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Fokus NorD: Warum es viele Migrant_innen in Norwegens ländliche Regionen zieht. Ein Beitrag von Susanne Søholt.
Norwegen ist für die Untersuchung von Einwanderung in den ländlichen Raum ein interessanter Fall. Aufgrund der hohen Nachfrage nach Arbeitskräften ist die Bevölkerung stärker gewachsen als in den meisten Ländern Europas, und die Einwanderung ist nicht mehr ein städtisches, sondern ein landesweites Phänomen. Wie hat sich also die Einwanderung nach Norwegen im Zeitverlauf verändert, und welche Faktoren beeinflussen die Wohnortwahl von Migrant_innen? Wann kann Integration als erfolgreich gelten, und welche Instrumente stehen Gemeinden im ländlichen Raum zur Verfügung, verglichen mit Städten?
Die verstärkte und diverse Einwanderung seit den 1960er-Jahren hat die Zusammensetzung der Bevölkerung verändert und prägt heute die Gesellschaft. Seit 2000 stellen Arbeitsmigrant_innen in Norwegen die größte Kategorie dar, gefolgt von nachziehenden Familienmitgliedern von Migrant_innen. Der Zustrom von Geflüchteten fand 2016 seinen Höhepunkt und schwankt in Abhängigkeit von internationalen Konflikten sowie Änderungen in der Begrenzung der Einwanderung von Geflüchteten. 2019 hatte etwa 18% der Wohnbevölkerung Norwegens eine Einwanderungsgeschichte, d.h. diese Menschen waren entweder selbst Migrant_innen oder in Norwegen geborene Kinder von Migrant_innen. In Oslo hat ein Drittel der Bevölkerung eine Einwanderungsgeschichte.
Bei der Wohnortwahl von Migrant_innen spielen mehrere Faktoren eine Rolle, z.B. der Migrationsgrund, Chancen auf dem Arbeitsmarkt, örtliche Gegebenheiten, Netzwerke sowie die persönlichen Präferenzen für ein Leben in der Stadt oder auf dem Land. Während die meisten Arbeitskräfte aus dem Ausland in den 1960er- und 1970er-Jahren sich in Oslo niederließen, leben sie heute im 21. Jahrhundert im ganzen Land. Ihre geografische Mobilität folgt den Beschäftigungschancen (Røed, 2011). Migrantische Arbeitskräfte sind auf die Regionen Norwegens ungleich verteilt. EU11-Migrant_innen, d.h. Migrant_innen aus den (postkommunistischen) Ländern, die der EU nach 2004 beigetreten sind, leben dort, wo die beschäftigungsintensivsten Branchen konzentriert sind, z.B. in den Regionen, in denen die lebensmittelverarbeitende Industrie und der Tourismus einen hohen Stellenwert haben.
Norwegen verteilt neue Geflüchtete entsprechend einer Vereinbarung zwischen dem Staat und den Gemeinden über das ganze Land. Geflüchtete müssen zwei Jahre lang in der ihnen zugewiesenen Gemeinde leben und an einem Einführungsprogramm teilnehmen, um finanzielle Hilfe zu bekommen. Während Geflüchtete früher in die Städte gezogen sind, bleiben sie jetzt eher im ländlichen Raum. Etwa 80% der Geflüchteten, die sich 2009 bzw. 2010 in Norwegen niederließen, lebten nach fünf Jahren noch in der ihnen zugewiesenen Gemeinde. Eine Erklärung dafür ist, dass Familien häufiger in kleineren Gemeinden angesiedelt werden. Sie lernen den Ort dadurch kennen, dass ihre Kinder den Kindergarten und die Schule besuchen. Wenn die Kinder integriert sind, ist es schwieriger umzuziehen. Es gibt auch Anhaltspunkte dafür, dass die Zufriedenheit der Menschen mit den sozialen Diensten vor Ort als wichtige Qualität eines Ortes interpretiert wird. Menschen, die umziehen, bleiben mittlerweile häufiger in derselben Region. Die Entscheidung zum Umzug innerhalb der Region könnte auf dem Wunsch nach besserer Arbeit und besseren Bildungschancen in einer bereits bekannten Gegend beruhen. Von allen Geflüchteten, die ihren Wohnort wechseln, zieht es dennoch etwa ein Viertel in die Hauptstadt. Zu den Gründen dafür könnten eine Vorliebe für einen urbanen Lebensstil, besserer Zugang zu ethnischen Netzwerken und/oder Vermutungen bezüglich besserer Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten gehören.
Fachkräfte sind in den meisten Regionen Norwegens willkommen. Der Bevölkerungsschwund im ländlichen Raum aufgrund der Alterung der Bevölkerung und der Abwanderung junger Menschen schafft einen Bedarf an Fachkräften, u.a. Planer_innen, Ärzt_innen, Zahnärzt_innen und Ingenieur_innen. In Städten wiesen sowohl die Mehrheitsbevölkerung als auch die Migrant_innen den höchsten Bildungsstand auf, aber im ländlichen Raum verfügte ein höherer Anteil der Migrant_innen über Hochschulbildung, und sie waren häufiger als die einheimische Bevölkerung für ihre Arbeit überqualifiziert.
Viele der Migrant_innen, die sich im ländlichen Norwegen niederlassen, leben gern in kleinen Gemeinden. Bei den kleineren Orten auf dem Land handelt es sich häufig um Kommunen mit einer aktiven lokalen Integrationspolitik, die nicht nur Migrant_innen anerkennt, sondern auch die Notwendigkeit, soziale Beziehungen zwischen ihnen und der ansässigen Bevölkerung zu fördern. Dafür gibt es zahlreiche Möglichkeiten: die Veranstaltung jährlicher Feiern mit allen neu Zugezogenen, die Umfunktionierung der Bibliothek vor Ort zu einem aktiven Treffpunkt für alle Einwohner_innen und Organisationen, die Bereitstellung von Informationen über die Gemeinde und ihre Dienstleistungen in mehreren Sprachen, die Einrichtung eines Willkommensbüros, das allen Neuankommenden bei der Wohnungssuche und dem Einleben hilft, die Bereitstellung guter Sozialdienstleistungen, die den Bedürfnissen der jeweiligen Menschen vor Ort entsprechen, und nicht zuletzt die Verankerung der lokalen Integrationspolitik auf der höchsten Ebene von Politik und Verwaltung in der Gemeinde. Die Migrant_innen, die im ländlichen Raum wohnen bleiben, schätzen diese Art der Gemeinden sehr, sofern die Arbeits- und Wohnmöglichkeiten stimmen und sie die Möglichkeit erfahren, dazuzugehören.
Erfolgreiche Integration lässt sich an der Erwerbsbeteiligung der Migrant_innen messen. 2017 war die Erwerbsbeteiligung der Migrant_innen im Oslo umgebenden Regierungsbezirk am höchsten (70,5%) und in den Regierungsbezirken des Südlichen Norwegens am niedrigsten (58% bzw. 59%). Der Regierungsbezirk, der Oslo umgibt, hat einen hochdiversifizierten Arbeitsmarkt mit hoher Nachfrage nach Menschen mit verschiedenen Kenntnissen und Fähigkeiten. Die Erwerbsbeteiligung war in zwei Regierungsbezirken im Norden relativ hoch (67% bzw. 68%). In diesen Regierungsbezirken war die Erwerbsbeteiligung von Migrant_innen von außerhalb der EU genauso hoch wie im Regierungsbezirk mit der höchsten Erwerbsbeteiligung der Migrant_innen. Die Zahlen belegen, dass die Integration zwischen Regierungsbezirken mit unterschiedlich strukturierten Arbeitsmärkten variiert. Bestimme Branchen beschäftigen zahlreiche Migrant_innen, u.a. Fischerei, Schiffbau, Zulieferbetriebe für die Erdölindustrie und Tourismus. Diese Branchen sind in bestimmten Regionen konzentriert, und Arbeitskräfte werden dort benötigt. Zusätzlich besteht Bedarf an Fachkräften in den meisten ländlichen Regionen.
Traditionell besitzen viele Menschen in Norwegen ein eigenes Haus. Daher ist die Frage, ob Migrant_innen ebenfalls ein eigenes Haus besitzen, ein weiteres Maß für erfolgreiche Integration. Eine Fallstudie von drei Gemeinden im ländlichen Raum zeigt hier erhebliche Unterschiede auf. In einem Küstenort, in dem die Gemeinde und die Industrie sich dafür engagieren, dass Migrant_innen bleiben, besitzen 70% der EU-Arbeitsmigrant_innen und 75% der übrigen Migrant_innen ein eigenes Haus. Hier hat die Gemeinde bei Wohnungsfragen Unterstützung geleistet, etwa bei der Suche nach einem eigenen Haus und der Aufnahme einer Hypothek. In den beiden anderen Gemeinden liegt der Anteil der Migrant_innen, die ein Haus besitzen, zwischen 50% und 62%. In ländlichen Gemeinden ist der Bevölkerungsanteil (sowohl der ansässigen Bevölkerung als auch der Migrant_innen) mit Wohneigentum höher als in Oslo.
Positive Einstellungen gegenüber Migrant_innen können die Integration erleichtern. Es ist wissenschaftlich belegt, dass die norwegische Bevölkerung im Vergleich mit anderen europäischen Ländern zu den tolerantesten gegenüber Migration und den Folgen gehört, und sie wird ständig toleranter. Positive Einstellungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit der sozialen Inklusion, reichen aber allein nicht aus. Studien zeigen auf, dass Norweger_innen als freundlich, jedoch reserviert und viel beschäftigt wahrgenommen werden. Erwachsene Migrant_innen stoßen auf Schwierigkeiten bei der Entwicklung nachbarschaftlicher Beziehungen mit Norweger_innen, besonders in der Stadt.
Migrant_innen unterscheiden sich nicht sehr stark von der Mehrheitsbevölkerung. Wer Bildungsambitionen hat, zieht eine Stadt mit einer Universität vor. Migrant_innen mit Hochschulabschluss könnten städtische Gebiete bevorzugen. Allerdings geht aus Studien hervor, dass Migrant_innen ihre Wahrnehmungen über Wohnorte ändern, wenn sie die Realität an diesen Orten erleben. Z.B. werden sie einem Ort zugewiesen oder ziehen wegen einer Arbeitsstelle dorthin, entscheiden sich aber dann aufgrund verschiedener Möglichkeiten, wie Karriere, soziale Inklusion, Freizeitaktivitäten und Leben in der Natur dort ihr Leben zu verbringen (Lynnebakke, 2020). Ein Geflüchteter in einer kleinen ländlichen Gemeinde verglich „seinen“ Ort mit Oslo:
Oslo ist wie das Meer. Du schwimmst im Meer, aber das Meer weiß nicht, ob du es bist oder tausend andere Menschen, die schwimmen gegangen sind. Niemand in Oslo weiß, wer du bist, ob du da bist, ob du kommst oder gehst. Es ist wie die Wellen im Meer. In diesem kleinen Ort, hier bist du jemand (Søholt, Onsager & Vestby, 2012).
Wenn man an einen ländlichen Ort zieht und dort bleiben möchte, ist ein Arbeitsplatz unerlässlich. Neben einem Arbeitsplatz sind drei weitere Gründe zu nennen, warum Migrant_innen sich dafür entscheiden haben, in ländlichen Gemeinden zu bleiben:
Neben diesen positiven Erfahrungen gab es aber auch ein Gefühl der Isolation. Die wenigen Menschen und ein Mangel an Treffpunkten wurden als Barrieren empfunden, wenn es darum ging, Menschen kennenzulernen und Teil der Gemeinschaft zu werden.
Ländliche Gebiete konkurrieren um Menschen, auch um Migrant_innen, die in ihre Gemeinden ziehen und dort bleiben. In den letzten Jahren scheint es, dass mehr ländliche Gemeinden die positiven Auswirkungen der Einwanderung erkannt haben. Manche Regionen haben umfangreiche Pläne zur Aufnahme zahlreicher neuer Migrant_innen erarbeitet. Nach der Reduzierung der Ansiedlung neuer Geflüchteter seit 2017 haben ländliche wie städtische Gemeinden kommuniziert, dass sie Kapazitäten für mehr Geflüchtete haben und sie auch ansiedeln möchten.
Ländliche Gemeinden haben begrenzten Einfluss auf die norwegische Einwanderungspolitik und die Weltwirtschaft, aber sie können etwas bewirken, wenn sie sich um neu Hinzuziehende bemühen und die Integration und soziale Inklusion der ansässigen Bevölkerung und der Hinzuziehenden stärken. Der wichtigste Faktor ist, die Erwartungen der Hinzuziehenden und der ansässigen Bevölkerung zu erfüllen. Eliten im ländlichen Raum schätzen den Beitrag von Migrant_innen zur Wirtschaft vor Ort und zur Stabilisierung der Bevölkerung. Hinzuziehende reduzieren die negativen Auswirkungen der Alterung und des Wegzugs junger Menschen, indem sie helfen, Schulen, Kindergärten, Geschäfte und andere Dienstleistungen vor Ort offen zu halten. Die Anerkennung von Migrant_innen als Individuen vor Ort und die Schaffung einer offenen und einladenden Gesellschaft scheinen ein Schritt in die richtige Richtung zu sein. Einerseits, weil sie die Wünsche der Migrant_innen nach sozialer Inklusion und andererseits die Erwartungen der ansässigen Bevölkerung, dass Migrant_innen die Verantwortung für die Erhaltung der Gemeinschaft mit tragen, miteinander in Einklang bringen.
Bemühungen vor Ort, Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zusammenzubringen, können Menschen dazu bewegen zu bleiben und gleichzeitig zur notwendigen Regeneration eines Ortes beitragen und dafür sorgen, dass er attraktiv bleibt. Orte, die in der Lage sind, Träume einer wünschenswerten Zukunft anzubieten, und zwar für Einzelne und Familien, ungeachtet des persönlichen Hintergrundes, verfügen über das Potenzial, attraktive, multikulturelle Wohnorte zu werden.
Autorin:
Susanne Søholt arbeitet am Norwegian Institute for Urban and Regional Research der Oslo Metropolitan University.
Referenzen:
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