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Zeitenwende in Guatemala – reaktionäre Kräfte schlagen zurück

Guatemala wählt und erlebt einen von Unsicherheit geprägten Wahlkampf mit großem Einfluss der Judikative durch den Ausschluss von Kandidat_innen.

Wahlkampfplakate in Guatemala

Bild: Wahlkampfplakate in Guatemala von FES Guatemala

 

Fragen an Ingrid Roß, Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Guatemala, Honduras und Nicaragua

 

Guatemala galt in den letzten Jahren als Modell im Kampf gegen die Korruption. Was ist bei den bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu erwarten, deren erste Runde am 16. Juni stattfindet?

In Guatemala stehen die Zeichen auf Sturm. Der Kampf gegen die Korruption muss wohl vorerst vertagt werden, denn bei den kommenden Wahlen liegen in den Umfragen nun Kandidat_innen vorn, die dem reaktionären Lager zuzurechnen sind und die Korruptionsbekämpfung aus Klientelinteressen verhindern wollen. Die »Internationale Kommission gegen Straflosigkeit und Korruption in Guatemala« (CICIG) der Vereinten Nationen, die lange Zeit als Vorbild galt, wird im September ihre Arbeit einstellen müssen. Die Regierung hat die Tätigkeit der Kommission in der vergangenen Zeit behindert und der Mandatsverlängerung im dreizehnten Jahr ihrer Existenz nicht zugestimmt.

In gewisser Weise ist die CICIG Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden, denn sie hat sich mit den Mächtigen des Landes angelegt. Während der Amtszeit der Generalstaatsanwältin Thelma Aldana, die Hand in Hand mit der Kommission arbeitete, hat sie die größte Aufklärungskampagne gegen die Korruption in der Geschichte Guatemalas durchgeführt: Dutzende kriminelle Netzwerke wurden aufgedeckt, fast 600 Personen inhaftiert, darunter der ehemalige Präsident Otto Pérez Molina und die Vizepräsidentin Roxana Baldetti. Auch ehemalige Abgeordnete, Richter_innen und Unternehmer_innen landeten im Gefängnis.

Als Galionsfigur der Reformbewegung ist Aldana bei den kommenden Wahlen für die neu gegründete Partei Movimiento Semilla als Präsidentschaftskandidatin ins Rennen gegangen. Doch ein Gericht hat sie Ende Mai in einer umstrittenen Entscheidung von den Wahlen ausgeschlossen. Die Ausstellung des Dokuments, mit dem die Tätigkeit im öffentlichen Dienst quittiert wird (finiquito), wurde ihr verweigert.

Angesichts der Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung ist es wenig verwunderlich, dass Aldana den Zorn der politischen und wirtschaftlichen Elite auf sich gezogen hat. Nun liegt ein internationaler Haftbefehl gegen sie vor. Sie befindet sich außer Landes und fürchtet um ihr Leben, nachdem durch einen weiteren Skandal um den Präsidentschaftskandidaten Mario Estrada bekannt wurde, dass dieser ihre Ermordung beauftragt hatte. Estrada hatte einen Deal mit dem mexikanischen Drogenkartell Sinaloa getroffen, um seine Wahlkampagne finanzieren und politische Gegner_innen aus dem Weg räumen zu lassen. Diese Absprache flog auf, da Estrada in eine Falle der US-amerikanischen Anti-Drogen-Behörde DEA tappte – Ereignisse, die auch aus einer Netflix-Serie hätten stammen können.

 

Auch Zury Ríos, Tochter des ehemaligen Diktators Efraín Ríos Montt, wurde durch eine richterliche Entscheidung von den Wahlen ausgeschlossen. Welche Präsidentschaftskandidat_innen dürfen sich denn nach dem Ausscheiden dieser zwei bekannten Protagonistinnen nun Hoffnungen auf den Wahlsieg machen?

In den jüngsten Umfragen liegen derzeit Sandra Torres (Unidad Nacional de la Esperanza, UNE) mit 21 Prozent und Alejandro Giammattei (VAMOS) mit 12 Prozent vorn. Beide stehen für eine Politik, die auf Klientelismus beruht und sich mafiöser Netzwerke von z. T. ehemaligen Militärs bedient. Beide hatten bereits bei vorherigen Wahlen kandidiert. Gegen Sandra Torres wurden nun Ermittlungen wegen illegaler Wahlkampffinanzierung im Jahr 2015 eingeleitet, doch das zuständige Gericht hat die Aufhebung ihrer Immunität mehrmals vertagt, sodass sie ihren Wahlkampf landauf, landab ungehindert fortsetzt.

Der nächstplatzierte Kandidat, Alejandro Giammattei, ist ehemaliger Leiter des Strafvollzugswesens und gilt als Populist sowie Vertreter der extremen Rechten im Land. Er kann sich auf den Rückhalt der mächtigen Netzwerke ehemaliger Militärs stützen. 2007 musste er sich selbst wegen außergerichtlicher Tötungen vor Gericht verantworten und landete für kurze Zeit hinter Gittern.

Politische Beobachter_innen gehen davon aus, dass in der ersten Runde der Wahlen am 16. Juni niemand die erforderliche Mehrheit von 50 Prozent erringt, so dass es am 11. August zu einer Stichwahl der beiden Erstplatzierten kommt. Zwar haben in der CID Gallup-Umfrage von Ende Mai 21 Prozent der Befragten angegeben, sie würden für Sandra Torres stimmen. Doch ihre Person polarisiert: Gleichzeitig sagten 33 Prozent, dass sie der Kandidatin »niemals« ihre Stimme geben würden. Es ist also möglich, dass der Zweitplatzierte in der Stichwahl von den starken Antipathien gegen Sandra Torres profitiert. Doch unabhängig davon, ob Torres oder Giammattei gewinnt: Die Transformation des politischen Systems in Guatemala wäre damit (vorerst) gescheitert.

 

Sind die progressiven, reformorientierten Kräfte nach dem Ausscheiden von Thelma Aldana im Wahlkampf gar nicht mehr präsent?

Kurz nach der Verkündung des Ausschlusses von Thelma Aldana gab diese in einem CNN-Interview eine Wahlempfehlung für Thelma Cabrera ab. Die Indigene ist Präsidentschaftskandidatin der jüngst gegründeten Partei Movimiento para la Liberación de los Pueblos (MLP), die wiederum mit der Bauernorganisation Comité de Desarrollo Campesino (CODECA) in enger Verbindung steht. Die Unterstützung Thelma Aldanas für Thelma Cabrera überraschte, da die MLP als linke Anti-System-Partei gilt. Sie fordert u. a. die Verstaatlichung der Stromversorgung und die Einberufung einer konstituierenden, plurinationalen Versammlung. Die Umfragewerte für Thelma Cabrera liegen bei fünf Prozent. Der andere Kandidat, der dem progressiven, moderaten Lager zugeordnet werden kann, ist der ehemalige Diplomat Edmond Mulet (sieben Prozent). Es ist unwahrscheinlich, dass eine_r von diesen beiden in die zweite Runde einzieht.

Das linke, progressive Lager ist fragmentiert. Den Kandidat_innen der kleinen Parteien ist es nicht gelungen, landesweite Bekanntheit zu erlangen. Letztlich waren auch die Reformen des Wahlrechts dafür verantwortlich, dass der Wahlkampf erst sehr spät begonnen hat. Die Medien haben die Reform boykottiert, die eine Zuweisung der Sendezeit für die einzelnen Kandidat_innen und Parteien durch die Wahlbehörde (TSE) vorsah, so dass viele Bürger_innen wenig über Profile und Programmatik der zur Wahl Stehenden wissen. Davon profitieren die etablierten Politiker_innen, die sich gegen einen tiefgreifenden Wandel des politischen Systems vehement wehren.


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