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Wer darf wann und wie Deutsch werden? Und darf jemand zwei Staatsangehörigkeiten haben? Ein FES-Gutachten zeigt den Sachstand und gibt Empfehlungen.
Bild: Prof. Dr. Dietrich Thränhardt von privat
„Deutsches Blut“ war für mehr als 80 Jahre das Zugangskriterium zur deutschen Staatsbürgerschaft. Noch zu Kaisers Zeiten wurde 1913 das „Ius Sanguis“ – wörtlich: „Recht des Blutes“, meist übersetzt als „Abstammungsprinzip“ – eingeführt, nach dem der- oder diejenige deutsch ist, der deutsche Eltern hat. Erst im Jahr 2000 wurde von der damaligen rot-grünen Bundesregierung ein neues Staatsangehörigkeitsrecht eingeführt. Nach dem Geburtsortprinzip („Ius Solis“ oder „Recht des Bodens“) erhält ein in Deutschland geborenes Kind ausländischer Eltern neben der Staatsangehörigkeit der Eltern auch die deutsche Staatsbürgerschaft, wenn ein Elternteil einen gesicherten Aufenthaltsstatus hat. Wenn es in Deutschland aufwächst oder aus einem EU-Land oder der Schweiz kommt, bleibt es auch nach dem 21. Lebensjahr Doppelstaatler. Zudem ist es seither leichter, die deutsche Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung zu erwerben.
Diese Reform war seinerzeit zwischen den Regierungs- und Oppositionsparteien hart umkämpft. Bis heute sind die Fragen nach Einbürgerung und doppelter Staatsbürgerschaft sensibel und immer wieder Gegenstand politischer Debatten – auch im laufenden Bundestagwahlkampf. Die Friedrich-Ebert-Stiftung legt nun ein neues Gutachten zu „Einbürgerung im Einwanderungsland Deutschland“ vor, um den Sachstand zu analysieren und Verbesserungen vorzuschlagen. Autor Prof. Dr. Dietrich Thränhardt weist darauf hin, dass seit 2005 rund 10 Prozent der dauerhaft in Deutschland lebenden Einwohner_innen keine deutschen Staatsbürger_innen sind – dies sind aktuell mehr als zehn Millionen Menschen. „Dass Bevölkerung und Staatsvolk weitgehend zur Deckung kommen, liegt im Interesse der deutschen Demokratie. Wenn alle Menschen, die permanent in Deutschland wohnen, Deutsche werden, stärkt das den sozialen Zusammenhalt, es dient der Integration und macht das Land stabiler“, so Thränhardt.
Allerdings ist die Zahl der Einbürgerungen niedrig angesichts der Zahl der ausländischen Einwohner_innen, die alle Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen. 2016 waren dies nur rund 110.000 Menschen oder 2,2 Prozent derjenigen, die seit mindestens acht Jahren in Deutschland leben (Quelle: Statistisches Bundesamt). Im internationalen Vergleich liegt Deutschland damit im unteren Mittelfeld westlicher Staaten. Zudem fällt auf, dass obwohl die Einbürgerungsgesetze für ganz Deutschland gelten, die Einbürgerungspraxis in den Bundesländern und Kommunen nach wie vor sehr unterschiedlich ist (siehe dazu die FES-Studie „Integration ist (auch) Ländersache“). Die Gründe dafür sind laut Thränhardt vielfältig: „Die niedrigen Einbürgerungsraten sind Ergebnis einer Mischung aus widersprüchlicher Gesetzgebung, ungeeigneten Verwaltungsverfahren, wenig effizienten Verwaltungspraktiken, unzureichenden oder fehlerhaften Informationen bei den Betroffenen und auch bei Behördenmitarbeiter_innen.“
Bei der doppelten Staatsbürgerschaft hingegen besteht „eine kaum nachvollziehbare Asymmetrie“ – so die Bundesverfassungsrichterin Prof. Dr. Christine Langenfeld im April 2014 in der Süddeutschen Zeitung. Einerseits gibt es immer mehr Menschen in Deutschland bei denen die doppelte Staatsbürgerschaft akzeptiert wird – z. B. EU-Bürger_innen und Aussiedler_innen aus Osteuropa–, andererseits wird der Ruf nach deren generellen Vermeidung lauter. Dies richtet sich vor allem gegen Einwanderer und Einwanderinnen aus weniger privilegierten Regionen. Wie viele Doppelstaatler_innen es in Deutschland genau gibt, ist nicht bekannt. Schätzungen schwanken zwischen knapp zwei und über vier Millionen Menschen. Die realen Probleme mit doppelten Staatsangehörigkeiten sind gering. Meist werden Probleme mit doppelter Staatsbürgerschaft im Zusammenhang mit Einwanderinnen und Einwanderern aus der Türkei thematisiert. Doch „Probleme in Deutschland entstehen nicht wegen mehrfacher Staatsangehörigkeiten“, analysiert Dietrich Thränhardt, „sondern wegen der Akzeptanz türkischer Staatlichkeit in Deutschland“, v. a. in Bezug auf Religionsausübung (Ditib), Wehrpflicht und Sprachunterricht.
1. Behörden müssen entsprechende Ressourcen haben, um Einbürgerungsanträge zügig bearbeiten zu können.
2. Die restriktive Praxis der Gewährung einer doppelten Staatsbürgerschaft an einbürgerungsberechtigte türkische Staatsbürger_innen muss geändert werden.
3. Die deutsche Staatlichkeit muss auf dem deutschen Territorium entsprechend dem traditionellen juristischen Dreiklang Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt durchgesetzt werden.
4. Bessere Integration und Anerkennung von Migrant_innen und ihren Nachfahren. Denn dies führt erfahrungsgemäß dazu, dass die Mehrstaatlichkeit nach ein bis zwei Generationen einschläft.
Und warum das alles, Herr Thränhardt? „Staatsangehörigkeit ist das Band zwischen Bürger_innen und Staat. Es ist im deutschen Interesse und im Interesse der Menschen in Deutschland, wenn dieses Band gestärkt wird und möglichst alle Einwohner_innen umfasst.“
Kontakt: Günther Schultze, Abteilung WISO, Leiter Gesprächskreis Migration und Integration, Tel. 0228 / 883 8313, Mail: guenther.schultze(at)fes.de
Thränhardt, Dietrich
Analysen und Empfehlungen / Dietrich Thränhardt. - Bonn : Friedrich Ebert Stiftung, 2017. - 40 Seiten = 550 KB, PDF-File. - (WISO-Diskurs ; 2017,11)Electronic ed.: Bonn : FES, 2017ISBN 978-3-95861-901-2
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