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Wie kann Wissenschaft und Forschung zum Klimaschutz in Europa beitragen?

Kurzbericht über das Forum 3 in der Veranstaltungsreihe "Ein starkes Europa braucht eine starke Wissenschaft"

 

Im Mittelpunkt des dritten Fachforums der FES-Konferenz „Ein starkes Europa braucht eine starke Wissenschaft“ stand die Frage, wie eine aktive Innovations- und Forschungspolitik den Weg Europas in die Klimaneutralität unterstützen kann. Es wurden Beispiele vorgestellt, wie die Transformation Europas in Richtung nachhaltige Entwicklung und Erneuerbare Energien vorangetrieben werden kann.
 

Klimaschutz in Europa – Rolle des Wasserstoffs

Ende Juni 2021 haben das Parlament und der Rat der EU das Europäische Klimagesetz angenommen. Damit verpflichtet sich die EU, bis 2030 ihre Netto-Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent zu verringern und bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Jens Geier, Mitglied des Europäischen Parlaments und des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie sowie Berichterstatter für eine europäische Wasserstoffstrategie machte deutlich, dass Wasserstoff bei der Erreichung dieses Ziels eine sehr wichtige Rolle spielen kann. Drei Aspekte seien dabei zentral: der Hochlauf der Technologie, die Markteinführung und die Art des Wasserstoffs.

Um die Art des Wasserstoffs herrscht aus Geiers Sicht eine zentrale politische Auseinandersetzung: Eine Position ist, dass Wasserstoff nur aus erneuerbarer Energie, und dann auch nur aus Überschüssen, produziert werden soll. Bis aber erneuerbare Energie in ausreichender Menge dafür produziert werden wird, werden noch Jahre vergehen, was dann die Einführung der Wasserstofftechnologie um diese Zeit verzögern würde.

Es ergeben sich jedoch auch kurzfristig Möglichkeiten zur Vermeidung von CO2-Emissionen, wenn fossile Energieträger durch Wasserstoff ersetzt werden, selbst wenn dieser noch nicht mit erneuerbarer Energie erzeugt wurde. So wird in der Stahlindustrie inzwischen erfolgreich damit experimentiert, bei der Eisenproduktion im Hochofen nicht mehr Kohlenstaub zu verwenden, sondern Wasserstoff. Die damit verbundenen Einsparungen sind erheblich und können in neuartigen Direktreduktionsanlagen noch einmal gesteigert werden.

Nach Geier sollte Wasserstoff daher möglichst zügig in den industriellen Hochlauf gebracht werden. Dafür ist die Erstellung einer Marktordnung für Wasserstoff von zentraler Bedeutung, weil nur so Business Cases entstehen können. Die Marktordnung muss u.a. Antworten geben, ob und welche Qualitätsklassen bei Wasserstoff zulässig sein sollen, z.B. entlang des CO2-Fußabdrucks bei der Produktion, oder auf welcher Grundlage Herkunftszertifikate (Certificates of Origin) erstellt werden.
 

Strategie der Intelligenten Spezialisierung (Smart Specialisation Strategy)

Bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen müssen zahlreiche gesetzliche Rahmenbedingungen und politische Programme auf globaler, europäischer, nationaler und regionaler Ebene berücksichtigt werden. Mit der Agenda 2030 haben die Vereinten Nationen 17 Nachhaltigkeitsziele mit mehr als hundert Unterzielen und 200 Indikatoren festgelegt, die für alle Länder der Welt in Bezug auf nachhaltige Entwicklung gelten und die auf nationaler Ebene umzusetzen sind. Auch auf EU-Ebene wurden verschiedene Programme etabliert (z.B. European Green Deal, Next Generation EU).

Im Bereich der europäischen Forschungs- und Innovationspolitik spielt die Strategie der Intelligenten Spezialisierung eine wichtige Rolle, die in die Strukturförderung der Regionen (Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung – EFRE) sowie in die Wettbewerbsförderung im Rahmenprogramm „Horizont Europa“ eingebettet ist. Die Europäische Kommission hat festgelegt, dass jede Region Europas eine Strategie zur Intelligenten Spezialisierung ausarbeiten muss, wenn sie EFRE-Fördermittel erhalten möchte. Intelligente Spezialisierung ist ein innovativer Ansatz der Forschungs- und Innovationspolitik, bei dem Regionen dabei unterstützt werden sollen, ihre wirtschaftlichen Stärken gewinnbringend einzusetzen und dadurch Vorteile im internationalen Wettbewerb zu erzielen. Ausgehend von existierenden Strukturen in Regionalwirtschaften sollen neue Spezialisierungen aufgebaut werden, um transformative Prozesse hin zum wirtschaftlichen Strukturwandel anzustoßen.

Ein wichtiges Ziel ist die Schaffung von interregionalen Kooperationen zu ähnlichen Spezialisierungsstrategien, die zu regionsübergreifenden Wertschöpfungsketten führen. Partner für Kooperationen können auf einer Smart Specialisation-Plattform gefunden werden, die vom Joint Research Center (JRC) der Europäischen Kommission geleitet wird und den regionalen Akteuren maßgeschneiderte Beratung und Unterstützung bietet, z.B. beim Aufbau von Netzwerken oder der gemeinsamen Nutzung von Infrastruktureinrichtungen. Dr. Katerina Ciampi Stancova, wissenschaftliche Referentin im Joint Research Center, betonte, dass über die Plattform sowohl regionale Wertschöpfung als auch europäische Zusammenarbeit gefördert werden soll.

In der ersten Programmphase (2014 bis 2020) haben die am Programm beteiligten europäischen Regionen ihre Smart-Specialisation-Strategien entwickelt. In der aktuellen Programmphase (2021–2027) sollen sich die Projekte am New Green Deal orientieren: Die politische Zielsetzung lautet, ein zukunftsfähiges Europa aufzubauen, indem eine innovative und intelligente ökonomische Transformation unterstützt wird. Dabei wird besonderes Augenmerk auf Nachhaltigkeit bei der wirtschaftlichen Entwicklung gelegt. Die Strategien der Intelligenten Spezialisierung können auf regionaler und/oder auf nationaler Ebene entwickelt werden. Die Kollaboration von Akteuren soll im Quadrupel-Helix-Ansatz umgesetzt werden, d.h. in einer engen Zusammenarbeit von Akteuren aus Wissenschaft (z.B. Hochschulen und Forschungseinrichtungen), Wirtschaft (z.B. Unternehmen), Politik (z.B. staatliche Institutionen für regionale Entwicklung) und Zivilgesellschaft (z.B. NGOs, Bürger_innen). Hier haben Universitäten nach Ciampi Stancova eine zentrale Funktion, weil sie ihre Bildungscurricula an die Transformationsprozesse anpassen können, um in den Regionen und Unternehmen den Aufbau der erforderlichen Technologien und Fähigkeiten zu unterstützen. Die Universitäten seien maßgeblich, um das regionale Wirtschaftswachstum nachhaltig zu gestalten.

Die thematischen Smart-Specialisation-Plattformen funktionieren als bottom-up-gesteuerter Prozess, bei dem die regionalen Akteure auch konkrete Themen für mögliche Kollaborationen und gemeinsame Projekte vorschlagen. Derzeit gibt es Plattformen zu den EU-Prioritäten Energie, Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie Industrielle Modernisierung. In den drei Bereichen existieren 33 thematische Partnerschaften mit mehr als 220 nationalen und subnationalen Akteuren aus 35 EU- und Nicht-EU-Ländern. Manche Regionen sind an sehr vielen Partnerschaften beteiligt, andere an sehr wenigen. In Osteuropa sei die Beteiligung oft deutlich geringer, vor allem weil es an lokalen Kapazitäten mangele, meinte Ciampi Stancova. Beim Thema „Energie“ sei die Beteiligung der europäischen Staaten relativ breit verteilt.
 

Projekt TRACER

Im Projekt TRACER (Smart Strategies for the Transition in Coal Intensive Regions) (2019–2022) wird der Ansatz der Intelligenten Spezialisierung umgesetzt. Neun europäische Kohlebergbau-Regionen im Strukturwandel (darunter drei Nicht-EU-Regionen) werden bei ihrem Übergang in ein nachhaltiges Energiesystem unterstützt, indem die Konzeption oder Neugestaltung der Forschungs- und Innovationsstrategien dieser Regionen gefördert wird. Dazu gehören fünf Kernaktivitäten: 1. die Mobilisierung zahlreicher Interessengruppen, um eine gemeinsame Vision und Prioritäten für den Übergang von der Kohle zu diskutieren und zu vereinbaren, 2. die Identifizierung und Analyse von Best-Practice-Beispielen für erfolgreiche Übergangsprozesse (und die Veröffentlichung auf einer Plattform), 3. die Bewertung der damit verbundenen sozialen, ökologischen und technologischen Herausforderungen, 4. die Ausarbeitung von Richtlinien zur Mobilisierung von Investitionen sowie 5. die Förderung der Forschungs- und Innovationszusammenarbeit zwischen Kohlebergbauregionen in Europa und darüber hinaus.

Das Project TRACER erhält EU-Mittel über das Programm Horizon 2020. Beteiligt sind zahlreiche Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft aus elf Ländern innerhalb und außerhalb der EU. Im Rahmen des Projekts wird auch der Transformationsprozess in der Region West/Jiu-Tal (Jiu Valley) in Rumänien gefördert. Für Gloria Popescu, Kommunikationsexpertin und rumänische Partnerin im TRACER-Projekt, ist diese Initiative ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Europa über die Regionen gestärkt werden kann. Sehr hilfreich sei, dass auf der Plattform für Best-Practice-Beispiele die Informationen offen für jeden einsehbar sind. Auch die Study Tours und diverse Veranstaltungen seien wichtige Bausteine, da hier Akteur_innen aus verschiedenen Projekten ihre Ideen und ihr Wissen zum Thema „Wandel in Kohlebergbauregionen“ austauschen können. In multidisziplinären Teams könnten neue Kooperationen gebildet werden und innovative Ideen entstehen, um dem Ziel der Klimaneutralität in Europa näherzukommen. 

Damit unterstütze TRACER ein starkes Europa durch Offenheit, Transparenz und geteiltes Wissen. Ein solcher Ansatz könne auch dazu beitragen, Ungleichheiten innerhalb Europas, vor allem zwischen Ost- und Zentral-/Westeuropa zu beseitigen. Im TRACER-Projekt zeigt sich nach Popescu, dass die Unterschiede beim Wissenslevel und den Kompetenzen zwischen den Mitgliedstaaten nicht so groß sind, wohl aber beim Zugang zum Wissen und bei der Finanzierung. Die Transformation von Kohleregionen schließe nicht nur einen Wandel in den Bereichen Technologie und Umwelt ein, sondern brauche auch einen Wandel in den Einstellungen der Bürger_innen, damit sie sich für das Thema und ihre Region engagieren. Die zivilgesellschaftlichen Communities müssten mit den Wissenschafts-Communities, aber auch mit Akteuren aus Wirtschaft und Politik in Prozesse der kreativen Kollaboration eintreten.

Für die teilnehmende Kohleregion in Rumänien habe TRACER als Türöffner gewirktund Menschen in ganz Europa verbunden. Das Projekt könne dazu beitragen, die Einstellungen der Stakeholder und der Bürger_innen positiv zu verändern, weil ihnen durch die Teilnahme gezeigt wird, dass Europa ihre Bedürfnisse berücksichtigt und sie darüber hinaus in ihren Stärken unterstützt.
 

Zentrale Bedeutung von Hochschulen und Zivilgesellschaft

In der Diskussion verwies Geier auf die große Bedeutung von Hochschulen in Regionen, die sich in Transformationsprozessen befinden. Das zeige z.B. die Entwicklung des Ruhrgebiets, das als Kohlebergbauregion den Strukturwandel relativ gut bewältigen konnte. Das sei zu einem großen Teil  auf die Ansiedlungsstrategie von Hochschulen zurückzuführen, die ein kritischer Erfolgsfaktor seien. Hochschulen könnten als Nukleus wirken, um die sich dort entwickelnde Expertise für die Region fruchtbar zu machen, z.B. durch Gründungsinitiativen und die Entstehung qualifizierter Arbeitsplätze, wodurch auch eine höhere Lebensqualität in der Region langfristig befördert werden kann.

Ciampi Stancova hob hervor, dass Hochschulen zwar eine wichtige Rolle bei erfolgreichen regionalen Transformationsprozesse hätten, es aber insgesamt einer Kollaboration von Hochschulen, Unternehmen, Staat und Zivilgesellschaft bedürfe. Unverzichtbar sei, alle Interessengruppen der Gesellschaft in solche Prozesse einzubeziehen. Eine entscheidende Rolle habe deshalb das Bürgerengagement bzw. die Einbindung der Zivilgesellschaft, da nur dann erreicht werden könne, dass die Initiativen auch mit dem übereinstimmen, was in diesen Regionen gebraucht wird und die Bürger_innen den Transformationsprozess unterstützen.

Autorin

Angela Borgwardt

Ansprechpartner

Martin Pfafferott
martin.pfafferott@fes.de
030-26935-7056

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Haus 1

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