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Politische Akademie

Zweifel, Skepsis und Misstrauen: die deutsche Zeitenwende aus polnischer Sicht

Die regierende PiS-Partei bedient Themen, die die Gemüter erhitzen und schürt eine antideutsche Stimmung. Die Zeitenwende hat daran noch nicht viel geändert, analysiert Dr. Joanna Andrychowicz-Skrzeba aus Warschau.

 

Das Image Deutschlands hat in Polen seit dem Machtantritt der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ PiS im Jahr 2015 gelitten. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor einem Jahr hat sich das noch verschärft. Die Entscheidung etwa, der Ukraine zu Beginn des Krieges nur Schutzhelme zu liefern sowie das Versäumnis von Olaf Scholz, sich nach Ausbruch des Krieges sofort vollumfänglich für die Ukraine einzusetzen, haben Polen enttäuscht. Dies schürte Zweifel, ob Deutschland wirklich auf der Seite der Ukraine steht und des gesamten östlichen Europas steht und ob man sich in einer Krisensituation auf die Bundesrepublikverlassen kann.

 

Die Zeitenwende-Rede von Olaf Scholz am 27. Februar 2022 wurde in Polen dann mit viel Zustimmung und noch mehr Erleichterung aufgenommen. Polnische Medien und Expert_innen lobten in einer ersten Reaktion die mutigen Entscheidungen des Kanzlers. Doch die damit geweckten Hoffnungen auf eine Änderung der bisherigen deutschen Politik, insbesondere gegenüber Russland, wichen bald wieder der Enttäuschung. Polnische Medien und Politiker aus verschiedenen politischen Lagern, von der PiS bis hin zur sozialdemokratischen Neuen Linken, begannen auf harsche (PiS) und diplomatischere (Neue Linke) Weise, ihr Nachbarland für das Ausbleiben von konkreten, entschlossenen und vor allem schnellen Maßnahmen zu kritisieren. Damit meinten sie fehlende deutsche Waffenlieferungen und die anfangs mangelnde Bereitschaft Deutschlands, die EU-Sanktionspakete zum Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System und ein schnelles Embargo gegen russisches Gas zu akzeptieren. Für Polen ist die Hilfe für die Ukraine derweil zur Staatsräson geworden. Das Handeln der Regierung zur Unterstützung der Ukraine wird von der polnischen Öffentlichkeit weiterhin positiv bewertet – im Februar 2023 waren 80 Prozent der Polen dieser Meinung.

 

Die Zeitenwende wird in Polen nicht wirklich verstanden

 

Der Begriff Zeitenwende istzwar in Expertenkreisen und in den Medien in seiner deutschsprachigen Form gebräuchlich, wird aber in seinen Grundzügen nicht wirklich verstanden. Auch deshalb dreht sich die Debatte um Deutschland in Polen nicht vorrangig um die Zeitenwende, sondern um Themen, die die öffentliche Stimmung derzeit aufheizen. Dazu gehörendie Frage der Lieferung schwerer Waffen und das deutsche Zögern wie etwa im Falle der Leopard-Panzer und des gescheiterten Ringtausches mit Polen. Zu Wahlkampfzwecken fügt die PiS noch die Frage von Reparationszahlungen Deutschlands an Polen für die Schäden, die das Land und seine Bürger während des Zweiten Weltkrieges erlitten haben, hinzu. Ein Thema, das in Polen schon lange diskutiert, jetzt aber erneut auf den Tisch gelegt wird. Im laufenden Parlamentswahlkampf vor den Wahlen im Herbst 2023 ist es auch für die Opposition schwierig, einen anderen Ton in der Debatte anzuschlagen. Seit Jahren wirft die PiS ihr vor, eine Agentin Deutschlands zu sein. Eine Abkehr von der antideutschen Rhetorik ist in den kommenden Wahlkampfmonaten also nicht zu erwarten. Vielmehr wird diese Rhetorik als Strategie der PiS-Partei genutzt, um die radikale Wählerklientel zu mobilisieren und Gemüter in der Gesellschaft zu erhitzen.

 

Die Rede von Bundeskanzler Scholz in Prag im August und die Äußerungen von Lars Klingbeil zur Zeitenwende im Juni 2022wurden in Polen hauptsächlich in Expertenkreisen zur Kenntnis genommen, doch vor allem das Eingeständnis, einer jahrelang verfehlten deutschen Russlandpolitik, einschließlich in der Energiepolitik, drang in die öffentliche Debatte vor.

 

Wenn Deutschland früher mit der wirtschaftlichen Notwendigkeit argumentierte, die Beziehungen mit Russland auszubauen und so auch immer wieder den Bau der Nord-Stream-Pipeline legitimierte, wurde das in Polen auch damals schon nicht akzeptiert.  Die späte Einsicht auch von einigen der wichtigsten Personen im deutschen Staat werden daher vor allem in rechten Kreisen, die der Partei PiS nahestehen, mit einem „Ich hab's ja immer schon gesagt“-Lächeln quittiert.

 

Deutschland muss sich größeres Vertrauen erarbeiten

 

Doch wird auch registriert, dass Deutschland bei der Gestaltung einer neuen europäischen Ostpolitik fortan stärker auf die Stimmen der mittel- und osteuropäischen Länder hören will. Deutschlandexperten, vor allem aus den regierungsnahen Think Tanks, sowie die rechten Medien stehen diesen Beteuerungen jedoch zweifelnd gegenüber. Sie befürchten vielmehr eine erneute Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich, über die Köpfe der mittel- und osteuropäischen Länder hinweg. Sie vermuten, dass Deutschland in Zukunft zum Business-as-usual-Prinzipmit Russland zurückkehren wird.

 

Im Jahr 2011 sagte der polnische Außenminister Radosław Sikorski in Berlin: „Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit“. Diese Worte gelten auch heute noch. Es ist unumstritten, dass Deutschland aktiver und entschlossener werden  und schnellere und mutigere Entscheidungen treffen muss, um die gemeinsame Sicherheit in Europa zu gewährleisten. Die von Klingbeil angekündigte Führungsrolle Deutschlands erfüllt in einigen Kreisen in Polen diese Erwartungen, während sie in anderen – rechtsgerichteten –als eine Bestätigung des deutschen Anspruchs gesehen wird, eine Hegemonialstellung in Europa zu erreichen. Ungeachtet dessen lässt die bisherige deutsche Haltung zur Unterstützung der Ukraine die Polen an der Eignung Deutschlands für eine Führungsrolle zweifeln.

 

Aus der Sicht Polens ist eine konstruktive Diskussion über die Zukunft der gesamten Region von entscheidender Bedeutung. Ob Polen es für sich nutzen wird, wenn Deutschland stärker als bisher auf die Stimmen der mittel- und osteuropäischen Länder hören will, wird auch von den Ergebnissen der polnischen Parlamentswahlen im Herbst abhängen. Eine weitere Legislaturperiode der PiS-Partei könnte von einer Ablehnung der deutschen Bestrebungen, die Führungsrolle zu übernehmen, geprägt sein, sowie von einer Zurückhaltung, mit Deutschland zu kooperieren, selbst auf Kosten polnischer Interessen. Ein Machtwechsel in Polen zugunsten der Opposition, die pro-europäisch und nicht antideutsch eingestellt ist, könnte dagegen eine konstruktivere Zusammenarbeit in diesem Bereich bedeuten.

 

Dr. Joanna Andrychowicz-Skrzeba ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der FES in Warschau. Gemeinsam mit Dr. Max Brändle hat sie kürzlich den Sammelband "The Disruption of Eastern Policy - Looking East from Warsaw and Berlin" herausgegeben.

 

Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautorin spiegeln nicht die Haltung der Redaktion oder der Friedrich-Ebert-Stiftung wieder.


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