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Der neue FES Blog "Die ganze Wirtschaft im Blick?" bietet Perspektiven für eine gendergerechte globale Wirtschaft und Arbeitswelt in post-Corona-Zeiten. Lesen Sie hier den Auftaktartikel von Natalia Figge und Katia Schnellecke.
Die Pandemie hat Ungleichheiten an vielen Fronten verschärft. Besonders betroffen davon sind Frauen. Es braucht ein echtes globales Engagement, das deutlich über wohlklingende aber letztlich leere Versprechungen hinausgeht. Der bevorstehende G7-Gipfel ist eine Chance, den Worten Taten folgen zu lassen.
Es wird oft gesagt, Epidemien seien Spiegel der Gesellschaft. Die COVID-19-Pandemie ist da keine Ausnahme. Überall hat sie Ungleichheiten und strukturelle Vulnerabilitäten ans Tageslicht gebracht – in Bezug auf den sozioökonomischen Status, die Zugehörigkeit zu rassistisch diskriminierten Gruppen, Alter, Bildungsniveau, Wohnort und Geschlecht. Zudem hat sie erhebliche sozioökonomische Auswirkungen auf Frauen und Mädchen, deren Bedürfnisse bei den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung weitgehend ignoriert worden sind. Lockdowns haben zu einem scharfen Anstieg an sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt geführt. Die un- und unterbezahlte Arbeit von Frauen insbesondere im direkten Kampf gegen die Auswirkungen der Pandemie ist ebenfalls sprunghaft angestiegen; gleiches gilt für sozioökonomische Unsicherheiten und Abhängigkeiten. Gleichzeitig bleiben Frauen weitgehend von der (politischen) Entscheidungsfindung ausgeschlossen – obwohl diese sie direkt betreffen. Dadurch bleiben sie auch außen vor, wenn es darum geht, geschlechtergerechte Antworten auf die Pandemie zu finden. Nach dem ersten Optimismus zu Beginn der Impfkampagnen ist klar geworden: Die Verantwortlichen müssen immer noch dringend strukturelle Verteilungsprobleme und globale Ungleichheiten bei der Impfstoffversorgung angehen, um die Pandemie wirklich zu stoppen. Bei der Planung und Durchführung der Impfstoffverteilung müssen insbesondere geschlechtsspezifische Hindernisse überwunden werden, damit auch die am meisten marginalisierten Menschen erreicht werden.
Gesellschaften und Volkswirtschaften stehen jetzt vor den Herausforderungen der "neuen Normalität". Die Pandemie hat zu Arbeitsplatzverlusten, Wirtschaftskrisen und einer weltweiten Rezession geführt. Die anfängliche Erholung der Weltwirtschaft schlägt sich nicht überall in gleicher Weise nieder. Ärmere Länder stehen einer tieferen und längeren Krise gegenüber, mit steigender weltweiter Armut und einem Wiederanstieg von Ungleichheiten, die sich zuvor verringert hatten. Es besteht die große Gefahr, dass die Strategien zur wirtschaftlichen Erholung die Ungleichheiten, die durch die Pandemie noch deutlicher geworden sind, nicht werden beseitigen können. Die Welt nach der Pandemie wird nicht mehr dieselbe sein wie vorher, die Lösungsvorschläge sind jedoch immer noch die alten: marktorientiert, von neoliberaler Ideologie geprägt und weitgehend ohne Berücksichtigung von Geschlechteraspekten.
Im Kontext der Pandemie wirken sich die sich überschneidenden Auswirkungen von Machthierarchien und Identitäten besonders direkt auf die bezahlte, unbezahlte und unterbezahlte (Sorge-)Arbeit von Frauen aus. Frauen leisten diese Arbeit zu Hause, im Gesundheitswesen und im Sozialsystem ebenso wie im informellen, prekären Sektor, zu dem auch die Hausarbeit gehört. Wenn Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen geschlossen und Kinder in häusliche Quarantäne geschickt werden, zeigt sich, welche Rolle Lehrer_innen und das öffentliche Bildungswesen in der Unterstützung von Familien bei der Kinderbetreuung spielen. Frauen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, suchen plötzlich verzweifelt nach Betreuungsmöglichkeiten. Weltweit sind Frauen im Niedriglohnsektor überrepräsentiert und unverhältnismäßig oft von pandemiebedingten Kürzungen betroffen. Dennoch sind sie es, die die Hauptlast der COVID-19-Krise tragen. Die meisten Frauen sind weder sozial abgesichert noch von Krisenschutzmaßnahmen abgedeckt. Als Geringverdienerinnen verfügen sie über kaum Erspartes. Hinzu kommt, dass Frauen zu einem alarmierenden Grad aus dem Berufsleben ausscheiden. Laut Schätzungen von Oxfam haben Frauen im Jahr 2020 um die 800 Milliarden US-Dollar an Einkommensverlusten hinnehmen müssen. 13 Millionen Frauen weniger als 2019 gingen einer bezahlten Arbeit nach. Kündigungen und Zwangsbeurlaubungen sind dabei nur ein Teil des Gesamtbilds. Oft muss nicht einmal der Arbeitsplatz wegfallen: Viele Frauen mussten ihre Arbeit aufgeben, weil sie auf kein Unterstützungsnetz zurückgreifen können.
Die gegenwärtige Care-Krise zeigt, wie wichtig Sorgearbeit ist und wie ungleich sie weltweit auf Gemeinschaften und Individuen verteilt ist. Die kollektive Last der Reproduktions- und Sorgearbeit im Gesundheits- und Sozialwesen anzuerkennen und gemeinsam zu tragen ist der einzige Weg hin zu einer nachhaltigen Erholung nach der Pandemie. Nur eine breitere Aufteilung der Verantwortung kann sicherstellen, dass Sorgearbeit nicht länger einfach den Frauen aufgebürdet wird. Die Förderung neuer Ideen und Praktiken durch formelle (staatliche) und andere Kanäle (Hochschulen, Gewerkschaften, Graswurzelbewegungen, Medien usw.) kann ebenfalls dazu beitragen, Normen zu verändern und die Teilhabe von Männern an der unbezahlten Sorgearbeit zu erhöhen. Gleichzeitig braucht es Wege, die Arbeitenden im unbezahlten oder informellen Sektor angemessen zu entlohnen und mit sozialen Sicherheitsnetzen auszustatten, denn sie sind es, die einen Großteil der Last dieser Krise schultern.
Die politische Debatte konzentriert sich oft auf riesige Konjunkturpakete für die Zeit nach der Pandemie. Ihr Ziel ist, Wachstum zu fördern und die Volkswirtschaften wieder 'in die Spur' zu bringen. Statt nach neuen Möglichkeiten zu suchen, die Wirtschaftssysteme grundlegend zu überdenken und widerstandsfähigere Alternativen für eine wirtschaftliche Transformation nach der Pandemie zu entwickeln, setzt man auf das Reparieren bestehender Strukturen mit althergebrachten Investitions- und Wachstumsfördermechanismen. Staaten, multilaterale Institutionen, Gemeinschaften und soziale Bewegungen sollten sich dafür engagieren, die zerstörerische Finanz- und Rechtsarchitektur der Weltwirtschaft abzubauen. Dazu gehören die internationalen Finanzinstitutionen (IFI) mit ihren ständigen Rufen nach Austerität ebenso wie die vielen Handels- und Investitionsabkommen, deren COVID-19-Entlastungsmaßnahmen von großen Unternehmen nicht selten dazu genutzt werden, ihre eigenen Gewinne zu steigern. Die Staaten sollten auf eine Umstrukturierung der globalen Märkte und Lieferketten hinarbeiten, damit der Wiederaufbau der transnationalen Arbeitsmärkte nicht zu einer erneuten Ausbeutung und systematischen Verletzung der Rechte von Millionen von Arbeitnehmenden, insbesondere Frauen, führt. Besteuerung ist der Schlüssel zur Beseitigung von (geschlechtsspezifischen) Ungleichheiten. Wohlstand und Finanzkapital müssen umverteilt werden, damit gute öffentliche soziale Dienstleistungen finanziert werden können und dem unverhältnismäßigen Einfluss einer Handvoll mächtiger Einzelpersonen und multinationaler Unternehmen Einhalt geboten werden kann.
Ebenfalls gilt es, gegen illegale Finanzströme und Steueroasen vorzugehen. Hierzu braucht es einen globalen Aufsichts- und Berichtsmechanismus, Maßnahmen zur Steuergerechtigkeit, um die Umsatz- und Verbrauchssteuern für die Ärmsten zu senken, und Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Ungleichheiten sowie indirekte Diskriminierung in der Besteuerungspolitik.
Der bevorstehende G7-Gipfel wird die Staats- und Regierungschefs der sieben mächtigsten und reichsten Länder zusammenführen. Die Beschlüsse und Vereinbarungen, die auf diesen Gipfeln getroffen werden, wirken sich weltweit auf Menschen- und Frauenrechte aus. Dabei muss mehr herauskommen als Lippenbekenntnisse zur Stärkung von Frauen. Wenn Politik, Investitionen, Gesetze und Haushalte diese Priorität nicht widerspiegeln, haben gut gemeinte Worte keinen Wert.
Natalia Figge koordiniert von Berlin aus die internationale Arbeit der FES zu Geschlechtergerechtigkeit sowie das globale Projekt The Future is Feminist.
Katia Schnellecke ist Leiterin des FES-Projekts Politischer Feminismus in der MENA-Region mit Sitz in Beirut (Libanon).
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Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik
Dr. Andrä Gärber Sina Dürrenfeldt Max Ostermayer Dr. Robert Philipps Markus Schreyer
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