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Chinas Rolle im multilateralen Handelssystem

Unsere jüngste Analyse erläutert, was Beijings Außenwirtschaftspolitik antreibt und stellt Überlegungen an, wie Europa darauf reagieren sollte.

Die Volksrepublik China hat in den vergangenen Jahren die Logik ihrer Außenpolitik massiv verändert und seine Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen neu ausgerichtet. Unsere jüngste Analyse nimmt diese Veränderungen in den Blick und konzentriert sich dabei explizit auf Chinas wachsendes Gewicht im multilateralen Handelssystem.

 

Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahre 2001 hatte beispiellose Folgen. So hat sich das Land zur weltweit größten Exportnation und zur zweitgrößten Volkswirtschaft nach den USA entwickelt und zählte vor der Pandemie weltweit zu einem der drei Top-Standorte für ausländische Direktinvestitionen. Die Auswirkungen von Chinas WTO-Mitgliedschaft gehen jedoch weit über betriebs- und volkswirtschaftliche Aspekte hinaus. Sowohl innerhalb der WTO und den Vereinten Nationen (VN) als auch bei anderen Verhandlungsrunden, z. B. regionalen oder bilateralen Handels- und Investitionsgesprächen, hat Beijing auch enorm an politischem Gewicht gewonnen.

Um Chinas wachsende Gestaltungsmacht besser einordnen zu können, haben das Referat Asien-Pazifik und das Genfer Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) gemeinsam eine Analyse mit dem Titel »Chinas Rolle im multilateralen Handelssystem« veröffentlicht. Die Publikation hilft dabei zu verstehen, was Beijings neue Außenwirtschaftspolitik antreibt und wie seine wachsende Macht inner- und außerhalb des multilateralen Handelssystems künftige Beziehungen mit anderen Regionen und Wirtschaftsmächten beeinflussen wird. Gleichzeitig wirft sie Überlegungen auf, wie die Europäische Union (EU) bilateral, innerhalb der WTO und in weiteren internationalen Foren auf Chinas neue mehrstufige Strategie reagieren könnte. Grundlage des Berichts sind Hintergrundrecherchen und eine Vielzahl von Interviews mit Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

Die Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass sich Chinas Außenwirtschaftsstrategie immer mehr von Annäherung zu Divergenz verschiebt. So ist Beijing gegenüber den vorhandenen WTO-Regeln skeptischer geworden und nimmt seit 2012 verstärkt eine selektive Entkopplung von der WTO vor, um neue Regeln und Räume zu erschließen. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung eines China-zentrierten regionalen Führungssystems, das durch eine staatlich geführte Infrastrukturentwicklung gekennzeichnet ist. Nennenswerte Beispiele sind die Neue-Seidenstraßen-Initiative (Belt and Road Initiative, BRI) oder die erfolgreiche Gründung der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB). Ein Ansatz, der größtenteils Chinas interne Entwicklungserfahrung über die vergangenen vier Jahrzehnte widerspiegelt.

Chinas präsenteres Vorgehen und vielschichtige Außenwirtschaftsstrategie wird mindestens noch fünf bis zehn Jahre anhalten. Dieser Wandel ist nicht nur in der inländischen Volkswirtschaft verankert, sondern spiegelt auch das neue Verständnis der chinesischen Eliten für die eigene Geschichte des Landes sowie die jüngsten Erfahrungen bei der internationalen, wirtschaftlichen Lenkung wider. Beijings Strategie hat sowohl multilaterale als auch regionale Ebenen. Auf globaler Ebene ist es Chinas Ziel seine Macht und seinen Einfluss in bestehenden Wirtschaftsinstitutionen weiter zu erhöhen, um die dominante Stellung der USA und Europas in diesen Organisationen zu ändern bzw. anzufechten. Neugründungen regionaler Institutionen und die Vernetzung über Freihandelsabkommen sollen unabhängiger machen und die wirtschaftlichen und politischen Interessen des Landes weiter fördern.

Ungeachtet dessen stellt die Studie fest, dass China bei laufenden Verhandlungen der WTO Bereitschaft zu mehr Flexibilität zeigt, da es weiterhin direkt wie indirekt vom System profitiert. Hier gilt es für die EU anzusetzen. Die EU muss in der Frage eines reformbedürftigen multilateralen Handelssystems ihre Vermittlerrolle zwischen China und den USA fortsetzen. Einseitigkeit könnte das System implodieren lassen. Gleichzeitig skizziert die Analyse, dass sich die EU mit einem noch breiteren »Instrumentenkasten« auf zunehmende geopolitische und -ökonomische Spannungen mit China vorbereiten sollte. Auf globaler Ebene muss Europa zudem eine stärkere Führungsrolle in Fragen sozialer und nachhaltiger Entwicklung einnehmen. Damit verbunden ist auch eine strategischere Antwort hinsichtlich Chinas Neuer-Seidenstraßen-Initiative weiterhin erforderlich.

 

Dieser Bericht ist Teil der Veröffentlichungsreihe »Gestaltungsmacht China« der FES, die Beijings Herangehensweise in einer Reihe unterschiedlicher globaler Politikfelder untersucht. Das übergreifende Thema ist die Zukunft des Multilateralismus angesichts Chinas Aufstieg zur Weltmacht und einem immer stärker werdenden Wettbewerb um Werte und Normen: Wie können wir einen konstruktiven Verhandlungsprozess zwischen Europa und China über die Rahmenbedingungen für die Global Governance einleiten? In welchen Bereichen sind mehr Koordinierung und Zusammenarbeit mit China möglich, und wo muss Europa zunehmend Gegenmaßnahmen ergreifen und seine Hausaufgaben machen, zum Beispiel um in Schwellen- und Entwicklungsländern als verlässlicher Partner wahrgenommen zu werden?

Chinas Rolle im multilateralen Handelssystem

Tendenzen, Impulse und Folgen für Deutschland und die Europäische Union
Bonn, 2022

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Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik

Dr. Andrä Gärber
Sina Dürrenfeldt
Max Ostermayer
Dr. Robert Philipps
Markus Schreyer

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