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Caroline Murphy von der University of Limerick, verdeutlicht in diesem Interview, warum Pflegeplattformen zunehmend relevant sind und welche Herausforderungen sich daraus für die Gewerkschaften ergeben.
Die FES Future of Work und der EGÖD haben eine Studie über Pflegeplattformen und deren Auswirkungen und Herausforderungen aus gewerkschaftlicher Sicht durchgeführt. Der dazugehörige Bericht wurde vor Kurzem veröffentlicht. Caroline Murphy von der University of Limerick, eine der Autorinnen dieser Studie, erklärt im Interview, warum Pflegeplattformen zunehmend relevant sind und welche Herausforderungen sich daraus für die Gewerkschaften ergeben.
Das Interview führte Oliver Philipp.
Caroline Murphy, Ihre jüngste Studie hat Pflegeplattformen sowie ihre Auswirkungen und Herausforderungen aus gewerkschaftlicher Sicht untersucht. Warum ist diese Studie über Pflegeplattformen wichtig?
Der Schwerpunkt dieser Studie ist aus vielerlei Gründen wichtig. Erstens geht es um den Sektor selbst und um die Art dieser Arbeit. Pflege ist ein soziales Gut, das die ganze Gesellschaft angeht. Irgendwann im Leben geben oder koordinieren wir alle einmal Pflegeleistungen oder werden selbst gepflegt oder betreut. Bei unserer Studie haben wir uns auf das Segment der häuslichen Pflege im privaten Umfeld konzentriert. Es ist von zentraler Bedeutung für die Umsetzung von „Ageing in Place“-Strategien, die den Präferenzen der wachsenden Zahl älterer Menschen ebenso entgegenkommen wie denen von Menschen in der Langzeitpflege.
Zweitens entwickeln sich die häusliche Pflege und Haushaltsarbeiten, ebenso wie Plattformarbeit, auf dem Arbeitsmarkt zu einem wachsenden Segment. Diese Aufgaben werden hauptsächlich von weiblichen und in hohem Maße auch von zugewanderten Arbeitskräften ausgeführt. Und zum Schluss konzentriert sich ein Großteil der Forschung zur Plattformarbeit bisher vor allem auf Sektoren wie Transport- und Lieferdienste und weniger auf häusliche Dienstleistungen. Für die Gewerkschaften ist es daher wichtig, genau zu verstehen, wie sich die Herausforderungen bei der Organisation, der Repräsentation und den Tarifverhandlungen für Arbeitnehmer_innen in diesem Sektor unterscheiden, und darüber hinaus auch, wie die Gewerkschaftsmethoden für andere Bereiche der Plattformarbeit auf die Pflege übertragen werden können.
Was waren die drei überraschendsten Ergebnisse Ihrer Studie?
Es war schon überraschend, wie viele verschiedene Plattformmodelle es innerhalb des Pflegebereichs gibt. Normalerweise denken wir bei der Plattformarbeit an eine Art „Uber“-Modell, aber in der Pflege gibt es ein ganzes Spektrum verschiedener Modelle. Dazu gehören Plattformen, die als digitale Vermittlungsagenturen auftreten und langfristigere Beziehungen zwischen den Kund_innen und dem Pflegepersonal fördern, aber auch Modelle auf Abruf, die sich eher auf kurzfristige Ansätze konzentrieren.
Ebenso überraschend war es, dass es nicht nur bei den Betriebsmodellen, sondern auch bei den Eigentumsverhältnissen und der Entwicklung der Pflegeplattformen viele verschiedene Variationen gibt. Große, internationale Plattformen bieten zusätzlich zur Pflege und Betreuung auch breiter gefächerte Hausarbeiten an. Daneben tauchen aber auch zunehmend Anbieter auf nationaler und lokaler Ebene auf. Einige Plattformen wurden zielgerichtet aufgebaut, bei anderen sind traditionelle Agenturen zu Plattformmodellen übergegangen. Und in einigen Fällen verschmelzen die Plattformen und genossenschaftlich orientierte Modelle miteinander.
Und zu guter Letzt war es auch überraschend festzustellen, dass in der Pflege unterschiedliche Debatten über die Rolle der Plattformen und die unstrukturierte Natur der Arbeit geführt werden. Ein Großteil der Literatur zur Gig-Economy basiert darauf, dass die Plattformen Gelegenheitsarbeit und informelle Beschäftigtenverhältnisse begünstigen. In der Pflege gestaltet sich diese Debatte jedoch deutlich differenzierter und die Plattformen werden auch als Alternative zur Schattenwirtschaft gesehen, denn sie bieten Optionen, mit denen die Familien und Arbeitnehmer_innen ihre Pflegebeziehung formalisieren können.
Die Studie bezieht sich auf die Auswirkungen und Herausforderungen von Pflegeplattformen aus gewerkschaftlicher Sicht. Wo liegen Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen für die Gewerkschaften? Können Sie uns auch ein Beispiel nennen, mit welcher Strategie die Gewerkschaften diese Herausforderungen meistern könnten?
Die übergeordnete Herausforderung für die Gewerkschaften und tatsächlich für alle Akteure in der Pflege und Betreuung ist die systembedingte Unterbewertung der Pflegearbeit in der Gesellschaft. Gerade der Mangel an einer bezahlbaren, öffentlich finanzierten und gewährleisteten Pflege facht die Entwicklung neuer Pflegemodelle an. Die Europäische Strategie für Pflege und Betreuung legt großen Wert auf eine hochwertige, bezahlbare Pflege und Betreuung, auf Wahlmöglichkeiten für Pflege- und Betreuungsbedürftige sowie auf eine verbesserte Situation für diejenigen, die sich um sie kümmern. Die Gewerkschaften müssen daher auch in Zukunft unbedingt politischen Druck ausüben und Lobby-Arbeit leisten, um auf nationaler Ebene zu gewährleisten, dass die Finanzierung der Pflege hohe Priorität erhält und im Sinne der Europäischen Strategie für Pflege und Betreuung gesteuert wird. Dazu gehören auch Tarifverhandlungen und der soziale Dialog, um die Entlohnung und Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern.
Frühere Studien des Europäischen Gewerkschaftsinstituts haben gezeigt, dass kleinere Plattformen eher bereit sind, sich am sozialen Dialog zu beteiligen, während größere Akteure den Gedanken an Tarifverhandlungen gern ganz vermeiden. Wo diese Plattformen also erst langsam auftauchen, müssen wir uns gemeinsam besonders anstrengen, Tarifverträge schon im Vorfeld durchzusetzen, bevor sie zu groß werden. Wenn es darum geht, die Arbeiterschaft in diesem Bereich zu organisieren und zu repräsentieren, liegt die größte Herausforderung für die Gewerkschaften darin, dass das Pflege- und Betreuungspersonal oft „unsichtbar“ ist, weil es in Privathaushalten arbeitet.
Während das Pflege- und Betreuungspersonal in der physischen Realität kaum sichtbar ist, bewirkt die wachsende Anzahl an Plattformen und digitalen Netzwerken jedoch, dass viele Arbeitnehmer_innen im digitalen Bereich sehr aktiv sind. Die Gewerkschaften müssen deshalb eine digitale Strategie entwickeln, damit diese Beschäftigen auch tatsächlich wissen, dass sich die Gewerkschaften aktiv in der Pflege und Betreuung engagieren und sie sich dort organisieren können. Damit Plattform-Beschäftigte den Wert der Gewerkschaften erkennen, und dies ist von zentraler Bedeutung, bedarf es eventuell neuer Ansätze. So gründete der belgische Algemeen Christelijk Vakverbond (ACV)/ Confédération des syndicats chrétiens (CSC) 2019 die Gewerkschaft United Freelancers für autonome und selbstständige Plattform-Arbeitnehmer_innen. Alle Mitglieder zahlen den gleichen Beitrag wie Angestellte, erhalten dafür jedoch Serviceleistungen, die genau auf die Anforderungen von Plattform-Arbeitnehmer_innen zugeschnitten sind. Sie erklären ihnen beispielsweise die Geschäftsbedingungen der Plattform und bieten in einigen Fällen auch Rechtshilfe. Mit ihrer Vidaflex-Initiative hat die österreichische Gewerkschaft Vida ebenfalls eine Mitgliedschaft für Selbstständige geschaffen.
Die Studie nennt Beispiele aus Italien und Irland. Was macht diese beiden Länder so interessant für Pflegeplattformen?
In beiden Ländern wird die häusliche Pflege ähnlich gehandhabt, d.h. die von der öffentlichen Hand bereitgestellte Pflege und Betreuung nimmt ab und die private Pflege nimmt zu. Während diese Pflegeleistungen in Irland weiterhin hauptsächlich von Privatagenturen vermittelt werden (die häufig zu großen, internationalen Ketten gehören), sehen wir in Italien zunehmend Plattformen für die häusliche Pflege. Dies könnte daran liegen, dass der demographische Wandel in Italien schneller voranschreitet als in Irland, wo sich die Herausforderungen einer alternden Bevölkerung gegenwärtig noch langsamer zeigen. Außerdem spiegelt dies die verschiedenen Finanzierungsansätze in den beiden Ländern wider. In Irland gibt es keinen gesetzlichen Anspruch auf eine offizielle häusliche Pflege oder Betreuung. Allerdings werden hier Pläne vorangetrieben, die häusliche Pflege und Heimbetreuung auf dieselbe gesetzliche Grundlage zu stellen. Dies würde bedeuten, dass die Familien eine Mischung aus öffentlich und privat finanzierter Pflege und Betreuung in Anspruch nehmen könnten, wobei die Plattformen wohl eher in die private Pflege involviert wären. Das italienische System verzeichnet außerdem zunehmend Plattform-Genossenschaften, während es im irischen Pflegesektor erst eine einzige Arbeitnehmergenossenschaft gibt. Unsere Studie hat gezeigt, dass sich die Beschäftigungsbedingungen zwischen diesen Ländern und übrigens auch die Modelle in diesem Sektor stetig annähern.
Blicken wir einmal nach vorn. Welche Aspekte der Pflegeplattformen sind zukünftig ausschlaggebend und sollten weiter untersucht werden?
Es sollte unbedingt weiter untersucht werden, in welchem Ausmaß manche Plattformen eine Mischung aus Pflegeleistungen und Haushaltsarbeiten anbieten, während andere sich eher auf die Pflege (und nur begrenzte Arbeiten im Haushalt) konzentrieren, und wie sich dies auf die Identität und das Rollenverständnis der Beschäftigten auswirkt. Die Begriffsbestimmungen in der Pflege sind auch nicht besonders differenziert, was es wiederum schwieriger macht, diese Arbeit zu professionalisieren oder fachlich spezialisierte Rollen zu schaffen. Nur durch größere Differenzierung können wir erreichen, dass die breitgefächerten Fähigkeiten und verschiedenen Pflegeangebote besser anerkannt werden. In anderen, verwandten Gesundheitsberufen werden Weiterbildungsmöglichkeiten entwickelt und an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst. Deshalb sollten wir eine größere Bandbreite verschiedener Berufsbezeichnungen und Titel fördern, damit es auch in der Pflege klare Karrierepfade gibt. Selbst auf den Plattformen könnten die Arbeitnehmer_innen sich durch eindeutigere Berufsbezeichnungen und Qualifikationen klarer differenzieren und Pflegedienste anbieten, die genauer auf die jeweiligen Anforderungen zugeschnitten sind, z.B. eine spezielle Demenzbetreuung. Ein neues Register für Pflegepersonal, eine geschützte Berufsbezeichnung oder die Einbindung der häuslichen Pflege in einen Fachverband könnten dafür sorgen, dass Kompetenzen in der Pflege und Betreuung in Zukunft besser anerkannt werden. Für das Pflegepersonal selbst ist es jedoch wichtig, dass sich ihre Arbeitsbedingungen durch derartige Maßnahmen wirklich spürbar verbessern. Es sollte daher in Zukunft weiter untersucht werden, inwieweit die Plattformen einen Mechanismus bereitstellen, der es den Arbeitnehmer_innen erlaubt, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten für bestimmte Pflegeanforderungen zu differenzieren und so ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Dr. Caroline Murphy ist außerordentliche Professorin für Arbeitsbeziehungen und Direktorin des MSc für Personalmanagement an der Fakultät für Arbeits- und Beschäftigungsstudien der Kemmy Business School an der Universität Limerick. Außerdem ist sie Forschungsstipendiatin am DIGIT-Zentrum für die digitale Zukunft am Arbeitsplatz. Zu ihren aktuellen Forschungsinteressen gehören die Qualität von Arbeitsplätzen und prekäre Beschäftigung, die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt, formelle und informelle Pflegearbeit, Arbeitnehmervertretung und die Auswirkungen der Technologie auf die Arbeit.
Murphy, Caroline; Pais, Ivana; Gibbons, Tish
Impacts and challenges from a trade union perspective / Caroline Murphy, Ivana Pais, Tish Gibbons. - Brussels : Friedrich Ebert Stiftung, Competence Centre on the Future of Work, 2024. - 28 Seiten = 8 MB, PDF-File. - (Platformisation of work)Electronic ed.: Brussels : FES, 2024ISBN 978-3-98628-488-6
Zum Download (PDF) (8 MB, PDF-File)
Auswirkungen und Herausforderungen aus der Gewerkschaftsperspektive ; Übersicht / Caroline Murphy, Ivana Pais, Tish Gibbons. - Brüssel : Friedrich Ebert Stiftung, Kompetenzzentrum Zukunft der Arbeit, 2024. - 10 Seiten = 7,5 MB PDF-File. - (Plattformisierung der Arbeit)Electronic ed.: Brussels : FES, 2024ISBN 978-3-98628-496-1
Zum Download (PDF) (7,5 MB PDF-File)
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