Trotz der stabilen rechtlichen Verhältnisse in Deutschland löst die Stellung von Religion in der Gesellschaft immer wieder heftige Diskussionen aus.
Das zeigt zum Beispiel das Volksbegehren der Initiative Pro Reli, die 2009 mit ihren Anliegen scheiterte, Religion zum Wahlpflichtfach an Berliner Schulen aufzuwerten.
Die politische Auseinandersetzung nahm bisweilen Züge eines Kulturkampfes an, in dem es einem breiten Bündnis aus christlichen, islamischen und jüdischen Vertreter_innen nicht gelang, die Bevölkerung von Berlin (ca. 60 Prozent konfessionslos) von ihren schulpolitischen Vorstellungen zu überzeugen.
In der Kampagne wurde unter anderem behauptet, Religion sei "ein wesentlicher Beitrag zur Persönlichkeitsbildung", der durch die "neutrale" Vermittlung im Rahmen eines Ethikunterrichts nicht geleistet werden könne. (1)
In einer säkularen Gesellschaft sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass man auch auf der Grundlage nichtreligiöser Wertesysteme Kinder zu vollwertigen Persönlichkeiten mit einem ethisch-moralischen Grundapparat heranzubilden und dass dieses von Geistlichen respektiert wird.
Dass die Diskussion wieder einmal anhand von schulischen Fragen an Schärfe gewann, ist angesichts der Tradition, das "christliche Abendland" schulpolitisch abzusichern, kein Zufall gewesen. Es zeigt, wie angreifbar Religionsfreiheit wird, wenn es um die großen Fragen bzw. die heranwachsende Generation geht.
Die Religionsfreiheit ist in Deutschland ein individuelles Grundrecht und beinhaltet auch das Recht, keine Religion zu haben. Sie ist in Artikel 4 des Grundgesetzes geregelt.
Die Freiheit,
- keiner Kirche angehören zu müssen,
- an keinen Gott glauben zu müssen und
- keine heiligen Schriften oder Orte anerkennen zu müssen,
ist keine Selbstverständlichkeit.
Die Emanzipation aus dem - vom christlichen Weltbild dominierten und von der katholischen Kirche kontrollierten - Mittelalter ist ein Prozess, der vor mehr als 600 Jahren begann, heute noch nicht abgeschlossen und auch nicht unumkehrbar ist.
Im Moment treten in Staaten, die üblicherweise der westlichen Welt zugeordnet werden (Polen, Ungarn) religiöse Ordnungsprinzipien, Werte und Zielsetzungen immer stärker in den Vordergrund.
Historisch waren Reformbewegungen der christlichen Kirche in Westeuropa wie Protestantismus oder Calvinismus unverzichtbare Voraussetzungen für die Religionsfreiheit.
Im Judentum gab es im 18. und 19. Jahrhundert mit der Haskalah eine eigene Strömung der Aufklärung, die religiöse Traditionen und Werte in die Moderne überführte.
Ebenso dazu beigetragen haben die Französische Revolution von 1789 sowie Naturwissenschaften, Literatur, Kunst und Philosophie.
In Russland schränkte bereits Anfang des 18. Jahrhunderts Zar Peter der Große (1672-1725) die Macht der russisch-orthodoxen Kirche nachhaltig ein, ehe sich 1917 mit der russischen Revolution ein Gesellschaftssystem etablierte, das später "wissenschaftlichen Atheismus" als Lehrfach an den Universitäten einführte.
Atheismus und Agnostik sind Begriffe aus dem Bereich der Philosophie beziehungsweise der Theologie.
- Atheismus bedeutet die strikte Ablehnung des Glaubens an Gott (oder Götter).
- Agnostik vertritt Annahmen, wonach die Existenz oder Nichtexistenz einer höheren Instanz, beispielsweise eines Gottes ungeklärt oder nicht beweisbar sind.
Mit dem Godesberger Programm gab die SPD 1959 ihre atheistische Grundhaltung auf, unter anderem um die Zielgruppe "katholische Arbeitertochter vom Land" für sich gewinnen zu können.
Heute bezeichnen sich die meisten westlichen Staaten als säkular. Dabei wird unterschieden zwischen...
der Säkularisation
als der rechtlichen Trennung von Staat und Religionsgemeinschaft und
der Säkularisierung
als gedankliche oder ideengeschichtliche Trennung von Gesellschaft und religiösen Werten.
Der Laizismus
gilt als strenge Spielart des Säkularismus und legt u.a. allergrößten Wert auf religionsfreien Schulunterricht.