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Referat Naher/Mittlerer Osten und Nordafrika

“Dieser Sturm hat uns alles genommen”

Wie beeinflusst die Diskussion um klimabedingte Schäden und Verluste ('loss & damage') die COP23?

Eine komplett zerstörte Stadt in Haiti. Im Vordergrund tragen Menschen Säcke mit Habseligkeiten.

Bild: Typhoon Hayan destroys Central Phillippines von Alanah Torralba

Bild: Devastation caused by typhoon Haiyan on Nov 8, 2013 von Alanah Torralba

BONN, Germany — Vor vier Jahren brachte der Taifun Haiyan/Yolanda, einer der heftigsten jemals aufgezeichneten Stürme, Tod und Zerstörung über die östlichen Visayas und die Zentralphilippinen, etwa 820 km von der Hauptstadt Manila entfernt. Joanna Sustento erinnert sich noch lebhaft an die Schrecken des 8. November 2013.

Sustento sagt, sie sei vom heulendem Wind aufgewacht, der ihr Zuhause erschütterte, während unvorstellbare Wassermassen vom Himmel fielen.

Innerhalb weniger Minuten war das Haus ihrer Familie von dunklem Wasser überschwemmt. Auf dem Weg nach draußen klammerten sie sich verzweifelt an Fenstergitter und kämpften dagegen an, von der heftigen Strömung davongetragen zu werden.   

Einer nach dem Anderen

Sustentos Schwägerin war das erste Opfer. Von einem Schlangenbiss geschwächt, verlor sie irgendwann das Bewusstsein und trieb davon. Danach folgte ihr dreijähriger Neffe Tarin, der Autismus hat. Obwohl er eine Rettungsweste trug, begann er zu ertrinken. Sustento rief nach ihrem Vater, als sie versuchten, gegen das reißende Wasser anzukämpfen. „Ich hatte immer die Gewissheit, dass mein Vater auf alles eine Antwort hatte, doch an diesem Tag hatte er keine. Niemals werde ich den gebrochenen Ausdruck auf seinem Gesicht vergessen. Ich konnte nichts tun.“ Ihr Vater glitt einfach davon und war ebenfalls verloren.

Sustento und ihrer Mutter gelang es, sich am Gerüst eines nahegelegenen Gebäudes festzuhalten. „Das Wasser war so turbulent wie in einer Waschmaschine,“ berichtet sie. Erschöpft und am Boden zerstört war Sustento schon kurz davor, aufzugeben. Doch ihre Mutter rief ihr laut zu und als Sustento ihre Stimme hörte, schaffte sie es, sich aus den Turbulenzen zu befreien. Sustento zwang sich, sich an eine vorbei treibende Tür zu klammern. Doch dann sah sie, wie ihre Mutter zu ertrinken begann. Sie schwamm zu ihr, um sie zu retten „Ich konnte sehen, dass noch Leben in ihr war“, sagte sie. Doch ihre Mutter war schon zu geschwächt und die starke Strömung drängte die beiden auseinander.

An diesem Tag verlor Sustento ihre Mutter, ihren Vater, ihren ältesten Bruder, ihre Schwägerin und ihren Neffen. Der Leichnam ihres Vaters wurde nie gefunden und sie weiß bis heute nicht, ob ihr Neffe Tarin, der vermisst geblieben ist, tot oder lebendig ist.

„Dieser Sturm hat alles genommen.“   

Der tödlichste je aufgezeichnete Sturm

Offiziell hat Haiyan/Yolanda mehr als 6.300 Todesopfer gefordert. Das macht ihn zu dem verheerendsten Sturm, der bisher auf den Philippinen gewütet hat. Mehr als 1000 Menschen gelten immer noch als vermisst, vier Millionen waren von der Katastrophe betroffen.

Der Supertaifun mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 315 Kilometern pro Stunde verursachte verheerende Sturmfluten, die ganze Gemeinden zerstörten, als der Sturm in den frühen Morgenstunden des 8. November 2013 die Provinzen Leyte und Samar erreichte. Zu den Todesfällen kommen Sachschäden, die auf bis zu 2 Milliarden US Dollar geschätzt werden.

Leidenschaftlicher Appell an die Welt

Als der Taifun Haiyan/Yolanda allmählich seine schreckliche Wirkung entfaltete, rief Yeb Saño in einem emotionalen Appell die Welt dazu auf, auf die enorme Zerstörung in den Philippinen zu reagieren. Saño war zu dieser Zeit Verhandlungsführer für die Philippinen beim Spitzengespräch der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen in Warschau.

„Was mein Land durch dieses extreme Klimaereignis erleiden muss, ist Wahnsinn. Die Klimakrise ist Wahnsinn,“ so Saño, der selbst Verwandte durch Haiyan/Yolanda verloren hat.

Unter anderem als Reaktion auf die erschütternden Bilder des Sturms entwickelte die COP19 den „Warschauer Internationalen Mechanismus für Verluste und Schäden aufgrund des Klimawandels“. Der Mechanismus soll Vorgehensweisen fördern, die klimabedingte Schäden und Verluste minimieren. Gemeint sind beispielsweise irreparable Auswirkungen des Klimawandels wie der Verlust von Leben aufgrund extremer Wetterereignisse oder Inseln, die aufgrund des steigenden Meeresspiegels versinken.

Bei Klimaverhandlungen bleibt dieses Thema jedoch kontrovers, da Industrieländer den Fragen von Verantwortung und Haftung abgeneigt gegenüberstehen.

Das Pariser Abkommen

Im Jahr 2015 verabschiedete der UNFCCC das Pariser Abkommen, ein historisches Klimaabkommen, das von 195 Ländern unterzeichnet wurde. Es soll die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius begrenzen und die Verminderung von Treibhausgasemissionen, Anpassungspraktiken und Klimafinanzierung fördern.

Zusätzlich dazu enthält das Abkommen eine Regelung zu klimabedingten Schäden und Verlusten. Diese sieht insbesondere finanzielle Maßnahmen und Förderungen vor, um klimabedingten Schäden und Verlusten aufgrund der negativen Folgen des Klimawandels entgegenzuwirken.

Genaue Bestimmungen zur Umsetzung dieser Regelung verzögern sich jedoch, da sich die Industriestaaten mit der Übernahme von Verantwortung in diesem Bereich schwer tun. Denn Verantwortung zu übernehmen würde bedeuten, dass diejenigen, die historisch mehr zu den Ursachen des Klimawandels beigetragen haben, auch die Kosten für klimabedingte Schäden und Verluste übernehmen müssten.   

"Eine Versicherung"

Antonio La Viña, der Vorsitzende des Manila Observatory und langjähriger Beobachter der Klimaverhandlungen sagt, dass der Mechanismus für klimabedingte Schäden und Verluste ähnlich wie eine Versicherung funktioniert, in der Länder in einen globalen Fonds einzahlen. Dieser wird im Falle eines extremen Wetterereignisses oder langsam einsetzender Geschehnisse andere Länder für Schäden kompensieren.   

COP23: Schauplatz für Schäden und Verluste

Bonn ist der Schauplatz für die Erstellung des zum Abkommen gehörenden Regelwerks, das 2018 fertiggestellt werden muss.

Industrieländer debattieren über das Thema Verantwortung und haben den Diskurs auf die Themenfelder Anpassung und Vermeidung umgelenkt. Inzwischen setzen sich die Entwicklungsländer aber gemeinsam für ein Regelwerk zu klimabedingten Schäden und Verlusten ein, da irreversible Folgen des Klimawandels bereits eingetreten sind.

Harjeet Singh, der Global Lead on Climate Change bei Action Aid, zeigt sich optimistisch, dass eine Regelung zu klimabedingten Schäden und Verlusten bei der COP23 verfolgt werden wird, trotz des Widerstandes der Industriestaaten, sich der Verantwortung zu stellen.

„Die Abmachung lautet, dass – insbesondere finanzielle – Maßnahmen und Unterstützung bereitgestellt werden. Wenn sie (die Industriestaaten) das Thema nicht angehen, wird das die Diskussion nur anfachen,“ so Singh.   

Klimagerechtigkeit

Für viele Haiyan/Yolanda-Opfer repräsentiert die Aufnahme von klimabedingten Schäden und Verlusten in die Agenda des Pariser Abkommens eine Gelegenheit, den schutzbedürftigsten Menschen, die vom Klimawandel betroffen sind, Gerechtigkeit zu verschaffen.

Sustento sagt, dass sie weiterhin durch Haiyan/Yolanda traumatisiert ist. Viele Überlebende, so sagt sie, haben das Gefühl, dass die Menschen, die durch den Sturm ums Leben kamen, die Glücklicheren sind, da sie nun nicht mehr an die Zukunft denken müssen. Manchmal fragt sie sich, ob es überhaupt noch Sinn macht am Leben zu sein, nachdem sie sieben Familienmitglieder, einschließlich beider Eltern, verloren hat.

In den Jahren nach ihrem traumatischen Erlebnis wurde Sustento Klima-Aktivistin. Sie ist Teil einer Bewegung, die reiche Länder dazu auffordert, Verantwortung für ihren Beitrag zur Beschleunigung der Folgen des Klimawandels zu übernehmen und finanzielle Mittel für Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen bereitzustellen.

„Unsere Leben sind nicht weniger wert als Eure.“

Text and Bilder von Alanah Torralba
Ins Deutsche übersetzt von Julia Foell

In diesem Jahr arbeiten wir mit Climate Tracker zusammen und unterstützen die jungen Journalist_innen Alo Lemou aus Togo und Alanah Torralba aus den Philippinen dabei, an deren Programm teilzunehmen. Sie werden von Climate Tracker weitergebildet, berichten für uns über die COP23 und sind auch bei Veranstaltungen der Friedrich-Ebert-Stiftung dabei.


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