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Nach einer Phase außergewöhnlich guter Beziehungen sind die Türkei und Iran nun auf Kollisionskurs. Der Ausgang der Wahlen wird daran nichts ändern.
Bild: Çevik
Salim Çevik
Während Rohanis Amtszeit endet, beginnt eine neue Phase in den Beziehungen zwischen Ankara und Teheran: Die Türkei bereitet sich auf eine Zeit verstärkter Konflikte vor. Der Grund dafür liegt jedoch nicht allein im Wechsel an der Staatsspitze Irans und der zu erwartenden Amtsübergabe an einen konservativen Präsidenten, sondern ist auf systemischen Wandel und regionale Neuorientierungen zurückzuführen. Die Faktoren, die in den vergangenen vier bis fünf Jahren die Kooperation beider Länder beförderten, ändern sich. Neue Konflikte sind die Folge.
Traditionell sind die türkisch-iranischen Beziehungen von einem Mix aus Kooperation und Konfrontation geprägt. Dennoch entwickelten die beiden Staaten eine diplomatische Tradition, die ein stabiles Pendeln der Beziehungen innerhalb eines Rahmens von begrenzter Zusammenarbeit und kontrollierter Rivalität ermöglichte. Der wichtigste Faktor in diesem Arrangement ist die Wirtschaft, die insbesondere in den von Rivalität geprägten Phasen zentrale Bedeutung hatte und hat.
In der Ära Rohani erreichten die türkisch-iranischen Beziehungen ein bis dahin nie gesehenes Maß an Kooperation, das sich auf vier Faktoren stützt. Erstens, die verstärkt antiwestliche Haltung in der Türkei. Um sich den Rückhalt der Öffentlichkeit zu sichern, spielte der türkische Präsident Tayyip Erdogan die nationalistische Karte. Sein außenpolitischer Diskurs stützte sich zunehmend auf eine gegen den Westen gerichtete Haltung, mit dem er die Zustimmung zu seiner Innenpolitik absichern wollte. Je mehr Distanz zwischen der Türkei und ihren westlichen Verbündeten, desto freundlicher die Beziehungen zu Iran.
Zweitens, der Beginn des Astana-Prozesses in Syrien. In der ersten Amtszeit Rohanis war Syrien das Hauptproblem im bilateralen Verhältnis von Türkei und Iran. Während die Türkei das Assad-Regime stürzen wollte, bemühte sich Iran, zusammen mit Russland, intensiv darum, Assad an der Macht zu halten. Ende 2016 richtete die Türkei ihre Prioritäten in Syrien jedoch neu aus, nachdem deutlich wurde, dass der Versuch, Assads Regime zu beenden, gescheitert war. Im Rahmen des Astana-Prozesses erfolgt seitdem eine enge Koordination der russischen, türkischen und iranischen Syrienpolitik.
Drittens, die Kooperation im Nordirak. Sowohl die Türkei als auch Iran lehnten das Unabhängigkeitsreferendum der Kurdischen Regionalregierung in 2017 ab.
Es sind diese drei Faktoren, die zu einer Verbesserung der türkisch-iranischen Beziehungen beigetragen haben. Der wichtigste Aspekt in diesen politischen Flitterwochen der beiden Länder ist jedoch die Konkurrenz auf regionaler Ebene zu Saudi-Arabien und den VAE. Je stärker sich die saudisch-emiratische Achse außenpolitisch manifestierte und sich um den Ausbau einer dominanten Stellung in der Region bemühte, desto intensiver gestaltete sich die Annäherung zwischen der Türkei und Iran. Dies zeigte sich besonders deutlich während der 2017 einsetzenden Blockade Katars. Beide Länder waren Ziel dieser Blockade und beeilten sich, Partei für Katar zu ergreifen, damit der kleine Golfstaat dem Druck seiner mächtigeren Nachbarn widerstehen konnte.
Das alles hat sich mittlerweile geändert, und der Wandel wird weitgehend oder gänzlich unabhängig davon, wer der künftige iranische Präsident ist, von Dauer sein. Die Türkei nimmt aktuell eine Neuorientierung ihrer Außenpolitik vor. Es ist deutlich geworden, dass der in innenpolitischer Absicht geführte antiwestliche Diskurs ein Level erreicht hat, das den außenpolitischen Preis zu sehr in die Höhe treibt. Vor allem ist es das Ende der Amtszeit Donald Trumps, der Erdogan einen Blankoscheck ausgestellt hatte, das die Türkei zu dieser Reorientierung drängt. In der Ära Biden muss sich die Türkei den Kontroversen mit den Amerikanern und den amerikanischen Verbündeten in der Region stellen. Aktuell bemüht sich das Land um eine Wiederannäherung an Ägypten, Saudi-Arabien und die VAE sowie Israel. Bislang sind nur kleine Erfolge zu verzeichnen, und dies ausschließlich in der Beziehung zu Ägypten, doch die Politik des Rapprochement an die prowestlichen Regimes in der Region unterminieren perspektivisch die vertieften Beziehungen zwischen Türkei und Iran. Eine derartige Veränderung erfolgt zwar unabhängig davon, wer das Präsidentenamt in Iran innehat, doch wird sie durch eine konservative Regierung mit Sicherheit befördert, denn die Konservativen werden sich durch eine Anpassung der türkischen Politik gegenüber den prowestlichen Regierungen in der Region vermutlich stärker bedroht fühlen.
Das Ende der Amtszeit Donald Trumps hat nicht nur Konsequenzen für die Türkei, sondern auch für die saudisch-emiratische Achse. Ohne den Blankoscheck, den der frühere US-Präsident ausgestellt hatte, sind deren Handeln deutlich engere Grenzen gesetzt. Damit verliert auch das Motto seine Gültigkeit, das die iranisch-türkischen Beziehungen zuletzt prägte. Künftig wird es nicht mehr heißen können: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“.
Irans Bedeutung für den Astana-Prozess sinkt ebenfalls in dem Maß, in dem dieser zunehmend zu einem türkisch-russischen Kooperationsprojekt wird beziehungsweise zu ganz persönlichen Verhandlungen zwischen Putin und Erdogan. Wer der neue Mann an der Spitze Irans wird, ist in diesem Zusammenhang irrelevant, da die iranische Syrienpolitik ohnehin eher von den Revolutionsgarden als vom Präsidenten oder Außenminister gestaltet wird.
Neben diesen Veränderungen in den äußeren Umständen stehen sich die beiden Länder auch im Irak und im Kaukasus politisch konträr gegenüber. Im Kaukasus mündete die türkisch-aserbaidschanische Zusammenarbeit während des aserbaidschanisch-armenischen Krieges um Bergkarabach im Oktober 2020 in ein gemeinsames militärisches Vorgehen. In der iranischen Politik ist die Aserbaidschan-Frage seit langem ein sensibles Thema. Zu einer Konfrontation zwischen beiden Staaten kam es bereits im Dezember 2020, als Erdogan in Baku ein nationalistisches Gedicht zitierte: Es war ein poetischer Aufruf zur Einheit der Aserbaidschanischen Republik und der Region Aserbaidschan in Iran. Das verstärkte Engagement der Türkei und die militärische Intervention in der Region wird die Beziehungen weiter belasten. Da es hier um die nationale Sicherheit geht und unter den verschiedenen politischen Gruppierungen Irans in dieser Frage Konsens herrscht, wird die Position Irans in dieser Frage nicht davon beeinflusst, wer Präsident ist. Die anstehenden Wahlen werden also auch hier keine Rolle spielen.
Eine weitere Front, an der die begrenzte Kooperation gegen die kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen 2017 von erneuter Konfrontation abgelöst wurde, ist Irak. Die Türkei, EU und USA stufen die PKK als Terrororganisation ein, und die Türkei dringt in ihrem Kampf gegen die kurdischen Rebellen immer weiter in den Nordirak vor. Aktuell ist die Bergregion im Norden Iraks entlang der türkisch-irakischen Grenze unter türkischer Militärkontrolle. Ein Ausbau der türkischen Militärpräsenz in der Region wird angestrebt. In einer Neugewichtung der Kräfteverhältnisse sehen wir aktuell auch die Parteinahme der Türkei für die Kurdische Regionalregierung gegen die von Iran unterstützten Milizen, die faktisch Bündnispartner der PKK sind. Da Iran seinen Einflussbereich in Irak nicht verlieren möchte, scheint ein Kräftemessen der beiden Länder unvermeidlich. Gleichwohl wird der kommende Präsident Irans wenig Einfluss auf die Irakpolitik seines Landes haben, denn diese ist, wie im Fall Syriens, die quasi exklusive Domäne der Revolutionsgarden. Allerdings würde ein Hardliner beziehungsweise konservativer Präsident im Amt, der seine Politik stärker an den Revolutionsgarden ausrichtet, vermutlich einen kohärenteren Ansatz sowohl in der Irak- als auch in der Syrienpolitik fahren.
Die iranisch-türkischen Beziehungen werden sich aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren verschlechtern. Darauf haben die Wahlen nur einen geringen Einfluss. Zum einen ist es der Wandel im regionalen Kontext, der beide Staaten in entgegengesetzte Richtungen drängt, und zwar unabhängig davon, wer Präsident ist. Zum anderen ist der iranische Präsident in der Außenpolitik nur einer von mehreren Akteur*innen und insbesondere da, wo die Interessen der nationalen Sicherheit berührt sind, ist seine Macht begrenzt. Der konservative Hardliner an der Spitze des Staates, von dessen Wahl aktuell ausgegangen wird, leistet zur Verschlechterung der bilateralen Beziehungen insofern nur einen marginalen Beitrag.
Zu erwarten ist eine Phase der Rivalität, die jedoch begrenzt bleiben wird. Angesichts ähnlicher Kapazitäten in den beiden wichtigsten Nationen der Region werden Iran und die Türkei sich auf kontrollierte Konkurrenzen beschränken. Nach einer Lockerung oder Aufhebung der amerikanischen Sanktionen gegen Iran wird überdies der Handel wieder zur wichtigsten Grundlage der Beziehungen beider Länder werden.
Dr. Salim Çevik ist Mitarbeiter am Centrum für Angewandte Türkeistudien (CATS) der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und befasst sich in seiner Forschung insbesondere mit der türkischen Innen- und Nahostpolitik.
Auf Twitter: @salimcevikk
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David Jalilvand ist Analyst und leitet die Berliner Research Consultancy Orient Matters.
Achim Vogt verantwortet das FES-Projekt Frieden und Sicherheit in der MENA-Region.
info.nahost(at)fes.de
V.i.S.d.P.
Achim Vogt