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Der Weltflüchtlingstag am 20. Juni zeigt mit nüchternen Zahlen, wie sich eine weltweite Tragödie von immer größerem Ausmaß entwickelt.
Bild: Peter Ruhenstroth-Bauer von Jim Rakete
Bild: Refugee Camp Panoramas: Za'atari Refugee Camp, Jordan von UNHCR Photo Unit lizenziert unter CC BY-NC 2.0
Die aktuellen Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR), veröffentlicht in den “Global Trends“, schreiben den Negativtrend der letzten Jahre fort: Waren es 2016 noch 65,6 Millionen Menschen, haben im vergangenen Jahr 68,5 Millionen Menschen vor Krieg, Gewalt und Verfolgung Schutz gesucht. Hinter dieser unvorstellbaren Zahl stehen Schicksale, die nicht hinter der Statistik verblassen dürfen.
In Deutschland entsteht in der aktuellen Debatte der Eindruck, unser Land sei von dieser Entwicklung ganz besonders betroffen. Da wird von „Asyltourismus“ und „Asylflut“ gesprochen. Es wird über sogenannte Ankerzentren, nationale oder europäische Lösungen oder auch die Zurückweisung Geflüchteter an der Grenze lautstark diskutiert. Der UNHCR ordnet diese Diskussion durch Fakten ein: Pro Monat beantragen an den Grenzen weniger als 1000 Menschen Asyl. Und nur ein Bruchteil war zuvor in einem anderen EU-Land registriert. Die Zurückweisung würde somit nur eine kleine Gruppe direkt betreffen, so der UNHCR-Repräsentant in Berlin, Dominik Bartsch.
Die politische Debatte zeigt Wirkung: Die Aufnahme von Geflüchteten verunsichert einen nicht unerheblichen Teil unserer Gesellschaft. Fakten, die sich nicht allein auf Deutschland oder Europa beschränken, machen deutlich, dass wir über eine unvorstellbare, weltweite Tragödie sprechen. Eines kann man mit Fug und Recht herausstellen: In Deutschland wurde nach den Jahren 2015/2016 der große Stresstest für unsere Gesellschaft bestanden. Zwar wird kaum noch darüber berichtet, aber im ganzen Land, engagieren sich viele Menschen für Geflüchtete, die bei uns Schutz gefunden haben. Gerade dieser Gegensatz zur aktuellen politischen Diskussion macht die Lage so brisant.
Wir brauchen nicht in einen künstlichen Betroffenheitsjargon zu verfallen, um uns die weltweite Schieflage vor Augen zu führen. Die eigentliche Katastrophe findet nicht bei uns, sondern woanders statt: 68,5 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Für den UNHCR wächst diese Zahl nicht nur rapide an, sondern bestätigt einen seit 5 Jahren steigenden Trend von Flucht und Vertreibung.
Die meisten Menschen fliehen aus Syrien, Afghanistan, Südsudan, Myanmar und Somalia. Die überwältigende Mehrheit dieser Flüchtlinge findet Sicherheit in Nachbarländern. 85% der Geflüchteten in der Welt leben in sogenannten Entwicklungsländern, mit niedrigem volkswirtschaftlichem Einkommen.
Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge weltweit sind Kinder. Mindestens 173.800 Kinder wurden nach UNHCR-Angaben von ihren Familien getrennt und waren so gezwungen, sich alleine vor Krieg, Gewalt oder auch Naturkatstrophen in Sicherheit zu bringen. Da sich eine Registrierung als schwierig erweist, dürfte die tatsächliche Zahl bei weitem höher liegen. Dass unbegleitete minderjährige Kinder unter besonders hohem Risiko Schutz suchen, liegt auf der Hand, da sie sich schwerer gegen Ausbeutung, sexuelle Gewalt, Menschenhandel oder Missbrauch zur Wehr setzen können.
Dauerhafte Krisenregionen sind der Ursprung dieser unvorstellbar hohen Zahl von geflüchteten Menschen. Aber gerade sie sind es, die kaum noch öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Diese Regionen sind geprägt durch einen Mangel an Hilfsgütern und fehlender Finanzierung der Nothilfeeinsätze. So erhält die betroffene Bevölkerung keine oder nur unzureichende internationale Hilfe. Politischer Wille die Krise zu beenden, ist in vielen Ländern nicht zu erkennen.Viele dieser Krisen verlaufen so außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung, weil es am medialen Interesse mangelt. Besonders betroffen sind Länder wie der Jemen, der Südsudan, die Demokratische Republik Kongo, Somalia, aber auch Bangladesch/Myanmar und Venezuela. Häufiger Grund ist die kaum mehr durchschaubare Komplexität der Krisen.
So geraten beispielsweise 4,5 Millionen Binnenvertriebene in der DR Kongo einfach in Vergessenheit. Auch die Jemen-Krise ist mit 22 Millionen hilfebedürftigen Jemeniten eine der größten humanitären Katastrophen weltweit. Kaum jemand versteht noch die Hintergründe des Konfliktes, die wechselnden Allianzen und Kontrahenten. Trotz dieser katastrophalen Situation hat der Jemen rund 281.000 Geflüchtete, hauptsächlich aus Somalia, aufgenommen und gehört zu den Unterzeichnern der Genfer Flüchtlingskonvention.
Die Öffentlichkeit erfährt davon wenig bis gar nicht, denn aufgrund der Gefahrenlage reisen Journalisten nur selten in den Jemen. Der UNHCR gehört zu den wenig verbliebenen Hilfsorganisationen in diesem auseinanderbrechenden Land. In Somalia gab es seit dem Sturz des Diktators Siad Barre (1991) 20 Jahre lang keine funktionierende Zentralregierung. Die später unter internationalem Schutz gebildeten Übergangsregierungen blieben weitestgehend erfolglos. Große Teile des Landes sind in den Händen lokaler Clans, Warlords oder islamistischer Gruppierungen.
Ein Ende dieser Krisen ist nicht in Sicht – und damit auch keine Lösung für die Menschen auf der Flucht. Weil die Staatengemeinschaft bei der weltweiten Situation von Geflüchteten noch keine wesentlichen Fortschritte gemacht hat, muss auch die Zivilgesellschaft weiter bewegt werden. Umso größer werden die Anforderungen an den UNHCR und seine nationalen Partner. In Deutschland ist dies die UNO-Flüchtlingshilfe. Die Mobilisierung der Zivilgesellschaft für die finanzielle Unterstützung des UNHCR gehört ebenso zu ihrer Aufgabe, wie Projekte für Geflüchtete in Deutschland. Zivilgesellschaft mobilisieren heißt für die UNO-Flüchtlingshilfe aber auch, den dringend notwendigen Beitrag zur Versachlichung der Debatte zu leisten.
So unwahrscheinlich eine baldige Lösung für die Konfliktregionen erscheint, so sicher werden die vergessenen Krisen sich eines Tages wieder in Erinnerung rufen. Denn Menschen ohne Perspektive machen sich auf die Suche nach einer besseren Zukunft. Europa hat unter schwerstem politischem Kraftaufwand 2,5 Millionen Flüchtlingen der weltweit über 68 Millionen Menschen auf der Flucht Schutz gewährt. Gleichzeitig beansprucht es für sich, unter höchsten moralischen Ansprüchen für die Menschen einzutreten – damit legt es tief verwurzelte Widersprüche frei, für die es keine einfachen Lösungen gibt.
Der globale Pakt für Flüchtlinge, der zurzeit vom UNHCR im Auftrag der Vereinten Nationen ausgearbeitet wird, ist ein erster, wichtiger Meilenstein im nachhaltigen Umgang mit lang andauernden Fluchtbewegungen. Die UN-Mitgliedstaaten sollen sich mit dem Pakt zu einer gerechten und globalen Verantwortungsteilung bekennen. So werden humanitäre Nothilfe und langfristige Entwicklungsziele verbunden.
Autor:
Peter Ruhenstroth-Bauer ist Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshilfe.
Kontakt in der FES: Sönke Hollenberg, Referent für den Themenbereich Integration und Teilhabe im Forum Berlin
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