Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
Bild: von Kerstin Martens
Alle drei Jahre wieder kommt mit PISA Anfang Dezember die große Bescherung. Und jedes Mal regt sich in Deutschland Missmut über die gelieferten Präsente: „Es herrscht viel Mittelmaß“ titelte dieses Jahr die FAZ, „Wieder nichts gelernt“ schlussfolgerte der Spiegel und die PISA-Ergebnisse zeigen „weiter Probleme auf“, meinte die Frankfurter Rundschau. Auch unsere Bildungsministerin Anja Karliczek hat sich besorgt über die Leistungen der deutschen Schüler_innen in der neuen PISA-Studie gezeigt, die wieder im Mittelfeld gelandet sind. Sie wertet das deutsche Abschneiden als erneutes Alarmsignal, man könne damit nicht zufrieden sein. Aber was folgt nun konkret aus der Empörung? Nicht viel. Schon ein paar Tage später ist der PISA-Hype vorbei und andere Themen beherrschen die Schlagzeilen.
PISA und andere international vergleichende Schulleistungsuntersuchungen haben in den vergangenen Jahren zu Recht verstärkte Aufmerksamkeit in Politik, Medien und Gesellschaft gewonnen. Zwar sind sie kein neues Phänomen, aber seit Mitte der 1990er Jahre hat ihre Anzahl deutlich zugenommen. In den letzten Jahren ist vor allem die Testindustrie bedeutend gewachsen und bietet verschiedene Arten von Bewertungen, unterschiedliche Themenbereiche und Testinstrumentarien für alle Altersklassen an. Heute gibt es nationale, regionale und internationale Vergleichsstudien, und immer mehr Länder machen mit. Kurz gesagt: es werden immer mehr Menschen immer häufiger getestet.
FIMS, SIMs, TIMSS oder PISA, PIAAC, P4D und auch IGLU, PIRLS und VERA. All dies sind nur einige Abkürzungen für diese vergleichenden Leistungsstudien. Manche testen Schüler_innen in der Primar- oder Sekundarstufe, manche fokussieren auf die Fähigkeiten von Erwachsenen, einige testen vor allem mathemische und naturwissenschaftliche Fähigkeiten, andere vor allem Lesefähigkeit. Im englischsprachigen Kontext werden diese international large scale assessments mit einer weiteren Abkürzung, nämlich ILSA, belegt.
Nationale und international-vergleichende Leistungsuntersuchungen haben häufig das Ziel, Schwächen und Stärken der Bildungspolitik teilnehmender Länder offenzulegen. Oder anders ausgedrückt: Diese Vergleichsstudien zielen auch darauf ab, die Produktionsleistung von Bildungssystemen messbar zu machen. Dadurch erlauben sie es, Bildungsansätze verschiedener Länder, Regionen, Schulformen oder gar Einzelschulen und Individuen miteinander zu vergleichen.
Insbesondere für wissensbasierte, global miteinander konkurrierende Volkswirtschaften wird die Produktion von Humankapital zunehmend zum Standortfaktor; zugleich stellt Chancengerechtigkeit in Hinblick auf den individuellen Zugang zu Bildungsmöglichkeiten eine Voraussetzung für soziale Integration dar. Aus dieser gestiegenen Bedeutung von Bildung ergibt sich das wachsende Interesse an internationalen Vergleichsstudien. Wo stehen wir im internationalen Vergleich? Wie sieht unsere bildungspolitische Situation aus? Welche vorrangigen Probleme hat unser Bildungssystem und was müssen wir noch tun, um besser zu werden?
Die Ergebnisse vieler Vergleichsstudien werden für die Erstellung von Ratings und Rankings verwendet, die oftmals den Eindruck einer Rangfolge zwischen teilnehmenden Ländern mit „Bildungssiegern und -verlierern“ vermitteln. In einzelnen Ländern, wie beispielsweise den USA, haben sich auch nationale Testkulturen entwickelt, nach denen zum Teil auch die Bezahlung von Lehrkräften erfolgt. Obwohl einige dieser international vergleichenden Leistungsuntersuchungen bereits seit langer Zeit regelmäßig durchgeführt werden, gelten sie insbesondere seit der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie im Jahr 2001 als Richtmaß für die Weiterentwicklung von „Humankapital“.
In vielen Ländern wurden sukzessive Reformprogramme für das Schul- und Unterrichtswesen angestoßen. Das unerwartet schwache Abschneiden Deutschlands hat hierzulande die bildungspolitische Stagnation, die sich seit den 1970er Jahren entwickelt hat, zur Auflösung gebracht und spürbare Veränderungen im Bildungsbereich ausgelöst. Da diese internationalen Vergleichsstudien auf die Messbarkeit von Bildungsoutput abzielen, haben sie teilweise sogar zu einem prinzipiellen Paradigmenwechsel in der Bildungssteuerung geführt, der eine Evidenzorientierung in den Vordergrund stellt (Niemann 2015).
Keine Frage: diese vergleichenden Tests, und allen voran PISA, haben bewirkt, dass international und national mehr über Bildung diskutiert wird und Verbesserungen angestrebt wurden. Insbesondere in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, haben solche Vergleichsstudien enorme Reformanstrengungen ausgelöst. Unser Land der Dichter und Denker ist aufgerüttelt worden. Bildungspolitik ist nach einer langen Zeit der Untätigkeit wieder auf die politische Tagesordnung geholt worden. Mit diesem Thema kann man heutzutage Wahlen gewinnen – oder auch (teil)verlieren (siehe Nordrhein-Westfalen 2017 oder Bremen 2019).
Aber was bringt uns die inzwischen fast alljährliche Testerei? IGLU wird alle 5 Jahre durchgeführt, TIMSS steht alle vier Jahre an, PISA alle drei Jahre, VERA wird jährlich in den Klassenstufen 3 und 8 angesetzt und so weiter. Erfahren wir durch diese vielen nationalen und internationalen Tests wirklich noch etwas Neues und finden endlich den Schlüssel zum Erfolg? Oder werden wir nicht vor allem immer wieder daran erinnert, was wir ohnehin schon wissen? Schließlich wird ja das sprichwörtliche Schwein vom stetigen Wiegen auch nicht fett. Als vor kurzem zum nunmehr siebten Mal die PISA-Ergebnisse veröffentlich wurden, haben wir keine Schockwelle wie 2001 erlebt. Zumindest winken wir nicht schon gelangweilt ab.
Keine Frage und bei aller Kritik, die man an den PISA-Daten auch haben mag: Die Bildungsdaten, die dadurch generiert werden, lassen Langzeittrends berechnen, Korrelationen erkennbar machen, ermöglichen es, Kausaleffekte zu visualisieren. Gerade in den sozialwissenschaftlichen Fächer haben die Daten bedeutend zu Fragen der Ursachen der (Re-)Produktion von sozialer Ungleichheit beigetragen. In den letzten Jahren ist mit der Zunahme internationaler Migration auch die zentrale Funktion von Bildung für die Integration ethnisch heterogener Gesellschaften ins Blickfeld gerückt. Bessere Daten im Bereich Bildung haben wir nicht – und werden sie, wenn das Ziel ist, international zu vergleichen, zum jetzigen Zeitpunkt auch kaum generieren können.
Die Bilanz ist aber auch: die großen, sich auszahlenden Umbrüche im Bildungsbereich, die erkennbaren Verbesserungen und Erfolge durch Reformen – beides ist in Deutschland ausgebleiben. Knapp 20 Jahre nach dem PISA-Schock sind wir nicht viel weiter als zuvor. Vielleicht fehlt es uns an den brillanten Ideen. Vielleicht lassen sich „best practices“ aus anderen Ländern eben nicht so einfach und auch nicht 1:1 mal eben so bei uns umsetzen. (Die koreanische Paukschule etwa ist nicht unbedingt das idealtypische Vorbild für das deutsche Bildungsverständnis – trotz der überragenden Leistungen in PISA.) Und ja, die Migration der letzten Jahre hat neue Herausforderungen mit sich gebracht, die die Aufmerksamkeit des Bildungssystems an anderer Stelle gefordert haben als das Curriculum PISA anzupassen. Ebenso hat die Geburtenzunahme seit 2012 einen Einfluss auf die Schüler_innenzahlen. Anders als bei der unerwarteten Flüchtlingswelle 2015 hätte man im Falle der Neugeborenen allerdings berechnen können, dass diese Kinder auch irgendwann mal beschult werden müssen.
Was uns diese alljährliche Testerei kostet, wissen wir hingegen weniger. Laura Engel und David Rutkowski (2019) haben sich daran gewagt, die Kosten für die USA zu berechnen und dabei lediglich die zwei Komponenten in ihre Berechnung einbezogen: Gemeinkosten, d.h. was ein System als jährliche, nach Größe der Wirtschaft bemessene Gebühr für die Teilnahme an PISA an die OECD zahlt und (2) Kosten für die Umsetzung im Land, also was ein System für die Durchführung der Bewertung bezahlt. Als größte Volkswirtschaft der Welt zahlen die USA die höchste PISA-Teilnahmegebühr an die OECD, die etwa 1 Million Dollar pro Jahr beträgt. Die Kosten für die Implementierung von PISA 2012 in den USA betrugen beispielsweise rund 6,7 Millionen Dollar.
Ist uns PISA und Co das Geld also wert? Vermutlich schon, denn es erinnert uns immer wieder daran, dass sich noch mehr bewegen muss, insbesondere in einem Land wie Deutschland, das quasi über keine andere Ressourcen verfügt als die Köpfe seines Landes. Aber ist es sinnvoll, so häufig und so viel zu testen? Würde es nicht auch ausreichen, wenn PISA beispielsweise alle 5 Jahre durchgeführt wird? Statt einen überschießenden Aktionismus durch die kurze Abfolge von Testreihen zu bewirken, der ggf. noch mit Legislaturperioden kollidiert, sind kluge Ideen und finanzielle Ressourcen gefragt. Zumindest VERA ist ja bereits teilweise ausgesetzt, um Bürokratie abzuschaffen und Lernzeit zu schaffen.
Denn: der Bildungsbereich ist im Grunde ein „träger“ Politikbereich. Bis eine Reform derart ausgestaltet ist, dass sie eingeführt werden kann, vergeht einiges an Zeit. Bis die Reform im Schulsystem angekommen ist, vergeht wiederum Zeit. Und bis sich die sinnhaft messbaren Veränderungen einer eingeführten Reform tatsächlich in Schüler_innenleistungen abzeichnen, müssen Jahre vergehen. Gleichzeitig braucht die OECD etwa ein Jahr, um die Testergebnisse zu veröffentlichen. Wie also soll ein national getestetes Bildungssystem (oder noch besser: ein föderal organisiertes System wie das der Bundesrepublik) innerhalb von zwei Jahren – also nach der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse und vor der nächsten Testrunde – wundersame Verbesserungen eingeführt haben, die zu deutlich veränderten und besseren Bildungswelten führen?
Kerstin Martens ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Bremen und forscht zu internationaler Bildungspolitik.
Literatur
Engel, Laura and David Rutkowski. 2019. „Is PISA Worth its Cost? Some Challenges Facing Cost-Benefit Analysis of ILSAs.“ Laboratory of International Assessment Studies blog series. Published on 28th March 2019. Zugriff vom 7.12.2019 bit.ly/2Wp3c9S
Niemann, Dennis. 2015. „PISA in Deutschland: Effekte auf Politikgestaltung und -organisation.“ DDS – Die Deutsche Schule 107 (2): 141-157.
Die Forderung nach mehr Inklusion im deutschen Bildungssystem hat durch die internationale UN-Behindertenrechtskonvention weiter Auftrieb erhalten.…
Über diesen Bildungsblog
Friedrichs Bildungsblog ist der bildungspolitische Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Friedrich Ebert ist nicht nur Namensgeber der Stiftung.
Sein Lebensweg vom Sattler und Sohn eines Schneiders zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands steht für Aufstieg durch Bildung.
Weiterlesen
Katja Irle, Redaktionelle Betreuung des Blogs, Bildungs- und Wissenschaftsjournalistin
Lena Bülow, Team Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung
Florian Dähne, Leiter Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung
Wenden Sie sich bei Ideen und Vorschlägen für Blogbeiträge gerne an florian.daehne(at)fes.de
Für weitere spannende Blogbeiträge klicken Sie hier: