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Migration ist kein Sicherheitsproblem, das es zu lösen gilt. Wie im „Krieg gegen die Drogen“ führen falsche Annahmen zur Eskalation.
Bild: Bild1 Valla de Melilla 2005 Grenzsicherung Muerer Bild: Valla de Melilla 2005 Urheber: fronterasur Lizenz: CC BY-NC 2.0
Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei steht auf der Kippe, schon suchen Flüchtende wieder vermehrt den Weg über die Ägäis. Die hochriskanten Überfahrten nach Italien haben in diesem Jahr bereits knapp 3.000 Tote gefordert. Es sterben immer mehr Menschen beim Versuch, auf dem Seeweg nach Europa zu kommen, berichtete Ende Juli die Internationale Organisation für Migration (IOM). Die Verschiebungen der Fluchtrouten – hin und her zwischen Italien, Malta, Spanien und dem Balkan – ist allerdings nichts, was wir erst in den vergangenen zwei Jahren beobachten konnten. Im Gegenteil, was heute als „Flüchtlingskrise“ bezeichnet wird, begleitet Europa schon seit den 1990er Jahren. Doch obwohl es faktisch nicht funktioniert, Europas Außengrenzen besser zu „managen“, ändert sich die Politik der EU und der Mitgliedstaaten nicht. Woran liegt das?
Seinen Grund habe das Scheitern darin, wie „Grenzsicherung“ und ihre Ziele verstanden werden. Denn daraus ergeben sich die – dysfunktionalen – Antworten. Das schreibt der Ethnologe Ruben Andersson in der Studie „Warum Europas Konzept der Grenzsicherung gescheitert ist – Mechanismen und Auswege“. Verkehrt ist zu allererst die Annahme, dass es sich bei Flüchtenden und Migration um Sicherheitsrisiken handle, denn interessanterweise war diese Auffassung nicht immer tonangebend. Noch in den 1980er Jahren lag die Verantwortung für Einwanderung meist bei den Arbeitsministerien. Auf EU-Ebene änderte sich das in den 1990er Jahren, konsequenterweise heißt die für Einwanderungsfragen zuständige EU-Generaldirektion nun „Migration und Inneres“. Diese auf den ersten Blick vielleicht nebensächliche Tatsache hat folgenschwere Konsequenzen.
Vor allem hat diese Sichtweise dazu geführt, dass um Frontex, die europäische Grenzschutzagentur, eine veritable „Sicherheitsindustrie“ entstanden ist. Andersson sieht darin ein „eigenständiges System“ aus Sicherheitskräften, NGOs, humanitären Gruppen und internationale Organisationen (zum Beispiel die IOM) sowie multinationale Verteidigungs- und private Dienstleistungsfirmen. All diese Teilnehmer auf dem „Markt für Grenzsicherung“ haben ein Interesse daran, dass ihre Angebote weiterhin Abnehmer finden. Die geographische Verlagerung ist eine konkrete Folge davon, dass die EU immer stärker auf Kontrollen setzt. Mit den Versuchen, das „Risiko“ Migration zu minimieren, nehmen die Risiken für jene zu, die sich auf den Weg machen – und dieser Risikokreislauf fordert neue Sicherheitslösungen – eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale.
Andersson vergleicht dies anschaulich mit dem sogenannten „Krieg gegen die Drogen“. Auch hier wurde der – vergebliche – Versuch unternommen, mit polizeilichen und militärischen Mitteln dem Drogenmissbrauch beizukommen. Alternativ schlägt er vor, nicht mehr auf „strafende“ und „angebotsorientierte“, das heißt die Sicherheitsindustrie fütternde, Reaktionen, sondern zunächst auf „Schadensbegrenzung“ zu setzen. Er führt eine ganze Liste möglicher Ansatzpunkte auf, darunter eine verbesserte Seenotrettung, der Abbau von Anreizen für private Akteure und die Priorisierung des Schutzes von Menschen und nicht von Grenzen. Bedeutend wichtiger – und weitaus schwieriger umzusetzen – ist es allerdings, legale Migration (wieder) zu ermöglichen, nicht zuletzt deshalb, weil dies erlauben würde „Kontrolle zurückzugewinnen – im Gegensatz zum aktuellen Grenzsicherungsmodell, das Chaos erzeugt.“
Vertiefende Kooperation in Fragen von Flucht und Migration scheint in unseren Tagen schwierig durchzusetzen zu sein. Doch Andersson ist beizupflichten, wenn er auf eine „Normalisierung“ von Migration pocht. Ihre Kriminalisierung hat entscheidend zum Elend der Flüchtenden beigetragen. Langfristig, so schreibt Andersson, müsse es aber darum gehen, Migration in größeren Zusammenhängen zu sehen, etwa als Symptom einer Globalisierung, die Mobilitätschancen ungleich verteilt. Globale Politikansätze sind daher gefragter denn je!
Weiterführende Links:
Ruben Andersson: „Warum Europas Konzept der Grenzsicherung gescheitert ist – Mechanismen und Auswege“, FES 2016
Ausführliche Version (in Englisch).
Claire Hajaj, Tuesday Reitano: Mitten im Kreuzfeuer. Die Flüchtlingskrise: Sicherheitspolitische und strategische Perspektiven der Vereinten Nationen, FES 2016
Ansprechperson in der FES: Felix Braunsdorf, Referat Globale Politik und Entwicklung
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