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Beitrag der Reihe "Wirtschaft weiter denken aus junger Perspektive" von Vera Heckelmann und Wendy Kaluza
Dieser Beitrag soll dazu anregen, darüber nachzudenken, warum die deutsche Gesellschaft ihr Konsumverhalten grundlegend in Richtung Nachhaltigkeit umdenken sollte und wie dieser Wandel im Mindset überhaupt möglich ist. Er soll aufzeigen, dass die Normalisierung von Verzicht unumgänglich ist und dass dennoch ein Wachstum innerhalb der deutschen Gesellschaft möglich ist – ein Wachstum der Zufriedenheit.
„Ich wohne auch im Dorf. Also da halte ich’s nicht für nötig“, ist die Antwort eines Mannes im Interview mit „hallo deutschland“ des ZDF aus dem Jahr 1976, als er zu der kurz zuvor eingeführten Gurtpflicht befragt wird. Selten reagierte die deutsche Bevölkerung so emotional wie bei dieser gesetzlichen Vorgabe. Kaum einer hielt sich daran, Bußgelder wurden nicht verhängt, einzig der Appell an die Vernunft durch Politiker_innen und Promis sollte für die Einhaltung der Gurtpflicht sorgen. Doch gut gemeinte Ratschläge führten weiterhin zu nichts – bis der Griff ins Portemonnaie Wirkung zeigte: Mit der Einführung des Bußgelds für Gurtverweiger_innen im Jahr 1984 stieg die Anschnallquote auf 90 Prozent. Heutzutage ist es selbstverständlich, den Sicherheitsgurt im Auto anzulegen. Diese Lernkurve ist übertragbar auf gesellschaftliche Debatten über andere Maßnahmen, die zurzeit noch für Aufregung sorgen und als Freiheitseinschränkung diskutiert werden, in der Zukunft jedoch eine Selbstverständlichkeit werden müssen – wie die Reduzierung des Genusskonsums deutscher Haushalte.
Der Konsum deutscher Haushalte ist Grundlage für Wirtschaftswachstum und fördert den Wohlstand. Doch leider gehört es mittlerweile zum guten Ton, Dinge zu konsumieren allein des Konsumierens wegen. In einer Erhebung aus dem Jahr 2019 wird klar: Der Anteil der Ausgaben für Bekleidung und Schuhe an den gesamten Konsumausgaben beträgt 5 Prozent, derjenigen für Verkehr 14 Prozent und für andere Waren und Dienstleistungen 12 Prozent. Es hat sich ein Lebensstil durchgesetzt, der an einen hohen Bedarf an Energien und weiteren natürlichen Ressourcen geknüpft ist, obwohl dadurch mehr Ressourcen verbraucht werden, als die Erde regenerieren kann. Ohne ein funktionierendes Ökosystem ist Wohlstand aber nicht möglich. Da die Klimakrise durch unsere Industrie, unsere Reisen um die Welt und unseren Konsum entstanden ist, ist es nun auch unsere Verantwortung, anders zu wirtschaften und bewusster zu konsumieren. Ein kollektives Handeln ist jedoch undenkbar, solange uns gesellschaftliche Normen prägen, nach denen ein Mensch wertvoller ist, wenn er besitzt, wenn er konsumiert. Eine Neudefinition von Werten und Normen lässt sich schwer herbeiführen, geschweige denn von der Politik vorgeben. Dennoch kann die Politik einen Rahmen vorgeben, in dem Konsum geregelt stattfinden kann. Der Staat kann durch verschiedene Instrumente dazu beitragen, das Konsumverhalten nachhaltiger zu machen, beziehungsweise durch gezielte Angebote einen Wandel im Mindset der Bevölkerung anregen.
Doch welche Instrumente genau sorgen dafür, dass nachhaltiger Konsum in der Bevölkerung gefördert und damit ein Wandel im Mindset initiiert wird?
Ein nachhaltiges Konsumieren versteht sich als ein Konsumieren, das die Belastbarkeitsgrenzen der Erde beachtet und auch die Bedürfnisbefriedigung zukünftiger Generationen sicherstellen will. Das im Januar 2019 veröffentlichte „Nationale Programm für nachhaltigen Konsum“ der Bundesregierung benennt relevante Handlungsfelder und konkrete Maßnahmen, die aufzeigen sollen, wie ein Strukturwandel in der Wirtschaft und der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit vorangetrieben werden kann.
Auch die Bundesregierung ist der Auffassung, dass sich das Konsumverhalten der Bevölkerung nachhaltiger gestalten muss, um die globalen Ökosysteme vor dem Kollaps zu bewahren.
Das Programm diene primär dazu, Verbraucher_innen die Folgen ihres Konsums verständlich zu machen. Dafür müsse das Bewusstsein der Bevölkerung mithilfe transparenter, glaubwürdiger und verständlicher Informationen von Bildungseinrichtungen erhöht werden, um die Entscheidungs- und Handlungskompetenz der Verbraucher_innen zu erweitern. Wenn man zum Beispiel das nächste Mal am Black Friday von enormen Rabatten in die Geschäfte und Online-Shops gelockt wird, soll die erhöhte Kompetenz helfen, das eigene Kaufverhalten zu hinterfragen und nachhaltiger zu konsumieren.
Was im „Nationalen Programm für nachhaltigen Konsum“ jedoch fehlt, ist die Kritik an dem Wachstumsverständnis in Deutschland. Dieses ist insofern ein Problem, als es von einem exponentiellen Wachstum ausgeht. Doch wo Ressourcen begrenzt sind, kann es kein unendliches Wachstum geben. Vor allem kein Wachstum, das auf den Gebrauch begrenzter Ressourcen angewiesen ist. FDP-Chef Christian Lindner verdeutlichte 2019 in einem Gespräch in der Fernsehshow „unter den linden“, wie ein spannender ausgedrücktes „Weiter so“ auch in der Politik geglaubt und gelebt wird: „Ich will nicht verzichten, und ich will auch nicht, dass andere verzichten müssen. Ich will durch Technik erreichen, dass die Menschen frei leben, sich frei bewegen können.“ Laut Lindner soll es nicht weniger für alle geben, sondern allein technischer Fortschritt wird ausreichen, um die Klimakrise abzumildern.
Doch die Vergangenheit zeigt: Als ökologisch ausgewiesene Innovationen haben bisher den tatsächlichen CO2-Ausstoß kaum gemindert. So wurden zwar Verbrennungsmotoren immer effizienter, Autos aber gleichzeitig immer schwerer, wodurch der CO2-Ausstoß sogar stieg. Dieser sogenannte Rebound-Effekt (zu Deutsch: Bumerangeffekt) lässt sich auch in anderen Bereichen der deutschen Wirtschaft wiederfinden. Sich bei der Bekämpfung der Klimakrise also allein auf innovative Techniken zu verlassen, ist nicht weit genug gedacht. So kritisiert auch der Postwachstumsökonom Niko Paech: „Diese Technikgläubigkeit ist der Irrweg schlechthin, weil er nicht nur in seiner Umsetzung versagt, sondern weil er zweitens noch den Nebeneffekt hat, den Menschen ein perfektes Alibi dafür zu liefern, nicht über den derzeitigen Lebensstandard nachzudenken. Natürlich will die intellektuelle Mittelschicht einerseits so weiterleben wie jetzt und andererseits ein reines Gewissen haben.“ Diese Diskrepanz zwischen Konsumverlangen und gleichzeitigem Wunsch, pflichtbewusst zu handeln, ist weiter verbreitet, als Paech mit seiner Aussage annehmen lässt, denn auch bei Arbeitnehmer_innen im Blue-Collar-Bereich herrscht eine solche Kluft.
Auch der stellvertretende Chefredakteur der Zeit Bernd Ulrich plädierte für Verzicht beim Konsum, als er schrieb: „Es kann gut sein, es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass für eine ökologische Wende der eine oder die andere für eine Weile auch Dinge erleben und tun müssen wird, die einem erst mal wie Verzicht vorkommen. Das Verzichtsfreiheitsversprechen ist im Grunde eine Verweigerung, die ökologische Wende ernsthaft anzugehen.“
Das Bundesverfassungsgericht stimmte in Teilen einer Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz zu, die einige teils noch sehr junge Bürger_innen eingelegt hatten, weil sie sich durch die Klimapolitik der damaligen Bundesregierung, die die hohen Emissionsminderungslasten unumkehrbar vor allem auf den Zeitraum nach 2030 verschoben, in ihren Freiheitsrechten verletzt sahen. Um den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C, möglichst auf 1,5 °C, zu begrenzen, wie es das Pariser Klimaabkommen vorgibt, müssten die nach 2030 erforderlichen Einschränkungen äußerst kurzfristig erbracht werden, wovon dann „praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen [ist], weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind“. Das Argument, Einschränkungen der eigenen Freiheit möglichst zu vermeiden, ist also in der Diskussion über die Bekämpfung der Klimakrise hinfällig, denn die Freiheitseinschränkungen werden aktuell einfach nur in die Zukunft verschoben.
Dennoch darf die Verantwortung nicht allein auf die einzelnen Verbraucher_innen übertragen werden. Dass die Klimakrise und ihre Folgen, ebenso wie politisch induzierte Einschränkungen zu ihrer Bekämpfung, insbesondere auch eine soziale Frage sind, erkennt auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze an: „Am härtesten trifft die Klimakrise die Ärmsten, die nicht die Möglichkeit haben, sich anzupassen. Klimaschutz ist darum ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Aber auch die Klimaschutzmaßnahmen selbst müssen sozial gerecht gestaltet sein, damit sie erfolgreich sind. Das gilt in Deutschland, etwa beim Kohleausstieg in der Lausitz und im Rheinischen Revier, und das gilt mindestens so sehr in Entwicklungsländern.“ Die Armen sind nicht nur am stärksten durch die Umweltsteuern belastet, sondern leiden auch am stärksten unter der Umweltverschmutzung und Klimakrise. So wohnen sie zum Beispiel vermehrt an lauten und dreckigen Durchgangsstraßen, die auch deshalb so stark befahren sind, weil es sich Wohlhabendere leisten können, ins Grüne zu ziehen und dann die Pendlerpauschale zu beziehen. Es zeigt sich, dass deutsche Klimapolitik bisher sozial ungerecht war. In zukünftigen Gesetzen muss deswegen vermehrt an die ärmeren Haushalte gedacht werden. Denn gerade einkommensschwache Haushalte sind schon jetzt an ihrer finanziellen Belastungsgrenze angekommen oder haben sie überschritten, was nachhaltigen Konsum, solange dieser allein daraus besteht, nachhaltigere Produkte teurer zu erwerben, für sie unmöglich macht. Es müssen also auch stärker strukturelle Voraussetzungen geschaffen werden, die allen ein nachhaltiges Leben ermöglichen, zum Beispiel eine moderne und klimafreundliche Infrastruktur und ein klimafreundlicher Gebäudebestand. Auch der Konsum von Produkten, die zum Beispiel aufgrund besserer Qualität und Langlebigkeit eine nachhaltigere Alternative zu herkömmlichen Gebrauchsgegenständen sind, muss in Zukunft für einkommensschwache Haushalte bezahlbar sein. Sonst wäre es zu einfach für einkommensstarke Haushalte, die im Schnitt einen deutlich größeren ökologischen Fußabdruck haben, die Verantwortung auf die einkommensschwachen Haushalte zu schieben, die noch immer das billige Fleisch und die herkömmlichen Geräte kaufen, einfach weil alles andere unbezahlbar bleibt.
Als Konzept für die Lösung der Klimakrise wird immer wieder der Green New Deal angebracht, also die ökologische und gleichzeitig gerechte Umsteuerung durch staatliche Eingriffe. Claus Michelsen, ehemaliger Abteilungsleiter Konjunkturpolitik des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, bietet einen weiteren Ansatz an, indem er feststellt, dass sich Nachhaltigkeit und Wachstum nicht ausschließen, allein Nachhaltigkeit und Konsumwachstum würden erst mal nicht zusammenpassen: „Das Wachstum selbst muss ja nicht ausbleiben. Wenn wir das eben in Vermeidung stecken und Vermeidungstechnologien entwickeln, dann haben wir nicht weniger erwirtschaftet, aber weniger konsumiert, wenn man so will. Und das ist vielleicht ein bisschen der Unterschied zwischen der Postwachstumsargumentation und der Argumentation, so wie wir sie führen, nämlich im Sinne von Konsumverzicht.“ Für den ökologischen Umbau der Wirtschaft, der durch das erwirtschaftete Geld finanziert werden solle, werde mehr Arbeit nötig sein, aber nicht für Konsumgüter wie Autos oder noch mehr Kleidung. Die Frage, wer worauf wird verzichten müssen und wie die Politik dies steuern kann, bleibt offen. Der kanadische Professor für Umweltwissenschaften und Autor Vaclav Smil verweist auf verschiedene Studien, wonach die Lebenszufriedenheit in den reichsten Ländern schon längst stagniert. Er sieht darin die Chance, durch Mäßigung Zufriedenheit auf anderen Wegen als dem Konsum zu finden.
Wie wäre es also, wenn sich der Staat und die Gesellschaft zusammentäten für gemeinsames Wachstum? Aber nicht ein Wachstum des Konsums oder des Bruttoinlandsproduktes, sondern ein Wachstum der Zufriedenheit. Dafür bräuchte es eine Neudefinition der Werte in der deutschen Gesellschaft sowie eine Gesellschaft, in der man sich nicht mehr allein über Besitz und Konsum definiert. Und eine Gesellschaft, in der auch für die nachfolgenden Generationen gewirtschaftet wird.
Vera Heckelmann
Vera Heckelmann, Jahrgang 2002, ist Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung, sie studiert an der Fernuniversität Hagen Rechtswissenschaften und ist Stadtratsmitglied der Insel Norderney.
Wendy Kaluza
Wendy Kaluza, Jahrgang 1997, ist Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung, sie studiert an der Universität Leipzig im Master Psychologie mit dem Schwerpunkt „Arbeit, Bildung und Gesellschaft“ und engagiert sich in der Kommunalpolitik.
Wirtschaft weiter denken aus junger Perspektive
Dieser Beitrag ist Teil der Blogreihe "Wirtschaft weiter denken aus junger Perspektive", die im Anschluss an den Tag der Progressiven Wirtschaftspolitik 2022 entstanden ist. Die im Beitrag zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Ansprechpartnerin in der FES: Iva Figenwald
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