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Wie entwickelt sich der wissenschaftliche Austausch und die Mobilität in Europa?

Kurzbericht über das Forum 1 in der Veranstaltungsreihe "Ein starkes Europa braucht eine starke Wissenschaft"

 

Die Ziele und ersten Erfahrungen mit der EU-Initiative „Europäische Hochschulen“, die Auswirkungen des Brexits auf die wissenschaftliche Zusammenarbeit und Mobilität in Europa sowie die Bedeutung europäischer Werte und Identität in der Hochschulbildung standen im Mittelpunkt des ersten Fachforums der FES-Konferenz „Ein starkes Europa braucht eine starke Wissenschaft“.
 

Europäische Hochschulallianzen – Potenziale und Herausforderungen

Ausgangspunkt für die EU-Initiative „Europäische Hochschulen“ war ein Impuls des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der in seiner Rede an der Sorbonne 2017 die Vision entworfen hatte, bis 2024 mindestens zwanzig Europäische Universitäten zu gründen, um die Einigung Europas zu unterstützen. Europäische Universitäten sollten Orte pädagogischer Neuerung und exzellenter Forschung sein und ein Netzwerk von Universitäten aus mehreren Ländern Europas bilden. Im Studienverlauf sollte jede_r Studierende ins Ausland gehen und Seminare in unterschiedlichen Sprachen belegen können. Davon angeregt führte die Europäische Kommission 2019 und 2020 Pilotausschreibungen durch, die im Rahmen des EU-Bildungs- und Austauschprogramms Erasmus+ umgesetzt werden. Gefördert werden derzeit 41 Hochschulnetzwerke, an denen 280 Hochschulen aus 27 Ländern beteiligt sind, was fünf Prozent aller Hochschulen in Europa entspricht.  

 

Weitere Informationen zur Entwicklung der Europäischen Hochschulen finden Sie hier

 

Die Hochschulallianzen sollen die Stärken und die Vielfalt europäischer Forschung und Lehre in neuen Strukturen bündeln: Ziel ist es, durch ein starkes Wissensdreieck ausBildung, Forschung und Innovation die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulsystems zu erhöhen, indem die Hochschulen eine integrierte, langfristige gemeinsame Strategie für Hochschulbildung verfolgen, die eng mit Forschung und Innovation verbunden ist. Innerhalb der Allianzen soll eine freie, durchlässige Mobilität zwischen den beteiligten Hochschulen erreicht sowie Inklusion und Diversität gesteigert werden. Die Absolvent_innen sollen eine neue Generation von Europäer_innen bilden, die sich in mehreren Sprachen verständigen und zusammenarbeiten können. Durch enge wissenschaftliche Zusammenarbeit und Mobilität sollen europäische Werte und eine europäische Identität gefördert werden.

Flankierend zu dieser EU-Initiative unterstützt der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) im Rahmen des nationalen Begleitprogramms „Europäische Hochschulnetzwerke (EUN)“ deutsche Hochschulen mit Mitteln bei der Umsetzung der Hochschulkooperationen im Rahmen der Allianzen, etwa um notwendiges Personal zu finanzieren. Dr. Kai Sicks, Generalsekretär des DAAD, berichtete über den derzeitigen Stand der Initiative und die damit verbundenen Herausforderungen. Aus seiner Sicht haben Europäische Hochschulallianzen das Potenzial, die europäische Zusammenarbeit auf eine neue Stufe zu heben, indem Hochschulen nicht nur punktuell kooperieren, sondern sich als ganze Institutionen vernetzen. Die beteiligten Hochschulen sollen dazu beitragen, den Wissenstransfer in die Gesellschaft (third mission) zu stärken und die gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Innerhalb des multilateralen Netzwerks sollen die Rahmenbedingungen des Studierens sowie die Verwaltungs- und Leitungsprozesse aufeinander abgestimmt werden. Sicks verdeutlichte, dass in den Allianzen auch eine neue Stufe des internationalen Studierens erreicht werden soll, indem der internationale Austausch in den Hochschulnetzwerken zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Curricula wird, insbesondere über kurzzeitige und digitale Kooperationsformate. Studierende könnten dann flexibel einzelne Kurse von Partnerhochschulen belegen, die an der Stammhochschule angerechnet werden, und ihr Studium auf diese Weise stärker nach ihren individuellen Bedürfnissen gestalten. Auf diese Weise könnten Studierenden auch neue Formen internationaler Erfahrung ermöglicht werden.

Sicks sieht bei den Europäischen Hochschulallianzen sehr große Potenziale, aber auch immense Herausforderungen bei der Umsetzung. Erstens brauche es eine auskömmliche und nachhaltige Finanzierung für eine langfristige Zusammenarbeit der Allianzen. Neben den europäischen Mitteln seien zusätzliche, flankierende Unterstützungsprogramme auf nationaler Ebene notwendig, was in den meisten europäischen Ländern bisher allerdings nicht der Fall sei, sodass Verzerrungen und problematische Ungleichheiten zwischen den Hochschulen im Netzwerk entstehen können. Zweitens müssten klare gesetzliche Rahmenbedingungen etabliert werden, z.B. um die Berufung internationaler Professor_innen oder gemeinsame Abschlüsse zu regulieren. Drittens müsste die Anschlussfähigkeit der verschiedenen digitalen Systeme der Hochschulen hergestellt werden, was mit großen Schwietigkeiten einhergehe. Viertens sei es notwendig, die unterschiedliche Governance und die Administrationen der einzelnen Hochschulen unter einem gemeinsamen Dach einer Allianz zu integrieren. Erforderlich sei fünftens ein klares politisches Votum der Mitgliedsländer, das Modell der Europäischen Hochschulallianzen in den jeweiligen Hochschulsystemen zu unterstützen.   

Nach Sicks können die Europäischen Hochschulallianzen entscheidend dazu beitragen, den Europäischen Bildungsraum weiterzuentwickeln, zu transformieren und die Internationalisierung des Studiums im europäischen Kontext zu erweitern. Um diese Potenziale zu heben, bräuchten die Hochschulen allerdings Zeit und sie dürften nicht mit Ansprüchen überlastet werden. Die Stärke der Vielfalt Europas sollte auch die europäischen Hochschulallianzen prägen, d.h. sie sollten auch weiterhin unterschiedliche individuelle Schwerpunkte setzen und selbst entscheiden können, in welchen Bereichen sie die Zusammenarbeit weiterentwickeln wollen. Europäische Hochschulallianzen sollten keine abgegrenzten exklusiven Gebilde darstellen, sondern sich durch Offenheit gegenüber Hochschuleninnerhalb und außerhalb Europasauszeichnen. Wenn man den Allianzen große Flexibilität bei der Ausgestaltung und ausreichende Ressourcen gebe, könnten sie  ein Hochschulmodell der Zukunft werden, das sich auch in größerer Breite entwickeln ließe. Sie könnten als Vorreiter gesehen werden, wie europäische Zusammenarbeit funktionieren kann.


Auswirkungen des Brexits auf die wissenschaftliche Zusammenarbeit und Mobilität in Europa

Dr. Uta Staiger, Leiterin des Europäischen Instituts am University College London (UCL) und Pro-Vice-Provost (Europe), wies darauf hin, dass die internationale Mobilität von Studierenden in Europa bis zur Covid-19-Krise jedes Jahr stark zugenommen hat. Auch in Großbritannien sei die Zahl der Studierenden mit Auslandsaufenthalten während des Studiums jährlich gestiegen. Unter den Top-Ten der beliebtesten Zielländer der an britischen Universitäten eingeschriebenenen Studierenden seien die Hälfte EU-Länder, und im Rahmen des EU-Austausch- und Mobilitätsprogramms Erasmus+ sei Großbritannien das beliebteste Ziel aller Studierenden.

Nach dem Brexit wurde in den Bedingungen des Ausstiegsabkommens der EU vom 31. Januar 2020 festgelegt, dass das Vereinigte Königreich noch an dem auslaufenden Erasmus+-Programm (2014–2020) teilnehmen kann. Für die kommende Programmlaufzeit (2021–2027) ist im neuen Partnerschaftsvertrag aber keine Teilnahme als Programmland mehr vorgesehen. Die Förderung eines Auslandsaufenthaltes kann im Erasmus+-Programm dann nur noch gefördert werden, wenn zwischen Partnerhochschule und Heimathochschule ein gültiges Abkommen besteht.

 

Weitere Informationen zum Brexit und den Auswirkungen auf wissenschaftlichen und hochschulischen Austausch finden Sie hier

 

Auslandsaufenthalte von britischen Studierenden sollen künftig mit dem „Turing-Programm“ gefördert werden, das die britische Regierung neu aufgelegt hat und das sich in einigen Punkten von der Erasmus-Förderung unterscheidet. Im Studienjahr 2021/22 sollen 20.000 Studierende und 15.000 Schüler_innen gefördert werden. Allerdings handelt es sich nicht um ein Austauschprogramm, sondern es wird ausschließlich die Mobilität von Studierenden und Schüler_innen an britischen Hochschulen und Schulen gefördert – im Unterschied zum Erasmus+-Programm ist keine Mobilitätsförderung von Forscher_innen enthalten. Ein expliziter Fokus liegt darauf, Studierenden aus sozial benachteiligten Familien internationale Erfahrungen zu ermöglichen (widening participation). Staiger verdeutlichte, dass in diesem Programm insgesamt sehr viel weniger Mittel zur Verfügung stehen, mit denen zudem ein weiter gefächertes Angebot der globalen Mobilität unterstützt werden soll. Unterstützt werde eine große Anzahl von Angeboten zwischen vier Wochen und einem Jahr, einschließlich sehr kurzer Aufenthalte. Problematisch ist nach Staiger die geringe Planungsstabilität, da das Programm jährlich verlängert wird und die Förderung stärker mit Ungewissheiten behaftet ist. Auch könnten neue Visa- und Einwanderungsbestimmungen in Großbritannien den Austausch von Studierenden und Wissenschaftler_innen behindern.

Wichtig ist nach Staiger, dass die Kernmobilität in Europa durch Erasmus+ bis 2023 zunächst gesichert ist. Diese Zeit würden viele Universitäten in Großbritannien dazu nutzen, neue Arten der Mobilität mit europäischen Partnerhochschulen zu erproben, ihre institutionellen Kooperationsvereinbarungen zu überarbeiten und innerhalb bestehender Partnerschaften kollaborative Angebote zu entwickeln. Finanzierungsprobleme bei der Mobilität würden vermutlich erst nach dem Auslaufen der Erasmus-Förderung entstehen. Staiger geht davon aus, dass in Großbritannien in den nächsten zwei bis drei Jahren in den Bereichen von Mobilität, Austausch und Zusammenarbeit ein facettenreiches System entsteht und auch neue Formen erkundet und etabliert werden, die dann längerfristig gefestigt werden können.

Staiger erinnerte daran, dass die britischen Hochschulen in der europäischen Frage weit überwiegend remainer waren und nach wie vor ein sehr starkes Interesse an intensiver Zusammenarbeit mit Hochschulen in Europa haben. Britische Hochschulen könnten künftig stärker als soft power-Player aktiv werden und zu besseren Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und den EU-Mitgliedsstaaten beitragen.


Bedeutung europäischer Identität und Werte in der europäischen Hochschulbildung

In der Diskussion wurde deutlich, dass im Europäischen Hochschulraum die Hochschulen nicht nur strukturell zusammenwachsen müssen, z.B. über Mobilität und Austausch, sondern auch inhaltlich, indem europäische Werte und Identität eine wichtige Rolle bei europäischer Hochschulbildung spielen sollten. Europäische Hochschulen seien der richtige Ort, um die gemeinsame Geschichte Europas aufzuarbeiten und die sprachliche und kulturelle Vielfalt Europas zur Geltung zu bringen.

Zur Stärkung der inhaltlichen Dimension wurde vorgeschlagen, das Qualitätssiegel Europäische_r Hochschullehrer_inoderein europäisches Studium generale einzuführen. Europäische Hochschulallianzen könnten zu Leitinstitutionen werden, die nicht nur auf struktureller Ebene eng zusammenarbeiten, sondern z.B. auch ein umfassendes europäisches Curriculum anbieten. Sie sollten auch Orte einer offenen Debatte und Streitkultur sein, um die Entwicklung eines demokratischen, vielfältigen Europas zu unterstützen.

Sicks verdeutlichte, dass die Stärkung der europäischen Werte und Identität ein explizites Programmziel der Europäischen Hochschulallianzen ist, diese aber selbst darüber entscheiden können, wie sie dieses Ziel in ihre Struktur oder Inhalte einarbeiten. In den Allianzen würden enge, institutionelle Partnerschaften mit Hochschulen in Europa entwickelt und Menschen ausgebildet, die miteinander kommunizieren und sich konstruktiv über unterschiedliche Auffassungen austauschen können. Dadurch werde die demokratische Streitkultur und der Zusammenhalt in Europa gleichermaßen gestärkt. Wenn Europa als Grundwertegemeinschaft eine starke gemeinsame Stimme entwickelt und Werte wie Demokratie, Menschenrechte oder Rechtsstaat nach außen trägt, könnte das eine Form von Science Diplomacy sein, die die europäische Identität stärkt und zugleich europäischen Werten eine hohe politische Kraft in der ganzen Welt verleiht.

 

 

Autorin

Angela Borgwardt

Ansprechpartner

Martin Pfafferott
martin.pfafferott@fes.de
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Haus 1

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