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Politische Akademie

Kroatien in der Betreuungskrise 

Verfehlte und gute Lösungen für insbesondere armutsgefährdete Familien. Ein Beitrag von Ivana Dobrotić.

Bild: closed (sign) von Benedikt Geyer lizenziert unter CC0

Kurz nachdem die Weltgesundheitsorganisation eine durch das Coronavirus verursachte Pandemie ausgerufen hatte, beschlossen zahlreiche europäische Länder, darunter auch Kroatien, Kindertagesstätten und Schulen zu schließen.

Zweifelsohne werden schon diese Maßnahmen aus einer geschlechtsspezifischen wie auch sozialpolitischen Perspektive ungleiche Auswirkungen haben. Doch ist von zusätzlichen Verstärkungen auszugehen, sollten systematische, zeitnahe und angemessene Reaktionen des Staates auf die aktuelle Betreuungskrise ausbleiben, welche zahlreiche Familien und in erster Linie Frauen getroffen hat.

Fehlende Kinderbetreuung als Arbeitsmarktrisiko für Mütter

Frauen in Kroatien verdienen auch unter „normalen“ Bedingungen weniger und übernehmen darüber hinaus die meisten Aufgaben im Haushalt und in der Betreuung der Familienmitglieder. Dabei wenden sie etwa 19 Stunden in der Woche mehr für diese Tätigkeiten auf als Männer und das, obgleich ihre reguläre Arbeitszeit ähnlich hoch ist. Diese Kluft könnte sich in der aktuellen Situation noch weiter vertiefen, denn Kindertagesstätten und Schulen sind die wichtigsten Institutionen, die Frauen von der Betreuungspflicht entlasten und ihre (gleichberechtigte) Teilhabe am Arbeitsmarkt ermöglichen. Großeltern, die sonst die unzureichend vorhandenen Kitaplätze kompensieren und für die Eltern die „Rettung“ in der Betreuungskrise wären, können jetzt aufgrund des erhöhten Coronavirus-Infektionsrisikos nicht einspringen. Die gegenwärtig durch Betreuungsaufgaben behinderte Erwerbsarbeitsfähigkeit von Müttern, gepaart mit einem angesichts der Corona-Krise fragilen und von wachsender Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitsmarkt, führt gerade bei Frauen zu einem erhöhten Risiko des Arbeitsplatzverlustes.  

Hilfspakete, die keine sind - slowenische Hilfspakete im Vergleich

Kroatien hat zur Abmilderung der Corona-Krise bis dato zwei Hilfspakete für die Wirtschaft auf den Weg gebracht [1]. In keinem dieser Hilfspakete wird den spezifischen Bedürfnissen der Eltern Rechnung getragen, so wie es in anderen Ländern der Fall ist. Im Nachbarland Slowenien beispielsweise erhalten Beschäftigte, die aufgrund höherer Gewalt ihrer Arbeit nicht nachgehen können – dazu zählt sowohl die Kinderbetreuung wie auch die Einstellung des öffentlichen Nahverkehrs - Lohnersatzleistungen. Ferner hat Slowenien weitere Hilfsmaßnahmen für einzelne Beschäftigte im Privatsektor, für Familien mit Kindern, Sozialhilfebezieher_innen, Student_innen und Rentner_innen beschlossen wie einmalige Krisenzuschläge und/oder Solidaritätszuschläge.

Auch wenn wir davon ausgehen, dass gerade Frauen ihre wirtschaftlichen Aktivitäten einschränken müssen, so stellen die genannten Maßnahmen immerhin eine gewisse Entlastung dar. Die in Slowenien beschlossenen Maßnahmen werden voraussichtlich auch das Risiko von Kinderarmut ein stückweit abmildern. 

Im Gegensatz dazu waren die kroatischen Hilfspakete bisher vornehmlich auf die Wirtschaft und den Erhalt von Arbeitsplätzen ausgerichtet. Wenngleich sich vereinzelte Maßnahmen mittelbar auch auf diejenigen Familien auswirken, die von der aktuellen Betreuungskrise betroffen sind, so bleiben Eltern als Zielgruppe des Hilfspakets mitsamt ihren derzeitigen spezifischen Herausforderungen unsichtbar. Konkretere, an Elternbedürfnisse orientierte Vorschläge kommen von den Oppositionsparteien sowohl aus dem rechten als auch linken Lager, obgleich diese zum Teil unzureichend durchdacht sind.

Lösungsvorschläge, die Ungleichheiten vertiefen

Zum Beispiel wurde im Parlament ein Änderungsantrag zum Gesetz über das Mutterschafts- und Elterngeld eingebracht, das darauf abzielt, den Mutterschutz um vier Monate zu verlängern und die auf zwei Monate angelegte Elternzeit für Väter abzuschaffen [2]. Ein solcher Entwurf widerspricht nicht nur den Anforderungen der EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Er würde sich langfristig auch negativ auf die Lage der Frauen in der Gesellschaft auswirken, denn er zielt auf einen längeren Mutterschutz und nicht auf eine längere Elternzeit für beide Elternteile ab.

Kroatien gewährt ohnehin einen der längsten Mutterschutz mit dem nachweislich negativen Effekt auf Beschäftigung, Einkommen und Karriereaussichten von Frauen. Auch die Abschaffung der verpflichtenden Väterquoten wäre kontraproduktiv, denn gerade die Anzahl der Elternzeit nehmenden Väter hatte sich in jüngster Zeit verdoppelt und als die einzige Maßnahme erwiesen, die sich positiv auf die Gleichstellung der Geschlechter auswirkt. Väter, die die zweimonatige Elternzeit nutzen, ändern ihre Einstellungen und sind auch danach stärker in die Kinderbetreuung und die Hausarbeit involviert. Seitdem 2017 das Elterngeld erhöht wurde, nehmen immer mehr Väter die Elternzeit in Anspruch (2017: 4,5 Prozent der Väter, 2019: 8,7 Prozent der Väter)

Ein solcher Entwurf würde daher die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern auf dem Arbeitsmarkt und im Privatleben noch weiter vertiefen bzw. die erreichten Fortschritte auf’s Spiel setzen und richtet sich ohnehin nur an einen engeren Kreis von Müttern. Er schafft dem Problem der aktuellen Betreuungskrise also keine Abhilfe.

Bezahlte Elternfreistellung geht in die richtige Richtung

Demgegenüber stellt ein zweiter Gesetzesvorschlag, der von der Sozialdemokratischen Partei Kroatiens (SDP) eingebracht wurde, einen besseren Ansatz dar: Er sieht vorübergehende Lohnersatzleistungen während der Arbeitsverhinderung (durch Corona) zu Betreuungszwecken von Kindern bis zum zwölften Lebensjahr vor. Dies würde weitaus mehr Familien helfen, doch die Inanspruchnahme in voller Höhe ist nur für diejenigen möglich, die in den letzten neun Monaten versicherungspflichtig beschäftigt waren (oder zwölf Monate in den letzten zwei Jahren). Diese Bedingung würde besonders vulnerable Gruppen wie Eltern mit unsicheren Arbeitsverträgen und in irregulären Beschäftigungsformen ausschließen. Sie können weiterhin nur Ansprüche bis zur Höhe des Mindestlohns geltend machen, der aber ihre Grundbedürfnisse nicht zu decken vermag

Armutsgefährdete Familien außen vor

Insgesamt lässt sich in der aktuellen politischen Debatte eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Herausforderungen vermissen, denen die verletzlichsten Bevölkerungsteile, nämlich die armutsgefährdeten Familien, ausgesetzt sind. Die Situation der Kinder, die in Armut aufwachsen, ist besorgniserregend. Der Umstand, dass die Schulen auf längere Zeit geschlossen sind, zieht erhebliche negative soziale und gesundheitliche Folgen für armutsgefährdete Kinder nach sich. Den Kindern wird ihr grundlegendes soziales Schutznetzwerk entzogen, wobei einem nicht geringen Teil der Kinder durch ihr Fernbleiben von der Schule (oder Kita) sogar die Chance auf die einzige ausgewogene Mahlzeit am Tag entgeht.

Schon frühere Untersuchungen in Kroatien sowie Daten von Eurostat weisen darauf hin, dass sich ein Drittel der Familien mit Kindern in Kroatien eine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder einem vegetarischen Ersatz seltener als an jedem zweiten Tag leisten kann. Da immer gewisser wird, dass die Corona-Krise in eine ernsthafte wirtschaftliche Rezession münden wird, ist es wichtig, mit Hilfe von Sofortmaßnahmen die Bedürfnisse insbesondere der Familien mit Armutsrisiko zu berücksichtigen, um so eine soziale Krise mit weitaus langfristigeren Folgen abzuwenden.

Bezahlte Elternfreistellung für alle – das ist der Weg

Notwendig sind daher zusätzliche finanzielle Unterstützungen für Familien mit Kindern und Lösungen für die vorübergehende Betreuungskrise. Unter den gegebenen Bedingungen steht die Einführung einer vorübergehenden, bezahlte Krisenfreistellung für die Kinderbetreuung durch Mütter und Väter an erster Stelle. Der oben beschriebene Gesetzesvorschlag der SDP könnte in diese Richtung erweitert werden und gleichzeitig auf die Koppelung an vorherige Versicherungszeiten verzichten.

Ziel muss sein, dass alle Unterstützungsleistungen bei Eltern mit geringem Einkommen ankommen - ob sie vorher gearbeitet haben oder nicht, ob sie aktuell weiterarbeiten oder nicht. Denn die Pandemie trifft Eltern mit prekären Arbeitsverträgen und in irregulären Beschäftigungsformen besonders hart. Mit Blick auf das ungewisse Ende der Pandemie sollte eine bezahlte Krisenfreistellung sukzessive um Angebote der Betreuung in Kindergärten und Schulen ergänzt werden, die den Kriterien des Infektionsschutzes entsprechend mit kleineren Gruppen oder nach einem Rotationssystem arbeiten.

Nicht zuletzt ist es auch Aufgabe des Staates, die Arbeitgeber mit ins Boot zu holen und sie dahingehend zu motivieren (bzw. die Rettungsschirme so auszugestalten), dass sie Eltern durch flexible Arbeitszeiten und geringere Arbeitsbelastung entlasten.

 

Autorin:

Ivana Dobrotić, ist Hochschullehrerin an der Universität Zagreb und aktuell Marie-Curie-Stipendiatin in der Abteilung für Sozialpolitik und Intervention an der Universität Oxford. Sie arbeitet als leitende Wissenschaftlerin an einer Vergleichsstudie über „social and gender inequalities in care: childcare-related policies and parenting practices in the post-Yugoslav countries and the role of policy ideas – InCare.“ Sie ist Mitglied des internationalen Forschungsnetzwerks "International Network on Leave Policies and Research" und der EU-Arbeitsgruppe "Work-Life-Balance Indicators".

 

[1] Das erste Hilfspaket in der 214. Sitzung der Regierung der Republik Kroatien (17.3.2020.), das zweite in der 222. Sitzung (2.4.2020), https://vlada.gov.hr/sjednice/9

[2] Die Quote des Vaters wird abgeschafft, was bedeutet, dass Sie den Müttern erlauben, das auszunutzen, was aus geschlechtsspezifischer Sicht schlecht ist. Entweder nutzt der Vater dieses Quote oder die drei Monate verfallen.
 

++ Die im Blogbeitrag geäußerten Ansichten sind nicht unbedingt die der Friedrich-Ebert-Stiftung.


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