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Friedrichs Bildungsblog

Alte Probleme brauchen neue Lösungen: Der „Bundesbonus“ - ein Vorschlag für eine stärkere Rolle des Bundes in der Bildungspolitik

Netflix hat vor wenigen Wochen die xte Neuauflage Bram Stokers Dracula als Serie herausgegeben. Untote gibt es auch in der deutschen Bildungspolitik. Der nicht tot zu kriegende Wiedergänger der Bildungspolitik ist der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg.

Bild: Martin Pfafferott von FES

Untote haben Konjunktur. Netflix hat vor wenigen Wochen die xte Neuauflage Bram Stokers Dracula als Serie herausgegeben. Die Zombies aus Walking Dead bleiben vielen auf ihre Art genauso lebendig wie die weißen Wanderer aus Game of Thrones. Untote gibt es auch in der deutschen Bildungspolitik. Der nicht tot zu kriegende Wiedergänger der Bildungspolitik ist der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg.

Es ist schon frustrierend: Der Befund ist seit Jahrzehnten der gleiche. Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland beim Zusammenhang von Elternhaus und Bildungserfolg von Schüler_innen regelmäßig schlecht, oft unterdurchschnittlich schlecht ab. Es ist ein fortgesetzter Skandal, ökonomisch unsinnig, pädagogisch frustrierend, menschlich katastrophal.

Was dagegen tun? Man kann wie Anna Lehmann es in diesem Blog getan hat, die Abschaffung des Gymnasiums fordern. Kürzlich erst fragte mich ein in Deutschland dienstreisender argentinischer Hochschulrektor vollkommen ungläubig und ehrlich erschrocken, wie man denn bitte nach zehn Lebensjahren Kinder auf verschiedene Schultypen verteilen könne? Ja, wie kann man das tun? Ich konnte ihm keine Antwort geben.

Choose your battles wisely. Welche Schlacht wollen wir schlagen?

Nur: Der Kampf für die eine Schule für alle ist aller Ehren wert, aber auch einer gegen sehr sehr viele Windmühlen – umgekehrt gilt hier die Devise, sich nicht zu verrennen oder aber prägnanter das englische „Choose your battles wisely“. Der Weg Hamburgs und Berlins, die Schulformen auf zwei Säulen zu reduzieren, von denen beide zum Abitur führen, erscheint da mehr Erfolg zu versprechen.

Dieser Weg sollte aber – und das macht Hamburg genauso richtig – mit einer weiteren Maßnahme verbunden werden, auf die ich in den folgenden Zeilen eingehen und an dessen Schluss ich einen Vorschlag zur Güte machen möchte.

Hamburg verteilt Ressourcen seit vielen Jahren nach dem Prinzip „Ungleiches ungleich behandeln.“ Kurz gesagt: Je schwieriger das soziale Umfeld der Schüler_innen einer Schule ist, desto mehr Mittel bekommt die Schule, konkret also mehr Lehrer_innen oder mehr Sozialarbeiter_innen. Das ist vollkommen einleuchtend, weil die Bedingungen an den Schulen sehr unterschiedlich sind und diejenigen mehr Unterstützung benötigen, die es ungleich schwerer haben.

Nun ist Hamburg Hamburg und ein kleines Bundesland. Differenzierte sozialindexierte Systeme gibt es noch in Bremen und Berlin, also allesamt Stadtstaaten. Einzelne Flächenländer legen nach, eine breite Abdeckung ist jenseits von Sonderprogrammen aber nicht anzutreffen. Gleichzeitig ist die Bereitschaft in der Bevölkerung, Schulen in schwierigen Lagen stärker zu unterstützen, grundsätzlich gegeben (vgl. FES-Studie "Vertrauen in Demokratie", S. 72).

Neuer Vorschlag: Bundesbonus für Schulen in prekären sozialen Lagen

In dieses Gelegenheitsfenster hinein lanciere ich nun folgenden Vorschlag: Die Bundesregierung legt ein bundesweites dauerhaftes Programm auf, durch das Schulen in prekären sozialen Lagen zusätzliche Ressourcen erhalten. Nennen wir es – weil es schön eingängig ist – den „Bundesbonus“.

Da die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften unstrittig Ländersache ist und eine Reform auf diesem Feld so kräftezehrend wie wenig erfolgsversprechend ist (auch hier: Choose your battles wisely!), schlage ich vor, zusätzliche Ressourcen in die Ausbildung und Bezahlung von Fachkräften zu investieren, die die Lehrer_innen von zusätzlicher Arbeit befreien. Das können Schulassistenzen etwa im Sekretariat, aber auch Koordinierungsmaßnahmen mit anderen städtischen und staatlichen Stellen, die Entwicklung von schulinternen Fortbildungsprogrammen, die Drittmittelakquise oder Maßnahmen der Schulentwicklung sein. Viele dieser Aufgaben sind sehr sinnvoll und absolut notwendig, belasten Lehrer_innen aber über den anstrengenden Schulalltag hinaus und halten sie vom Fokus auf das Unterrichten und die Kommunikation mit den Schüler_innen ab.

Entsprechend der Aufgabenbreite dieser Bundesbonus-Fachkräfte könnten die Erfordernisse an Qualifikation wie auch Bezahlung variieren: Von reinen Schulassistenzen und –sekretär_innen bis hin zu modernen Schul- und Verwaltungsmanagern, die sich auf die Unterstützung von Schulen in schwierigen Lagen spezialisieren. Bereits abgeschlossene Ausbildungen könnten als Qualifikationen anerkannt werden.

Ausbildung, Bezahlung, Verteilung: Aufgaben des Bundesbonus

Wir könnten aber auch einen Schritt weiter gehen: Der Bund könnte etwa an seinen eigenen Hochschulen für öffentliche Verwaltung entsprechende Ausbildungsgänge etablieren, er selbst die Kosten für die Ausbildung wie für die Bezahlung der entsprechenden Stellen übernehmen. Dies entspräche auch dem in breiten Teilen der Bevölkerung vorhandenen Wunsch nach einer stärkeren Rolle des Bundes in der Bildungspolitik.

Verteilt werden die Stellen nach Sozialindexprinzip, also dort zuerst, wo die Bedingungen am schwierigsten sind und die Lehrer_innen am ehesten Unterstützung benötigen. Wie Thomas Groos in einem Beitrag für die Friedrich-Ebert-Stiftung aufgezeigt hat, reicht als grundlegendes und zugleich effektives Kriterium die Frage nach SGB II-Bezug der Eltern. Der bundesweite Sozialindex könnte durch eine bundesweite unabhängige Stelle ermittelt werden, die ebenfalls neu einzurichten wäre.

Strategien gegen Widerstände

Trifft dieser Vorschlag auf Widerstände? Ganz bestimmt. Aber er ist als ein erster Vorstoß gedacht, als Anregung zur Debatte und ich meine, der Vorschlag kann mit Widerständen umgehen:

Ja, Bildungspolitik ist keine Bundessache, sondern Länderangelegenheit. Aber: Ein Großteil der Bevölkerung wünscht sich eine aktivere Rolle des Bundes in der Bildungspolitik. Gleichzeitig wurde das Kooperationsverbot im Zuge des Digitalpakts Schule gelockert und das Grundgesetz geändert. Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen und besondere, wenngleich befristete Ausgaben zur Sicherung der Leistungsfähigkeit der kommunalen Bildungsinfrastruktur können vom Bund finanziert werden.

Die Förderung von Schulen in schwierigen sozialen Lagen ist eine gesamtstaatlich bedeutsame Investition, die Unterstützung der Lehrer_innen durch zusätzliches Personal eine Maßnahme, die die Leistungsfähigkeit kommunaler Bildungsinfrastruktur gewährleisten kann. Die Befristung und die Beschränkung auf Finanzhilfen sind Nüsse, die noch geknackt respektive Bestimmungen, die ggf. sanft angepasst werden müssten, aber wäre es nicht einen Versuch wert?

Untote sind oft nur durch rabiate Maßnahmen zu besiegen – manchmal muss man eben wortwörtlich Pflöcke einschlagen. Für den untoten Wanderer der Bildungsungerechtigkeit lohnt ein zupackender herzhafter Griff allemal, oder um es anders zu sagen: Diese Schlacht muss geschlagen werden – zum Beispiel so.

Dr. Martin Pfafferott leitet den Bereich Bildung und Wissenschaft der Friedrich-Ebert-Stiftung



Über diesen Bildungsblog

Friedrichs Bildungsblog ist der bildungspolitische Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Friedrich Ebert ist nicht nur Namensgeber der Stiftung.

Sein Lebensweg vom Sattler und Sohn eines Schneiders zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands steht für Aufstieg durch Bildung.

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Katja Irle, Redaktionelle Betreuung des Blogs, Bildungs- und Wissenschaftsjournalistin 

Lena Bülow, Team Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Florian Dähne, Leiter Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

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