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Ein Heer von Fahrern transportiert Lebensmittel durch die südafrikanische Stadt. Ihr Leben und ihre Mühen bleiben von den Menschen, die sie beliefern, weitgehend unbeachtet. Der Fotojournalist James Oatway hat mehrere Monate damit verbracht, ihre Herausforderungen zu dokumentieren.
Der Beitrag erschien im englischen Original auf TheGuardian.com
Die einsetzende Coronapandemie und in deren Folge die unterschiedlichen Stufen staatlich verordneter Ausgangssperren führten zu einem exponentiellen Wachstum in der Lebensmittellieferindustrie. Zur Deckung der steigenden Nachfrage stellten mobile, per App buchbare Lieferdienste, wie Uber Eats, Mr Delivery und Bolt, immer mehr Fahrer*innen ein. Tausende afrikanischer Migrant*innen und Flüchtlinge – von denen viele erst kürzlich ihre Arbeit verloren haben – haben nicht nur in Johannesburg, sondern landesweit die mit dieser noch recht neuen Form der Arbeit einhergehenden Chancen und Risiken angenommen. Die Fahrer*innen stammen überwiegend aus Simbabwe, Uganda, Malawi und der Demokratischen Republik Kongo, kommen aber auch aus weiteren Ländern. Gesteuert wird ihre Arbeit von digitalen Algorithmen. Regulierungen gibt es keine. Die Arbeitsverhältnisse sind prekär. Bezahlt werden die Fahrer*innen nur, wenn sie tatsächlich arbeiten, wodurch viele von ihnen bis zu zwölf Stunden am Tag oder mehr schuften. Einige arbeiten gleich auf mehreren Plattformen. Das macht sie anfällig für Ausbeutung. Ein kleiner „Verstoß“, wie z.B. die verspätete Lieferung von Lebensmitteln, kann dazu führen, dass ein*e Fahrer*in in der App gesperrt wird, selbst wenn sie oder ihn keine Schuld trifft – eine Strafmaßnahme, gegen die sie kaum Rechtsmittel einlegen können. Erst nach Aufhebung dieser Sperre können sie ihre Arbeit wieder aufnehmen. Die Arbeit ist gefährlich. Häufige Unfälle führen zu schweren Verletzungen und manchmal sogar zum Tod. Die Fahrer*innen werden zudem oft Opfer der hohen Kriminalitätsrate Südafrikas. Ihnen wird von den Apps keine Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt. Oft schließen sich Fahrer*innen zusammen und sammeln gegenseitig Geld, um diejenigen zu unterstützen, die aufgrund einer Verletzung nicht arbeiten können. Die Apps geben vor, mit den Fahrer*innen partnerschaftlich zusammenzuarbeiten, das Kräfteverhältnis innerhalb dieser Beziehung ist jedoch ungleich verteilt. Die Lieferdienste sind dafür bekannt, dass sie ihre Geschäftsbedingungen ohne jegliche Rücksprache ändern. Allein schon aus Eigenschutz haben die Fahrer*innen daher in manchen Gegenden Einfallsreichtum bewiesen. Zur gegenseitigen Unterstützung haben sie kleine Genossenschaften gegründet. Die Kommunikation läuft über WhatsApp-Chatgruppen. Dort tauscht man sich über Arbeitsfragen, mögliche Gefahren und Fußball aus. Im vorliegenden Bericht geht es um Migrant*innen, Ungleichheit, Ausbeutung, den technischen Sektor und die Digitalwirtschaft sowie deren Veränderungen durch Corona.
Es ist Freitag Abend in Johannesburg. Gerade erst wurden die Lockdown-Maßnahmen gelockert, nachdem die Corona-Infektionsraten ein Plateau erreicht hatten. Die sonst so unruhige Stadt erwacht langsam wieder zum Leben, und die Autos rasen wie eh und je über die vor kurzem noch leeren Hauptverkehrsstraßen der Stadt.
Wir treffen kurz nach dem Unfall an der Unfallstelle ein. Die blauen und roten Lichter der Einsatzfahrzeuge tauchen die Straße in ein gespenstiges Blinklicht. Zwei Essenskuriere auf Motorrädern wurden vom selben Auto umgefahren. Der Autofahrer versuchte zu fliehen, wurde aber von einem weiteren Motorradfahrer festgehalten. Eines der Motorräder ist vollständig plattgedrückt. Die Sitzbank hat sich gelöst und liegt nun inmitten zerbrochener Plastikteile und Glasscherben quer über der Straße. Daneben liegt eine schwarze Tragetasche aus Segeltuch, auf der das Uber Eats-Logo zu erkennen ist.
Gegenüber den Trümmern haben sich etwa 20 Lebensmittelkuriere in einer Reihe nebeneinander auf ihren Motorrädern eingefunden. Nachdem sie einen Warnhinweis über ihre WhatsApp-Gruppe erhalten hatten, waren sie zum Ort des Geschehens geeilt, um ggf. helfen zu können. Auf sich allein gestellt haben die Lebensmittelkuriere von Johannesburg nach Nationalitäten bzw. Einsatzgebieten aufgegliederte WhatsApp-Gruppen gegründet. Einige sind bis zu 200 Mitglieder stark. Die Gruppenleiter kommunizieren häufig miteinander, vor allem in Notsituationen wie Unfällen oder Raubüberfällen.
Die Stimmung ist gedrückt. Man unterhält sich mit gedämpfter Stimme. Ein immer noch behelmter Motorradfahrer hält einen Tropf, an dem eines der Unfallopfer hängt. Beide sind schwerverletzt, haben aber überlebt. Sobald sie wieder zusammengeflickt sind, werden sie zurück auf der Straße sein.
Diese Männer und Frauen gehören zu dem Heer von Tausenden von Lieferkurieren, die bis zu 16 Stunden täglich und in der Regel sieben Tage die Woche bei Wind und Wetter Essen im Eiltempo quer durch die Stadt transportieren. Es ist eine äußerst gefährliche Arbeit. Unfälle und Überfälle, manchmal mit vorgehaltener Waffe, stehen an der Tagesordnung. Am gefürchtetsten ist Regenwetter, wenn die Straßen rutschig sind und die Sicht schlecht ist.
Die Kuriere rasen von Fastfood-Läden zu Studentenbuden in der heruntergekommenen Innenstadt oder von Edelrestaurants in schicke Vorortgebiete zu den sagenhaft Reichen in einer der ungleichsten Städte der Welt. Kurze Fahrten werden bevorzugt, aber für manche Aufträge müssen sie bis zu 20 Kilometer zurücklegen. Im Durchschnitt unternehmen sie mehr als ein Dutzend Fahrten pro Tag – manchmal sogar bis zu 20.
Die Coronapandemie führte zu einem exponentiellen Wachstum der Zahl der hier tätigen Lebensmittelkuriere, die gleich eine ganze Reihe von Liefer-Apps nutzen. Dazu gehören Mr. D Food, Bolt Food, MyChef und Uber Eats, wobei letztere bei weitem die beliebteste ist. Als die Ausgangsbeschränkungen letztes Jahr allmählich gelockert wurden, war der Verkauf warmer Speisen erst noch auf den Außer-Haus-Verzehr beschränkt.
Auch nach der Wiedereröffnung der Restaurants war die Zahl der Gäste, die am Tisch speisen durften, begrenzt. Diese Faktoren führten zu einem explosionsartigen Anstieg der Nachfrage. „Wir haben seit der ersten Erholungsphase einen starken Anstieg der Zahl der Restaurants festgestellt, die sich in der Uber Eats App registriert haben“, sagt Uber Eats und beschreibt den „Aufschwung“ als „schnell und unvermittelt“.
Schon bald führte der Andrang zu einem Überangebot an Kurieren.
Die meisten von ihnen sind ausländische Migrant*innen ohne Zukunftsperspektiven, die gezwungen sind, unter schwierigen Umständen ein karges Leben zu fristen. Einige von ihnen haben keine Papiere, was sie doppelt anfällig für polizeiliche Razzien und Ausbeutung in der unregulierten Gig-Ökonomie macht, die von undurchsichtigen Algorithmen und fragwürdigen Arbeitspraktiken angetrieben wird.
Obwohl sie auf den Straßen allgegenwärtig sind, bleiben ihr Leben und ihre Mühen für die Einwohner*innen von Johannesburg weitgehend unsichtbar. Sie sind die Unsichtbaren.
Vier mit Lieferkisten ausgestattete Motorräder parken im Hinterhof eines trostlosen Arbeitervororts im Westen Johannesburgs, wo ihre ugandischen Besitzer Zimmer gemietet haben. Kurz nach Sonnenaufgang quälen sich die Männer aus dem Bett, um Plastikwannen mit Wasser aus einem Außenwasserhahn zu füllen und sich zu waschen. Aus einem tragbaren Radio dringen blecherne Popsongs über den Hof.
Einer der Männer, Mukisa, hockt in seinem beengten Zimmer neben einer Kochplatte und bereitet sich ein Frühstück zu: Omelett und eine Tasse Tee. An einem Nagel über seinem Bett hängt eine rote Baskenmütze, die seine Zugehörigkeit zur Oppositionsbewegung des beliebten ugandischen Politikers Bobi Wine signalisiert. Dann schaltet er seine Uber-Eats-App ein, zieht sich seine Protektorenjacke über, setzt seinen Helm auf und braust los zur Arbeit auf den Parkplatz eines örtlichen Einkaufszentrums, das mit Fastfood-Läden vollgestopft ist.
Wie so viele seiner Landsleute kam Mukisa, der aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen seinen richtigen Namen nicht preisgeben will, aus Verzweiflung nach Johannesburg. In Uganda hatte er einen kleinen Lebensmittelladen betrieben. Doch die Konjunkturflaute machte ihm einen Strich durch die Rechnung und er musste sein Geschäft aufgeben. Wie jeder aktive Oppositionsanhänger war er Entführungen, Schlägen und willkürlichen Verhaftungen ausgesetzt.
2017 ließ Mukisa seine Frau und seine vier Kinder in Kampala zurück und nahm eine einwöchige Busfahrt auf sich, um zu seinem Bruder nach Südafrika zu gelangen, wo ihm der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Jetzt arbeitet er sieben Tage die Woche und nimmt sich nur ab und zu ein paar Stunden frei, um Fußball zu spielen. Dies ermöglicht es ihm, jeden Monat ein kleine Summe Geld nach Hause zu schicken. „Ich bin ja hierher gekommen, um zu arbeiten und nicht um auf der faulen Haut zu liegen“, sagt er. Im Juli wurde sein Bruder, der ebenfalls Lebensmittelkurier ist und gleich um die Ecke wohnt, auf seinem Weg bei einer Auslieferung angeschossen. Eine einzige Kugel durchbohrte seine Seite. Er lag blutend und für tot gehalten auf der Straße, als ihm noch das Mobiltelefon, seine Stiefel und seine Lebensmittelbestellung geraubt wurden. Er musste genäht werden und lag einen Monat lang im Krankenhaus und war danach zwei weitere Monate ohne Arbeit und Einkommen.
Mukisa war nie in einen Unfall verwickelt und ist noch nie ausgeraubt worden. Bei einer Fahrt hat jemand einen Ziegelstein nach ihm geworfen. Dabei wurde er an der Schulter getroffen und sein Motorrad kam gefährlich ins Schlingern, aber er konnte das Gleichgewicht halten und entkommen. „Vielleicht habe ich einfach bloß Glück“, sagt er schulterzuckend. „Dank der Hilfe Gottes.“
So viel Glück ist selten. Von den Dutzenden Johannesburger Lebensmittelkurieren, die wir befragt haben, erzählten fast alle erschütternde Geschichten. Einige stellten uns die von Straßenüberwachungskameras aufgezeichneten Aufnahmen von Unfällen und Überfällen zur Verfügung. In einem Videoausschnitt sieht man, wie ein Autofahrer nachts bei hoher Geschwindigkeit eine rote Ampel überfährt und dabei einen glücklosen Motorradfahrer seitlich rammt, der gerade die Kreuzung überfuhr. In einem anderen Video sieht man, wie ein Motorradfahrer bei einem Spießrutenlauf durch Fußgänger zum Ausweichen seinen Lenker herumreißen muss, während diese versuchen, ihn zu Boden zu reißen.
Sikhumbuzo Gwebu näherte sich eines Abends einer grünen Ampel, als ein Auto ohne zu blinken abdrehte und ihn erfasste. Durch den Aufprall wurde er meterhoch in die Luft geschleudert. Der Fahrer wollte Fahrerflucht begehen, wurde jedoch von anderen Fahrern festgehalten, die am Unfallort eingetroffen waren. Gwebu konnte sich nicht bewegen. Zunächst gab es die Befürchtung, dass sein Rückenmark verletzt sein könnte, aber es stellte sich heraus, dass sein rechtes Bein und sein Fuß zertrümmert waren. Ein Krankenwagen brachte ihn in ein nahe gelegenes Krankenhaus. Orthopädische Chirurgen mussten eine ganze Reihe von Stiften in sein Bein und seinen Fuß einsetzen, um die gebrochenen Knochen wieder zusammenzufügen.
Er geht immer noch an Krücken, die Stifte in seinen Knochen werden von einem Fixateur externe zusammengehalten, und er ist seit Monaten arbeitsunfähig. „Ich kann nicht normal laufen, weil ich immer noch nicht vollständig genesen bin“, sagt er mit einem Blick der Resignation. „Die meiste Zeit habe ich schon Schmerzen, aber es wird besser, wenn ich Schmerzmittel einnehme.“
Pardon Sibanda geht auf Nummer sicher. Der 28-jährige Simbabwer ist mit Stiefeln, Lederhosen und einer Jacke mit Protektoren bekleidet, die an eine Körperpanzerung erinnern. Die Kluft hat ihm den Spitznamen „Robocop“ eingebracht. In weniger als zwei Jahren hatte er drei Unfälle. Der schlimmste war ein Auffahrunfall durch einen Kleinbus. Nur seine Schutzkleidung hat ihn gerettet. „Wir ziehen uns nicht für die Fahrt an - wir ziehen uns für den Sturz an“, sagt er und grinst dabei ironisch, seine Standardantwort auf jeden Kommentar zu seiner Kluft.
Man würde erwarten, dass Sibandas Schutzpanzer bei Lebensmittelkurieren zum Alltag gehört, aber diese aufwendige Schutzkleidung kann bis zu 3.000 Rand (etwa 170 Euro) kosten. Angesichts schrumpfender Gewinnspannen sind das exorbitante Ausgaben, die viele scheuen.Uber stattet seine Kuriere mit gar keiner Schutzausrüstung aus. Das Unternehmen bietet ihnen auch keine Fahrschulungen für ihre Motorräder an, sondern hält einen gültigen Führerschein für ausreichend. Die meisten lassen es sich von Freunden oder Verwandten zeigen. Das Unternehmen verlangt außerdem, dass alle Fahrzeuge vor der Registrierung einer Inspektion unterzogen werden. Allerdings führen die Kuriere nicht immer alle notwendigen Wartungsarbeiten ihrer Motorräder durch.
Zum Selbstschutz trägt Sibanda Pfefferspray bei sich, das er bereits zweimal gegen unbewaffnete Straßenräuber eingesetzt hat. Dann geschah etwas, das ihn fast das Leben gekostet hätte. Anfang dieses Jahres raubten zwei bewaffnete Männer Autos an einer Kreuzung aus, an der auch er zum Halten kam. Als sie ihn sahen, feuerten sie Schüsse in die Luft, bevor sie ihre Waffen auf ihn richteten. In weiser Voraussicht beschloss er, sich nicht zu wehren. „Man sollte sein Leben nicht wegen eines Telefons oder eines Motorrads aufs Spiel setzen. Es gibt keinen Grund, den Helden heraushängen zu lassen“, sagt er. „Sie haben mir meine beiden Handys, mein mobiles Ladegerät und meine Brieftasche mit meinem Führerschein weggenommen. Das war schrecklich."
Duane Bernard, der einem informellen Zusammenschluss vorsteht, der mehr als die Hälfte der rund 3.000 südafrikanischen Uber-Eats-Kuriere vertritt, weist darauf hin, dass es oft die Kunden selbst sind, die die Kuriere ausrauben und ihre Spuren verwischen, indem sie unregistrierte SIM-Karten zum Herunterladen der Essens-App verwenden. „Dann stehlen sie das Essen und die Fahrer müssen das zahlen”, sagt er. „Man kann diese Kunden nie zurückverfolgen. Vor kurzem wurden so zwei Typen in Johannesburg ihre Mopeds geklaut.“
Wenn es um ihren Schutz geht, haben die von uns interviewten Kuriere kein Vertrauen in die Polizei. Die Anzeige von Straftaten wird nicht einmal in Erwägung gezogen. „Sie wollen Geld für einen „cooldrink“ [Bestechungsgeld], selbst wenn die eigenen Papiere in Ordnung sind“, sagt ein Kurier aus Simbabwe, der nicht namentlich genannt werden möchte, weil er befürchtet, sonst schikaniert zu werden. „Es gibt hier zu viel Korruption“.
Da sie unerbittlich verfolgt werden, greifen einige von ihnen mit Hilfe ihrer WhatsApp-Gruppen zur Selbstjustiz. „Die Polizei hilft uns nicht, also müssen wir uns selbst helfen und das Gesetz in unsere eigenen Hände nehmen“, erklärt der Simbabwer. „Wenn jemand ein Handy stiehlt, sorgen wir dafür, dass es zurückkommt und der Dieb bekommt Prügel. Anders lernen die es nicht.“
Untermauert wird das von zwei Videoaufnahmen, die uns zugingen.
Die erste Aufnahme entstand kurz nachdem ein Kurier am helllichten Tag von einem Kunden in Soweto ausgeraubt worden war. Er meldete den Vorfall in seiner WhatsApp-Gruppe. Kurz darauf trafen etwa 30 Motorradfahrer ein. Zu diesem Zeitpunkt war der Kunde zwar bereits geflohen, aber die Kuriere fanden heraus, wo er wohnte und stürmten sein Haus. In dem Video ist zu sehen, wie sie sein Hab und Gut auf die Straße werfen und in Brand stecken.
Der zweite Vorfall, der von einer Überwachungskamera aufgezeichnet wurde, ereignete sich nachts. Ein Lebensmittelkurier wird nach einer körperlichen Auseinandersetzung seiner Sachen beraubt, während er vor einem Hochhaus in der Innenstadt auf einen Kunden wartet. Ein später aufgenommenes Foto zeigt den Dieb auf dem Boden liegend, blutüberströmt und schmerzgekrümmt.
Diese Gefahren sind für die wenigen weiblichen Lebensmittelkuriere noch größer. Die meisten von ihnen benutzen eher Autos als Motorräder, wodurch sie sich sicherer und weniger Gefahren ausgesetzt fühlen. Die dreiundzwanzigjährige Rebecca Namukwaya lebt mit ihrer kleinen Tochter und ihrem Mann Stephen in einer kleinen Gartenwohnung in einem ruhigen Vorort. Auch er ist ein Lebensmittelkurier. Beide stammen aus Uganda.
Als wir sie das erste Mal trafen, fuhr sie auf einem alten, ramponierten Roller für Uber Eats aus. Sie erzählt von einem beängstigenden Vorfall, der sich in einer Wohnung in der Innenstadt ereignete. Als sie ankam, bestand ihr Kunde darauf, dass sie das Essen in die Wohnung brachte, und schloss dann die Tür hinter ihr ab. Er sei „sehr betrunken“ gewesen. Da sie das Schlimmste befürchtete, schrie sie um Hilfe und drückte den Panikknopf auf ihrem Telefon, durch den ein privater Sicherheitsdienst alarmiert wird. Zum Glück ließ ihr Peiniger sie gehen.
„Man riskiert jeden Tag sein Leben”, sagt sie.
Stephens Bruder lebt bei dem Paar. Er begann eine Woche nach seiner Ankunft aus Uganda als Lebensmittelkurier zu arbeiten. Sie alle sind Mitglieder der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten. Während unseres Besuchs bei ihr zu Hause stillt Rebecca ihr Kind, während ihr Mann sich gerade die Verbindung zu einem Online-Gottesdienst einrichtet. Auf dem Herd brodelt ein Topf mit Kartoffeln. Schon bald beginnt Stephen, ein Kirchenlied zu singen, und Rebecca stimmt mit ein.
Eine Freundin aus Uganda, Olivia Nabaggala, wohnt um die Ecke in einer kleinen Einzimmerwohnung, die an eine Gemeinschaftsküche und ein Gemeinschaftsbad angeschlossen ist. An der Wand hängen Bleistiftzeichnungen von Olivia und ihrem Kind, das in Kampala bei seiner Großmutter lebt. Zu Hause trägt die 25-Jährige eine modische zerrissene Jeans und ein hellblau gestreiftes Oberteil, ihre Dreadlocks hat sie ordentlich zusammengebunden. Aber bei der Arbeit trägt sie eine Jacke mit Protektoren, ein Kopftuch und Stiefel, so dass sie von ihren männlichen Kollegen kaum zu unterscheiden ist.
Auch sie ist angesichts der hohen Kriminalitätsrate in Johannesburg und der Schreckensbilanz im Straßenverkehr zutiefst verunsichert. Einmal hat ein Kunde sein Essen nach ihr geworfen und sie geohrfeigt. Ein anderes Mal war Mohamed, ein guter Freund aus Uganda, bei ihr, als er seine letzte Bestellung aufnahm, bevor er kurz darauf bei einem Unfall ums Leben kam.
James Oatway ist ein südafrikanischer Fotograf und zeichnet sich als Senior Visuals Producer bei Reuters für Bildmaterial aus Afrika südlich der Sahara verantwortlich. Im Jahr 2000 schloss er sein Studium an der Rhodes-Universität mit einem Bachelor in Journalistik ab. Bis 2022 war er als unabhängiger Dokumentarfotograf tätig und beschäftigte sich in seiner Arbeit hauptsächlich mit Themen wie sozialer Ungleichheit und von Konflikten betroffenen Menschen. Oatway begann seine Karriere bei Tages- und Wochenzeitungen in Südafrika. Er ist ehemaliger leitender Fotograf und Bildredakteur der Zeitung „Sunday Times“.
Zusammen mit dem Fotografen Alon Skuy veröffentlichte er einen Bildband über fremdenfeindliche Gewalt in Südafrika mit dem Titel [BR]OTHER, (erschienen bei Jacana, 2021). Er ist Mitverfasser des Buches The Battle of Bangui (erschienen bei Penguin Random House, 2021). Oatway wurde international mehrfach ausgezeichnet, unter anderem erhielt er mehrere Auszeichnungen der Pictures of the Year International (POYi). Im Jahr 2015 wurde er zum südafrikanischen Journalisten des Jahres ernannt. 2018 gewann sein Projekt Red Ants den prestigeträchtigen Visa d'or Feature Award auf dem Visa Pour l'image Photojournalism Festival in Perpignan, Frankreich.
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