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von Sarah Godar
Die drastischen Sparmaßnahmen infolge der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise haben tiefe Spuren in den Gesundheits- und Sozialsystemen vor allem einiger südeuropäischer Länder hinterlassen. In Italien beispielsweise gingen die Sparmaßnahmen der vergangenen Jahrzehnte so weit, dass nach einem starken Anstieg der Corona-Infektionen viele Kranke nicht mehr auf Intensivstationen versorgt werden konnten, da die Zahl der Intensivbetten inzwischen so stark zusammengestrichen worden war. Aber auch in Deutschland, das wirtschaftlich zu den Krisengewinnern zählte, war die Corona-Krise Anlass zu Kritik an der andauernden personellen Unterbesetzung der Krankenhäuser.
Die aktuelle Wirtschaftskrise droht nun, die Unterfinanzierung wichtiger öffentlicher Aufgaben vor allem in den hochverschuldeten Mitgliedstaaten weiter zu verschärfen. Während die Rufe nach einem „schlanken“ Staat in der Corona-Krise weitgehend verstummten, dürften sie im Zuge des anstehenden Schuldenabbaus bald wieder lauter werden. Doch statt weitere Einsparungen im öffentlichen Sektor vorzunehmen, um die Kosten der Krise zu begleichen, sollten progressive Kräfte entschlossen für ein gerechteres Steuersystem eintreten.
Auf nationaler Ebene sollten jetzt progressivere Einkommensteuern, Vermögen- und Erbschaftsteuern diskutiert werden. Aber auch auf EU-Ebene könnte ein wichtiger Beitrag geleistet werden, um die neoliberalen Fehlentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte zu korrigieren und vor allem die momentan sehr unterschiedlichen finanziellen Spielräume der Mitgliedstaaten auszugleichen. Eine besondere Rolle könnte dabei der Besteuerung von Unternehmensgewinnen in der EU zukommen. Eine effektivere Besteuerung von Unternehmenseinkommen würde nicht nur den regressiven Steuertrends der vergangenen Jahrzehnte etwas entgegensetzen. Die gemeinsame Bekämpfung von Steuerflucht und eine grundlegende Reform der Besteuerung multinationaler Unternehmen in der EU hätten auch das Potenzial, den Mehrwert internationaler Zusammenarbeit gegenüber nationalstaatlichen Egoismen aufzuzeigen und die europäische Integration zu stärken.
Sinkende Unternehmenssteuern verstärken regressive Steuertrends in den EU-Mitgliedstaaten
Steuerpolitik hat neben der reinen Beschaffung öffentlicher Einnahmen auch die Funktion, verteilungspolitische Schieflagen zu korrigieren. Genau diese Funktion wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker vernachlässigt. Die Progressivität vieler europäischer Steuersysteme wurde reduziert, was sich zum Beispiel an Entlastungen der Spitzenverdiener_innen durch Senkung von Spitzensteuersätzen und Unternehmenssteuern zeigt und an der gestiegenen steuerlichen Belastung des Konsums.
Mit dem freien Kapitalverkehr befördert die Europäische Union den Steuersenkungswettlauf bei der Unternehmensbesteuerung. Auch nationalstaatliche Maßnahmen zur Verhinderung von Steuervermeidung können durch die Niederlassungsfreiheit erschwert werden. Anstatt die Unternehmenssteuern im Sinne gleicher Wettbewerbsbedingungen zu harmonisieren, wurde – wie Susanne Uhl zeigt – der Wettbewerb der Unternehmen im Binnenmarkt zunehmend als Wettbewerb der Staaten um mobiles Kapital gedacht. Das Resultat: Die Angleichung der Steuern erfolgt nach unten mit entsprechend negativen Folgen für die Staatshaushalte. So war die Gewinnentwicklung im EU-Durchschnitt in den vergangenen 20 Jahren deutlich positiv. Aber der Beitrag der Unternehmen an den Gesamtsteuereinnahmen stieg nicht mehr in entsprechendem Maße, im Durchschnitt sank er sogar leicht.
Die Unternehmensbesteuerung ist ein wichtiger Pfeiler des progressiven Steuersystems, da der Aktienbesitz sehr ungleich verteilt ist und steigende Gewinne vor allem den ohnehin schon Wohlhabenden zugutekommen. Dabei tragen Unternehmenssteuern auch schon deswegen zu einer gerechteren Besteuerung bei, weil sie eine Art Mindestbesteuerung von denjenigen Kapitaleinkommen sicherstellen, die sich mitunter durch komplexe Steuerminimierungsmodelle oder Steuerhinterziehungstricks der persönlichen Einkommensteuer entziehen.
Um die soziale Schieflage nicht weiter zu verschärfen und zu einer nachhaltigen Entwicklung der öffentlichen Finanzen beizutragen, sollte die Bekämpfung von Steuerflucht und die Vereinbarung von Mindeststeuersätzen in der EU oberste Priorität haben. Darüber hinaus könnte auch eine EU-eigene Abgabe auf den konsolidierten Gewinn multinationaler Unternehmen die Verteilung in und zwischen den Mitgliedstaaten korrigieren.
Steuerflucht gemeinsam bekämpfen
Die Toleranz gegenüber aggressiven Steuergestaltungen multinationaler Unternehmen hat in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen. In der OECD werden derzeit einige interessante Vorschläge diskutiert, deren konkrete Umsetzung und damit auch Effektivität noch offen ist.
Als größtes EU-Land sollte Deutschland hier entschieden für mehr Transparenz und gegen jegliche Verwässerung der Maßnahmen eintreten. Dies betrifft zum Beispiel die Veröffentlichung der länderbezogenen Berichterstattung, die Konzerne verpflichten würde, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten und Steuerzahlungen in jedem Land auch für die Zivilgesellschaft offenzulegen.
Auf OECD-Ebene soll außerdem die Zuordnung der Besteuerungsrechte überarbeitet werden, insbesondere sollen Länder, die Absatzmärkte für die digitale Wirtschaft sind, mehr Besteuerungsrechte erhalten. So soll zukünftig eine „virtuelle“ Betriebsstätte ausreichen, um Besteuerungsansprüche zu erheben – ein notwendiger Schritt, um digitale Giganten wie Amazon, Facebook und Co. auch in Hochsteuerländern zu besteuern. Als Übergangslösung sollte eine Digitalsteuer erhoben werden, die den Umsatz der Digitalriesen mit einem kleinen Prozentsatz besteuert. Nach dem Ausstieg der USA aus den Verhandlungen auf OECD-Ebene, wäre es nun an der Zeit, eine EU-weite Digitalsteuer einzuführen und sie notfalls auch ohne die EU-Steueroasen (insbesondere Irland, Luxemburg, die Niederlande) zum Beispiel im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit umzusetzen.
Im Rahmen des Inclusive Frameworks der OECD soll unter anderem auch die globale Mindestbesteuerung multinationaler Unternehmen umgesetzt werden. Diese würde es Ländern erlauben, Gewinne nachzubesteuern, wenn ein Konzern nicht nachweisen kann, dass Steuern in Höhe eines bestimmten Mindeststeuersatzes gezahlt wurden. Hier ist darauf zu achten, dass der vereinbarte Mindeststeuersatz nicht zu niedrig ist und dass Konzerne ihren effektiven Steuersatz pro Land und nicht global berechnen müssen, um Manipulationsmöglichkeiten auszuräumen.
Die Bekämpfung von Steuerflucht könnte ein gutes Beispiel für den Mehrwert internationaler Zusammenarbeit werden. Auch wenn die genannten Maßnahmen eher Reparaturmaßnahmen darstellen, anstatt die grundlegenden Probleme des internationalen Systems der Unternehmensbesteuerung zu lösen, sind sie dringend erforderlich und sollten auch gegen laute Lobbyinteressen durchgesetzt werden.
Diskussion um gemeinsame EU-Steuern voranbringen
Neben Nachbesserungen am bestehenden System könnten auf europäischer Ebene aber auch Weichen für eine sozialere, solidarischere öffentliche Einnahmen- und Ausgabenpolitik gestellt werden. Für gemeinsame Krisenlösungen auch gemeinschaftliche Mittel zur Verfügung zu stellen,
anstatt bei jeder Krise wieder in chauvinistische Verteilungsdebatten zu verfallen, wäre ein großer Schritt auf dem Weg zu mehr europäischer Integration. Die Verlagerung nationalstaatlicher Kompetenz auf europäische Ebene soll dabei kein Selbstzweck sein, sondern einen Mehrwert gegenüber dem Status quo bringen. Worin könnte so ein Mehrwert der Besteuerung auf EU-Ebene bestehen? In einem Debattenbeitrag benennt Margit Schratzenstaller unter anderem folgende Kriterien für die Verlagerung der Steuererhebung auf EU-Ebene: (1) die Steuerbasis kann nicht eindeutig einzelnen Ländern zugeordnet werden; (2) die Steuer kompensiert grenzüberschreitende negative Externalitäten; (3) die Steuerbasis weist eine hohe Mobilität auf, Besteuerte können also leicht in ein anderes Land ausweichen. Damit lassen sich verschiedene Kandidaten identifizieren.
Eine EU-weite Finanztransaktionssteuer würde diese Kriterien erfüllen und hätte ebenfalls eine progressive Verteilungswirkung. Aber auch eine EU-weite Gesamtkonzernsteuer würde mindestens zwei der genannten Kriterien erfüllen. Die Wertschöpfung multinationaler Unternehmen ist häufig nicht eindeutig einem bestimmten Standort zuzuordnen, da die Produktion Zwischenprodukte oder Dienstleistungen von verschiedenen Standorten kombiniert und es nicht immer geeignete Vergleichspreise gibt, um diese konzerninternen Transaktionen zu bewerten. Daher wird das derzeitige System der Gewinnzuordnung der Realität multinationaler Unternehmungen eigentlich nicht gerecht.
Eine formelhafte Aufteilung der Gewinne nach ausgehandelten Indikatoren wirtschaftlicher Aktivität wäre einfacher und transparenter. Auch das Kriterium der hohen Mobilität der Steuerbasis ist bei multinationalen Unternehmen erfüllt, da sie vielfältige Möglichkeiten haben, die Gewinne nur auf dem Papier in Niedrigsteuerländer zu verschieben. Die EU könnte einen kleinen Prozentsatz auf den konsolidierten Gewinn der Konzerne erheben und damit ihre Eigenmittel aufstocken. Da ein Teil der Gewinne multinationaler Unternehmen tatsächlich keinem Standort eindeutig zuzuordnen ist und durch die Verringerung der Manipulationsmöglichkeiten auch die Einnahmen insgesamt steigen könnten, wäre dies tatsächlich eine Abgabe mit europäischem Mehrwert.
Fazit
Es ist schon die zweite große Wirtschaftskrise, die im 21. Jahrhundert auf die EU-Mitgliedstaaten zurollt und die Staatsverschuldung in die Höhe schießen lässt. Die Krise trifft die EU jedoch in einer anderen Situation als 2009. Im Süden Europas wurde bereits eingespart, was es einzusparen gab und weit darüber hinaus. Doch auch im Norden bleiben viele gesellschaftliche Probleme ungelöst. Die Sozialisierung der Krisenkosten hatte Erwartungen geweckt, dass es in Zukunft auch wieder eine höhere gesellschaftliche Beteiligung an den privatwirtschaftlichen Gewinnen geben würde. Bisher hat sich jedoch an der Verteilungssituation nicht viel geändert.
Eine sozialere EU sollte zeigen, dass sie mehr als Standortwettbewerb zu bieten hat. Im nächsten Aufschwung wird es Zeit, die Unternehmensgewinne wieder stärker zur Finanzierung öffentlicher Güter heranzuziehen. Bei der gemeinsamen Bekämpfung von Steuerflucht könnte die EU beweisen, dass internationale Kooperation die Handlungsfähigkeit der Nationalstaaten erweitern kann. Eine grundlegende Reform der Unternehmenssteuer hin zu einer EU-weiten Gesamtkonzernsteuer würde den wirtschaftlichen Realitäten multinationaler Unternehmen gerecht und könnte Anreize für Gewinnmanipulationen weitgehend beseitigen. Die Erhebung einer eigenen Abgabe auf die konsolidierten Konzerngewinne wäre eine gute Möglichkeit, die Eigenmittel der EU auszuweiten und sie für das erklärte Ziel – nämlich die Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa – einzusetzen.
Sarah Godar ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin. Derzeit promoviert sie am Institute of Economic Studies der Charles University in Prag zum Thema Unternehmenssteuern, insbesondere Steuervermeidung durch multinationale Unternehmen.
Bei dem Beitrag handelt es sich um eine gekürzte Vorabveröffentlichung. Die im Beitrag zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.
von Eveline Herfkens
von Monique Goyens und Agustin Reyna
von Jörg Bibow
von Dominik Bernhofer
von Achim Wambach
von Linn Selle
Leitung
Mirco Günther
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