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Wie sagt die Sozialdemokratie, was sie will?

Gruppen und Werte in der politischen Kommunikation



Das alte Erfolgsrezept der Sozialkompromisspartei bestand darin, Wähler_innen auf der Grundlage ihrer Klassenzugehörigkeit anzusprechen und Wahlen mit einer Koalition der so angesprochenen sozialen Gruppen zu gewinnen. Die Studie zeigt, dass der Einfluss der sozialen Klasse auf das Wahlverhalten deutlich abgenommen hat, während der Einfluss von Werten gestiegen ist. Der Wandel zur Wertepartei, insbesondere durch eine wertebasierte Kommunikation, wäre die folgerichtige Antwort auf diesen Wandel. Die Analyse von Wahlprogrammen der im Bundestag vertretenen Parteien von 1949 bis heute zeigt jedoch, dass ein solcher Wandel von der Sozialkompromisspartei hin zur Wertepartei nicht stattgefunden hat. Die politische Kommunikation in Deutschland ist über die Jahrzehnte hinweg bemerkenswert stabil geblieben. So kommuniziert beispielsweise die SPD weiterhin wie eine Sozialkompromisspartei, die sich auf die Ansprache sozialer Gruppen konzentriert. Trotz der zunehmenden Bedeutung von Werten fürs Wahlverhalten ist der Umfang der wertebasierten Kommunikation insgesamt nicht gestiegen. Ganz im Gegenteil. Die Parteiprogramme von SPD und CDU aus dem 21. Jahrhundert unterscheiden sich im Hinblick auf die relative Bedeutung von Werteansprache und Gruppenansprache kaum von den Programmen aus der Hochphase sozialdemokratischer Wahlerfolge zwischen 1969 und 1990. Nur bei den Grünen und der AfD ist eine deutliche Zunahme wertebasierter Begründungen zu beobachten.

 

Geschrumpfte Stammwählerschaft durch veränderte Klassenstruktur
 

Frühere Wahlerfolge der SPD wurden maßgeblich durch die breite Unterstützung der Arbeiter_innenklasse ermöglicht. So gaben 56% der (Fach-)Arbeiter_innen an, bei der Bundestagswahl 1972 die SPD per Zweitstimme gewählt zu haben, während der Gesamtstimmenanteil der Partei nur bei 45,8% lag. Das Schrumpfen dieser Klasse führte dementsprechend auch zu niedrigeren Stimmenanteilen der SPD bei späteren Wahlen. Bei der Bundestagswahl 2017 etwa erhielt die SPD zwar erneut überdurchschnittlich viele Stimmen unter (Fach-)Arbeiter_innen, jedoch hat die Arbeiter_innenklasse im Laufe der Zeit deutlich an Stimmengewicht verloren. Allgemein beeinflusst die Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse heute die eigene Wahlentscheidung in einem erheblich geringeren Maß als noch in den 1970er Jahren.

 

Werte gewinnen für Wähler_innen an Bedeutung
 

Während die Klassenzugehörigkeit als erklärender Faktor für das Wahlverhalten an Bedeutung verloren hat, spielen Werte eine immer größere Rolle. Hier offenbart sich eine strukturelle Herausforderung für die SPD. Während man bei der Bundestagswahl 1972 noch unter Wähler_innen, die verschiedenen progressiven Ansichten zuneigten, stark überdurchschnittlich abschneiden konnte, erhielt man 2017 lediglich von denjenigen progressiven Wähler_innen stark überdurchschnittlich viele Stimmen, die sich für Umverteilung aussprachen.

Anders sieht es hingegen bei den Grünen aus, welche bei der Wahl 2017 unter progressiven Wähler_innen deutlich mehr Stimmengewinne erzielen konnten als die SPD. CDU/CSU wiederum schnitten bei allen progressiven Werten unterdurchschnittlich ab.

 

Die Entwicklung zur Wertepartei stockt
 

Während Werte einen deutlich größeren Einfluss auf das Wahlverhalten als früher haben, haben sich die Wahlprogramme der Parteien an diese Entwicklung nur teilweise angepasst. Die Häufigkeit wertebasierter Begründungen pro politischer Forderung ist insbesondere bei der SPD im Zeitverlauf weitestgehend stabil geblieben. Starke Ausschläge in den 1950er und 1960er Jahren sind durch sehr viel kürzere Wahlprogramme zu erklären. Einzig bei den Grünen ist ein langfristiger Anstieg wertebasierter Begründungen erkennbar.

 


Über die Autoren

Sebastian Jobelius leitet die Gruppe Politische Planung und Innovation im Bundeskanzleramt. Zuvor war er unter anderem Büroleiter von Andrea Nahles und persönlicher Referent von Olaf Scholz.

Lennart Schulze ist Forscher am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Er beschäftigt sich mit politischen Werten und Einstellungen, atypischer Arbeit und Outsourcing.

Konstantin Vössing ist Professor für Vergleichende Politikwissenschaft (Senior Lecturer in Comparative Politics) an der City University of London. Er beschäftigt sich mit  politischen Parteien, öffentlicher Meinung und politischer Führung.


Ansprechpartnerin in der FES: Nicole Loew

 


Jobelius, Sebastian; Schulze, Lennart; Vössing, Konstantin

Wie sagt die Sozialdemokratie, was sie will?

Gruppen und Werte in der politischen Kommunikation
Berlin, 2023

Publikation herunterladen (800 KB, PDF-File)


Jobelius, Sebastian; Schulze, Lennart; Vössing, Konstantin

Wie sagt die Sozialdemokratie, was sie will?

Gruppen und Werte in der politischen Kommunikation ; Ergänzender Anhang zum Bericht
Berlin, 2023

Publikation herunterladen (630 KB, PDF-File)


 

 


Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik

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Sina Dürrenfeldt
Max Ostermayer
Dr. Robert Philipps
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