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Wir sprachen mit Sebastian Schipper (Victoria) über seinen neuen Film „Roads“.
Bild: Sebastian Schipper von Studiocanal GmbH / Mathias Bothor
FES: Worum geht es in ROADS?
Sebastian Schipper: ROADS erzählt die Geschichte von zwei Achtzehnjährigen, die mit einem geklauten Auto quer durch Europa fahren. Der eine von den beiden Achtzehnjährigen heißt Gyllen, kommt aus London und hat in Marokko das Wohnmobil seines Stiefvaters geklaut, um seinen leiblichen Vater in Frankreich zu besuchen und der andere Achtzehnjährige heißt William, kommt aus dem Kongo und ist auf der Suche nach seinem Bruder, der bei dem Versuch es bis nach England zu schaffen, irgendwo in Europa verschollen ist.
Sie haben für den Film auch in Nordafrika recherchiert. Wo waren Sie und was für Eindrücke hatten Sie von der Situation vor Ort?
Wir waren außerhalb von Ceuta, einer spanischen Enklave auf dem Festland von Marokko. Da gibt es diesen Zaun, den man aus den Medien kennt, weil dort Migranten versuchen, es über diesen Zaun nach Europa zu schaffen. Das haben wir uns angeschaut. Wir sind auch richtig ins Hinterland hineingefahren und haben Gruppen von jungen Männern aus Westafrika getroffen. Mal konnten wir mit ihnen reden, weil sie Englisch gesprochen haben, aber oft auch nicht. Und trotzdem waren es ganz eindrückliche Erlebnisse, weil es echte Begegnungen waren. Es gibt den Moment, wo man anfängt sich anzuschauen und miteinander zu reden und sei es mit Händen und Füßen. Wenn man einen anderen Menschen trifft und der ist offen und erlaubt es einem, dass man ihn anguckt, entsteht eine Kommunikation - obwohl man aus den unfassbar verschiedensten Welten kommt. Dann ist das etwas ganz Berührendes und was ganz Tiefgründiges. Von diesem Gefühl oder diesem Moment handelt ROADS.
Wie würden Sie die Freundschaft der beiden Protagonisten beschreiben?
Freundschaft ist ja schon so eine Schlussbilanz. Das sind zwei junge Menschen, die sich begegnen und sich erst einmal gegenseitig ziemlich konkret für ihre Ziele benutzen. Der eine will nach Spanien, der andere kann nicht Auto fahren. Und je mehr Zeit sie miteinander verbringen, umso mehr merken sie, dass sie etwas miteinander verbindet und dann hören sie nicht auf, Zeit miteinander zu verbringen. Ich glaube schon, dass man am Ende sagen kann, sie sind Freunde geworden, aber wir wissen ja auch, dass der Begriff der Freundschaft viel ambivalenter und vielschichtiger ist, als einfach nur so ein Wort.
William und Gyllen kommen aus unterschiedlichen Welten, finden dann doch zueinander. Haben sie mehr gemeinsam als sie trennt?
Ich glaube wir haben alle viel mehr gemeinsam als uns trennt. Das, was an allererster Stelle über uns alle gesagt werden kann, ist, dass wir gleich sind. Na klar, wir sind auch unterschiedlich: Wir kommen aus unterschiedlichen Kulturen, wir sind Mann und Frau oder wir haben verschiedene Hautfarben. Aber ich glaube die Werkseinstellungen, das, was wir erst einmal sind als Mensch, darin sind wir uns gleich und unfassbar ähnlich. Ich bin mal in China mit einem Zug gereist, weil ich aus Shanghai raus in irgendeine Kleinstadt gefahren bin, um mir ein Museum anzugucken und ich wäre beinahe nicht zurück nach Shanghai gekommen, weil ich die Schriftzeichen nicht lesen konnte und keiner Englisch gesprochen hat. Ich habe dann irgendwann irgendeinen Zug nehmen müssen, der an jeder kleinen Station gehalten hat. Damals war ich Anfang dreißig und da war so eine junge Frau mit einem roten Mantel und die stand da in diesem vollgequetschten Zug. Ich weiß nicht, ob man das Neugier nennen soll oder ob es tatsächlich schon ein Flirt war, aber wir haben uns immer mal wieder angeguckt. Das ist wirklich ein unglaubliches Erlebnis. Und vielleicht ist Begegnung ja immer Flirt. Vielleicht hat sie mich auch einfach nur angeguckt, weil ich der größtmögliche Außenseiter war, wie ich da kerzengerade zwischen allen Chinesen stand im Zug. Ich glaube, diese Geschichten kennen wir alle - dass wir merken, wie unfassbar das ist, wieviel wir alle miteinander zu tun haben. Mitunter habe ich sogar das Gefühl, dass Aggression eigentlich daher kommt, dass wir überfordert sind und weniger daher, dass wir grundsätzlich denken, das sind ja Fremde oder die anderen sind ja alle so doof. Ich glaube das ist ein Slogan, der erfunden wird, weil wir eigentlich damit überfordert sind, wie nah wir uns alle sind.
Denken Sie, dass man sich durch Erzählungen eher in die Situation von Geflüchteten hineinversetzen kann als durch nüchterne Information?
Ich glaube, dass man sich in jede Situation hineinversetzen kann, indem man eine Geschichte hört. Ich glaube, dass wir viel zu viel über politische Slogans miteinander Dinge verhandeln, die wir viel persönlicher verhandeln sollten. Wir sollten vielmehr von uns erzählen und dem anderen zuhören, wenn er von sich erzählt, als uns irgendwelche großen Parolen oder angestammten politische Meinungen gegenseitig nur um die Ohren zu hauen. Ich habe das Gefühl, das gilt für das gesamte politische Spektrum. Ich habe in Calais die jungen Freiwilligen gesehen, die an die Migranten Essen und Kleidung verteilen. Die agieren ganz wenig mit dem erhobenen Zeigefinger, die machen und sie wissen, dass sie an das glauben, was sie da machen aber sehen das, glaube ich, noch nicht mal als politische Handlung, sondern einfach als eine Sache, die man macht. In einem Kontinent wie Europa, in dem sich immer mehr Leute damit brüsten oder darüber definieren, dass wir christlich sind, müsste es die Diskussion, ob man jemandem zu essen gibt, der Hunger hat, eigentlich nicht geben. Das ist für mich relativ schwer nachzuvollziehen, wie das eigentlich gemeint ist oder funktionieren soll.
**Es handelt sich hierbei um ein transkribiertes Audio-Interview. Es gilt das gesprochene Wort.
Am 21.05.2019 zeigen wir den Film zusammen mit Studiocanal in der Kulturbrauerei in Berlin. Wir laden Sie zur Publikumspremiere mit anschließendem Filmgespräch u. a. mit Sebastian Schipper ein! Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier
Trailer zum Film (Englisch)
Trailer zum Film (Deutsch)
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