Deutsche Einheit - kunstvoll erzählt
Die Friedrich-Ebert-Stiftung möchte mit diesem Buch dazu beitragen, den Dialog zwischen Ost und West auf eine andere Art & Weise zu führen. Die versammelten Beiträge wollen zu neuen Gedanken anregen und ungewöhnliche Perspektiven eröffnen.
Ausgehend von einem Kunstwerk – einer Fotografie, einem Gemälde, Gedicht, Popsong oder einer Skulptur – begeben sich die Autor*innen verschiedener Generationen und Herkünfte auf die Reise in ein TRAUMaLAND.
Ein wichtiger Kompass auf der Reise der über 50 Autor*innen des Buches ist die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Identitäten und Geschichten zwischen Ost und West, aber auch die Suche nach Gemeinsamkeiten und gegenseitigem Verständnis im Spannungsfeld von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Wir versammeln in diesem Buch Stimmen aus unterschiedlichen Generationen. Denn jede Generation schaut mit ihren besonderen Erfahrungen auf die Deutsche Einheit und den Vereinigungsprozess, zieht andere Bilanzen und Rückschlüsse für zukünftiges Handeln.
Mit Beiträgen von Jamila Al-Yousef - Pablo Dominguez Andersen - Susan Arndt - Matthias Baerens - Oleh Barasij - Katja Barthold - Kerstin Brückweh - Claire Demesmay - Karamba Diaby - Karimé Maria Diallo - Tanja Dückers - Martin Dulig - Frank Ebert - Ronny Freier - Peter Grabowski - Olga Grjasnowa - Lea Gronenberg - Elisa Gutsche - Kübra Gümüşay - Irma Hausdorf - Burkhard Jellonnek - Theresa Keilhacker - Hanka Kliese - Alexander Koch - Daniela Kolbe - Thomas Kralinski - Şeyda Kurt - Max Florian Kühlem - Jana Kühn - Beate Küpper - Ilko-Sascha Kowalczuk - Eun-JeungLee - Cesy Leonard - Helge Lindh - Peggy Mädler - Steffen Mau - Lucas Mielke - Robert Misik - Viktoria Morasch - Gero Neugebauer - Thomas Oberender - Matthias Platzeck - Robert Prosser - Andreas Richter - Ralf Rytlewski - Anja Schröter - Franziska Schröter - Johannes Staemmler - Pia Stendera - Deniz Utlu und Abini Zöllner.
Herausgeberin: Franziska Richter für die Friedrich-Ebert-Stiftung
beim Dietz Verlag Bonn.
Wir wollen in diesem Buch die Kraft der Kunst nutzbar werden lassen, um bisher Ungesagtes an die Oberfläche zu bringen und neue Zusammenhänge sichtbar zu machen. Am Beginn jedes Beitrags steht so ein Kunstwerk, das zum Ausgangspunkt der Reflexionen wird oder eine wichtige Botschaft des Textes unterstreicht.
Ihre Fotografie „ An der Museumsinsel, 1972“ ziert das Buchcover und ist Leit- und Sinnbild des Buches.
Die ausgewählten Kunstwerke, die nahezu alle Sparten abdecken, umfassen vielfältige Zeitepochen und stammen von deutschen sowie internationalen Künstler*innen, u.a. von
Jamila Al Yousef, Thomas Brussig, James Baldwin, Norbert Bisky, Harald Hakenbeck, John Heartfield, Seiji Kimoto, Wolfgang Mattheuer, Henrike Naumann, A.R. Penk, Evelyn Richter, Ina Schoenenburg, Klaus Staeck, She She Pop und Wu Tsang und vielen anderen mehr.
Auszüge
Ilko-Sascha Kowalczuk,
Historiker und Mitglied der Einheitskommission
Aus dem Essay:
Der Jahrhundertschritt. Vergangenheiten, die drohen, nicht zu vergehen
Als ich den „Jahrhundertschritt“ von Wolfgang Mattheuer erstmals sah, im Herbst 1987 in Dresden, war ich wie vom Schlag getroffen. Wenn ich mich richtig erinnere, stand diese kopflose Figur ohne Farbanstrich in einem Raum der Kunstausstellung, nichts weiter, nur dieser ausgestreckte deutsche Gruß, die Rot-Front-Faust, der Soldatenfuß und das Bein, das ich für mich sofort als Häftlingsbein identifizierte. Heimlich versuchte ich, die Fußstellung nachzuahmen – es ging nicht, ich fiel um. […]
Der „Jahrhundertschritt“ ist nicht vergangen. Wir leben in seinem Angesicht.
Passen wir nicht auf, kommen wir unter den Stiefel. Oder sind selbst der Stiefel. Oder die Faust. Oder der Arm. Verhindern, gerade in Ostdeutschland, geht nur mit Köpfen, die sich bekennen.
Steffen Mau, Soziologe
Aus dem Essay:
Vom Gestern zum Morgen. Ostdeutschland als Erfahrungsraum
Als Entwicklungsperspektive, so erkennen wir heute, war die Erwartung der vollständigen Anverwandlung des Ostens an den Westen illusionär. Ostdeutschland wird auch in Zukunft ein eigener Sozial- und Erfahrungsraum bleiben, der sich auch in Biographien, Lebenswegen, Familienbindungen und Freundschaftsnetzwerken aufblättern lässt. Ein Osten, der erzählt werden will, neu erzählt werden muss.
Die 1979 in Ost-Berlin geborene Fotografin Ina Schoenenburgs stellt in der Serie „Blickwechsel“ die Familie ins Zentrum, spielt mit der Spannung von Bewegung und Stillstand, Unverrückbarkeit und dem Blick nach vorn. Das Kanu steht auf der Wiese, aber Kind, Frau und Hund schauen, als würde sie auf ein nahendes Ufer zusteuern. Das hat die ostdeutsche Gesellschaft in den vergangenen drei Dekaden immer geprägt: eine Imagination des Kommenden und zugleich der Haltegriff des Vergangenen.
Cesy Leonard, Aktionskünstlerin
Aus dem Essay:
Radikale Töchter. Möglichkeitsräume sichtbar machen
Kunst machen und dabei trotzdem tatsächlich was in der Welt verändern, das war schon immer mein Anspruch und Antrieb.
Wir glauben daran, dass die Begegnung mit Aktionskunst vielseitige, effektive und niedrigschwellige Wege eröffnen kann, junge Menschen aus ihren gewohnten Denkbahnen ausbrechen zu lassen. Oder, um es mit Beuys zu sagen: „Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden, sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen.“ Um eine Zukunft zu erfinden, brauchen wir eine Jugend, die den Mut hat und die Phantasie, diese zu träumen."