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Fokus Migration und COVID-19: Wie der Lockdown die Gefährdung von Migrantinnen in informellen Siedlungen in Spanien verstärkt.
Bild: Informal settlements in Almeria. von Fundacion Cepaim
„Die Arbeitskräfte, mit denen ich mich getroffen habe, leben in einer Siedlung für Migrant_innen, die den schlimmsten, die ich irgendwo auf der Welt gesehen habe, gleichkommt. Wasser gibt es nur in mehreren Kilometern Entfernung, und sie leben ohne Strom oder ausreichende sanitäre Anlagen.“Professor Philip Alston, UNO-Sonderberichterstatter über extreme Armut und Menschenrechte, über seinen Besuch in Spanien.
„Die Arbeitskräfte, mit denen ich mich getroffen habe, leben in einer Siedlung für Migrant_innen, die den schlimmsten, die ich irgendwo auf der Welt gesehen habe, gleichkommt. Wasser gibt es nur in mehreren Kilometern Entfernung, und sie leben ohne Strom oder ausreichende sanitäre Anlagen.“
Professor Philip Alston, UNO-Sonderberichterstatter über extreme Armut und Menschenrechte, über seinen Besuch in Spanien.
Seit den 1990er Jahren gibt es in Spanien eine große Zahl informeller Siedlungen für Migrant_innen, die auch als Elendsviertel bezeichnet werden. Sie sind ein konkretes Beispiel des Mangels an wirksamem Respekt für die Menschenrechte sämtlicher Migrant_innen, gleich welchen Aufenthaltsstatus, und ihren Schutz, der imGlobalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration [1] verankert ist, und das Ausmaß und der schlimme Zustand der Wohnverhältnisse in informellen Siedlungen machen sie zu einem der am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen der Welt.
Nach der 2007 von FEANTSA entwickelten Europäischen Typologie für Wohnungslosigkeit handelt es sich bei diesen Siedlungen um „unzureichendes Wohnen“ hinsichtlich der Sicherheit und der lebenswichtigen Entwicklung der Bewohner_innen. Zudem schafft ihre Verortung in ländlichen Gebieten oder der städtischen Peripherie, bzw. ihre Abtrennung von städtischen Zentren, selbst wenn sie sich dort befinden, eine Barriere, diedie Integration von Migrant_innen in die städtische Gemeinschaft verhindert.
In Spanien gibt es solche Siedlungen in den Provinzen Almeria und Huelva, der Autonomen Gemeinschaft der Region Murcia und der Valencianischen Gemeinschaft sowie in großen Städten wie Madrid und Barcelona und ihren Großräumen. Obwohl es sich bei Siedlungen um männlich dominierte Räume handelt, die hauptsächlich von männlichen Migranten bewohnt sind, sind Frauen eine wachsende und besonders gefährdete Gruppe, die häufig an der Schnittstelle einer prekären Wohnsituation und dem Risiko geschlechtsbasierter Gewalt leben.
Der folgende Text ist eine Analyse [2] des Profils und der sozialen Situation dieser Frauen und der Auswirkungen des COVID-19-Gesundheitsnotstands und seiner Folgen auf ihre materiellen Lebensbedingungen sowie der Tatsache, dass unzureichende Wohnverhältnisse eine der zahlreichen Gefährdungen sind, die sich gegenseitig verstärken und die alle von der Pandemie betroffen sind. In diesem kurzen Artikel werden Frauen in informellen Siedlungen in Spanien als Fallstudie dafür betrachtet, wie sich COVID-19 auf diese häufig vergessenen Migrant_innen auswirkt.
Die von der Cepaim-Stiftung durchgeführte Forschung zu den Bewohner_innen informeller Siedlungen in Spanien im Jahre 2019 konzentrierte sich auf Teilnehmende aus vier Schlüsselgebieten: den ländlichen Provinzen Almería und Huelva sowie den Metropolen Madrid und Barcelona. Die Studie, die vor Beginn der COVID-19-Pandemie durchgeführt wurde, zeigte auf, dass Frauen eine der am stärksten gefährdeten Gruppen sind. Ein großer Teil dieser Gefährdung war das Ergebnis schlechter Wohnverhältnisse (häufig vorübergehende Behausungen aus wiederverwerteten Materialien und ohne Strom, Wasser und sanitäre Anlagen) sowie der geografischen Lage, nämlich häufig isoliert und mit wenigen Ressourcen und Arbeitsplätzen außerhalb der Landwirtschaft. Die Migrantinnen aus Afrika südlich der Sahara (hauptsächlich Nigeria, Äquatorialguinea, Guinea und Ghana), die in der Provinz Huelva in informellen Siedlungen lebten, waren am stärksten gefährdet und häufig Opfer von Menschenrechtsverletzungen, insbesondere Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Am zweithäufigsten gefährdet waren Migrantinnen ohne geregelten Aufenthaltsstatus aus Marokko, die in den Provinzen Huelva und Almeria lebten und für minderjährige Kinder in Spanien oder manchmal in ihrem Heimatland sorgten.
Die COVID-19- Präventionsmaßnahmen haben die Überlebensrisiken dieser Frauen verschärft. Dies ist insbesondere der Fall hinsichtlich: 1) Arbeit, weil sie weniger Arbeitsmöglichkeiten in der informellen Ökonomie haben und wegen unzureichender Präventionsmaßnahmen mit höheren Ansteckungsrisiken konfrontiert sind; 2) Wohnraum, da sie in Unterkünften wohnen, die Mindestanforderungen an Bewohnbarkeit und Hygiene nicht erfüllen, die im Krankheitsfall unabdingbar sind, um Ansteckungen zu verhindern und Quarantäne zu ermöglichen; und 3) Care-Arbeit, denn durch Kinderbetreuung und Hausarbeit aufgrund von Schulschließungen, dem Fehlen von sozialen und Familiennetzwerken und dem Versäumnis von Männern, Verantwortung für den Haushalt zu teilen, verschärft sich die Belastung der Frauen.
Es zeigte sich zudem, dass die am stärksten gefährdete Gruppe, Frauen aus Afrika südlich der Sahara, die durch Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung betroffen sind, auch weiterhin am stärksten gefährdet sind - auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen von COVID-19. Sie sind möglicherweise das schwerwiegendste Beispiel dieser Dynamik. Diese fortgesetzte Misshandlung und Gewalt birgt jetzt für sie auch ein hohes Risiko, sich mit dem Virus zu infizieren.
Die Frauen aus Marokko mit ungeregeltem Aufenthaltsstatus, die in den Provinzen Huelva und Almeria leben und minderjährige Kinder (in Spanien und Marokko) haben und die von Schulschließungen betroffen waren, hatten auch mit den Auswirkungen der Pandemie auf das Reisen zu kämpfen. Viele wurden als Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft angeworben, mit der Erwartung, dass sie in ihr Heimatland zurückkehren, wo viele für ihre Eltern und Kinder sorgen. Landwirtschaftliche Betriebe werben weibliche Arbeitskräfte mit diesem spezifischen Profil an, und obwohl es oft zu den ausbeuterischen Arbeitspraktiken gehört, dass diese Betriebe die Möglichkeit der Frauen zu gehen kontrollieren, sind sie wegen der Pandemie ohne Einkommen in Spanien gestrandet. Die ihnen bekanntere Unsicherheit, nicht zu wissen, über wie viele Monate hinweg sie zum Bleiben und Arbeiten gezwungen sein werden, wird ersetzt durch die Unsicherheit, ob sie in der nächsten Saison wieder zurückkehren können, um zu arbeiten, oder wie lange sie ohne Einkommen in Spanien werden bleiben müssen.
Der durch COVID-19 verursachte Gesundheitsnotstand hat dem Leben in informellen Siedlungen neue Gefährdungen im Zusammenhang mit der Krankheit hinzugefügt, er unterstreicht jedoch auch, wie Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen in informellen Siedlungen über den Zugang zu angemessenem Wohnraum, der oft im Fokus steht, hinausgehen. Wie Wohnen, soziale Bedingungen, Gesundheit und Hygiene, sowie wirtschaftliche Chancen und Mobilität sich überschneiden ist im hier erläuterten Fall von Frauen in informellen Siedlungen in Spanien zu erkennen, aber diese Realitäten bestehen auch anderswo, mit ähnlichen Nachteilen für Migrant_innen.
Es ist entscheidend sicherzustellen, dass Gespräche über Hygiene zur COVID-19-Prävention in informellen Siedlungen nicht isoliert stattfinden. Vielmehr ist ein ganzheitlicher Ansatz mit einer klaren Geschlechterperspektive nötig. So wird es möglich sein, die tiefgreifende Ungleichheit zu begreifen, die in Fällen von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung besonders virulent ist, wie auch in der ungleichen Verteilung der Care-Arbeit und den hohen Raten physischer, sexueller, psychischer und struktureller geschlechterbasierter Gewalt.
Die Notwendigkeit, „eine geschlechtersensible Migrationspolitik [zu] entwickeln, die den besonderen Bedürfnissen und prekären Situationen migrierender Frauen, Mädchen und Jungen Rechnung trägt“, wie in Absatz 23 (c) des Globalen Pakts für eine sichere, geordnete und reguläre Migration ausgeführt, muss Zugang zu angemessenem Wohnraum mit umfassen; und umgekehrt müssen nationale oder regionale Regierungen, die für das Wohnungswesen verantwortlich sind, dieses Recht in einer Art und Weise anerkennen, die Migrant_innen und Geschlechterfragen in den Mittelpunkt stellt. [3] Wir formulieren die folgenden Empfehlungen, um im Zusammenhang mit COVID-19 für alle Migrant_innen den Zugang zu angemessenem Wohnraum zu sichern:
Die Autor_innen:
Diego Pascual López-Carmona. Dr. der Soziologie (Universität Murcia) und Nationaler Koordinator der Abteilung für Ausgrenzung bezüglich Wohnraum und Wohnen bei der Fundación Cepaim.
Jesús Tolmo García. Koordinator der Abteilung für Allianzen, Lobbyarbeit und internationale Angelegenheiten bei der Fundación Cepaim.
Nacho Hernández. Abteilung für Allianzen, Lobbyarbeit und internationale Angelegenheiten bei der Fundación Cepaim.
Manuela Pérez González. Technisches Interventionsteam in informellen Siedlungen bei der Fundación Cepaim.
[1] Der Globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration legt in Absatz 15 (f) Folgendes fest: „Der Globale Pakt gründet auf den internationalen Menschenrechtsnormen und wahrt die Grundsätze der Nichtregression und Nichtdiskriminierung. Durch die Umsetzung des Globalen Paktes sorgen wir dafür, dass die Menschenrechte aller Migranten, ungeachtet ihres Migrationsstatus, während des gesamten Migrationszyklus wirksam geachtet, geschützt und gewährleistet werden. Wir bekräftigen außerdem die Verpflichtung, alle Formen der Diskriminierung, einschließlich Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz, gegenüber Migranten und ihren Familien zu beseitigen“.
[2] Dieser Artikel basiert auf Forschungen der Cepaim-Stiftung aus dem Jahr 2019, mit dem Titel „Analyse der Unsichtbarkeit wohnungsloser Frauen: Profil und soziale Situation von Frauen, die in informellen Siedlungen in Spanien leben“ von López-Carmona sowie einer Analyse der von der Organisation in Berichten zusammengefassten Informationen. Diese Berichte wurden vom technischen Team erstellt, das in direkten Interventionen in Siedlungen involviert ist, und beziehen sich auf die Arbeit, die seit Ausbruch des Gesundheitsnotstands 2020 durchgeführt wurde.
[3] Allgemeine Anmerkung Nr. 4: Das Recht auf ausreichende Unterbringung (Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Art. 11 (1)) sieht ausdrücklich vor, dass „das Recht auf ausreichende Unterbringung für alle gilt“ (Absatz 6) und dass „das Recht auf Unterbringung für alle Menschen gewährleistet werden sollte, unabhängig von Einkommen oder Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen“ (Absatz 7).
[4] Allgemeine Anmerkung Nr. 15, Das Recht auf Wasser (Art. 11 und 12 des Pakts) legt fest, dass Staaten verpflichtet sind, „diejenigen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, mit dem notwendigen Wasser und Wasseranlagen zu versorgen und jegliche Diskriminierung aus international verbotenen Gründen bei der Versorgung mit Wasser und Wasserdienstleistungen zu verhindern“ (Abs. 15), „wobei das Recht auf Wasser für alle gilt“ (Abs. 16).
Dieser Artikel ist Teil einer Serie der Global Coalition on Migration und der Friedrich-Ebert-Stiftung über internationale Migration während der COVID-19-Pandemie. Sie analysiert die Auswirkungen der Pandemie auf den Schutz internationaler Migrant_innen; Schwerpunkte sind dabei verschiedene Instrumente der Menschenrechte, internationales Recht, der Globale Pakt sowie internationale Übereinkommen, die die Rechte von Migrant_innen schützen. Die Artikel behandeln verschiedene Themen, u.a. Geschlecht, Arbeit, Regularisierung, Rasse, Fremdenfeindlichkeit, Sicherheit, Grenzen, Zugang zu Dienstleistungen sowie Inhaftierung.
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Nicht nur in der Fleischindustrie gibt es ausbeuterische Arbeitsbedingungen.
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