Friedrichs Bildungsblog

Nationale Weiterbildungsstrategie: Ausreichende Commitments zur Gestaltung der Transformation?

Im Juni 2019 wurde die Nationale Weiterbildungsstrategie verabschiedet. Das Ziel: Erhalt der beruflichen Handlungsfähigkeit im Wandel der Arbeitswelt.

Bild: von DGB / Simone M. Neumann

Im Juni 2019 wurde die Nationale Weiterbildungsstrategie (NWS) verabschiedet. Sie ist das Ergebnis eines zum Teil stark kontrovers geführten achtmonatigen Diskussionsprozesses zwischen Bund, Ländern, Wirtschafts- und Sozialpartnern und der Bundesagentur für Arbeit. Das Ziel: Erhalt der beruflichen Handlungsfähigkeit im Wandel der Arbeitswelt und Impulse für eine neue Weiterbildungskultur, die die selbstbestimmte Gestaltung individueller Bildungs- und Erwerbsbiographien ebenso unterstreicht, wie die gestiegene Verantwortung der Weiterbildungsakteure. Reicht das zur Gestaltung der arbeitsmarktpolitischen Strukturveränderungen durch Qualifizierung aus?

Worum geht’s?
Verstärkte berufliche Weiterbildung und eine neue Weiterbildungskultur als Antwort auf den Strukturwandel

Vor dem Hintergrund des aktuellen Strukturwandels ist die Bedeutung von Weiterbildung zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit für alle Beschäftigtengruppen unumstritten.

Dazu steht im krassen Widerspruch, dass knapp die Hälfte der Betriebe keine oder keine ausreichende Strategie zur Bewältigung der Transformation haben (Transformationsatlas der IG Metall). Und obwohl in 95 Prozent der befragten Betriebe die Betriebsräte einen beachtlichen Anstieg des Qualifizierungsbedarfs sehen, erfolgt in der Hälfte der Betriebe keine langfristige, systematische Personalplanung und Qualifizierungsbedarfsermittlung. In anderen Branchen ist die Situation i.d.R. noch ungünstiger. Eine weitere Herausforderung ist, diejenigen Beschäftigten zu erreichen, die von Weiterbildung besonders profitieren würden, aber bislang kaum erreicht werden. Hierzu zählen Geringqualifizierte.

Bei der Frage, welche Schlüsse aus den Entwicklungen am Arbeitsmarkt in den Betrieben zu ziehen sind, sind die Antworten höchst strittig. Im Kern der Auseinandersetzung geht es um das Spannungsfeld, inwieweit die Rechte der Beschäftigten sowie die betriebliche Mitbestimmung bei Weiterbildung gestärkt werden: Erhalt des Status quo gegen ein Recht auf Weiterbildung verknüpft mit strategischer Personalplanung. Eine weitere Frage, die noch nicht abschließend geklärt ist, ist die Verantwortung von Unternehmen, Staat und Beschäftigten für die Weiterbildung.

Was bringt die Nationale Weiterbildungsstrategie?

Bund, Länder, Wirtschaft, Gewerkschaften und die Bundesagentur für Arbeit wollen die Programme und Maßnahmen für Weiterbildung und Qualifizierung bündeln und weiterentwickeln. Dazu sollen die Weiterbildungspolitiken von Bund und Ländern besser miteinander verzahnt und unter Einbezug der weiteren Partner Weiterbildungsangebote sowie Fördermöglichkeiten für alle transparenter und leichter zugänglich gemacht und wo Förderlücken bestehen, diese geschlossen werden. Klar ist dabei, dass die Weiterbildung ihrer Beschäftigten die zentrale Aufgabe für jedes Unternehmen ist und bleibt. Arbeitgeber sollen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, aber kleine und mittlere Unternehmen besser unterstützt werden, um Weiterbildungskonzepte zu entwickeln. Dabei soll Weiterbildung so ausgerichtet werden, dass der Strukturwandel für alle gelingt.

Hierzu haben sich die Partner auf zehn Handlungsziele geeinigt, zu deren Umsetzung Selbstverpflichtungen zu konkreten Aktivitäten und Vorhaben der jeweiligen Akteure hinterlegt sind. Insgesamt handelt es sich um rd. 70 solcher Commitments mit unterschiedlichem Wirkungsgrad.

Zu den zentralen Commitments zählen:

  • Verbesserungen in der Arbeitsförderung, wie das Recht auf das Nachholen des Berufsabschlusses, die Weiterentwicklung von Kurzarbeitergeld mit Qualifizierung, die Prüfung staatlich geförderter Bildungs(teil)zeiten für Beschäftigte sowie Verbesserungen der Weiterbildungsförderung bei Arbeitslosigkeit
  • Verbesserungen beim Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz
  • Erhöhung der Transparenz von Weiterbildungsmöglichkeiten und -angeboten: Ausbau der Beratungsangebote vor Ort u.a. auf der Grundlage des Qualifizierungschancengesetzes und neue Internetplattformen
  • Projektförderung, um gewerkschaftliche Vertrauensleute sowie Betriebsräte zu Weiterbildungsmentor_innen zu qualifizieren mit dem Ziel, eine niedrigschwellige Qualifizierungsberatung nachhaltig betrieblich zu verankern sowie die Fortführung der ESF-Sozialpartnerrichtlinie „Fachkräfte sichern: weiter bilden und Gleichstellung fördern“, um innovative betriebliche Ansätze zu pilotieren
  • Weiterentwicklung von Verfahren zur Erfassung, Bewertung und Zertifizierung non-formal und informell erworbener beruflicher Kompetenzen
  • Vernetzung von Weiterbildungsakteuren und Aufbau regionaler Kooperationen zwischen Unternehmen, insb. KMU
  • Verpflichtung von Bund und Ländern unter der Beteiligung der Sozialpartner, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in der Weiterbildungsbranche zu prüfen und das Personal zu stärken

Geplant ist, dass die Strategie im kontinuierlichen Austausch der Partner umgesetzt wird. In 2021 soll ein gemeinsamer Bericht, fachlich begleitet durch die OECD, vorgelegt werden, mit dem der Umsetzungsstand und die Handlungsziele überprüft und ggf. weiterentwickelt werden.

Die Arbeit von morgen jetzt gestalten –
Mit einem Instrumentenkasten für den Strukturwandel zentrale Commitments der NWS umsetzen

Damit die in der Nationalen Weiterbildungsstrategie verankerten Commitments auch zum Tragen kommen, braucht es eine schnelle Umsetzung auf legislativer Ebene. Dazu gehören insbesondere die von den Gewerkschaften im Rahmen der NWS aufgegriffenen Forderungen, die im Rahmen eines 10-Punkte-Plans in die Nationale Weiterbildungsstrategie eingebracht wurden, wie bspw. der verbesserte Zugang zu Kurzarbeit und Qualifizierung (Transformations-Kug), der verbesserte Zugang zu Qualifizierung im Kontext von Transfer, das Recht auf das Nachholen des Berufsabschlusses, aber auch weitergehende Rechtsansprüche, die die selbstbestimmte Gestaltung individueller Bildungs- und Erwerbsbiographien betonen.

Darüber hinaus fordert der DGB bessere Rechte für Betriebsräte durch die Einführung eines generellen Initiativ- und Mitbestimmungsrechts bei Qualifizierung, verknüpft mit strategischer Personalplanung. Wir wollen die Rolle der Betriebsparteien stärken, denn ein gemeinsames Handeln der Betriebsparteien ist von zentraler Bedeutung. Die Betriebsparteien können als Expertinnen vor Ort am ehesten einschätzen, wie sich der Wandel im jeweiligen Betrieb konkret auswirkt, welche Weichenstellungen getroffen werden müssen, um ihn erfolgreich zu bewältigen, und was die Beschäftigten an Qualifizierung brauchen, um ihre bisherigen Tätigkeiten unter veränderten Bedingungen ausüben oder neue übernehmen zu können. Betriebsräte genießen zudem das Vertrauen der Beschäftigten und können auch jene Beschäftigten erreichen, die weniger offen für Weiterbildung sind.

Selbstbestimmte Gestaltung individueller Bildungs- und Erwerbsbiographien nur mit Recht auf Weiterbildung möglich

Soll eine neue Weiterbildungskultur entfaltet werden, die die selbstbestimmte Gestaltung individueller Bildungs- und Erwerbsbiographien unterstreicht, kann das nur mit einem Recht auf Weiterbildung und den entsprechenden Investitionen gelingen. Statt einer kurzfristigen Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung braucht es jetzt mehr Investitionen in die Zukunft.

Mindestens für diejenigen, deren Arbeitsplätze durch den technologischen Wandel bedroht sind bzw. künftig wegfallen, braucht es ein Recht auf Weiterbildung und berufliche Neuorientierung (Umschulung). Bislang ist die Förderung Beschäftigter im Rahmen der Arbeitslosenversicherung maßgeblich vom Arbeitgeber abhängig. Das ist ein wesentlicher Grund, warum es mit der Förderung Beschäftigter nur in minimalen Schritten vorangeht. Deshalb braucht es eine Erweiterung, die auch das individuelle Recht der Beschäftigten stärkt. Wer auf eigenen Wunsch seine Arbeitszeit reduziert, um seine Beschäftigungsfähigkeit im strukturellen Wandel zu erhalten oder wer sich gar neu orientieren muss/will, und nicht von anderen Förderinstrumenten erfasst wird, sollte keine Lohneinbußen hierfür in Kauf nehmen müssen. Hier kann eine Lohnersatzleistung bei Weiterbildung in Teilzeit eine Lösung sein. Die Unterstützung sollte so ausgestaltet sein, dass insbesondere Geringqualifizierte und Geringverdiener gezielter durch zusätzliche Regelungen unterstützt werden.  

Fazit und Reflexion

Es ist richtig, dass die Nationale Weiterbildungsstrategie ihren Fokus auf die berufliche Weiterbildung setzt, um Antworten auf die Herausforderungen des technischen und wirtschaftlichen Strukturwandels zu finden und die berufliche Handlungsfähigkeit durch entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen zu sichern bzw. zu erweitern, aber auch zur besseren Ermöglichung beruflicher Aufstiege. Der Weg zu einem Strategiepapier war ein außerordentlich steiniger. Zu verschieden sind die gesellschaftspolitischen Vorstellungen der jeweiligen Partner. Umso wichtiger ist, dass jetzt an der Umsetzung der gemeinsamen Commitments zügig weitergearbeitet wird. Denn bis zur Umsetzung einer echten Strategie ist noch viel zu tun – in den Betrieben und auf legislativer Ebene. Ob es gelingt, den Herausforderungen Stück für Stück solidarisch und progressiv zu begegnen, damit am Ende eine gelungene Transformation am Arbeitsmarkt steht, die alle Beschäftigten in Gute Arbeit mitnimmt, wird der eigentliche Gradmesser des Erfolgs sein.

Was im politischen Diskurs fehlt?
Der Gestaltungsanspruch der gesellschaftlichen Transformation durch politische Bildung!

Es darf nicht übersehen werden, dass der durch Digitalisierung getriebene Strukturwandel auch mit gesellschaftlichen Disruptionen einhergeht. Deshalb darf das Feld der politischen Bildung nicht vergessen werden. Gerade der Rechtsruck in der Gesellschaft und damit verbundene rechte Übergriffe, auch in Betrieben, zeigen, wie notwendig es ist, mehr Gewicht auf politische Bildung zu legen. Auch dafür brauchen wir eine Strategie. Denn: Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt brauchen politisch gebildete Demokrat_innen.

 

Sabrina Klaus-Schelletter leitet das Referat ‚Betriebsbezogene Arbeitsmarktpolitik und Qualifizierung‘ beim DGB Bundesvorstand und ist im Umsetzungsgremium der Nationalen Weiterbildungsstrategie.

 



Über diesen Bildungsblog

Friedrichs Bildungsblog ist der bildungspolitische Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Friedrich Ebert ist nicht nur Namensgeber der Stiftung.

Sein Lebensweg vom Sattler und Sohn eines Schneiders zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands steht für Aufstieg durch Bildung.

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Katja Irle, Redaktionelle Betreuung des Blogs, Bildungs- und Wissenschaftsjournalistin 

Lena Bülow, Team Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Florian Dähne, Leiter Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

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