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Referat Naher/Mittlerer Osten und Nordafrika

Dokumentarfilm: Was macht eine Stadt gerecht?

Das Kommunikationsteam der FES Asien hat sich in Bangkok auf die Suche nach Antworten von Stadtbewohner_innen gemacht, die konkrete Konzepte für die Verwirklichung einer gerechten Stadt entwickeln wollen.

An einem schwülen Tag in einem öffentlichen Park, der als grüne Lunge der Stadt bezeichnet wird, sind wir mit Pornphrom Vikitsreth verabredet, Berater des Gouverneurs und Nachhaltigkeitsbeauftragter (Chief Sustainability Officer) der Stadtverwaltung von Bangkok. „Jeden Tag kommen Menschen hierher, um zu joggen und nach der Arbeit Sport zu treiben“, sagt er. „Aber man stelle sich vor, jeder dieser Menschen würde jeden Tag mit dem Auto zu einem der Parks im Stadtzentrum fahren – dann ließe sich das Stauproblem niemals lösen.“ In der Frage, wie gut die öffentlichen Grünflächen in Bangkok erreichbar sind und welche Qualität sie haben, gebe es sozioökonomische Ungleichheiten. Wer zum Beispiel in der Nähe der Geschäftsviertel im Stadtzentrum wohne, könne öffentliche Parks leicht erreichen, ohne das eigene Auto benutzen zu müssen. Pornphrom führt uns durch die üppigen Grünanlagen bis zum Benjakitti Forest Park Museum, wo wir das einzige Miniaturmodell der Stadt Bangkok besichtigen. „Hier sehen Sie ganz Bangkok auf einen Blick“, erklärt Pornphrom.
 

Bangkok will eine an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Stadt werden - ein urbanes Zentrum, das allen Bevölkerungsschichten gerechte Lebensverhältnisse bietet. In einer solchen bürgergerechten Stadt konzentriert sich die Stadtplanung vor allem darauf, die Lebensqualität der Stadtbevölkerung zu verbessern, durch Einbindung aller Beteiligten, durchdachte Gestaltung, nachhaltige Verfahren und eine bessere Erreichbarkeit der städtischen Grünflächen.

„Der gleichberechtigte Zugang zu Grünflächen ist ein Grundrecht“, betont Pornphrom. „Für die Bevölkerung in den dicht besiedelten Vororten sind öffentliche Parks aber schwer zu erreichen. Dieser Ungleichheit begegnen wir mit einer Strategie der Pocket-Parks oder sogenannten „15-Minuten-Parks“ (das sind grüne Oasen, die innerhalb einer Viertelstunde zu Fuß erreichbar sind, Anm. d. Red.). Wir wollen die öffentlichen Grünflächen ausweiten und sie in die Vororte bringen – überall dorthin, wo viele Menschen leben.“
 

Mehr über diese Politikempfehlungen erfahren Sie in der Kurz-Doku Not Just Another Asian City.


Als wir weiter in die Außenbezirke von Bangkok hinausfahren, kommt uns wieder Pornphroms Zuversicht in den Sinn, dass die Bewohner Feuer und Flamme seien für die Verwirklichung einer gerechten Stadt, in der die Menschen dieses Grundrecht leichter in Anspruch nehmen können.

Am späten Nachmittag treffen wir Teetat Mettrai, einen pensionierten Bankangestellten, der mit seiner freundlichen und einladenden Art Offenheit und Optimismus vermittelt. Er lebt seit sechzig Jahren im Großraum Bangkok und berichtet, die Stadt sei so stark gewachsen, dass er für seine Familie eine ruhigere Umgebung gesucht habe. Deshalb sei er nach weiter außerhalb gezogen. „Der rasanten Ausdehnung der Stadt mit ihren Verkehrsstaus sind wir trotzdem nicht entkommen“, so Teetat. Er löst dieses Problem dadurch, dass er ganz gezielt das Verkehrsmittel auswählt, mit dem er während der Hauptverkehrszeiten am besten vorankommt.
 

Teetats Spitzname ist „Jazz“. Obwohl er ein Auto besitzt, nimmt er lieber den Bus, statt selbst durch die verstopften Straßen zu fahren. „Mein Haus liegt allerdings nicht in der Nähe einer Bushaltestelle oder einer Skytrain-Station. Deshalb muss ich entweder ein Motorradtaxi nehmen oder zu Fuß zur Bushaltestelle gehen“, erklärt „Onkel“ Jazz (um ihn mit dem in Thailand üblichen Ehrentitel für ältere Menschen anzusprechen).

Wir begleiten ihn auf seinem kurzen Fußweg zur Bushaltestelle, der durch einen Pocket-Park führt und etwa 15 Minuten dauert. „Schon ein paar Atemzüge frischer Luft in einer grünen Umgebung reichen aus, um in Schwung zu bleiben“, sagt er. „Das ist ein sogenannter15-Minuten-Park – der ideale Zwischenstopp für alle, die zu Fuß unterwegs sind.“

Für einen 70-Jährigen ist der Fußweg dennoch etwas anstrengend. Es wäre für die Bürgerinnen und Bürger viel besser gewesen, wenn sich die Stadtplaner_innen oder politischen Entscheidungsträger_innen Gedanken über die Anbindung der „letzten Meile“ und die damit verbundenen Herausforderungen gemacht hätten.

Schauen Sie sich die Kurz-Doku an und begleiten Sie Onkel Jazz auf seinen täglichen Wegen – https://www.youtube.com/watch?v=lBXXVdnw9zw
 

Der Nachhaltigkeitsbeauftragte Pornphrom erklärt, die Anbindung der letzten Meile sei deswegen entscheidend, weil Fußwege nicht genutzt würden, wenn sie unpraktisch oder mit zu viel Aufwand verbunden seien.
 


In einer Stadt mit gut ausgebauten Fußwegen verbindet das Wegenetz alle öffentlichen Bereiche der Stadt, sodass die Bewohner_innen von ihrem Zuhause aus verschiedene Orte in der Stadt wie Parks, Märkte, Geschäfte und auch ihren Arbeitsplatz erreichen können. Viele Menschen in Bangkok bezweifeln jedoch, dass es in ihrer Stadt jemals Fußwege gegeben hat, die die Bezeichnung „gut“ verdient haben.


Thanchanok Srithanedchai ist freiberufliche Content-Producerin. Sie ist in Bangkok geboren und aufgewachsen und lebt heute im Stadtzentrum. Aus ihrer Sicht ist die fehlende Fußgängerfreundlichkeit das Haupthindernis, wenn es darum geht, die pulsierende Hauptstadt zu dem zu machen, was die Stadtplaner_innen und Stadtgestalter_innen inzwischen „15-Minuten-Stadt“ nennen – also eine Stadt, die auf gute Erreichbarkeit und ein bequemes Stadtleben setzt. „Man kommt nur zurecht, wenn man direkt neben einer Skytrain- oder Bushaltestelle wohnt“, meinte sie. „In Bangkok ist es unmöglich, innerhalb von 15 Minuten von A nach B zu kommen, es sei denn, man nimmt für die letzte Meile ein Motorradtaxi. Dafür muss man allerdings ein bisschen investieren.“


Bangkogs 15-Minuten-Pocket-Park-Kampagne lehnt sich eng an das Grundkonzept der 15-Minuten-Stadt an, das 2020 durch die Pariser Bürgermeisterin Anne Hildalgo bekannt wurde. Das Konzept sieht vor, städtische Gebiete so zu gestalten, dass alle wichtigen Dienstleistungen und Einrichtungen innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind. Ein ähnliches Ziel verfolgt die Kampagne „15-Minuten-Pocket Park“: Sie soll sicherstellen, dass Parks und Erholungsgebiete für die Bewohner leicht erreichbar sind, dadurch einen gesünderen Lebensstil fördern und die Abhängigkeit vom Auto verringern. Wir fragen Pornphrom Vikitsreth nach seiner Meinung dazu.

„Das ist das nächste große Ziel, das wir erreichen wollen, aber schon jetzt folgt unsere 15-Minuten-Pocket-Park-Kampagne den Leitlinien der 15-Minuten-Stadt, indem sie die Erreichbarkeit von Grünflächen priorisiert, die Lebensqualität in der Stadt verbessert, Umweltprobleme angeht und gesellschaftliches Engagement fördert.“
 


An dem Tag, an dem wir sie begleiten, verzichtet Thanchanok auf das Motorradtaxi.

Sie habe das Glück, dass ihr Haus direkt im Zentrum ihres Stadtteils liege und es von ihrer Haustür nur ein paar Schritte bis zur Straße seien, wo sie für die letzte Meile zum Schiffsanleger ein Motorradtaxi, einen Minibus oder ein Taxi nehmen könne. Von dort fährt sie mit dem „Canal Boat Bus“ zur Arbeit ins Stadtzentrum. „Es gibt auch Skytrain-Stationen in der Nähe meines Hauses, aber ich brauche auf jeden Fall einen Minibus oder ein Motorradtaxi“, sagt Thanchanok. „An sonnigen Tagen ist es mir manchmal zu weit, um die Strecke zu Fuß zu gehen. Der Fußgängerweg ist nicht gerade bequem. Das gilt nicht nur für mich, sondern für alle.“

Sehen Sie in der Kurz-Doku, wie Menschen in Bangkok die „letzte Meile“ zurücklegen – https://www.youtube.com/watch?v=lBXXVdnw9zw

 


Die Häuser von Teetat und Thanchanok liegen in einem Wohngebiet, in dem es wie in vielen Vierteln von Bangkok enge Gassen oder Sackgassen gibt, die für größere Fahrzeuge nur schwer passierbar sind. Motorradtaxis dagegen können mühelos durch die engen Gassen fahren und bringen die Bewohner deshalb schneller zu den Hauptverkehrsstraßen oder Verkehrsknotenpunkten, die sonst mühsam zu erreichen wären. Motorradtaxis tragen in Bangkok entscheidend zu einer besseren Anbindung der „letzten Meile“ bei – also auf dem letzten Abschnitt der Wegstrecke, auf dem es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, mit denen die Fahrgäste ihr Ziel erreichen können.
 


Durch einen glücklichen Zufall machen wir einen Motorradtaxifahrer ausfindig, der ausgerechnet Präsident der Motorcycle Taxi Association of Thailand (MTAT) ist. Wir treffen ihn an seinem Arbeitsplatz im Kreise von Kollegen an. An der Straße, an der Chaloem Changthongmadn mit seinem E-Motorrad seinen Standplatz hat, stehen die wartenden Fahrgäste Schlange. Es ist wie jeden Morgen zur Rushhour in Bangkok: Hunderte oder Tausende Pendler liefern sich einen Kampf gegen den Verkehr und gegen die Uhr, damit sie rechtzeitig zur Arbeit kommen. Die meisten von ihnen entscheiden sich vor allem deshalb für das Motorradtaxi, weil es schneller. Billiger ist es aber nicht unbedingt.

„Wir sind für die Einwohner von Bangkok die günstigste Möglichkeit, schnell ans Ziel zu kommen. Trotzdem würde ich mindestens 20 Minuten einplanen für den Fall, dass man mal nicht so schnell von A nach B kommt“, meint Chaloem.

Chaloem und andere Motorradtaxifahrer sehen sich jedoch in der Pflicht, nicht nur den schnellsten Transport für Pendler anzubieten, sondern auch einen Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit zu leisten, indem sie sauberere Technologien einsetzen und zum Beispiel E-Motorräder fahren. Eine gerechte Stadt würde bedeuten, dass als Teil einer Gesamtstrategie zur Reduzierung der Umweltverschmutzung die Nutzung von E-Motorrädern als Motorradtaxis aktiv gefördert wird.
 


„Dieses Mini-E-Motorrad habe ich als Probefahrzeug bekommen. Wir finden es großartig“, schwärmt der MTAT-Präsident.
„Den Fahrgästen gefällt das angenehme Fahrgefühl, das ein herkömmliches Motorrad nicht bieten kann. Die Frage ist nur, ob wir uns alle so ein Fahrzeug leisten können. Da bin ich mir nicht so sicher.“


Dass Plug-in-Elektrofahrzeuge die Luftverschmutzung in Städten reduzieren, steht außer Zweifel. Zur Bekämpfung des Klimawandels tragen sie aber nur bei, wenn der in das nationale Netz eingespeiste Strom aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wird. Wenn die einheimischen Kraftwerke Strom mit Kohle oder gar mit Diesel erzeugen, wird das Fahrzeug letztlich immer noch mit fossilen Brennstoffen betrieben und verursacht Treibhausgasemissionen. Es bleibt die Frage: Inwiefern kann die Regierung zusagen, dass das System für erneuerbare Energien so ausgebaut wird, dass es von der Erzeugung bis zum Endverbraucher reicht?

Was Motorradtaxifahrer davon abhält, sich ein eigenes Elektrofahrzeug zuzulegen, erfahren Sie in der Kurz-Doku – klicken Sie auf den Link unten.
 

 


Bei einer gerechten Stadt geht es nicht nur um die Stadt, sondern auch um die Menschen, die in ihr leben. UN-Generalsekretär António Guterres hat 2019 erklärt: „Ob wir den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen oder verlieren, entscheidet sich in besonderem Maß in den Städten“. Ohne menschengerechte Städte werden wir vielleicht den einen oder anderen technologischen Fortschritt erzielen, aber den Kampf für das Erreichen der Netto-Null-Emissionsziele und für die Eindämmung der Auswirkungen der globalen Erwärmung werden wir so auf keinen Fall gewinnen. Da Bangkok und andere asiatische Städte weiter wachsen und von Klimakrisen betroffen sind, braucht es mehr denn je ein dynamisches Wachstumsmodell, das sozial gerecht, integrativ, resilient und umweltfreundlich ist. Bevor jedoch Politiker_innen und andere Stakeholder voreilige Schlüsse ziehen in der Frage, welches Konzept am besten zu einer bestimmten Stadt und ihrer Bevölkerung passt, sollten wir einen Schritt zurücktreten und zuerst alle Realitäten und Gegebenheiten vor Ort betrachten: Wie gestaltet sich die Stadtentwicklung, und unter welchen Bedingungen leben, arbeiten und pendeln die Menschen in der Stadt?
 


Dieser Dokumentarfilm entstand unter der Regie von Phatsurang Dechabuddharungsi im Rahmen des „FES Asia Regional Climate and Energy Project“. Er untersucht und beleuchtet aus der Perspektive von drei Stadtbewohnern, einem Immobilienentwickler und einem „Waste Hero“, wie eine sozial-ökologische Transformation zur Verwirklichung eines „gerechten Bangkok“ aussehen könnte oder aussehen wird. Eine Frau und ein älterer Mann sind mit verschiedensten städtischen Verkehrsmitteln als Einzelpersonen unterwegs und liefern den Beweis, dass eine Vernetzung der urbanen Mobilität tatsächlich möglich ist. Ein Motorradtaxifahrer kämpft zur allgemeinen Verblüffung für den gleichberechtigten Zugang der Arbeiterschicht zu sauberer Energie. Mit Unterstützung eines Instituts für Kommunalentwicklung werden die an Kanälen gelegenen Stadtviertel von Bangkok so umgestaltet, dass sich arme Stadtbewohner_innen dort ansiedeln können. Damit wird auch den Problemen der ungebremsten Verstädterung begegnet. Hierbei geht es insbesondere um den Zusammenhang zwischen Kanälen und dem Fehlmanagement von Überschwemmungen und Abfallentsorgung. Vorgestellt wird außerdem eine Gruppe von Studierenden, die eine Zero-Waste-Kultur aufbauen, die bereits von benachbarten Gemeinden übernommen wurde, um eine nachhaltige, klimaresistente Stadt zu schaffen. Wie können diese Bewohner_innen Bangkoks dazu beitragen, Bangkok sozial und ökologisch zu verändern und in eine integrative und klimaresistente Stadt umzuwandeln?


Hier können Sie die Kurz-Doku sehen – folgen Sie bitte dem Link. https://www.youtube.com/watch?v=lBXXVdnw9zw

 

Aus dem Englischen von Christine Hardung

Phatsurang Dechabuddharungsi (Candy) ist Produzentin und Regisseurin von Dokumentar- und Kurzfilmen. Sie hat mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Nachrichtenbranche und in der Dokumentarfilmproduktion und arbeitet für viele renommierte nationale und internationale Medien. Für die FES Asien geht Candy mit Begeisterung ihrer Leidenschaft für kreative Fotografie, kreatives Schreiben und „Storytelling-Kommunikation“ nach. Als regionale Kommunikationskoordinatorin mit Sitz in Bangkok, Thailand, nutzt sie ihre große Erfahrung und Kreativität, um positive Veränderungen für eine nachhaltige Zukunft in Asien voranzutreiben.

Dieser Beitrag erschien im Original in englischer Sprache auf asia.fes.de


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