant_innen in den Diskurs einzubringen und faktenbasierte Lobbyarbeit zu leisten. Er war Mitglied der CMDP-FES-Delegation in Bonn und Genf.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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