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Wie die sogenannte Fluchtursachenbekämpfung die Prinzipien der Entwicklungszusammenarbeit untergräbt.
Die Abwehr und Verhinderung von Flucht- und Migrationsbewegungen scheint neuerdings Kernaufgabe deutscher und europäischer Entwicklungszusammenarbeit zu sein. Es wird alles getan, um die Zahl der nach Europa kommenden Flüchtlinge und Migrant_innen dauerhaft zu senken. Sollte sich die Entwicklungszusammenarbeit nicht eigentlich darauf konzentrieren, die Lebensumstände der Menschen zu verbessern?
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wurde mit zusätzlichen Mitteln zur sogenannten „Fluchtursachenbekämpfung“ bedacht und verfügt für das Jahr 2017 nun über ein Budget von rund 8,5 Milliarden Euro, mehr als jemals zuvor. Auch die Europäische Union versucht unter dem Eindruck großer Flucht- und Migrationsbewegungen Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Sie stellt u. a. mit der Einrichtung eines Notfall-Treuhandfonds für Stabilität und zur Bewältigung der grundlegenden Ursachen irregulärer Migration in Afrika (EU Emergency Trust Fund for Africa) zunächst 2,5 Milliarden Euro bereit für Projekte zur Bekämpfung „irregulärer“ Migration und zur „Steuerung“ von Flucht- und Migrationsbewegungen.
Die bisher umgesetzten Maßnahmen umfassen dabei sowohl klassische entwicklungspolitische Projekte, als auch Trainings- und Ausbildungsprogramme für Grenz- und Polizeikräfte, Maßnahmen zur Bekämpfung von „Schleusern“, die Unterstützung außereuropäischer Staaten beim „Migrationsmanagement“ sowie Projekte zur „Reintegration“ von abgeschobenen Asylsuchenden. Und mit den Compacts with Africa , die im Vorfeld des G20 Gipfels in Hamburg vorgestellt wurden, sollen private Unternehmen dazu animiert werden, durch gezielte Investitionen auf dem afrikanischen Kontinent ihren Teil dazu beizutragen, Einkommensmöglichkeiten und damit – so jedenfalls die Idee dahinter – Alternativen zur Migration für die lokale Bevölkerung schaffen.
Zielsetzung all dieser Maßnahmen ist es, in kurzer Zeit zu einer Abnahme der Flucht- und Migrationsbewegungen nach Europa beizutragen. Flüchtlinge und Migrant_innen sollen möglichst in oder in der Nähe ihrer Herkunftsländer gehalten werden.Sicherheits- und migrationspolitische Interessen erhalten so zunehmend Einzug in die Entwicklungszusammenarbeit – dies könnte ihren Charakter nachhaltig verändern und ihre Legitimität gefährden.
Eine unter dem Primat der Eindämmung von Flucht- und Migrationsbewegungen gestaltete Entwicklungszusammenarbeit verwässert dabei auch lange von der EU geteilte Kernprinzipien, wie z .B. den Anspruch auf Partnerschaftlichkeit bei der Auswahl und Gestaltung von Entwicklungsprogrammen oder die Ownership der Empfängerländer. Mittel der Entwicklungshilfe werden dabei teilweise instrumentalisiert und als Hebel genutzt, um außereuropäische Staaten dazu zu bewegen, bei der Steuerung und Kontrolle von Flucht und Migration mitzuarbeiten, häufig zu Lasten der Bevölkerung und Staaten selber, wie verschiedene Organisationen kritisieren.
Mobilität und Migration sind in Europa weitgehend Normalität und die Freizügigkeit von Arbeitnehmer_innen gilt als politische Errungenschaft. Hinzukommt, dass Millionen von EU-Bürger_innen in Ländern außerhalb Europas leben – auch weil ihr Reisepass ihnen so gut wie jede Grenze öffnet. Auch in der wissenschaftlichen Debatte hat sich längst die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich Mobilität und Migration positiv auf Entwicklung auswirken können, sowohl für die Herkunfts- und Zielländer der Migration als auch für die Migrant_innen und deren Familien und Angehörige. Zu nennen sind beispielsweise die enormen Geldtransfers, die Migrant_innen in ihre Heimatländer leisten, welche heute schon ein Vielfaches der offiziellen Entwicklungshilfe ausmachen. Aber auch der Wissenstransfer und entstandene internationale Kontakte und Netzwerke tragen erheblich zur Entwicklung der Herkunftsregionen bei.
Mit Blick auf die „Bekämpfung von Fluchtursachen“ in den Ländern des Südens hat sich jedoch spätestens mit dem Gipfel von Valletta auf europäischer Seite eine Sichtweise durchgesetzt, die Migration vor allem als Problem deklariert, dem mit mehr (wirtschaftlicher) Entwicklung und verstärktem Grenzmanagement beizukommen sei.
Um die Zahl der Migrant_innen zu senken, stehen neben verstärkter Grenzsicherung u. a. Investitionsinitiativen im Fokus. Durch gezielte private Investitionen (teilweise gestützt durch Mittel der Entwicklungszusammenarbeit, auch dies nicht unbedingt ein Ausweis ihrer Neutralität) sowie die Schaffung von Einkommensmöglichkeiten soll die Motivation zu migrieren gesenkt werden. Hierin reihen sich Initiativen wie der vom BMZ vorgestellte Marshallplan mit Afrika oder die im Rahmen der G20 diskutierten Compacts with Africaein.
Zugute kommt dies jedoch nicht vorrangig denjenigen Ländern, die am meisten unter einer schwachen wirtschaftlichen Entwicklung leiden, sondern denjenigen, die aufgrund ihrer Lage für die Steuerung der Migration am strategisch bedeutsamsten sind. Ganz abgesehen davon fließen Privatinvestitionen ohnehin vorrangig in wirtschaftlich und politisch einigermaßen stabile Länder, die ärmeren werden also vermutlich leer ausgehen.
Zwar wäre es allgemein zu begrüßen, wenn derartige Programm tatsächlich zu einer gerechten wirtschaftlichen Entwicklung in den Ländern des Südens beitragen und die Lebenssituation der breiten Bevölkerung nachhaltig verbessern würden. Der verfolgte Ansatz geht jedoch von der falschen Annahme aus, mehr wirtschaftliche Entwicklung trage zu einer Verringerung der Migration bei. Tatsächlich kann das Gegenteil der Fall sein. So ist es mittlerweile belegt, dass wirtschaftliche Entwicklung sowie steigende durchschnittliche Einkommen bis zu einem gewissen Niveau Migration eher befördern, statt zu reduzieren. Dieses Phänomen ist in der englischsprachigen Literatur auch bekannt als Migration hump. Das spricht grundsätzlich erstmal nicht gegen derartige Programme, lässt jedoch an der zugrundeliegenden Zielsetzung zweifeln.
Auch aus Sicht vieler afrikanischer Länder sind Mobilität und wirtschaftliche Entwicklung nicht voneinander zu trennen. Die Staaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) bemühen sich um eine Erleichterung der Freizügigkeit für Arbeitnehmer_innen innerhalb ihres Wirtschaftsraums, weil sie erkannt haben, dass regionale wirtschaftliche Integration nicht nur einen freien Kapital- und Warenverkehr voraussetzt, sondern auch die Mobilität der eigenen Bevölkerung. Auch innerhalb der Afrikanischen Union bestehen Ansätze zur Erleichterung grenzüberschreitender Mobilität. Doch anstatt diese im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zu unterstützen, wird genau das Gegenteil dessen getan. Programme zur Grenzsicherung und Maßnahmen des „Migrationsmanagements“ werden ausgebaut, wodurch Mobilität erschwert oder gar verhindert und wirtschaftliche Integration teilweise zunichtegemacht wird. Bereits jetzt zeigen sich in vielen afrikanischen Ländern die negativen Auswirkungen dieser Politik, nicht nur in soziökonomischer Hinsicht, sondern auch hinsichtlich ihrer Rolle bei der Erosion von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Die zukünftige Ausgestaltung der europäischen Entwicklungszusammenarbeit im Bereich Migration benötigt daher einen grundlegenden Perspektivwechsel. Dies setzt zunächst einmal voraus, die positiven Wirkungen der Migration auf Entwicklung anzuerkennen und die Interessen der Partnerländer wie auch der Migrant_innen selber bei der Ausgestaltung entsprechender Programme zu berücksichtigen.
Wenn die Ursachen für erzwungene Flucht und Migration angegangen werden sollen, müssen Akteure sich zunächst die Grenzen der Entwicklungszusammenarbeit eingestehen. Zwar kann Entwicklungszusammenarbeit gewaltsam ausgetragenen Konflikten vorbeugen, beispielsweise durch Instrumente der zivilen Konfliktprävention und Demokratieförderung, und im Verlauf von großen Fluchtbewegungen Betroffene und Aufnahmeländer bei der Integration unterstützen. Ihre Aufgabe ist es jedoch nicht, Flüchtlinge oder Migrant_innen davon abzuhalten, in anderen Ländern Schutz oder bessere Lebensverhältnisse zu suchen.
Autor_innen
Nils Utermöhlen, Projektbearbeitung Abteilung Politik, und Sophia Wirsching, Referentin für Migration und Entwicklung bei Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst
Kontakt: Felix Braunsdorf, FES-Referent für Migration und Entwicklung
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